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Ein Hessentag

Bei der letzten Staffel von „Germanys next Topmodell“ habe ich den Begriff „Körper-Klaus“ kennen gelernt. (Jaja. Ich weiß: Die Sendung ist ein großer Scheiß. ) Der Körper-Klaus jedenfalls ist ein Mensch, der seine Motorik nicht so recht koordiniert bekommt. Und daher weiß ich jetzt auch, was ich bin: Ein Orientierungs-Klaus. Zwar ansonsten durchaus Herr bzw. Frau meiner Sinne, dazu auch eine gute (mmh…), eher offensive Autofahrerin. Aber wenn ich mich mit meinem Auto in eher unbekannten Gefilden bewege, geschieht mit mir mitunter eine merkwürdige Verwandlung. Ich komme überall an – das ist nicht das Problem – aber der Weg dorthin ist in der Regel chaotisch und führt über die merkwürdigsten Pfade. Die Verwirrung kann großräumig wirken (ich bin z.B. schon einmal von Hannover in Richtung Berlin nach Frankfurt gefahren), innerstädtisch (das Kino, in dem vor knapp zwei Jahren der Eintracht-Film „Träume in schwarz und weiß“ Premiere hatte , habe ich dreiviertelstundenlang eingekreist und dann doch verfehlt) – oder auf engstem Raum. So kann es durchaus vorkommen, dass ich auf einer Fußballtrainingstransportfahrt in eines der umliegenden Käffer zielsicher den falschen Ort ansteuere, von da aus die verkehrte Richtung nehme und schließlich – mit einem Riesenumweg, aber immerhin doch - ankomme. Zu spät, leider. („Wie? Ihr habt euch verfahren? Denkt euch mal eine bessere Ausrede aus – wie kann man sich von Selzen bis hier verfahren?“). Doch. Man kann.

Eine meiner fast schon obligatorischen Verwirrgegenden ist Oberursel. Seit einiger Zeit lebt dort eine liebe Bekannte von mir, die ich ab und zu besuche, und ich habe es bisher nicht ein einziges Mal geschafft, auf direktem Weg zu ihr hinzufinden. Fast schon zu einem Trauma werden bei diesen Fahrten die „Drei Hasen“ – so heißt eines der Gewerbegebiete in Oberursel. Die Drei Hasen sind mein Orientierungspunkt. Von dort aus muss ich in Höhe von „Weiß-nicht-mehr“ nach links (oder doch rechts?) abbiegen, dann weiter in die „Weiß-der-Geier“-Straße, dann gleich wieder links oder rechts und immer geradeaus, um an meinen Zielort zu gelangen.

Hessentag in Oberursel. Idealer Anlass für einen Besuch. Dieses Mal konnte ja eigentlich nichts schiefgehen, dachte ich, alles ausgeschildert. Extra für mich, überall leuchtende LED-Schilder „Hessentag“, zwei große, ausgewiesene Parkplätze –„Die drei Hasen“ und „Hessentagsarena.“ Mein Leid geplagter Mit-Adler hatte mir wohlweislich außerdem mehrere Routenbeschreibungen ausgedruckt. Ach was, brauch ich doch heute nicht: „Ich parke bei den drei Hasen – da kenn ich mich aus.“ Aus Oberursel dann die Kunde: „Lieber nicht die drei Hasen, der Parkplatz an der Hessentagsarena ist viel praktischer.“ Ok –kein Problem. Ich bin ja ortskundig. Und – wie gesagt: Überall Hinweisschilder.

Für drei Uhr sind wir verabredet, um kurz vor halb drei komme ich los und bin ratzdifatz und fast pünktlich in Oberursel. Hessentag hier geht’s lang. Hessentag Parken – mmh, handelt es sich jetzt um de „Drei Hasen“- oder um die „Arena“ –Parkplätze? Leider nicht zu identifizieren, einfach nur „P“, wird schon passen – ich biege ab, Autoschlange, freundliche Menschen in Orange und Gelb: „Welcher der beiden Parkplätze ist das hier, bitte?“ „Ich weiß nicht.“ Mal ehrlich: Woher soll ich es dann wissen? „Das ist P1,“ weiß der nächste Mensch in Gelb. P1 sind die Hasen. War ja klar, aber wie geht es von hier aus zu P2? Schwierig. Die Innenstadt ist gesperrt. Drehen geht auch nicht. Also über den Parkplatz, durch die Äcker. Wieder auf die Autobahn. Den Schildern nach.

