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Europacup-Schnipsel: Aus die Maus

Der frisch ausgebrochene Frühling macht nochmal Pause. Ein grauer, kühler Tag - Karfreitagswetter  am Gründonnerstag. Schon vor dem Spiel war im Prinzip alles klar. Bilbao wir kommen. Pünktlich bei der Ankunft vorm Stadion fängt es an zu regnen, die Bratwurst wird nass. Na gut.. Heute Choreo. Und schon davor ärgere ich mich über die hinausposaunte Motivationsansage übers Stadionmikro, mehr Pathos geht nicht: Wir! Alle über uns hinausgehen, auf dem Platz, auf den Rängen, alles geben, übers Limit, für die Stadt, für den Verein, für unsere Eintracht. Ein leichtes Würgen im Hals. Nummer kleiner geht es nicht? Auch die Ultras kleckern heute nicht, sie klotzen. Wir haben lang noch nicht genug und dazu dröhnen - nein, nicht Tankard - die Böhsen Onkelz durchs Waldstadion. Der jetzt schon sturzbetrunkene junge Mann auf der Treppe neben mir grölt und jubelt. Eine Welle von Fremdheit schwappt über mich.

"Tottenham ist praktisch ein Freilos," hat mr ein premier-league kundiger Freund vor dem Hinspiel geappt. Seit letzter Woche bin ich mir sehr sicher, dass das nicht stimmt. Was immer in der Liga bei denen schief läuft, im Spiel gegen uns haben sie mich eigentlich von ihrer Stärke überzeugt, nicht besonders torgefährlich, aber sehr diszipliniert. Wir werden sehen.

Anpfiff.Wir fangen gut an, gradlinig, mit Zug zum Tor. Dann sitzt da Götze auf dem Rasen und es ist klar, dass es für ihn nicht weitergehen wird. Hängt der Bruch in unserem Spiel damit zusammen? Es ist zumindest ein wesentlicher Faktor - jetzt fehlt die Linie, der Ball läuft nicht mehr, es wirkt planlos, alles irgendwie. Nach dem martialischen Support-Start herrscht auch im Stadion eine merkwürdig  disparate Stimmung. Und für mich bestätigt sich die Erkenntnis, die ich neulich schon mal hatte: Wir spielen eigentlich immer gleich - was uns an dem einen Tag erfolgreich macht, zeigt am anderen - und gegen einen anderen Gegner - unsere Schwäche. Zu wenig Ballsicherheit, nachlässige Ballannahmen, ungenaues Passpiel - und Tottenham spielt genauso wie man gegen uns spielen muss, um diese Schwächen auszunutzen. Der ballführende Spieler wird konsequent attackiert, Pässe werden abgelaufen, eine Fußspitze dazwischen geschoben, das reicht. Habe selten ein Spiel gesehen, in dem unseren Spielern so häufig der Ball direkt vom Fuß gespitzelt worden ist. 

Die Stimmung in der Kurve ist inzwischen voll in Richtung aggro gekippt. Gellende Pfiffe bei jeder Tottenhamer Ballberührung, Papierkugeln-Choreoreste fliegen aufs Spielfeld, Bierbecher und Bierduschen. "Auf die Fresse."  

Der Elfer - okay, kann passieren. Kein Vorwurf an Santos. Mit ausgestrecktem Mittelfinger jubeln die Tottenhamer vor unserer Kurve. Muss nicht sein, aber fast erschrecke ich vor mir selbst: Ich kann sie verstehen.

Der sturzbetrunkene Eintrachtler neben mir ist inzwischen komplett in seiner eigenen Welt abgetaucht. Euroooba..kapp... (ich vermute, dass es das ist, was er singt). Am Ende blubbert nur noch ein Schal a lala lala shalla. 

Ein Tor für die Verlängerung, das muss doch zu schaffen sein. Aber ehrlich gesagt: Ich hatte nie das Gefühl, dass wir es noch schaffen werden. ok, die Chance von Krisstensen, aber ... - wenn, dann aus Zufall oder purem Glück. Entgegen allgemeiner Prognosen baut Tottenham in der zweiten Hälfte auch nicht ab, sie spielen einfach weiter genau so wie in der ersten Hälfte. Sehr konzentriert, sehr aufmerksam, sehr konsequent. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie dabei ans Limit ihrer körperlichen Kräfte gehen müssen. Es sieht - übertrieben gesagt - fast locker aus. Wir mühen uns, leider erkennbar brot- und ziellos. Ein steiles Anspiel von Theate auf Ekitiké  am Strafraum - jetzt, jetzt, vielleicht. Aber er bringt es nicht fertig, den Ball kurz zu stoppen, er prallt vom Fuß und wird weggespitzelt, während Hugo sich noch einmal um sich selbst dreht und dann resigniert vor sich hin hadert.

Schalalala, singt unverdrossen der bedenklich schwankende junge Mann.

Vorbei. Kein Halbfinale. Kein Bilbao, erst mal Schluss mit Europa. Zum Trotz und als Dank an die Mannschaft schallt noch einmal das Europa-Lied durchs Stadion. Auch wenn unsere Eintracht-Welt längst nicht mehr heil ist, helfen alte Rituale dabei, die Illusion in uns noch eine Weile aufrecht zu halten.

Weitgehend schweigender Marsch im Regen durch den Wald zur S-Bahn. Spieltagsschalsverkäufer verkaufen I'm Nieselregen Spieltagsschals I'm Sonderangebot: 2 Euro. 

Am Morgen danach: App-Nachricht eines Freundes: "So ändern sich die Zeiten bzw. Trainer: 1992 "Lebbe geht weiter." 2025: "Niederlagen gehören zum Erfolgsprozess dazu..."

Besser kann man es eigentlich kaum auf den Punkt bringen.




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