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WM-Schnipsel (3): Halbzeit

Es ist Freitag, der 27. Juni 2014.  Wenn ich mir meinen heutigen Mail-Postkorb anschaue, komme ich ins Grübeln.  Bei  Zweitausendeins  gibt es Krimis im Angebot und wenn ich gleich drei auf einmal bestelle,  bekomme ich obendrauf  auch noch einen 1A Kulturbeutel (hä?),  der Hotel-Booking-Service vermeldet „Kerstin, es wird ein heißer Sommer“ und der Newsletter eines Veranstaltungsbüros  macht mich gleichzeitig per Mail darauf aufmerksam, dass in genau sechs Monaten Weihnachten ist. Hiiiiiiiiiiiilfe. 

Im fernen Brasilien ist  unterdessen WM-Halbzeitpause, während in Frankfurt Thomas Schaaf die Amtsgeschäfte als Eintracht-Trainer aufnimmt  und so langsam darf man darauf gespannt sind, wer und wenn ja warum und wie viele  Spieler am nächsten Freitag beim Trainingsauftakt erwartet werden dürfen.  Nils Petersen ist  nicht mehr, Nicklas Bendtner ist wieder und Marco Marin ist neu im Stürmer-Topf. Wechselt Stefan Aigner nach Hannover?  Um die Nachfolge von Kevin Trapp, der möglicherweise nach dieser Saison die Eintracht verlassen könnte, brauchen wir uns jedenfalls keine Sorgen zu machen. Ex-Torwarttrainer Moppes Petz wird sich, wie man hört,  jetzt als Scout speziell dieser Frage widmen. Wie wäre es mit Nachwuchstorhüter  Faryd Mondragon? Na ja, der ist bestimmt auch Holz bei der WM schon aufgefallen.

Apropos WM...

Spanien, England und Italien haben  nach der WM-Vorrunde bereits die Heimreise angetreten, aber Algerien, Nigeria, Mexiko und Costa Rica sind noch da – hurra.  Auch die Griechen haben sich durchgewurschtelt, ebenso wie die - im letzten Gruppenspiel sehr souveränen -  Schweizer. Die Franzosen sind überraschend stark, die Argentinier effizient, aber glanzlos, die Holländer schalten um und sind mit langen Bällen gefährlich, Jogis Jungs mit Müller und die Amerikaner wissen noch nicht, mit was. Die Brasilianer haben nach allgemeiner Auffassung bisher nicht überzeugt. Kann ich nicht finden, ob die Belgier allerdings tatsächlich ein Geheimfavorit sind, muss sich erst noch herausstellen. Weit bringen könnten es die Chilenen, wenn Sie im Achtelfinale nicht auf Brasilien treffen würden. Die Kolumbianer sind für eine Überraschung gut und werden sich - hoho - gegen Uruguay duchbeißen, ausgerechnet. 

Die letzten Minuten im  gestrigen  Spiel zwischen Algerien gegen Russland waren das Spannendste was ich bisher bei dieser WM gesehen habe – die zum Himmel gerichteten Stoßgebete, der überschwängliche Jubel der Algerier nach dem Abpfiff, erstmals die Vorrunde überstanden – wunderbar.

Nach wie vor unbehaglich ist mir der Anblick von kaum überschaubaren schwarzrotgoldenen Menschenmassen, die  mit gebannten Blicken ein ausgesprochen langweiliges 1:0 der deutschen Nationalmannschaft gegen schwache Amerikaner verfolgen. Selbst Menschen, die im normalen Leben durchaus zurechnungsfähig sind, tragen Schland-Brillen und Schland-Hüte. Die Verkäuferin an der Kasse im Rewe hat ein Schland-Armband und die des Fußballs völlig unverdächtige Frau hinter der Wursttheke hat auf Wangen und Armen Deutschland-Tattoos. Gab es vor acht oder vier Jahren noch einige aufrechte Abweichler,  ist der Widerstand jetzt erloschen. Es ist Sommer und es herrscht ein fast schon gnadenloser allumfassender  Wir-sind-Schland-Feierzwang. Wer alleine in seinem Wohnzimmer Fußball schaut, macht sich verdächtig.

