Also eigentlich gehöre ich eher zur „Lass den Heribert, der
ist halt wie er ist und irgendwie ist das doch auch ganz lustig“ – Fraktion. Am
Sonntag, im Interview in der Halbzeitpause des Spiels gegen Inter Mailand, bin
ich jetzt aber doch beinahe vom Glauben abgefallen. Du liebes bisje. Was geht
in dem Mann bloß vor? Gerade habe ich
mich noch darüber aufgeregt, dass Thomas Berthold den Eintracht-Scouts den
guten Rat gibt, sich mehr in Südamerika umzusehen, zum Beispiel in Costa Rica.
(Ach? Echt? Costa Rica? Ob er diesen Tipp wohl auch schon vor der WM parat
gehabt hätte?) Aber Heribert Bruchhagen wird noch für weitere Höhepunkte
sorgen. War es ein gutes Gefühl mit Marc Stendera endlich mal wieder einen Eintracht-Spieler
als Europameister zu ehren? Ralf Scholt
traut sich tatsächlich unserem Vorstandsvorsitzenden eine dermaßen absurde
Frage zu stellen. Ehren? Was heißt hier
ehren. Da muss man die Kirche doch im Dorf lassen. Ein Schulterklopfen, ein
Blumenstrauß. Mehr nicht. Was hat er denn schon erreicht? U19-Europameister?
Pah. Okay, okay, lenkt Ralf Scholt ein. Man muss sich ja nicht gleich vor
Euphorie überschlagen. Aber so ganz schlecht ist U19-Europameister ja auch
nicht… Ach was. Der muss jetzt erst mal
zeigen, ob er was kann. Die Bundesliga ist ein ganz anderes Pflaster. Alles
klar. Okay. Anderes Thema: Wie ist es
denn mit dem neuen Trainer. Ist es nicht bemerkenswert, wie engagiert er an der
Seitenlinie coacht und bei der Sache ist? Ach
was. Papperlapapp. Ein Trainer wie alle anderen. Alle unsere Trainer waren
engagiert. Schon immer. Ei
verdammt, steht im Gesicht von Scholt geschrieben. Was frag ich bloß? Er hebt an: Und… ähem… die Neuzugänge… das…ähem…
das sah doch schon ganz gut aus… von wegen Dynamik in der Spitze....ähem…? Papperlapapp.
Hat doch nichts zu sagen. Testspiele ohne Aussagekraft. Ist mir sowieso
unverständlich wie wir das gemacht haben, drei Tore zu schießen. Na
dann. Ist ja schon gut, Herr Bruchhagen. Tschuldigung, dass wir sie mit unseren
dummen Fragen und einem Hauch von Euphorie belästigt haben.
Schnitt.
Schnitt.
Montagabend. Patti
Smith gibt ein Konzert, hier in Mainz
auf der Zitadelle. Wir sind dabei und ich frage mich zwischendurch kurz wie das wohl
wäre, wenn Patti – statt auf der Bühne ein grandioses Fest zu feiern – einfach mal
die Kirche im Dorf lassen würde. Johnny Winter würde dann wohl nicht mit
wehenden weißen Haaren über uns am Himmel schweben, wo ihm von unten die Gitarren der
Band entgegenjaulen. Patti würde wohl kaum den "Perfect Day" von Lou Reed besingen.. Auch das Gedicht über
Jerry Garcia, das sie mit ungebremster Emphase
deklamiert, wäre wohl nicht geschrieben worden. Und ob Patti uns, wenn sie die Kirche im Dorf gelassen
hätte, hier und jetzt und heute mit ihrem Lied über den Rhein und „Babe Gutenberg“
erfreut heute? Zum Glück denkt sie gar nicht daran, mal halblang zu machen. Im Gegenteil. Da steht sie mit ihrer Gitarre und
improvisiert. Sie steht am Fenster, blickt auf den Rhein und denkt darüber nach, was der Fluss alles schon erlebt
und gesehen hat. Blut, Tränen, Krieg, Liebe und philosophiert darüber, was für
eine Welt das war, in die damals, vor vielen hundert Jahren, das kleine
Baby Gutenberg hier in Mainz hinein geboren wurde? Little Babe Gutenberg, geschützt
und behütet von seiner Mutter, die noch nicht wusste, dass das kleine Geschöpf,
das sie da an der Brust hielt, geboren war, um die Welt zu revolutionieren. Bücher waren nur
wenigen Menschen zugänglich. All the books were hidden - und dann, dann kam
little Babe Gutenberg, einfach so, und
erfand die moving types. Yeah. Bücher
voller Gedanken und Liebe und Inspiration. Yeah. Gutenberg. Und jetzt, während Patti ihre Arme und ihr Herz weit öffnet und wir hier zusammen mit ihr G – L – O –R
- I – A Gllllllllllooooria in den Nachthimmel schreien, da treibt seine Seele vielleicht vorbei – unten am River Rhein. Und
Janis Joplin hinterher.
