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Immer da

Gestern ist Bob Dylan unfassliche 70 Jahre alt geworden. Schwer vorzustellen, dass jemand diese überall präsente Nachricht nicht mit bekommen haben sollte. Gestern also hätte eigentlich auch der folgende Eintrag hier in diesem Blog erscheinen müssen. Das hat leider nicht geklappt. Wir befinden uns also bereits in der Nachspielzeit.

Es ist schon ein paar Jahre her, da kam ich mit einem Bekannten am Rande eines Festes in ein längeres Gespräch. Wir sprachen über die Welt, über Fußball, über die Eintracht (der er mit einer gewissen Reserve gegenüberstand und steht), über Musik, schließlich über Bob Dylan, den er ebenfalls skeptisch, aber immerhin freundlicher als die Eintracht betrachtete. „Eintracht Frankfurt und Bob Dylan,“ fragte er, „wie passt denn das zusammen?“

Diese Frage erstaunte mich. Ohnehin, denn: Was passt in einem Leben schon zusammen oder umgekehrt: Was passt nicht? Menschen und Dinge, die man liebt, treten nebeneinander, finden sich und gehören zusammen, einfach weil sie zu diesem einen Leben und genau dort hin gehören. Wie bei mir und der Eintracht und Bob. Wobei ich der festen Überzeugung bin, dass die Nähe zwischen Eintracht Frankfurt und Bob Dylan beiden sowieso zu eigen und es insofern kein Zufall ist, dass beide mich oder ich sie gefunden habe.

Die Eintracht gehört zu meinem Leben solange ich zurückdenken kann, ich bin mit ihr aufgewachsen, sie gehört sozusagen zum Grundbestand meines Denkens und Fühlens. In Sachen Bob bin ich eher eine Spätberufene. Wir entdeckten uns in den 80igern, während meiner Unizeit. Wildes, heftiges, abgedrehtes Leben. Übervoll. Von und mit allem. WG-Leben. Musikalisch hatte ich Kurven über Pop, Rock, Punk gedreht. Ich kannte Bob Dylan, natürlich, aber irgendwie war er für mich Teil einer vergangenen Zeit. Blowing in the wind. Und jetzt. Trinken. Reden. Streiten. Und immer lief im Hintergrund irgendwo irgendetwas von Bob. Es war als hörte ich es zum ersten Mal – das also, das ist Bob Dylan - und ich wusste, es würde bleiben.

„It sounded current and old at the same time.“ Das hat Bob Dylan mal über Woody Guthrie gesagt – und so ging es mir mit seinen Liedern. Da war alles, was ich von meiner Oma, meinem Opa erfahren und darüber gelernt hatte, was gut und richtig und wichtig ist im Leben – und es hatte immer gleichzeitig auch mit all dem zu tun, was mich beschäftigte und wie ich mich fühlte. „You could listen to this songs and learn how to live.“ Auch das sagt Bob über Woody. Und genau darum geht es auch in seinen eigenen Liedern, um - wie er es im ersten Band seiner Autobiobrafie, den Chronicles, schreibt - die immer gleichen Themen, um nichts als das Leben: Tod. Schicksal. Wahrheit. Integrität. Würde. Liebe. Eintracht. (Nein, das dann doch nicht, zumindest nicht wörtlich ,-).  Sei der, der du bist und nicht der, den die anderen in dir sehen wollen. Bleib aufrecht. To live outside the law you must be honest.  Das Streben nach Glück und das Wissen, dass im Moment der Erfüllung auch immer gleich der Verlust mitschwingt. There’s no success like failure and failure is no success at all. Wer würde da noch fragen, was Bob und die Eintracht miteinander zu tun haben?

Heute lege ich oft, aber längst nicht mehr so oft wie früher eine Dylan-CD ein. Nicht weil ich genug gehört habe, sondern aus dem gleichen Grund, aus dem ich mir nicht jeden Tag, sagen wir mal, den „schwarzen Falken“ oder „Red River“ anschaue oder nicht jedenTag „Adam Bede“ oder den „Taugenichts“ lese. Es ist zu mächtig. Ich trage es in meinem Herzen.

Früher habe ich immer gehofft, dass Bob irgendwann einmal, wenigstens einmal noch, bei einem seiner Konzerte, allein mit seiner Gitarre auf die Bühne kommt und singt, „To Ramona“  zum Beispiel. Einfach so. So wie er es ganz am Anfang aufgenommen hat. Heute weiß ich, dass die Art und Weise, in der Bob mit seiner Band durch die Welt zieht und seine Lieder jeden Abend neu zerpflückt die einzig mögliche Art ist. Rock. Walzer. Polka. Blues. Hillbilly. Grooven. Swingen. Röcheln. Tänzeln. Näseln. Immer neu immer weiter, zieht Bob, ziehen wir mit ihm, immer ein Stück, wenn er auf seiner neverending Tour in Europa vorbeikommt. Wundersam vermischen und verweben sich die Textzeilen und Melodien mit Menschen, Jahren und Städten. Hotelzimmer. Kneipen. Hallen. So muss es sein. Nicht anders. Life and Life only. Einsame, bierdurchtränkte Nacht in Hannover. Leuchtendes Berlin. Über dem Wasser schwebender Bob in Gelsenkirchen. Heißes Lille. Auf dem Boden kauernd. To Ramona. Tatsächlich: To Ramona. Salzburg, das während der EM gerade von einer blau-gelben schwedischen Invasion überrollt wird.

