Direkt zum Hauptbereich

Arsch ab.

Es ist Heinz Gründel (ja, der - ihr wisst schon, welchen ich meine), der diesen Satz gestern zu mir gesagt hat. Zwei Stunden nach Abpfiff. Wir sind auf dem Weg aus dem Stadion. Jetzt erst. Mit müden Schritten, verheultem Gesicht. Vorbei an Hundertschaften von Polizisten mit heruntergeklapptem Visier, Schutzschildern, Schlagstöcken. „Kommt man da hinten irgendwie raus?“ fragt mich ein verschreckt aussehender junger Mann. Ja, irgendwas geht immer. Und dann, hinter der Haupttribüne, begegnen wir Heinz. Er hat den Arm in der Schlinge (gebrochen? angebrochen?) ist ins Gemenge geraten und schafft es doch irgendwie schief zu grinsen. „Jetzt ist der Arsch ab.“

Aleschia. Der erste, der zweite, der dritte Abstieg. Was war am schlimmsten? Künftig werden wir, um unsere persönlichen Eintracht-Tiefpunkte zu erzählen, nicht mehr weit in die Vergangenheit zurückblicken müssen. Schlimm, vielleicht am schlimmsten – das war gestern. Nein, nicht vom fußballerischen Schmerz her, ganz sicher nicht. Aleschia - das war Tragik, das war Fußball, das war, das ist Stoff aus dem der Eintracht-Mythos gewebt ist. Das gestern war einfach nur Scheiße. Elend. Unwürdig. Zum Kotzen. Kaum zu ertragen.

Traum und Wirklichkeit vermischen sich. Ich sitze auf einem Stuhl, im Eintracht-Trikot, auf dem Kopf trage ich eine von diesen albernen Mützen mit Flügeln, die klatschen. Vor mir ein Fußballfeld - leer, links und rechts neben mir – alles leer. Ich springe auf: „Eintracht, Eintracht.“ Schreie ich. „Eintracht!“ Meine Stimme verhallt. „Steht auf, wenn ihr Adler seid.“ Kein Echo. Nichts. Ich lasse mich zurück auf meinen Stuhl fallen. Rutsche tiefer und tiefer. Eine Welle von Geräuschen und Menschen schwappt über mir zusammen. Wo kommen die denn plötzlich her? Ich versuche aufzustehen, kann nicht. Wie Blei zieht es mich zurück auf meinen Stuhl. Auf dem Feld jetzt ein Spiel, zwei Mannschaften – der 1. FC Köln, die Eintracht. Die Spieler stehen. Alle. In geordneter Formation. 4-3-3. Gekas winkt. Der Ball liegt im Mittelkreis. Ein Kölner hebt ihn auf,  nimmt ihn in die Hand, geht gemächlich zwischen unseren Spielern hindurch aufs Eintracht-Tor zu. Ist da. Nur noch einen Meter vor dem Tor. Er legt den Ball auf den Boden, kickt ihn sanft über die Linie. Der Stuhl, auf dem ich sitze, fängt an, sich im Kreis zu drehen, schneller, immer schneller.  Rauch. Grelle Blitze. Gegenstände fliegen. "Zum letzten Mal: Was ihr tut ist verboten. Geht zurück in euren Block“, schallt es durch die Lautsprecher. Wie wenn der Golem losbricht. „Christoph Daum, Christoph Daum, Christoph Daaaaaum,“ intoniert rechts von mir ein Trupp von Menschen in Köln-Trikots. Sie schwenken Fahnen. Einer hat um seinen Bauch einen Plüsch-Geißbock geschnallt. Der wackelt. Auf dem Spielfeld hat sich ein Polizeikordon aufgestellt, rückt auf. Sirenen heulen. Ich schlage die Hände vors Gesicht, weine. Weine Rotz und Wasser.

Wache auf. Mein Kissen ist nass.

„Wir kommen wieder.“ Nicht einmal diesen Satz traue ich mich im Moment hinzuschreiben. Hertha fällt mir ein. Die waren so weg, wegger gings nicht. So wie wir jetzt. Aus einer schläfrigen, etwas angeschubsten, aber innerlich immer noch brodelnden Diva, die gerade wieder angefangen hatte, vorsichtig nach höherem zu schielen, ist ein lebloser, rauchender und jetzt auch noch verkohlt riechender Trümmerhaufen geworden. Theoretisch können wir den Klassenerhalt am nächsten Wochenende  noch schaffen. Wenn die Mannschaft sich, mir, uns etwas beweisen will oder kann - ich werde sie gewiss  nicht daran hindern. Mag rechnen, wer will. Im jetzigen Zustand hat dieser Verein, hat diese Mannschaft, haben diese Fans nichts in der ersten Bundesliga zu suchen. Der Arsch ist ab. Definitiv und in jeder Hinsicht.

Und was ist mit uns? Mit ihr, mit ihm, mit dir, mit mir? Danke der Nachfrage. Macht euch bloß keine unnötigen Sorgen.
 "It’s allright, Ma. (I’m only bleeding)."

Kommentare

  1. Gestern morgen habe ich, ganz gegen meine Gewohnheiten, beim Autofahren keine CD eingeworfen, sondern das Radio angemacht. Und was kam? Robert Johnson, der heute 100. Geburtstag hat - Coverversionen und the man himself auf HR 1. Das kann doch nur ein guter Tag werden, dachte ich. So kann man sich irren. If my thought dreams could be seen...
    C.
    PS: Wünschen wir alle, dem offensichtlich von unseren eigenen Idioten malträtierten Heinz Gründel gute Besserung. Dieser Scheißtag hat wirklich für jeden wirklich alle Horrorvisionen wahr werden lassen. (Heinz G. und die anderen Jungs, das war eine schöne Mannschft.)

