Wenn ich mit dem Auto auf längeren Strecken unterwegs bin,
habe ich mich schon oft gefragt, woher die Parkplätze entlang der Autobahn wohl
ihre Namen haben. Ein regionaler oder landschaftlicher Bezug ist jedenfalls
nicht erkennbar. Stattdessen ist es, als ob jemand im stillen Kämmerlein sitzt
und sich möglichst absurde oder abwegige Wortkombinationen ausdenkt. Hasenhüttel. Grüner Zwerg. So was.
Ein regelmäßiger Grund, um unterwegs zu sein, ist für mich,
ist für uns, wenn Bob Dylan auf seiner Neverending Tour im Europäischen
vorbeikommt. Irgendwann wird er aufhören auf Tour zu gehen. Ganz sicher wird er
es nicht ankündigen oder gar so etwas wie ein Abschiedstournee
veranstalten. Er wird einfach aufhören.
Verschwinden. Fade away – und wir werden sehen
müssen, wie wir ohne ihn zurecht kommen. Anfang des Jahres sah es eine
Zeitlang so aus als sei es soweit. Keine neuen Tourdates, keine Gerüchte über
Spring-, Summer, Fall-Routen. War es das? Dann, zum Glück, doch nicht. Termine
über Termine. Eine große Frühjahrstour – mit den Dawes als Opening Act - , eine
noch längere Sommertour, beides durch die Staaten. Und dann im Herbst: Europa.
So lange Bob tourt, sind wir dabei. Dieses Jahr Ende Oktober in Düsseldorf und
Mitte November in Esch sur Alzette.
The Times they are a’changing – sowieso und überhaupt, aber
auch bei der Bob-Tour ist dieses Jahr vieles nicht mehr so wie es in den
vergangenen Jahren war. Das wissen wir natürlich bereits bevor wir losfahren.
Wir haben Augen und Ohren, Internetz und Expecting Rain. Kein Oscar mehr, der
auf einer der Lautsprecherboxdn steht, keine täglich umgekrempelte Setlist.
Nichts mehr mit der gespannten Erwartung, was wir wohl heute zu hören bekommen
(und ab welchem Punkt wir es erkennen) – nein, in diesem Jahr ist die Setlist
bolzenfest jeden Abend die gleiche. Hauptsächlich neue Sachen, nur ein paar
eingesprengselte, rückwärtsgewandte Reminiszenzen. Ein kurzer Ausreißer in Rom,
wo zwei Abende lang alles durcheinander gewirbelt wird. Dann geht es wieder weiter
mit dem diesjährigen Standardprogramm. Ebenfalls neu: Bob macht bei dieser Tour – huch! – in der Mitte des Konzerts eine Pause
und auch die Frage: Wer ist Bob Dylan? Immer der mit dem Hut! Muss im Jahr 2013 anders beantwortet werden.
Der bzw. die mit dem Hut bin nämlich ich, während Bob seit vielen Jahren
erstmals wieder hutlos auf der Bühne steht.
Vor zwei Wochen in
Düsseldorf stand für uns das Konzert in Düsseldorf auf dem Plan, am letzten
Samstag dann Luxemburg. Eigentlich wollten wir übers Wochenende bleiben, klappt
leider nicht. Arbeit, Arbeit. Wir disponieren kurzfristig um und fahren nach
dem Konzert nachts wieder zurück. Am späten Nachmittag landen wir in Esch sur
Alzette, mit 30.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Luxemburg. Ein kurzer
Zwischenstopp in einer Wirtschaft namens Bufferdinger, in der es fast schon ungewohnt
heimelig nach Zigaretten riecht und ein kleiner Junge an einem Seitentisch ein
Haus aus Bierdeckeln bastelt. Ein l’eau minerale, eine Cola. Dann tappern wir
neugierig durch die Einkaufsstraßen, in denen gerade samstäglich die Bordsteine
hocgeklappt werden. Viele alte Häuser
mit schönen Fassaden. Da ist auch das Hotel de la Poste, in dem wir
beinahe übernachtet hätten. Schade. Nur
wenige Menschen sind unterwegs, erkennbar unterschiedlichster Nationalitäten.
