Direkt zum Hauptbereich

Mitten ins Herz

Kennt ihr das? Wenn man sich so aufregt, dass man für einen Moment nicht mehr weiß, was man tut? Aufspringt. Aufstampft. Sich losreißt. Nicht zu halten ist. Hände, Arme, Körper, die zu nahe kommen, wegstößt. Laute ausstößt, die an den Schrei einer Hyäne erinnern. Worte schreit, kreischt, von denen man nicht einmal geahnt hat, das sie zum eigenen Sprachgebrauch gehören. Die Rede ist nicht von Maik Franz, sondern von mir. Gerade noch – eben, im Moment - hatte Gekas das 100 Prozent, ach was fünfhunderttrillionen Prozent sichere 2:0 auf dem Fuß. Und jetzt das. Und jetzt das. Das kann, das darf nicht wahr sein. Samstag, 23. April, 88. Minute, Waldstadion.

Leider. Ich neige zum Jähzorn, habe ihn in der Regel aber ganz gut im Griff. Und zum Glück habe ich Mit-Adler, die eine beruhigende Wirkung auf mich haben. Hey, komm. Alles gut. Punkt. Wir haben einen Punkt. Ok. Ich bin ja schon ruhig. Ganz ruhig. Händedrücken. Festhalten aneinander. Klaps auf den Rücken. Der kleine Junge im Bayerntrikot, der  mit seiner Mama drei Plätze neben mir sitzt, mustert mich neugierig, fast ein wenig ängstlich. Noch ist das Spiel nicht vorbei. Freistoß. Noch ein Freistoß für uns. Caio kommt„Also, wenn der jetzt trifft, dann fall ich auf der Stelle tot um“, höre ich den Eintrachtler hinter mir japsen...

Flashback.
Die ganze Woche hatte ich versucht, den Gedanken an das Bayern-Spiel zu verdrängen. Da war dieses überzeugende Spiel der Bayern gegen Leverkusen. Unsere kreuzdämliche Niederlage in Hoffenheim. Das Geschwätz die ganze Woche über. Ehrlich: Ich befürchtete das Schlimmste. Am Samstag Vormitag ist mein Magen flau. Zweckoptimismus. Brust raus, Kopf hoch. Wird schon gut gehen. Äußerlich ein Adler, innerlich ein Hase. Das schöne Wetter – ein weiteres schlechtes Omen. So was geht schief. Alles zu viel. Alles zu wenig.

Keine Ahnung, wann meine Stimmung gekippt ist. Vielleicht war es dieser kleine, witzige Moment auf der Mörfelder Landstraße: Anfahrtsstau, rotundschwarze Trupps ziehen über die Brücke zum Stadion. Und gerade läuft die zweite CD der „Tell Tale Signs“. „Cocaine – all around my brain“, röchelt Bob. Kicher.

Oder war es auf dem Waldweg hinter dem Stadion, als „Free“ aus dem Stadion schwappte. „All right now Baby, it’s a aaaaallright now.“ Wahrscheinlich aber war es doch genau der Augenblick , in dem wir das Stadion betreten haben. Dort brodelt es wie schon lange nicht mehr. Kein Firlefanz. Kein Schnickschnack. Fahnen. Gesänge. Stimmengewirr. Anspannung. Nervosität. Fiebrige Energie. Konzentrierte Schaffenslust. Es. Wissen. Wollen.

Und genau diese Stimmung ist auch direkt von dem Anpfiff auf dem Platz spür- und sichtbar. Benny Köhler. Sebi Jung. Sebastian Rode. Ralf Fährmann. Patrick Ochs. Halil Altintop. Martin „endlich mal wieder von Anfang an“ Fenin. Fanis Gekas. Marco Russ. Ricardo Clark. Pirmin Schwegler. Jede Faser des Körpers, jede Fußspitze angespannt. Wir sind da. Vom ersten Moment. Jeder einzelne zeigt: Wir werden uns nicht verstecken. Und wir werden hier und heute nicht untergehen. Wir nicht.

