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Man muss. Man muss.

Gab es tatsächlich jemanden, der gestern zum Spiel der Eintracht gegen St. Pauli  ins Stadion gegangen ist und ein gutes Fußballspiel, spielerische Ansätze, eine Leistungssteigerung erwartet hat? Also: Ich nicht. Dieses Thema ist für diese Saison abgehakt. Ich erwarte nichts, ich erhoffe nichs. Alles, was ich heute will, sind drei Punkte. Nicht mehr, nicht weniger.

Und obwohl ich glaube, innerlich gegen alles gewappnet zu sein, obwohl ich zu wissen glaube, was mich erwartet, geht es mir im Stadion dann, wie es jedem gehen muss, dem die Eintracht am, ach was: im, Herzen liegt: Ich bin bis ins Mark erschüttert. Was soll das sein, was wir da sehen. Fußball? Die Eintracht? 11 vollkommen überforderte, mit sich selbst alleingelassene Spieler stehen da auf dem Platz. Absolut hilflos. Zurückgeworfen auf das fußballerische Niveau einer schlechten Zweitligamannschaft, womit man – bei Licht besehen - der Zweitligamannschaft unrecht tut. Es ist kaum auszuhalten, es tut körperlich weh.

„Was haben Sie mit meiner schönen Oberprima gemacht?“ fragt im Film "Die Feuerzangenbowle" der Direktor Knauer den als Professor Schnauz verkleideten Schüler Pfeiffer, der die Klasse vermeintlich mit einem Alkoholdestillat  bis kurz vors Delirium abgefüllt hat. „Was haben Sie aus der Eintracht gemacht?“ Würde ich gerne Michael Skibbe fragen. Aber vielleicht ist der ja auch nur verkleidet. Als was? Genau: Haha. Als Trainer.

Fassungslos verfolgen wir, was sich auf dem Platz abspielt. "Eintracht. Eintracht." Der Anfeuerungsruf wird fast zum Klagegesang. "Eintracht. Eintracht." In mir kämpfen Enttäuschung, Wut und Mitleid miteinander. Das Mitleid gewinnt. Sie versuchen es, sie können es im Moment nicht besser. Wenn Sie schon keinen Trainer haben, ich werde sie nicht  auch noch im Stich lassen. Alex Meier kämpft und ringt um jeden Ball, ist erkennbar nicht bereit, vor sich selbst zu kapitulieren. Ama, der heute die großen Gesten sein lässt und zwar wenig konstruktiv, aber unermüdlich unterwegs ist. Ricardo Clark, bei dem wir jetzt immer mehr ahnen, - haha -, warum er in den Planungen des Trainers so lange keine Rolle spielte: Er ist mutig und kann Fußball spielen. Marco Russ, dem man die Angst aus 100 Metern Entfernung ansieht und der trotzdem irgendwie versucht, sie und sich in den Griff zu bekommen. Versucht, Sicherheit zu gewinnen, in dem er immer wieder zu Fährmann zurückspielt. Sich - leider vergeblich – müht, für den nicht vorhandenen Schwegler den Spielaufbau zu übernehmen. „Wir mussten nur den langen Ball verteidigen“, wird Pauli-Trainer Stanislawski nach dem Spiel zitiert. Stimmt. Und der kam meistens von Russ.

Elfmeter erlebe ich im Stadion eigentlich fast immer mit dem Rücken zur Wand, tschuldigung: mit dem Rücken zum Spiel. Auch diesen, in der 35. Spielminute im Spiel gegen St. Pauli. Und doch ist es heute anders. Ich kauere in der Hocke. Nach vorne gebeugt. Will nicht in die Gesichter der um mich Stehenden sehen, will allein sein. Stille. Dann bricht, merkwürdig verhalten, der Jubel los. Fast wie in Zeitlupe drehe ich mich um. Mein junger Mit-Adler und ich sehen uns in die Augen. Ein Moment von Nähe und Vertrautheit inmitten des Getümmels. Wir umarmen uns, fest, ganz fest. Spüre das Zittern. Aus den Augenwinkeln sehe ich den kleinen Paul in der Reihe vor uns, der mit Eintracht-Kapp und – Schal ganz allein da steht und in den Himmel lacht. Merke wie sich meine Augen mit Tränen füllen, mir eine nasse Spur die Wange herunter rinnt. Für einen Moment denke ich, dass ich umkippe. Bloß keine Schwachheiten. Wir lassen uns los. Lachen. Hey. Tor. Wir führen. Tatsächlich wir führen.

Als Clark ausgewechselt wird, kann ich nicht anders – ich trete gegen die Lehne des Sitzes in der Reihe vor mir. Verdammt verdammt. Wenn er, dessen Namen ich nicht mehr gerne nenne, jetzt und hier wechselt, dann muss er Schwegler rausnehmen, aber stopp – das ging ja nicht, weil der ja sowieso nicht mitgespielt hat.

Nach dem 2:1 bin ich gleichzeitig wie paralysiert und fast schon hysterisch – geht das? Doch, geht. Kann es nicht glauben, dass das Tor tatsächlich gefallen ist. Wie konnte das passieren? Also doch wieder Gekas. Kein lauter Jubel, sondern einfach nur die Arme in die Luft gereckt, stehe ich da. Und fürchte mich vor den verbleibenden Minuten. „Lass uns das Ding nach Hause würgen und über alles andere denken wir nicht weiter nach“, sagt mein Mit-Adler, der heute in einem anderen Block saß und jetzt aus der Tiefe des Raumes aufgetaucht ist, um die letzten Minuten mit uns gemeinsam zu bangen.