Luxemburg ist ein Einwanderungsland. Auch nach dem Zusammenbruch der Erz- und
Stahlindustrie ist das Land multikulti geblieben. Luxemburg hat 400.000
Einwohner, 150.000 davon sind Portugiesen, heißt es. An den Ecken und auf den
Bänken in der Fußgängerzone hängen Trupps von Jugendlichen ab. Ein bisschen
lost wirkt das alles.
Wir steigen wieder ins Auto und fahren Richtung Belval zur
Rockhal, die auf luxemburger-französisch wie „Rogall“ klingt. Belval? Wieder so ein Beispiel dafür, dass
Namen und Begriffe längst nicht mehr das bedeuten, was sie ihrem Wortsinn nach
bedeuten müsste. Belval ist – ähnlich wie das Centro in Oberhausen – eine Art
Satellitenstadt, genauer gesagt: ein
großes Einkaufs- und Vergnügungsviertel mit Parkplätzen und Parkhäusern. In der
Mitte: Die Rockhal. Früher – das erzählt uns später am Rande des Konzerts ein sehr
netter, schnauzbärtiger Trierer Grenzgänger – befand sich auf diesem Areal eine
Arbed-Stahlfabrik. Reste der Fabriktürme kann man als Industriedenkmal heute
noch in Belval besichtigen. Das Parkhaus, in dem wir unser Auto abstellen, ist
riesig und funktional und führt direkt in ein verglastes Einkaufszentrum mit
Wandelgängen, Springbrunnen und sonst noch allerlei. Direkt daneben die Rockhal,
davor eine lange Menschenschlange. Gitarrenklänge hängen in der Luft. It’s all
over now, Baby Blue. Überall, wo Bob spielt, findet sich irgendein develish
double Dylan, der eine Gitarre umgehängt hat und genauso singt wie Bob früher
schon nicht. Wir stellen uns an, die Abwicklung funktioniert schnell und
reibungslos. Cool, dann reicht die Zeit noch, um etwas zu essen. Der
Luxemburger Hamburger, den es am Imbisstand gibt, ist viereckig und schmeckt
warm und würzig.
The timest
hey are a-changing. Und auch das Publikum eines Dylan-Konzerts hat sich
geändert. Noch vor ein paar Jahren war es eine Art eingeschworene Bob-Crowd,
die - wo immer Bob auf Tour war – als
Tross hinter ihm herzog. Ein bunter, wilder Haufen – alt 68er, Freaks, Musiker,
ältere, mittelalte, immer mehr Junge, die alle in unterschiedlichen Bob-Phasen
dazu gestoßen und hängengeblieben sind. Dazu einige, meist Ältere, die Bob noch
von früher kannten, und mal sehen wollten, was er heute so macht – und die
meistens eher verwirrt und knoddernd die Hallen verließen. Heute ist das anders
– die eingefleischte Bob-Crowd ist geblieben, aber sie ist kleiner geworden und
sie hat sich deutlich verjüngt. Dazu kommt jetzt verstärkt eine Art
Kulturpublikum, häufig Paare aller Altersstufen, die sich – man sieht
es, man hört es an den Gesprächen – vorher über Bob informiert haben, einen
Bericht gelesen, ein Theaterstück (sic!) über ihn gesehen haben, die wissen,
dass Bob Dylan alljährlich als nächster Literaturnobelpreisträger gehandelt
wird und die sich „das“ einmal aus der Nähe anschauen wollen. Sie nehmen
sozusagen am Konzert teil und sind dabei, wo „man“ dabei zu sein hat
(Ähnlichkeiten mit einem mir sehr am Herzen liegenden Frankfurter Fußballverein
sind unbeabsichtigt und zufällig).
Das alles ist der Atmosphäre nicht unbedingt förderlich,
passt nicht zu Rock und Blues. Auch während der Songs wird viel geschwätzt. Gut
gekleidete Menschen, die Sektgläser in der Hand halten, mischen sich mit Freaks
und Youngstern. Immerhin: Bob hat heute – anders als in Düsseldorf – wieder
einen Hut auf. Wir verziehen uns schnell in den hinteren Teil der Halle und
hören Bob zu, der zwischen Keyboard und Harp, zwischen seitlichem Bühnenrand
und Center Stage wechselt und vom Leben und von der Welt erzählt – seine
raunzige Stimme manchmal fast sanft, sehr klar. Ein sehr konzentriertes, bluesiges Konzert mit
anrührenden Momenten. Forgetful heart. She belongs to me. Die Band gut eingespielt, großartig, aber merkwürdig
zurückgenommen. Es geht ums Werden und Vergehen. Um die raren Momente im Leben,
in denen es möglich schien, alles zu sein, was man sein kann. Von Verlusten und
Dankbarkeit, von Vergeblichkeit und davon, dass es schon ok so ist wie es ist
und vielleicht auch nicht so wichtig. Mit
„Merci beaucoup“ verabschiedet Bob sich in die Pause. Mehr wird er auch an diesem Abend nicht
sprechen.
