EM- und Sommerschnipsel (2): Sommer, Sonne, Fußball - Dies & Das vor dem Spiel Deutschland gegen Portugal

Es ist heiß, sehr heiß. Die Nächte warm. Es ist Sommer, es riecht nach Sommer, fast immer liegt ein feuchter Film auf der Haut. Jeder Sommer verbreitet Ausschließlichkeit und scheint unendlich. So, als käme immer noch und noch ein Tag. Das Leben stellt seine täglichen Anforderungen und wir erfüllen sie, aber wir ergeben uns dieser Macht, die unseren Tagesrhythmus verlangsamt und allem eine ganz eigene Zauberstimmung verleiht. Träge  Tage mit Arbeiten, Schwimmen, lange Sternennächte mit leichtem Wind und quakenden Fröschen. Die Fenster weit geöffnet, rund ums Haus blüht und schwirrt es,  die Rosen hängen schwer und süß an den Zweigen und ihr Duft weht durch die Fenster. Die Katzen verkriechen sich - je nach Charakter - unter schattigen Büschen im Garten oder liegen platt wie eine Flunder auf kühlen Fußbodenfliesen  im Haus. Corona, drohende Mutanten, ausstehende Impfungen, das nach wie vor starke Fremdheitsgefühl in dieser Corona-Übergangswelt - all das bleibt als Folie auch in dieser Sommerstimmung präsent, wird aber  von der Fußball-Europameisterschaft in den Hintergrund gedrängt.  Wer spielt gerade?  statt: Wie ist heute die Inzidenz bei uns? Welches Spiel ist heute um 18 Uhr?  Wo? Budapest, Kopenhagen, London, München - die Städtenamen setzen zusätzliche Akzente und tatsächlich gefällt mir inzwischen das Konzept der wechselnden Austragungsorte, obwohl ich ihm erstmal skeptisch gegenüber stand. Manchmal nur schnell im Stream ein paar Minuten, mal ein ganzes Spiel, mal die letzten Minuten, aber  doch fast immer mit einem Auge auf Ergebnisse und Ereignisse. Beim abendlichen Grillen tönt von Drinnen  leise die Reporterstimme, die von - wow - Stadiongeräuschen hinterlegt ist. Auch draußen leises Stimmengewirr und Musik aus der Ferne, auch etwas, das lange gefehlt hat. Fast zur Hälfte liegt die Gruppenphase der EM jetzt schon hinter uns...

Keine echten Sensationen, aber doch die eine oder andere Überraschung gibt es schon. Derzeit am überzeugendsten: die Italiener, weit weg vom früheren Catenaccio können sie anscheinend nur 3:0 und bestätigen überzeugend ihre Mitfavoritenrolle. Die Franzosen haben bei mir im Spiel gegen Deutschland einen bärenstarken Eindruck hinterlassen, jetzt - nach dem Spiel in Budapest (wow, das vollbesetzte Stadion, der Jubel der Ungarn) bin ich mir nicht mehr so sicher, ob sie tatsächlich nur so hoch springen wie sie müssen oder vielleicht in der Mannschaft doch etwas fehlt? Auch die Holländer sind  mit zwei Spielen bereits durch. England schafft es - wie immer - nicht, die Vorschusslorbeeren dann auch zu bestätigen. Schade. Spannung verspricht die spanische Gruppe, in der Schweden vorgelegt hat und Spanien  heute Abend nach dem mageren 1:1 zum Auftakt ziemlich unter Druck steht.  Die Türken hatte ich stärker erwartet. Belgien kommt mit dem zweiten Spiel ins Rollen - mit ihnen wird man rechnen müssen. Auch Wales zeigt, dass die letzte EM eben doch keine Eintagsfliege war. 

Und wie reüssiert  "die Mannschaft?"

Nun ja. Ehrlich überrascht war ich von den Analysen und Meinungen nach der deutschen Niederlage gegen Frankreich. Mal ehrlich: Leidenschaftlich kämpfen sieht doch anders aus (spätestens seit dem Spiel der Ungarn heute Nachmittag gegen die Franzosen hat man deutlich vor Augen wie sich das anfühlt).. Gegen Deutschland waren die Franzosen, wie ich finde, Jogis Truppe turmhoch überlegen. Okeh, sie haben es nicht immer gezeigt, viel zu viel hinten rum gespielt, immer wieder die Luft rausgenommen, aber wenn Mbappé (Mann, ist der schnell) oder Pogba (Mann, ist der gut am Ball) oder Benzema (Mann, hat der einen Überblick) richtig loslegen - dann habe ich da fast so was wie einen Klassenunterschied gesehen. Handbremse los und das deutsche Team hatte und hätte nicht den Hauch einer Chance.  Auch unter rein optischen Gesichtspunkten, oder? Nehmen wir nur Andre Griezmann... Der 11 Freunde-Ticker vermeldet, dass Griezmanns Frisur den Gedanken weckt, er könnte am Mittelkreis ein Lagerfeuer entzünden und auf seiner Gitarre ein Lied anstimmen. Sagen wir mal so: Ein Abend  mit Griezmann und seinen wehenden Haaren am Lagerfeuer hat für mich deutlich mehr Verlockendes als ... mmh...,ein Abend mit Joshua Kimmichs akuratem Scheitel im Designersessel.