Was jetzt folgt, hätte ich im Leben nicht erwartet. Sie kämpfen. Sie sind hellwach. Ok.  Aber das ist es ja nicht allein. Unglaublich: Sie halten mit. Was für ein Unterschied zu dem plan- und hilflosen Haufen, der hier noch vor ein paar Wochen über den Platz gestolpert ist. Dieses Spiel ist aufwühlend, mitreißend, wogt hin und her – aber man kann es auch, wie das so schön heißt, „lesen“. Jeder einzelne hängt sich rein, das kann er aber auch deshalb, weil er jetzt endlich wieder einen Plan hat und weiß, was zu tun ist. Z.B. das konsequente Doppeln: Wenn die Bayern aufrücken, ziehen wir uns diszipliniert gestaffelt zurück. Der angreifende Spieler wird im Raum übernommen, immer – immer! – gedoppelt , wenn die Gefahr am größten ist, kommt noch ein dritter Spieler dazu. Alle, wirklich alle (doch, auch Gekas hab ich einmal am eigenen Strafraum gesehen ,-)), gehen mit zurück, in wechselnden Konstellationen – je nachdem, ob wir unter Druck stehen oder gerade selbst in der Vorwärtsbewegung waren. Erst relativ spät wird der Zweikampf gesucht, der anstürmende Bayernspieler direkt angegriffen, was für viele, viele Herzkasper-Momente während des Spiels sorgt („Hin.“ „Maaaaaaan... Greif an.“ „Rauuuuuuus.“) aber dafür sorgt, dass die Räume eng, sehr eng zugestellt sind. Der zweite, spätestens der dritte Ball ist unser – oder die Flanke, der Pass in den Strafraum kommt weniger präzis ins Zentrum. In den Strafraum – dort, wo Sebastian Rode (was für ein technisch feiner Fußballer, was für ein mutiger Kämpfer) rackert und wuselt. Dort, wo Marco Russ regiert.

Marco, der für mich irgendwie das  Symbol für den Wandel dieser Tage ist. Wie mich das freut. Endlich wieder. Turm in der Schlacht. Antreiber. Nichts mehr zu sehen, von der wandelnden Verunsicherung noch gegen St. Pauli. Er hält die Abwehr zusammen, grätscht, köpft, behält den Überblick. Nein, er ist nicht so ein eleganter Techniker wie Rode, aber er nutzt seine Körperlichkeit, hat immer noch eine Fußspitze dazwischen, bringt seinen Körper dazwischen, blockt ab. Klarer Fall von Kopf wieder frei. - Ich weiß, was ich tue. Und ich tue, was zu tun ist. Ich kann es. Ich mach es. – Wenn sich eine Lücke auftut, rückt er auf, geht selbst. Und wenn es sein muss, drischt er den Ball eben halt auch mal weg, irgendwo nach vorn, in die Spitze.

Überhaupt die langen Bälle auf Gekas: Ja. Wir spielen sie immer noch. Und immer noch zu oft. Aber wir spielen sie nicht mehr nur. Unsere Außen sind wieder besetzt. Da werden auch mal die Seiten gewechselt. Martin Fenin auf links tut dem Spiel gut, unterstützt von Benny Köhler, der – neben seinem Kämpferherz – deutlich mehr Spielwitz mitbringt als (schade!!) Tzavellas. Sebi Jung schaltet sich auf rechts wieder häufiger nach vorne ein (zwei, drei wunderbare Kurzpasskombinationsangriffe über Jung, Ochs, Schwegler). Schwegler, bei dem zumindest Ansätze seines Könnens wieder aufblitzen. Clark, der nur aus Beinen und Armen zu bestehen scheint, überall ist. Halil Altintop, der in Tornähe einmal mehr nicht glücklich aussieht, aber so unglaublich viel für die Mannschaft tut, Bälle verteilt (Ja, tatsächlich am Samstag hatten wir auch wieder ein Mittelfeld!).

Es ist die 85. Spielminute. 1:0. Wir führen. Das ist er, der Befreiungsschlag. Der Klassenerhalt. Jetzt bringen wir das Ding auch nach Hause. Das halten wir. Irgendwie. Nicht nachlassen. Konzentriert bleiben. Nach vorne spielen. Ja. Ja. Jaaaaaaaaaaaa. Da ist Platz. Sebi Jung. Spiel. Spiel ab. Da ist Gekas. Der Ball kommt. Der kommt. Da ist Gekas...

Flashbackende

Die Kind-im-Bayern-Trikot-Mama packt ihre Kamera ein, mit der sie vor ein paar Minuten im Bild festgehalten hat, wie Gomez sich den Ball am Elfmeterpunkt zu recht legt. Fährmann noch einmal korrigiert. Benny kreuzt. Gomez anläuft. Trifft.

Am Black and White-Bratwurststand habe ich Glück: Ich bekomme die letzte Currywurst. Und das ist nur recht und billig, weil ich heute noch nichts nichts nichts gegessen habe.

Wir haben einen Punkt. Wir fahren heim.

Kommentare

  1. Genauso & nicht anders fühlt es sich an. Und es ist auch eigentlich nicht mehr auszuhalten.

    Aber wenn ich hier vorbeischaue & weiß ich bin nicht allein, dann lässt es sich auch auf einmal aushalten. Danke!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

    AntwortenLöschen
  2. "Überhaupt die langen Bälle auf Gekas: Ja. Wir spielen sie immer noch. Und immer noch zu oft."