Der Domplatz in Worms und Bob, der im Nieselregen „Forever young“ krächzt. Tränen. Sonnenüberflutetes Basel. Dornbirn im strömenden Regen, das Setting wie aus einem Stück von Thomas Bernhard und zum Ausklang des Abends ein Alleinunterhalter, der an der Hotelbar auf dem Akkordeon „Sierra madre del sur“ singt. Die Halle in Straßburg, wie ein vor der Stadt gelandetes rotes UFO. "Just like a women", singt Bob nur für mich. In Freiburg, ein zerbrechlicher Bob, der nur begleitet von Tony Garnier am Bass eine atemberaubend zarte Version von „Girl from the North Country“ hintupft. In Mannheim spült uns bei der Zugabe eine Menschenwelle direkt nach vorne an die Bühnenrampe und ich schwöre: Bob und ich haben uns einen Moment lang in die Augen gesehen. Schwarzer Hut, schwarzer Anzug, rotundschwarze Paspeln. Vor fünf Jahren, in Höchst nach einer 0:3-Heim-Niederlage der Eintracht gegen Bochum, öffnet sich bei „All along the watchtower“ das Hallendach und ich fliege, fliege. Going.Going. Gone.

Wie jedes Kunstwerk, jedes Buch, das man wieder und immer wieder neu liest, scheint auch jedes Dylan-Lied ein „Jetzt der Erkennbarkeit“ zu haben. Eine neue Lesart. Eine im Werk angelegte Wahrheit , die genau jetzt in diesem Moment aufscheint.

Sich ändern, um der zu bleiben, der man ist. Traurig sein und froh. Die Flüchtigkeit des Augenblicks. Wehmut und Kraft. Stolz und Würde. Die stille Größe der Einsamkeit. This ancient empty street’s too dead for dreaming.  Weg gehen, um zu bleiben. Life sometimes must get lonely. Wissen, um die Vorläufigkeit von allem und jedem und trotzdem im Vertrauen auf Erlösung. I know the fortune is waiting to be kind.

Und welcher Bob passt im Moment am besten zur Situation der Eintracht? „I’m a man of constant sorrow. I see trouble everywhere.” Das ist schon mal nicht schlecht und passt zur Eintracht eigentlich immer. „I know you are sorry, I’m sorry too.“  Mag gelten für wen oder was auch immer. „Everything is broken.” Mmh. “My love she’s like some raven at my window with a broken wing.” So ist es wohl. Immer drängender wird der Wunsch nach Neuanfang: “Can’t wait.” „Expecting rain.“ Oder vielleicht doch einfach die Erkenntnis: „You always have to be prepared but you never know for what.”

Eintracht Frankfurt spielt in der kommenden Saison in der zweiten Liga. So viel ist sicher. Bob Dylan ist 30, 40, 50, 60, 70 geworden und tourt immer weiter. Paderborn. Fürth. Rostock. Ähem:  Sursee. Mainz. Hamburg. Natürlich. Und da fällt mir ein, dass da noch etwas ist, dass Bob und die Eintracht  gemeinsam haben. Es wird unendlich viel über sie geredet und geschrieben und nachgedacht. Und auch ich rede, schreibe und denke mit. Und trotzdem kann all das nichts daran ändern: Die Sache zwischen Bob und mir bleibt ebenso wie die zwischen der Eintracht und mir immer etwas ganz persönliches. Er. Sie. Ich. Wir. Schon immer alt. Für immer jung. Not there, trotzdem immer da. Man sieht sich! Danke, Bob! May you stay!




Kommentare

  1. "Well, the moral of the story
    The moral of this song
    Is simply that one should never be
    Where one does not belong"

    Ich weiß, wohin ich gehöre.

    Danke, Bob.

    Und danke, Kerstin.

    Gruß vom Kid

    AntwortenLöschen
  2. Ach, Gelsenkirchen am Kanal.
    Ach, Worms hinter dem Dom.
    Ach, Jahrhunderthalle in Höchst.
    Ach, Waldstadion...
    Bald stehen die Räder wieder in Flammen. Danke für den Text und den Link.
    Gruß

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  3. Wie das zusammen passt? Es gibt wenige Dinge, die immer zu etwas passen. Bob Dylan gehört dazu!

    Heart burning, still yearning ... Danke, Kerstin!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

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  4. Stürzen wir uns jetzt einfach freewheeling mit brennenden Herzen in die Zweitligasaison und hoffen, dass für den vorübergehenden Zweitligisten Eintracht Frankfurt das gleiche gilt wie für den Dichter:

    Yippee, I'm a poet
    hope I don't blow it

    Back were we belong... dann hoffentlich am Ende der nächsten Saison!

    Danke für eure Kommentare und lg in alle Richtungen!

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  5. Wir brauchen nicht mehr zu stürzen,wir sind schon gestürzt,*lächelt.*-aber auch dass werden wir packen und überleben,ich freue mich auf die neue Saison-sehr sogar.!
    Bob Dylan-bin nicht so ein Fan von ihm,aber die Best-off-CD,habe ich von ihm und daraus gefällt mir der Song-The Times Trey Are A-Changin-obwohl die meissten darauf sehr gut sind.
    LG
    (B).

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