Viele kleine Szenen und Menschen, die  - neben den fußballerischen Eindrücken  von dieser WM haften bleiben. Der putzige kleine Junge, der beim Spiel zwischen Bosnien-Herzegovina und Argentinien einem bosnischen Spieler als Einlaufkind „zugeteilt“ ist, aber nur Augen für Messi hat und immer wieder seinen Platz verlässt, um ihn anzustaunen. Mehmet Scholl, der fachkundig und schnörkellos und straight für die ARD Spiele als Experte aktiv ist. Regelrecht anrührend:  Seine  indirekte Hommage an Ottmar Hitzfeld – großartig! Ebenfalls ein echter Gewinnerschlag:  El Piojo – Miguel Herrera, der Trainer der Mexikaner, der tobt, lacht, schreit, hüpft, kugelt, wirbelt, winkt, rennt und springt.  Und natürlich  José Holebas,  einer der beiden Außenverteidiger der Griechen,  der nach dem Sieg der Griechen gegen die Elfenbeinküste (aka Ivorer) zum Nach-dem-Spiel-Interview gebeten wird und in einem breitem. hessisch anmutenden Dialekt antwortet. Was ist das? Müsste man als Hesse den Mann  dann nicht eigentlich kennen?  

An mir jedenfalls ist der Spieler Holebas bisher  vorbeigerauscht. Auf der Suche nach Infos zappe ich mich durchs Netz. Aha:  Holebas ist gebürtiger Aschaffenburger. Seine Mutter ist Deutsch-Uruguayerin, sein Vater – ein Grieche – verließ die Familie – da war Jose ein Jahr alt.  2008 dann der erste längere Bericht über ihn im Netz .  Als Jugendfußballer galt Holebas als  äußerst talentiert, aber auch als undiszipliniert und anfällig. Ein Hauch von Bonames. Holebas kickte in der Jugend beim FSV Teutonia Obernau, schaffte es als Stürmer auch in die Kreisauswahl., aber dann wurde  seine Freundin schwanger. Er brach seine  Ausbildung zum Lackierer ab, hängte die Fußballschuhe an den Nagel und arbeitete als Lagerarbeiter. Es war ein Onkel, der ihn ein Jahr später überredete, wieder mit dem Fußball anzufangen. Er startete beim SV Damm-Aschaffenburg  in der Kreisliga, stieg mit dem SV drei Mal in Folge auf, wechselte dann in die Landesliga. Dort wurden im Jahr 2008 die Scouts des TSV 1860 München auf ihn aufmerksam. Für das Nachwuchszentrum war er mit 22 eigentlich schon zu alt, trotzdem verpflichteten ihn die 60er für die U23. Ein Trainingslager mit den Profis auf Teneriffa war so etwas wie eine Initialzündung. Sein Ehrgeiz war geweckt – er schaffte einige Einsätze im Profi-Kader, mit mäßigem Erfolg (3 Tore in zwei Jahren).  Also doch nichts mit der Fußballerkarriere? Ewald Lienen, der damalige Trainer der Löwen hatte die Eingebung: Er schulte Holebas auf Defensiv um. Lienen war es auch, der Holebas bei seinem eigenen Wechsel zu Olympiakos Piräus mitnahm und tatsächlich: Der Aschaffenburger mit griechischen Wurzeln schafft den Sprung von der Kreisklasse in die Champions League. Bei der EM 2012 stand er für die griechische Nationalmannschaft auf dem Platz, jetzt steht er mit den Griechen im Achtelfinale der WM 2014. Sache gibt’s. 

Und auf dem Platz?

Blick auf die Totale vor dem Anpfiff des Spiels Argentinien gegen Nigeria. Vom Sprecher ist nichts zu hören. Warum dauert das denn so lange bis es los geht? Im Stadion wird es unruhig. Schwenk der Kamera auf Messi in Großaufnahme. Zeitgleich setzt im Stadion lauter Gesang ein, ein gewaltiger Chor:  Sprecherstimme aus dem Off: „Messis ganze Familie ist heute im Stadion, um ihn zu unterstützen.“ Wow, die können aber singen.

Eine coole Fastnachtskostümidee verdanke ich nicht den argentinischen, sondern den brasilianischen Zuschauern  – mal sehen, vielleicht gehe ich als Panini-Bildchen:  Bild des Lieblingsspielers vergrößern,  Kopf als Loch ausschneiden – Frisur dranlassen!! - , an den Seiten zwei Löcher, Bendel durchziehen, hinter dem Kopf zusammenbinden - fertig.

Alle Südkoreaner heißen Koo oder Ki, es sei denn, sie heißen Son. Jogi Löw lauscht in seinem Zimmer den Klängen von Udo Jürgens. Katrin Müller-Hohenstein findet Jogi Löw  unfassbar cool, was ich wiederum unfassbar finde.  Ewald Lienen kann es nicht verstehen, dass es bei der WM nicht vorrangig um schönen Fußball, sondern ums Gewinnen geht  - dabei ist ausgerechnet  das manchmal gar nicht so einfach.