    Ich hab mich mehr als einmal dabei ertappt, wie ich dachte/schrie: Daaaa, spiel doch dem Gekas in den Lauf. Aber der ballführende Spieler hat sich wohl gedacht: Neee, nicht mit mir, die Langholzzeit ist vorbei. Ich warte bis die andern nachrücken. Dauert leider immer noch ein bissl zu lang, aber: es wird:)

    AntwortenLöschen
  3. Du bist jähzornig? Ich auch. Aber ich habe mich auch gut im Griff - in der Regel. :-)

    Gruß vom Kid, der sich für das gelungene Stimmungsbild bedankt

    AntwortenLöschen
  4. Ha, ja klar, bisschen Jähzorn haben wir alle. Zoe wollte mal kurz der Nachbarin im Bayerntrikot eins auf die Nase hauen... Hat sie aber nicht. War der Freund der Bayerntussi, der ein Eintracht Trikot trug, im Weg, er saß noch zwischen den beiden.

    Danke für deinen Stimmungsbericht, wie immer so treffend. Das Tor von Rode vor unserer Nase. Wie toll! Die Hereingabe von Jung auf Gekas auch... Meine Güte, wir ALLE haben den Ball doch schon im Tor gesehen. GEKAS. GEKAS. Haben wir dann auch mit gebrüllt. Das wird wieder.

    Wir packen das!

    Liebe Grüße
    Nicole

    AntwortenLöschen
  5. Ja,Kerstin,das war-Mitten ins Herz!!!!
    Es gab mehrere Spielsituationen,die mitten ins *Herz*trafen.
    Die Mannschaft-ehrlich- hat seit langem wieder mal mein Herz berührt,der Kampfgeist-jeder für jeden,der Wille-wir lassen uns nicht unterkriegen,der Zusammenhalt-jeder für jeden-,ja dass war ein gelungener Auftritt unserer Mannschaft und ich bin mit dem Punkt-zufrieden.
    Danke für deinen-sehr emotionalen Stimmungsbericht,macht Spass-zu lesen und am Samstag-in Mainz-kommt der erste 3er,*lächelt.*
    Wirst sehen.lacht!
    LG
    (B).

    AntwortenLöschen
  6. Die Zeit bis Samstag wird sich noch ziehen,ich werde bestimmt öfters nachts wach und werde an das Spiel denken und mir Mut zu sprechen dass wie nicht verlieren.Für mich persönlich wäre eine Niederlage das schlimmste was uns passieren könnte.Ich stelle mir vor die schießen uns in Lga zwei und spielen EL.Darf gar nicht an dass denken.
    Hoffe immer noch das meine Mama mir ihre 05DK gibt.Wenn nicht werde ich am Samstag nach der Gustavsburger Brücke am Main stehen und im Eintrachttrikot den 2 Schiffen zu winken.
    Es wird eine endlose Woche mit einem hoffentlich versöhnlichen Ausgang.Mehr wünsche ich mir nicht.Auch nach 52 Jahren Eintrachtfan schlägt mein Herz immer noch ungebrochen für meine-für unsere SGE

    AntwortenLöschen
  7. @ Fritsch: ich hoffe mal, dass bei uns die Eichhörnchen-Taktik am Ende erfolgreicher ist als die des armen kleinen Scrat…

    @Shlomo: Soooooooo kann man das auch aussehen. Und wenn der wieder noch mehr lange Bälle kriegt, der Gekas, dann trifft der auch wieder. Oder so. *g

    @ Kid: O ja… Und da gibt es ein paar Geschichten, die ich besser nicht erzähle. Wollte den Eintrag zunächst „Adler am Rande des Nervenzusammenbruchs“ nennen. Ich will hoffen, dass sich für diesen Titel in der Restsaison nicht eine noch passendere Situation bietet…

    @Nicole: Ich war kurz davor, der Kind-im-Bayern-Trikot-Mama die Kamera aus der Hand zu schlagen. Hab ich natürlich auch nicht, aber grad so…. Recht hast du: Wenn Gekas es allein nicht schafft, aus dem Gedankengefängnis ,-) rauszukommen, dann müssen wir ihm dabei helfen, die Gitter niederzureißen. „Auf geht’s Fanis schieß ein Tor…“ … Ja…

    @C-Willi: Ach, liebe B., ja – das war endlich wieder Eintracht. Und ja: Ich war, bin auch mit dem Punkt zufrieden. Eigentlich. Obwohl mir seit Sonntag dann doch wieder der Boden unter den Füßen wackelt… In deine Ergebnisprognostischen Fähigkeiten habe ich allerdings fast unbegrenztes Vertrauen. Also dann: Dann KANN ja gar nix schief gehen