So mache ich es. Autobahn. Leuchtschild. Hessentag. P-Schild. Wieder ohne 1 oder 2. Besser geradeaus. Hier können Sie nicht durch. Also wieder zurück, Autoschlangen. Gelb. Orange. Arrrrg. Die Gesichter kenne ich schon. Die drei Hasen. Zwei orange Mädels essen gerade eine Bratwurst. Was habe ich falsch gemacht? Können wir Ihnen leider auch nicht sagen. Ist aber alles ausgeschildert. Ein weiterer Gelber gesellt sich hinzu. Können Sie mir vielleicht...? „Isse schwierig. Habbe se kein Navi?“ Alles klar. Mir ist inzwischen gut warm und ich bin auch nicht mehr ganz so entspannt. Aber ich werde es schon finden. I’ll kill that cat. 45 Jahr und Elektroingenieur, lost in Oberursel. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Um genau 16.35 Uhr kann ich telefonisch vermelden, dass ich angekommen bin. Ich stehe. Bei den drei Hasen. Wo sonst?

Von jetzt an erlebe ich einen Nachmittag wie hingetupft, bunt und laut, witzig und ein wenig melancholisch, voll von Bildern und Eindrücken. Es ist schwülwarm, schon zu ahnen, dass es bald Regen geben wird. Aber jetzt ist es trocken und warm, wir lassen uns durch die Straßen treiben. Der Hessentag scheint in den Ort geschmiegt, fließt - wie der kleine Bach „Ursel,“ dem der Ort seinen Namen verdankt – durch die Straßen, schwappt in Innenhöfe und Gässchen, überflutet die Plätze, verdichtet sich zu Knotenpunkten und sucht sich dann wieder neue Bahnen. Zwei große Adern, die Hessentagsmeilen, die in verschiedene Richtungen zu den großen Veranstaltungsorten (und Parkplätzen ,-) führen. Ruhige, spärlich beleuchtete Nebenstraßen, sozusagen Backstage. Wunderbar. Meine Gastgeberin hat sich vorgenommen, mir auch ein bisschen was von Oberursel zu zeigen. Wir rollen das Ganze von der Altstadt her auf. Das historische Rathaus. Marktplatz. Das Brauhaus.

Weiter den Büdchen und Ständen nach. Hier etwas essen (nmmh...lecker Feuerpfanne). Trinken. Schwätzen. Staunen. Schmuck aus Silberlöffeln. Ein Modell der Hessentagsprinzessin, die zu meinem großen Bedauern „Ursella“ und nicht „Orschel“ heißt. Töpfer. Maler. Puppen. Viel Schönes, leider wenig Hessisches. Apfelwein. Natürlich. Hessenshirts. Wir entdecken eine über der Menschenmenge hüpfende Luftballonkuh – so eine will ich auch -, dem Luftballonmann sind die Kühe leider ausgegangen, aber extra für mich holt er eine aus seinem nahe gelegenen Depot.

Nach gut drei Stunden haben wir uns müde gelaufen, zurück mit der S-Bahn zur Wohnung meiner Freundin, die direkt hinter dem Areal der Hessentagsarena liegt. Hier spielen heute Abend die – arrgs - Scorpions. Die Vorgruppe steht schon auf der Bühne. (Leadsänger: „Ohohoho.“ Menge: „Ohohoho.“ Leadsänger: „Gut, genauso machen wir das nachher auch.“), der Platz vor der Bühne ist bereits gut gefüllt, aber es sind auch noch letzte Konzertbesucher im Anmarsch, außerdem eine ganze Welle von Menschen, die Position auf der Wiese hinter der Arena beziehen. Eine wunderliche Mischung. Nicht mehr ganz junge Pärchen und Gruppen in schwarzer Lederkluft. Youngster mit Klappstühlen und Bierkästen. Alte Damen (mit Blouson und Perlekettsche. Echt.) Normalos mit Schirmen und Picknicktaschen. Wir machen einen Zwischenstopp in der Wohnung meiner Freundin, sitzen auf dem Balkon, trinken ein Glas Secco. Jubel braust auf. Bässe dröhnen. „Hallo Oberursel!“ Dann legen sie los mit dem merkwürdig aseptisch-bombastischen Rock’n-Roll-Brei, den ich früher schon nicht mochte. Im Gebüsch vor dem Balkon zwitschern die Vögel.