Ein Italiener versucht sich an einem Fallrückzieher: „Der Spieler fällt auf den Boden ohne den Ball zu berühren.“  Da kann man nichts machen.

Vielleicht doch lieber taktisch  denken? „Die Griechen gehen erst kurz vor Schluss ins Risiko." (Aha,  denke ich - dann bringen sie Gekas!).  

Mehmet Scholl bringt eine wichtige Grunderkenntnis des Fußballs auf den Punkt. Er ist wichtig, dass „Spieler immer wissen, wo sie sich auf dem Platz befinden.“ Mmh… Nur mal als Orientierungshilfe: in Brasilien? 

Besonders verdienstvolle Spieler setzen da sogar  noch einen drauf: „Shaquiri schaut nicht, wo das Tor ist – er weiß es.“

Aber nicht immer funktioniert das Spiel nach vorn. Beim Spiel Russland gegen Südkorea z.B. läuft es eher zäh. Und was machen da die Russen? „Sie ziehen sich weit hinter den Ball zurück“, was ich mir recht schwierig vorstelle, aber bei Licht besehen immer noch besser ist als das, was beim Spiel Bosnien-Herzegovina gegen Argentinien zu beobachten war:  „Der  einzige Unruheherd auf dem Platz ist der Ball.“  Dumm, wenn dann auch noch Pech dazu kommt: „Im Abschluss bekommt er Übergewicht nach hinten.“

Überrascht war ich, als ich im Kicker gelesen habe, dass der „Mainzer Park brennt…“ Ein Brand? In Mainz? Warum um des  Himmels willen habe ich davon nichts mitbekommen? Ach so, weiterlesen:  „…brennt auf sein WM-Debüt.“ 

Fehlt noch was? Nein, keine Chance -  von mir gibt es keinen Beiß-Witz, eher beiße ich mir in den Hintern. Dafür zum Schluss noch einen Tipp für alle Lebenslagen:

Solltet ihr dem Weltfußballer zufällig  irgendwo begegnen, unbedingt mal drauf achten: „Messi hat immer einen Nigerianer bei sich.“


 Welche Flaschen werden am Ende wohl hier drin landen?

Kommentare

  1. "Gab es vor acht oder vier Jahren noch einige aufrechte Abweichler, ist der Widerstand jetzt erloschen."

    Überall? Nein! Ein von unbeugsamen Nonschländern bevölkertes altes Haus hört nicht auf, dem Virus Widerstand zu leisten.Und das Leben ist nicht leicht für die Schländer mit ihren bunten Fahnen und Backen und Rückspiegelmuffs. Denn die im Haus verbarrikadierten Barden und Druiden fallen täglich in einen Kessel mit einem Zaubertrank namens Bienenberg Spätburgunder trocken und lassen im Schall ihrer rauhen Lieder die dünnen spitzen Schrei der Yogiadoranten verrauschen.
    :-)

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  2. Weihnachten im Newsletter. Es gibt nichts Neues mehr unter der Sonne und auch keine Neuigkeiten mehr. Selbst unsere potenziellen Neuzugänge sind vom letzten Jahr ... :-)

    Und wie 1978 schlafe ich bei den spät/nächtens übertragenen Spielen ein. Was nicht am gebotenen Fußball liegt. Den finde ich weiter erstaunlich gut und unterhaltsam. Den Rest blende ich weiter aus.

    Abseits des Spiels bleibe ich nur bei deinen Schnipseln am Ball. Und so auf dem Laufenden. Danke dafür. :-)

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  3. Ahhh. Der Widerstand lebt. Das macht mir Hoffnung. Wagenburgen bauen aus Burgunderfässern. Aber Vorsicht mit allzu viel vom Zaubertrank, damit mir da nur kein Schlandrian einzieht...

    Mir macht die WM fußballerisch bisher auch richtig viel Spaß - und ich habe auch nachts meistens durchgehalten, liegt wahrscheinlich daran, dass meine Schlafenszeit auch ohne WM erst ziemlcih spät in der Nacht beginnt. Wie bei den - mindestens - letzten beiden WMs scheint es aber auch in diesem Jahr wieder so zu sein, dass die Vorrunde mehr verspricht als die Achtelfinals halten - also: Vom Spielerischen - ist vielleicht folgerichtig. Spannend ist es - dann will ich mal sehen, dass ich den Ball weiter im Spiel halte :)

    Ist es jetzt eigentlich immer noch, nicht mehr oder schon wieder Sommer?

    Es grüßt: K.

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