Flashback Düsseldorf. Konzertbeginn. Die Halle ist dunkel.
Nachdem Stu Kimball die ersten Akkorde geschlagen hat, kommt im Dämmerlicht die
Band auf die Bühne. Bob geht vor an die Rampe, ist als Silhouette im Gegenlicht
gezeichnet, schmächtig mit Wuschelkopf,
und fast bekomme ich einen Schreck – es sieht für einen Moment aus als
ob da der ganz junge Bob auf der Bühne steht. Dieser Moment wiederholt sich,
wenn Bob hinter seinem Keyboard verschwindet und seitlich zur Bühne steht.
Statt in einem zu weiten Jackett wie in den vergangenen Jahren steckt er in
einer schmal geschnittenen Jacke, die immer noch wuscheligen Haare – kein
Zweifel, es ist das fast schon ikonographische Profil des jungen Dylan, die
raunzig-rauhe Stimme wirkt in merkwürdigem Kontrast. Flashbackende.
All along the watchtower und Blowing in the wind sind in
diesem Jahr als Zugabe gesetzt. Bei Watchtower darf die Band endlich einmal
mehr Stoff geben. Blowing in the Wnd – ein widerborstiger Walzer. Zwei, drei,
vier junge Mädchen mit Dylan-Shirts neben uns tanzen und hüpfen. Ich auch.
Aus. Vorbei. Klatschen. Jubeln. Bob. Bobby. Aber dann werden, wie nicht anders erwartet, auch schon die Lichter in der Halle hochgedreht, auf
der Bühne sind die Roadies schon mit dem Abbau beschäftigt.
Ein wenig benommen bleiben wir noch einen Moment stehen. Bob
ist sicher schon wieder on the road und auch wir haben heute Nacht auch noch
ein ganzes Stück Weg vor uns. Wir irren noch ein wenig durch das kahle Parkhaus,
aber dann sitzen wir im Auto, lassen das schöne Tal hinter uns und brausen
durch die Nacht.
Vor zwei Wochen, in Düsseldorf, wurden wir nachts auf der
Heimfahrt nach einem ungewöhnlich warmen Oktobertag von einem heftigen Gewitter
überrascht. Der Regen fiel in Sturzbächen, am Himmel zuckten ganze
Blitzkaskaden, ein stürmischer Wind fegte über die Autobahn. Binnen von Minuten
war die Straße mit einer dicken Schicht bunter Blätter überzogen. Wir rutschten
im Schritttempo. Es rauschte und wirbelte.
Die Autos vor und hinter uns schoben Bugwellen vor sich her. Am
Straßenrand bildeten sich blitzschnell Wasserlöcher, das Wasser schwappt in
Wellen über das Auto. It’s rough out
there, high water everywhere. Heute Ist die Nacht klar und kalt. Wir fahren
ruhig und gleichmäßig. Kaum ein Auto ist noch unterwegs. Es ist, als ob die
Welt in Schwärze versunken wäre. Da sind sie wieder, die Parkplätze mit den
merkwürdigen Namen. Höllenplotten. Waldmohr. Und wer weiß? Wenn wir das nächste
Mal hier vorbeikommen ist aus dem Waldmohr vielleicht längst ein
Waldschwarzermitbürgermitmigrationshintergrund geworden. Things have changed.
Um kurz vor halb Drei sind wir zu Hause. Die
schwarzundweiße Katze maunzt hinter der Tür. Das Bier schmeckt kalt und
köstlich.
Times they're a'changin', ist das nicht dieses Heraklit-Cover von Bob Dylan? Sitze wieder in der Klangwolke im moosgrünen Volvo-Kombi und gleite durch die Nebel der Bretagne, zum wievielten Mal im selben Fluss. Probiere wieder, auf Bustour nach Luxemburg, meinen ersten Fotoapparat aus, eine Kodak, gerade eben zur Konfirmation geschenkt bekommen. Oder etwa nicht? Bin euch jedenfalls gebannt durch die foggy ruins of time gefolgt und entbiete der schwarzundweißen Kazz speziellen Gruß - ak aka usw.