In den Abend hinein mache ich mich auf den Weg zur U-Bahn, Über die Äcker und Wiesen – links akkurat mit rotweißen Bändern eingeteilte Parkflächen, rechts Kohlköpfe – immer entlang am Areal der Hessentagsarena. Die Bühne leuchtet durch die dicken schwarzen Wolken, die sich inzwischen über Orschel zusammengebraut haben, was nicht ursächlich mit dem Aufritt der Scorpions zusammenhängen muss, aber, wer weiß, vielleicht doch. Erste Regentropfen fallen. Vom Wind verweht, die Stimme Klaus Meines: „Hey jetzt alle“. Rock me like a hurrican. Trotz drohender Flut sind immer noch ziemlich viele Menschen auch auf der Wiese hinter der Arena.. Die Bierstände eng umlagert. Kleine Gruppen und Pärchen kauern unter Regencapes. Noch nieselt es nur. Eine wunderbar schwebende, abgedrehte, fliegende Stimmung. Meine Kuh flattert. Zurre den Reißverschluss meiner Eintracht-Regenjacke nach oben. Der Regen wird stärker.

Ich steige in die S-Bahn, Endstation Bahnhof. Es schüttet wie aus Eimern. Flüchtende Menschen, zusammengedrängt unter Vordächern und in Eingängen. Das Riesenrad steht leuchtend wie ein riesiges Auge
am Nachthimmel.  Die letzten Tage waren traurig und weh, aber jetzt schwappt eine fast schon verzweifelte Welle von Leben und Glück über mich hinweg. "Alive. Fucking Alive." Die Welt glitzert, Wind und Regen wehen mir ins Gesicht. Macht nichts. Ich bin sowieso schon nass.Meine Kuh verträgt das Wasser von oben nicht, statt über mir zu schweben, lässt sie sich jetzt von mir ziehen. Aber wir beide glitzern, stapfen, schlittern weiter.

Die Hessentagsmeile ist jetzt wie leergefegt. Vor zwei Stunden noch wuseliges Treiben, jetzt plattert der Regen dicht und stetig. Vereinzelt hastende Menschen, ein Pärchen, eng aneinander gedrückt unter einem Riesenregenschirm. Körbe mit Kerzen, Ständer mit Buttons, Stühle, Kisten und Kasten kauern sich unter Plastikhüllen. Standbetreiber zurren an Planen. Dort baumelt ein riesiger Stoff-Bär in Wind und Regen. Unter dem Vordach eines Stands mit Tapas und Cocktails ist eine Gruppe gestrandet, die offensichtlich einen Junggesellenabschied feiert (alle tragen die gleichen T-Shirts), sie prosten sich zu. Musikfetzen. „Barfuß im Regen.“

Die Kuh und ich haben es nicht besonders eilig. Wir laufen, schauen, hören, tropfen. Immer weniger Lichter, weniger Menschen. Die Flanierzeile geht allmählich ins Hinterland über. Vorbei an den Info-Zelten der Bundeswehr, und da ist auch schon das große HR-Festzelt, aus dem Scooter dröhnt und auf dem oberen Teil der riesigen Leinwand, die über den Zaun ragt, sehe ich ihn hüpfen.

Wieder bei den Drei Hasen. Juhu. Es zahlt sich aus, dass ich heute Nachmittag – ganz gegen meine „ich-find-das-schon“-Gewohnheit - einen der Scooter-Security-Gards nach einem Orientierungspunkt gefragt hatte. Ich finde mein Auto. Tatsächlich und ohne groß zu suchen. Pitschpatschnass, glücklich verstaue ich die Kuh im Kofferraum und schäle mich im Auto erst einmal aus meinen Klamotten. Ein triefend nasses Bündel. Wickele mich in ein Sweatshirt, das zum Glück im Auto lag, und mache mich auf den Heimweg.

Es war ein wunderschöner Tag.

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