Bitte. Irgendwie. Egal. Aber nicht wieder den Ausgleich. Mir ist schlecht. Flau. Springe auf, schreie. Sitze dann einfach da. Zusammengekrümmt, buchstäblich händeringend.

Nach dem Abpfiff. Erschöpft als hätte ich selbst auf dem Platz gestanden. Wackelig, aber fast emotionslos, ruhig. Keine Erleichterung, nur ein Durchatmen. Wir haben die 3 Punkte. Wir haben die 3 Punkte. Wir haben die 3 Punkte.

Auf dem Rückweg, noch im Stadion, hinter der Haupttribüne, überholt uns ein gut angetrunkener Pauli-Fan. Er schwankt, der dünne Zopf auf seinem Rücken wippt, sein Bierbecher schwappt.  "Wo geht's denn hier zus S-Bahn?"  Immer weiter hier entlang, alles richtig. "Okeee..."  Er muss nämlich nach Düsseldorf. Aha. Warum? Fliegt heute Abend noch nach Glasgow. "Ihr wisst doch: Celtic. Morgen. Gegen die Rangers." Und gestern war er in München. Die 60er gegen den KSC. Er nestelt am Reißverschluss seines Pauli-Sweatshirts und zeigt, was er darunter trägt: Ein 1860-München-T-Shirt. Die 60er, die gehen ihm nämlich über alles. Dann Pauli. Und Celtic. Wir sind beeindruckt. Ganz schön heftig, was er da an einem Wochenende runterreißt... München, Frankfurt, Glasgow...  Er zieht den Reißverschluss seines Sweaters wieder nach oben. Der Bierbecher schwappt. Ja, schon. Sicher. Heftig. Aber: "Was will man machen. Man muss, man muss..."

Wo er recht hat, hat er recht. Man muss. Und wir werden!

Kommentare

  1. Ganz gut giftig. Und gut, sehr gut. Dein Blogeintrag. Danke dafür.

    Gruß vom Kid

    PS: Wir haben dasselbe Spiel erlebt.

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  2. Genau so war es. Ich bin einfach nur erleichtert. Die Mannschaft muss sich jetzt weiter selber aus dem Elend ziehen, egal wer sonst noch da ist. Carsten

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  3. paralysterisch. so war's.

    viele grüße

    beve

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  4. Ja Kerstin. So war es. So ist es.

    Und es ist schrecklich. Ich fürchte, die folgenden Wochen werden nichts Besseres bringen. Hoffentlich einfach nur irgendwie irgendwie genug Punkte und den Nichtabstieg. Die Frage nach dem WIE soll diese Mannschaft noch Punkte holen? Die bleibt.

    Dein Text hat einige bitterböse, sarkastische Stellen, die ich gern unterstreichen würde.

    Liebe Grüße
    Nicole
    PS: Ich sage hier nicht, was ich beim Clark Wechsel geschrien habe. Schäme mich. Ein bisschen. Wollte das nie. Konnte nicht anders.

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  5. Man muss jetzt einfach nur Nerven-wie Drahtseile-haben und schon klappt es,mit unserer Mannschaft.*ggg*,nein ganz im Ernst,es waren 3eminent wichtige Punkte die uns keiner mehr nimmt.
    Was das Spiel unserer Mannschaft anbelangt-schlimmer gehts nimmer,wenn ich an die 2kapitalen Böcke von M.Russ denke in den ersten 10.Min.
    Geht raus-in die Natur-tankt Sonne der Frühling beginnt-*lächelt.* und bereitet euch auf das Wolfsburgspiel vor,was unter Neutrainer Magath-alles andere wird als ein Selbstläufer und wir können und dürfen nur hoffen,dass die anderen Mannschaften,die mit da unten drin stehen-für uns mitspielen und dass ist für mich-ein Shicegefühl.
    Habt ihr hier-eine schöne Woche,und geniesst einmal den Alltag-ohne Stress,ich tue es,*lächelt.*
    LG
    (B)

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  6. Ich bin am Samstag nach dem Spiel fluchtartig aus dem Stadion.War froh dass ich alleine zur S-Bahn lief.und keinem ein Frage beatworten musste.
    Ich war (nach 52 Jahren Eintrachtfan)sprachlos von der Leistung meiner Mannschaft.Ich habe große Angst das wir absteigen,das wir von der großen Fußballbühne auf lange Zeit verschwinden.

    Euch allen eine schöne und ruhige Woche

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  7. @Kid: Ich kann noch viel böser ,-)

    @ Carsten: Hey... freu mich, dass du dich mal wieder zu Wort meldest. Ja, was e Glück!

    @Beve: Hihi.

    @Nicole: Könnte gut sein, dass wir dasselbe geschrieen haben. Was raus muss, muss raus ,-))

    @C-Willi: ich bewundere zunehmend deine fast schon weise :-) Gelassenheit - nicht nur in deinen Posts, sondern auch beim Tippspiel. Es ist der Wahnsinn. Hast recht: Was mer hat, das hat mer. Ommm.

    @Happy Adler: Wenn auch du, der du schon so lang dabei ist und immer und überall die Eintracht-Fahne hochhälst, dich nach dem Spiel so elend gefühlt hast - mein lieber Schwan...

    Wir werden nicht verschwinden. Nix da - Wir bleiben - die werden uns so schnell nicht los.

    Die Paralyse hat sich ja zum Glück jetzt schon mal gelöst, die Hysterie bleibt uns wohl noch eine Weile erhalten - ich weiß im Moment noch nicht, wie ich das alles finde, aber zumindest der Ruck, der ist da. Und das ist gut!

    Danke fürs Lesen und dafür, dass ihr mit euren Kommentaren den Text ergänzt und anreichert - lg in alle Richtngen!

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