AntwortenLöschenSpät ist es. Vor die Wahl gestellt, welchen deiner beiden neuen Einträge ich heute Nacht noch lese, bevor mir die müden Augen endgültig zufallen, entscheide ich mich für diesen. Eine gute Wahl.
AntwortenLöschenIn der letzten Woche dachte ich darüber nach, was einen Klassiker ausmacht und notierte: Nicht jeder Klassiker ist unvergänglich. Er überlebt im Gedächtnis der Menschen nur so lange, wie seine Zeitlosigkeit dauert, also so lange, wie sein Thema oder seine Figuren in der jeweiligen Gegenwart der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte relevant bleiben.
All along the watchtower beginnt mit: “There must be some way out of here,” said the joker to the thief: “There’s too much confusion, I can’t get no relief.”
Unsterblich. So lange es Menschen gibt.
Gruß vom Kid
Jetzt lese ich es erst, weil ich den Bordeauxtext noch einmal lesen wollte. Ich hatte Hannover, Hamburg, Hamburg. Haben wir ein Glück, dies alles erleben zu dürfen.
AntwortenLöschenManche Dinge bleiben, auch wenn einen scheinbar der Himmel auf den Kopf fällt. Highwater everywhere. His Bobness unsterblich trotz aller Moden & wechselndem Publikum, denn der Platz ist im Herzen & die Worte hallen wieder. Vielen Dank, Kerstin!
AntwortenLöschenViele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.
@aka: Heraklit reloaded. Was lese ich da im Wikepedia-Eintrag zu selbigem: "Des weiteren setzte sich Heraklit mit dem Verhältnis von Gegensätzen auseinander, wie etwa von Tag und Nacht, Wachsein und Schlafen, Eintracht und Zwietracht.." Tja, da hammers widder , mir zwei. Die schwarzundweiße Katze grüßt freundlich zurück.
AntwortenLöschen@Kid: Das "Jetzt der Erkennbarkeit" hat Walter Benjamin als Eigenschaft großer Kunst beschrieben. Ein Sachgehalt, der so eng an einen Wahrheitsgehalt gebunden ist, dass der Wahrheitsgehalt jeder Jetztzeit unmittelbar bleibt und immer neu erkannt und verstanden werden kann.
@owlader: Lucky you, lucky me, lucky us. Was war das denn in Rom? Die Wege des Bob sind unergründlich. Ich hoffe auf weiteres Glück im nächsten Jahr.
@Fritsch: "Manche Dinge bleiben, auch wenn einen scheinbar der Himmel auf den Kopf fällt." Ja, so ist das.
Danke euch sehr fürs Lesen und für eure Anmerkungen und grüße in alle Richtungen, K.
PS: Inside Llewyin Davis - don't you dare miss it. (Hoffe, dass ich es schaffe, dazu in den nächsten Tagen noch etwas zu schreiben!)
Da ist Benjamin ganz nah bei Heidegger, für den sich Wahrheit je und je zeigt, ins Unverborgene tritt, im Augenblick. Da denken Menschen sich wunderbare Sachen aus, und was bringt das am Ende ein? Einen Aussichtsplatz aus leeren Augenhöhlen / Nische in der Steinmauer am Steilhang in Port Bou / Mittelmeer.
LöschenDarauf einen becher Rotwein, allerseits zum Wohl.
ak
Das gefällt mir. Lass uns über Heidegger sprechen und über die Angst als Grundbefindlichkeit und das Sein des Daseins als Sorge. Die Sorge west, sie west immer und überall. Aber: "Innerhalb des Zusammenhangs von Sorge, Weltlichkeit, Zuhandenheit und Vorhandenheit wird anschließend Realität zum Thema und das hiermit verbundene Problem von Idealismus und Realismus." Dann tritt die Wahrheit ins Unverborgene und es schließt sich der Kreis.
LöschenBleibt nur noch der Hinweis auf einen alten Heidegger Song: "I'm a man of constant sorrow..."
Löschen"Der Schmerz als Grundriss des Seins", irgendwo schommal gelese :-)
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