    AntwortenLöschen
  2. Alles ist im Arsch. Wieder mal.

    Gruß vom Kid

    AntwortenLöschen
  3. Wirklich alles am Arsch und einfach nur noch traurig.
    Sowie es H.Gründel ergangen ist,hat es meine Freundin gegen Kaiserslautern getroffen-und wir konnten dass Spiel nicht schauen-konnten direkt ins K.H.-Platzwunde unterm linkem Auge.
    Von hier-Gute Besserung an den Verletzten H.Gründel.

    Kerstin,auch wenn ich die Hoffnung aufgegeben habe,ein kleiner Murtmacher.
    Werde Wolfsburg Niederlage tippen und Gladbach auch und uns ein unentschieden-Relegation,F.F.sah sich das Spiel-gestern im Stadion an.
    Kopf hoch-wir kommen nicht wieder-wir sind da und bleiben und dass wird auch wieder gepackt.
    LG
    (B).

    AntwortenLöschen
  4. @Celtix: Robert Johnson? im Radio? Da könnte man ja glatt anfangen, doch wieder an Wunder zu glauben...

    @Kid: Ja.

    @Barbara: Hör bloß auf...,-)... du könntest mich fast dazu überreden, doch wieder ein Fünkchen Hoffnung zu entwickeln - bei deinem feinen Gespür für die richtigen Tipps. Wolfsburg und Gladbach - ja, kann hinhauen. Aber wir? Gewinnen in Dortmund? Wie?

    Obwohl der Gedanke hätte was - die Eintracht schafft am letzten Spieltag doch noch die Relegation - und Attilas Töchter erklimmen den ersten Platz im Tippspiel *g... (da siehste mal, was du anrichtest ,-)

    lg in aller Richtungen von: K.

    AntwortenLöschen
  5. Mehr im Arsch geht momentan wohl nicht. Nehr gebrochenes Herz geht im Moment auch nicht. Alles kaputt.

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

    AntwortenLöschen
  6. Abber Arsch im Arsch? Paßt wie Arsch auf Eimer.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die nächste Strophe vom alten Reisbrei

Am Samstagabend höre ich im ZDF Sportstudio die Vorankündigung für das Spiel am Sonntag im Waldstadion. „Hannover kann morgen auf den zweiten Tabellenplatz vorstoßen“, verkündet Katrin Müller-Hohenstein. Tatsächlich? Was Sie nicht sagen. Und die Eintracht? Hey – hallo, das ist unser Heimspiel, und wir werden es gewinnen, weil nämlich dann wir es sein werden, die zu Hannover und zur Spitzengruppe aufschließen. Capisce? Und tatsächlich. So machen wir es. Impressionen vom Spiel: Patrick Ochs, der in der ersten halben Stunde auf der rechten Seite herum mannövert als habe er tatsächlich vor, was er vorher verkündet hatte: Sich festbeißen – und von dem in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu sehen ist. Halil Altintop, der (auch in seinem eigenen Sinn) zur Halbzeit hätte ausgewechselt werden müssen, und von seinem Trainer, der voll hinter ihm steht, eine viertel Stunde vor dem Ende zum Abschuss freigegeben und – sichtlich um Fassung bemüht – regelrecht vom Platz gepfiffen wird. (Ja, ja.

Kleines Fußball-ABC - Heute "U" wie "Unterschiedsspieler"

Unterschiedsspieler, der (pl. (selten die); fußballneudeutsch für einen Spieler, der – wie der Name schon sagt – den Unterschied machen und ein Spiel entscheiden kann. Bsp .    → Rebic, Ante (Eintracht Frankfurt) , der in der ersten Runde des DFB-Pokals 2019/20 “ den aufmüpfigen Drittligisten Waldhof Mannheim quasi alleine in die Knie zwang. “ In der Regel ist der → Unterschiedsspieler ein Offensivspieler, aber auch Defensivspieler „mit einer starken Technik und einem guten Gespür für Räume imOffensivspiel“  können Unterschiedsspieler sein  -   Bsp.   → Baumgartner, Christoph TSG Hoffenhei m) , → Kimmich, Joshua (FC Bayern München) oder  →Kostic, Filip (Eintracht Frankfurt), der für seinen Trainer →Adi Hütter derzeit „der absoluteUnterschiedsspieler“ ist. Auch Torhüter  können den Unterschied machen ( Bsp. Neuer, Manuel, FC Bayern München ), was als Beleg dafür gelten kann, dass auch Spieler, die nicht der Mannschaft von →Eintracht Frankfurt angehören, →Unterschiedsspieler sein kö

Hans-Dieter "Fips" Wacker - ein Fußballerleben

Es ist ein paar Monate her, dass ich für diesen Blog im „Kleinen Fußball-ABC“ einen eher satirisch gefärbten Beitrag zum Thema  Nachwuchstalente verfasst habe. Es war Kid Klappergass, der das Thema in einem Kommentar in ernsthaftere Bahnen führte: Es gebe nicht viele große Eintracht-Talente, denen er nachtrauere, aber eines davon sei ganz gewiss Fips Wacker. Fips Wacker? Diesen Namen hatte ich noch nie gehört und machte mich auf die Suche nach ein paar Informationen. Es war nicht viel, was ich im Netz aufstöbern konnte – aber was ich fand, machte mich neugierig. Die „Spur“ führte zum Heimatverein von Fips Wacker, der SKV Büttelborn und wie es der Zufall so will: Einige Wochen später sollte in Büttelborn ein Spiel der Alten Herren – der  Old Boys   gegen die Eintracht-Traditionsmannschaft ausgetragen werden. Wenn für Hans-Dieter Wacker alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können, hätte er in diesem Spiel vielleicht eine Halbzeit lang für die Eintracht und eine für den SKV auf de