So ist das mit der Kirche, wenn man sie nicht im Dorf lässt,
sondern träumt und lebt und vibriert und hofft und sich lebendig fühlt. People have the power. Alive.
Fucking alive. Wie hoffentlich auch die Eintracht. (Wenn Mannschaft und Trainer sich das Sonntagshalbzeitinterview mit Heribert Bruchhagen nicht anschauen, bin ich da eigentlich ganz zuversichtlich.)
Sehr schön, auf einen Bogen von Herrn Bruchhagen zu Frau Smith muss man erstmal kommen!
AntwortenLöschenAuch ich habe gerade am 1. August ein fantastisches Konzert von Patti Smith auf dem Burg Herzberg Festival erleben dürfen, direkt am Bühnenrand, ohne Babe Gutenberg aber mit Gloria.Vorher war sie über das Festival geschlendert und fand, dass dieses Festival so ist, wie früher und wie Festivals sein sollten.
Du warst auch bei Patti? Heeey. So verbinden sich die Welten von der Eintracht über Herrn zu Frau Schmidt :) Mein Eindruck ist, dass es Patti wirklich und wahrhaftig wichtig ist, die Orte, an denen sie spielt und die Menschen, vor denen sie spielt, zu begreifen - etwas mitzunehmen, hinzuzufügen, zu verstehen, eine persönliche Beziehung herzustellen. Vor ein paar Jahren in Frankfurt hat sie über ihren Besuch im Goethehaus gedichtet, in Bonn hat sie sich - wie du es aus Herzberg schilderst - vor dem Konzert unters Publikum gemischt, fotografiert, ein paar Worte gewechselt, in Mainz hat sie (wie ich heute der AZ entnehme) wohl am Montagnachmittag einen Mainzbummel gemacht und dann vor den verschlossenen Türen des Gutenberg-Museums gestanden.
LöschenPS: Der Sprung von Heribert zu Patti war ungefähr so organisch wie der von Gutenberg zu Janis Joplin.
PS: Nach dem Konzert waren wir übrigens noch am River Rhein und haben gespäht, ob Babe Gutenberg gerade vorbeitreibt. Yeah :)
LöschenIch bin ja auch dafür, die Kirche im Dorf und den Ball schön flach zu halten. So wie die Eintracht gegen Inter. Sah 25 Minuten lang ganz gut und Inter ganz schön alt aus. Wobei ich mir nicht sicher bin, was nun davon für das andere verantwortlich war.
AntwortenLöschenUnd neben dem Lassen und Halten, darf man sich immer wieder auch freuen. Über das Erreichte. Auf das Kommende. Über Ansätze.
Man kann sich aber auch als Mahner gefallen. Da ist und war, gerade in den letzten Wochen, wenn auch nicht hier bei dir, Bruchhagen nicht alleine. Der kann – wie andere auch – nicht aus seiner Haut. Das ist nach über einem Jahrzehnt, in dem er sich ständig wiederholt hat, ermüdend. Wie fast alles nach so langer Zeit ermüdend wird, wenn es sich immer und immer wieder nur wiederholt.