Meine Adler-Freundin Nicole, glühende Anhängerin der französischen Nationalmannschaft, hat sich seit zwei Jahren darauf gefreut, Pogba & Co  live zu sehen, hatte dann das Spiel eigentlich schon abgeschrieben und wurde  oops -  vollkommen überraschend tatsächlich für das EM Vorrundenspiel in München ausgelost. Sie schickt mir Videos von fröhlich in der Münchener Innenstadt singenden französischen Fans - Nachrichten aus einer versunkenen Welt. Im Stadion selbst darf nichts gegessen und getrunken werden, was das Vergnügen an einem heißen Sommerabend doch etwas einschränkt. Immerhin gilt das Trinkverbot für alle Besucher und nicht nur für die anwesenden Frauen im gebärfähigen Alter. (Möglicherweise ist dieser Vorschlag der WHO aber gar kein Ausdruck eines stark eingeschränkten Blickes auf das, was Frauen sind, sondern ein trauriger Beleg für die verheerenden Langzeitwirkungen von Corona, die sich mit Geschmacksverlust und eingeschränktem Denkvermögen bemerkbar machen können).

Ein besonders aufmerksamer Blick gilt natürlich immer den auf den verschiedenen Plätzen aktiven (Ex-) Eintrachtlern. Lukas Hradecky im Tor der Finnen macht einen guten Job, Andre Silva bewirkt mit bloßem Erscheinen, dass ein zuvor eher uninteressantes Spiel noch ein spektakuläres Ende findet. Kevin Trapp hat die Haare schön und wird wohl ansonsten während dieser EM ein No-Show bleiben. Ante Rebic zeigt bei den bisher enttäuschenden Kroaten die  fast schon gewohnt konfuse Leistung mit Licht, aber auch mit viel Schatten. Hinti steht beim Auftaktspiel gegen Nordmazedonien ein bisschen neben sich. Haris Seferovic (ich denke an den legendären Muffelauftritt gemeinsam mit Alex Meier im ZDF Sportstudio) spielt beim 1:1 der Schweiz gegen Wales schwach, gegen Italien schwächer, während Stevan Zuber nach seiner Einwechslung zumindest aktiv am Spiel mitwirkt.

Und sonst so:

Patrick Schick  verwandelt direkt nach einem Foul im Strafraum mit - vermutlich - gebrochener Nase den fälligen Elfer gegen Kroatien während ihm das Blut aus der Nase tropft.

Schiedsrichter im Spiel der Kroaten gegen die Tschechen ist Carlos del Cerro Grande. Wer einen so klangvollen Namen trägt,  kann doch gar nicht schlecht pfeifen, oder?  Vom großen Hügel hat man doch immer einen besonders guten Überblick. 

ZDF-Experte Sandro Wagner findet, dass der französische Verteidiger Presnel Kimpembe nicht die hellste Kerze auf der französischen Torte ist, ein Satz der möglicherweise auch auf ihn selbst zutrifft?

Jessi Wellner moderiert im  Fußball light-Style (mehr Pizza als Fußball) und "Basti" Schweinsteiger ("Was sagst du dazu, Basti?")  bemüht sich darum, erst gar keinen Verdacht aufkommen zu lassen, dass er seinen Job als Experte zu recht inne haben könnte. Wie heißt nochmal der "rechte Außenverteidiger" der Dortmunder? Und wie zum Teufel war noch gleich der Name des zweiten deutschen Innenverteidigers? *stirnpatsch* na klar, Mats Hummels. Kann einem ja schon mal entfallen. "Tell me anything but what the experts say,."

Jetzt also...

...Portugal als fast schon letzte Chance für das deutsche Team, doch noch das Achtelfinale zu erreichen.  "Löw hat uns heiß gemacht" betitelt der Kicker ein Video mit Joshua Kimmich zum Abschlusstraining. "Der Trainer hat gemeint, dass wir jetzt langsam in den Wettkampfmodus kommen müssen. Wir sind schließlich nicht zum Urlaub hier."  So hört sich das dann im O-Ton an. Und welche Erkenntnisse gibt es aus dem Spiel gegen Frankreich. "Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir gegen Portugal gewinnen müssen." Das ist doch schon mal die halbe Miete. Joshua Kimmich auf der Sechs würde sicher auch einen Beitrag leisten (1.3 Millionen Klicks können nicht irren). Aber, wie wir jetzt, eine halbe Stunde vor Anpfiff wissen: Da wird er nicht spielen, sondern wieder auf der Außenbahn, und hatte wohl recht, dass er sich bei der Pressekonferenz auf die Frage nach seiner Lieblingsposition bedeckt gehalten hat. "Ich kann auf vielen Positionen spielen." Und so soll es denn sein Die Wege des Jogi und die  seit den Zeiten von Jürgen Klinsmann bewährte "Strategie auf dem Laptop" sind eben unergründlich. In jedem Fall gilt: Wir müssen die gefährlichen Räume bespielen und mehr Druck auf die Box machen. Und - immer wichtig - nicht die Balance verlieren. Die lag gegen Frankreich mehr auf der Defensive und muss jetzt mehr nach vorne gebracht werden. Immerhin: Die Portugiesen verzichten in der Startelf auch dieses Mal wieder auf André Silva, das dürfte die Chancen der deutschen Elf verbessern. Aber Achtung: So haben die Portugiesen auch kurz vor Schluss noch ein As im Ärmel.

***Fortsetzung folgt***