    Lieber HappyAdler : Vielen Dank für diesen anrührenden Kommentar – ich kann dich so gut verstehen. So viel, was einem im Moment, grad aus Meenzer Adler-Sicht durch den Kopf schwurbelt… Wir werde uns NICHT vor denen fürchten. Nein, werden wir nicht. Die Eintracht kommt nach Mainz, um zu siegen. Und sie WIRD siegen!
    Ich bin dieses Mal nicht im Stadion, aber wohl auch am Landungsplatz , um die ankommenden Adler-Schiffe begrüßen… Drück dir die Daumen, dass du die Kart noch bekommst. Halt dich wacker - wir. Packen. Das. Basta!

    Danke euch ganz herzlich fürs Kommentieren, Erzählen und Ergänzen. Wir! Eintracht!
    Lgk (uffrescht wie die Finther Sparschel)

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die nächste Strophe vom alten Reisbrei

Am Samstagabend höre ich im ZDF Sportstudio die Vorankündigung für das Spiel am Sonntag im Waldstadion. „Hannover kann morgen auf den zweiten Tabellenplatz vorstoßen“, verkündet Katrin Müller-Hohenstein. Tatsächlich? Was Sie nicht sagen. Und die Eintracht? Hey – hallo, das ist unser Heimspiel, und wir werden es gewinnen, weil nämlich dann wir es sein werden, die zu Hannover und zur Spitzengruppe aufschließen. Capisce? Und tatsächlich. So machen wir es. Impressionen vom Spiel: Patrick Ochs, der in der ersten halben Stunde auf der rechten Seite herum mannövert als habe er tatsächlich vor, was er vorher verkündet hatte: Sich festbeißen – und von dem in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu sehen ist. Halil Altintop, der (auch in seinem eigenen Sinn) zur Halbzeit hätte ausgewechselt werden müssen, und von seinem Trainer, der voll hinter ihm steht, eine viertel Stunde vor dem Ende zum Abschuss freigegeben und – sichtlich um Fassung bemüht – regelrecht vom Platz gepfiffen wird. (Ja, ja.

Kleines Fußball-ABC - Heute "U" wie "Unterschiedsspieler"

Unterschiedsspieler, der (pl. (selten die); fußballneudeutsch für einen Spieler, der – wie der Name schon sagt – den Unterschied machen und ein Spiel entscheiden kann. Bsp .    → Rebic, Ante (Eintracht Frankfurt) , der in der ersten Runde des DFB-Pokals 2019/20 “ den aufmüpfigen Drittligisten Waldhof Mannheim quasi alleine in die Knie zwang. “ In der Regel ist der → Unterschiedsspieler ein Offensivspieler, aber auch Defensivspieler „mit einer starken Technik und einem guten Gespür für Räume imOffensivspiel“  können Unterschiedsspieler sein  -   Bsp.   → Baumgartner, Christoph TSG Hoffenhei m) , → Kimmich, Joshua (FC Bayern München) oder  →Kostic, Filip (Eintracht Frankfurt), der für seinen Trainer →Adi Hütter derzeit „der absoluteUnterschiedsspieler“ ist. Auch Torhüter  können den Unterschied machen ( Bsp. Neuer, Manuel, FC Bayern München ), was als Beleg dafür gelten kann, dass auch Spieler, die nicht der Mannschaft von →Eintracht Frankfurt angehören, →Unterschiedsspieler sein kö

Hans-Dieter "Fips" Wacker - ein Fußballerleben

Es ist ein paar Monate her, dass ich für diesen Blog im „Kleinen Fußball-ABC“ einen eher satirisch gefärbten Beitrag zum Thema  Nachwuchstalente verfasst habe. Es war Kid Klappergass, der das Thema in einem Kommentar in ernsthaftere Bahnen führte: Es gebe nicht viele große Eintracht-Talente, denen er nachtrauere, aber eines davon sei ganz gewiss Fips Wacker. Fips Wacker? Diesen Namen hatte ich noch nie gehört und machte mich auf die Suche nach ein paar Informationen. Es war nicht viel, was ich im Netz aufstöbern konnte – aber was ich fand, machte mich neugierig. Die „Spur“ führte zum Heimatverein von Fips Wacker, der SKV Büttelborn und wie es der Zufall so will: Einige Wochen später sollte in Büttelborn ein Spiel der Alten Herren – der  Old Boys   gegen die Eintracht-Traditionsmannschaft ausgetragen werden. Wenn für Hans-Dieter Wacker alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können, hätte er in diesem Spiel vielleicht eine Halbzeit lang für die Eintracht und eine für den SKV auf de