2016 soll ein anderer kommen. Dann wird es anders. Vielleicht unterhaltsamer, vielleicht erfolgreicher, vielleicht auch keines von beiden. Man wird es sehen und erleben. So wie du Patti Smith. :-)
"Und neben dem Lassen und Halten, darf man sich immer wieder auch freuen. Über das Erreichte. Auf das Kommende. Über Ansätze." -
LöschenUnd manchmal auch einfach darüber, dass es - die Welt, das Leben, die Eintracht - so ist wie es ist. Die zweite Hälfte der ersten Halbzeit - yep. So könnte es gehen - auch, wenn das dann wohl die Loslösung der Eintracht von der "Lebensversicherung Meier" wäre. Das könnte sich am Ende als Verdienst von Schaaf herausstellen - ich bin mir noch nicht sicher, ob mir das gefällt.
Endlich. Da ist sie die Erklärung. So ist es. Der Mann ist dazu verdammt, Dinge zu sehen, die uns Normalsterblichen dankenswerter Weise verborgen bleiben. Er muss, er muss sich den bösen Geistern mit aller Kraft entgegenstemmen. Er trägt die Last, die uns erspart bleibt. Er hält die Kracher-Geister fern, die - wehe wehe - bereits am Horizont erscheinen. Danke :)
AntwortenLöschenVielleicht sollten wir mal - wie damals zum Abschiedsraum im Frankfurter Hauptbahnhof - eine Pilgerfahrt nach Harsewinkel anberaumen. Zeit wär's.
Nach Harsewinkel zum Spökenkieker sind es von Mainz 335km. Danach noch ca 200km bis zum Dorf des Sehers in der Südheide: das gäbe sicherlich eine sinnvolle und gelungene Pilgerfahrt.
AntwortenLöschenDas klingt perfekt :) Ich denke ernsthaft darüber nach.
AntwortenLöschenSüdbahnhof. Es war der Südbahnhof!
AntwortenLöschenArgs. *stirnpatsch* Südbahnhof. Natürlich. Wie konnte ich?
LöschenPilgern nach Harsewinkel, yeah. Niederwerfungen, yeah. Zirkumambulation der Hlg. Reliquen: ein Zinken von der Apfelkuchengabel, yeah; ein Bröckelchen Zement, yeah; ein Span vom HaseLu-Hocker, yeah : - )
AntwortenLöschenUm noch mal auf das Interview zurück zu kommen: ist schon sehr traurig, auf welche Art Bruchhagen die Leistung Stenderas "würdigt". Okay, ist keine Herren WM gewesen, allerdings auch kein Fairness-Pokal oder Antalya-Cup, sondern eine U18 EM mit, in diesem Alter, hohen technischen und taktischen Ansprüchen. Ich glaube nicht, dass Stendera so eine Form der Erdung nötig hat, Nein, sogar umgekehrt, denn so ein Triumph bereichtert die emotionale Basis, aus der auch die Motivation für die Bewältigung kommender Aufgaben gezogen wird:" Geil, so ein Sieg, und dieses Gefühl will ich wieder haben und dafür tue ich alles!" Mir tun die Jungs leid, die vom Mannschaftsstamm wegen eigentlich dazugehören, aber von den Bundesligisten nicht abgestellt wurden oder sogar WM-Mitfahrer waren, denen ist dieses Gefühl verwehrt worden,"etwas geschafft zu haben" was andere auch wollten. Andere Fachleute (z.B. Bruchhagen?) behaupten ja, dass man nur aus Niederlagen etwas lernen könne, aber ich sage: Siegen will auch gelernt sein!
AntwortenLöschenGenau so. Du hast vollkommen recht. Gibt's da nicht so einen Werbespot mit Jürgen Klopp... von wegen: Die Lust zu gewinnen muss größer sein als die Angst zu verlieren. ... diesen Spaß, diesen Erfolg, den muss man ihm doch gönnen, ihn mitnehmen, darauf aufbauen. Der hebt schon nicht ab.
LöschenSpeziell bei Bruchhagens Äußerungen zu Stendera haben sich auch bei mir die Nackenhaare gestellt. Kann sonst mit Bruchhagen eigentlich (immer noch) ganz gut leben, aber so eine trotzige und halstarrige Freudlosigkeit. Wie wenn man jemandem einen Eimer kaltes Wasser überschüttet. Baah. Nicht schön.
That's the spirit. Babe Bruchhagen - yeah :)
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