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Von glücklichen Äpfeln

Vorgestern Nachmittag war ich mit meinem Mit-Adler in der Mainzer Innenstadt verabredet. Ich war – was selten genug vorkommt – zu früh, und da stehe ich jetzt also vor dem Bio-Supermarkt, an dem wir uns verabredet hatten. Stehe und schaue – und da bleibt mein Blick an einem Korb mit Sonderangeboten hängen. Lauter kleine bunte Fläschchen. „…von glücklichen Äpfeln“ lese ich. Oha. Was ist das denn? So etwas ähnliches wie freilaufende Tomaten? Dioxinfrei? Ohne Muffenfett? Glückliche Äpfel…

Flashback.
Als ich ein kleines Mädchen war, fuhr ich in den Sommer- und Herbstferien regelmäßig mit meinem Opa in den Odenwald. Zwei Reiseziele standen zur Auswahl: Entweder der Heimatort meines Opas – die alte Schreinerei in Reichelsheim, zu meiner Tante Dina – oder in den Heimatort meiner Oma – nach Ober-Ostern, wo wir bei entfernten Verwandten wohnten. Ich war immer hin- und gerissen, wo ich lieber hin wollte:

Meine Tante Dina hatte einen kleinen Laden, der über die Jahre vom Hinterzimmer-Lädchen zu einem richtigen kleinen Supermarkt wurde. Dort durfte ich mithelfen, und wenn es nichts zu tun gab, saß ich stundenlang in dem kleinen Lagerräumchen hinter dem Laden, in dem es nach Waschpulver, Reis und Tütensuppen roch, und las mich von oben nach unten durch einen Berg von Lore-Romanen. Zum Abendessen durfte ich mir manchmal etwas zum Essen aus dem Laden aussuchen – eine Dose Thunfisch oder eine Ecke Salami-Schmelzkäse, an der ich dann die ganze Woche aß – und Samstags verzog ich mich mit einem kleinen Transistorradio auf den Wiesenhügel hinterm Haus und hörte die Bundesliga-Konferenz.

In Ober-Ostern waren die Ferien deutlich ländlicher, wir waren dort auf einem großen Bauernhof. Das war fremd und spannend und aufregend, aber vor allem auch irgendwie beängstigend. Mein Zuhause in Rüsselsheim war einfach und hatte wenig städtisches „Flair“ – hier war ich aber auf einmal dann doch das „Stadtkind“. Der Bauer war finster und wortkarg. Das Klo war ein Plumpsklo draußen über dem Hof, in dem der nachts von der Kette gelassene Hund Wache hielt. Zum Abendessen gab es Wurstbrot und kuhwarme Milch –igitt – und ich kämpfte einen heimlichen, aber erbitterten Kampf mit der jüngsten Tochter des Bauern, die etwa so alt war wie ich und mich – wann immer sich die Gelegenheit ergab und keiner hinsah, - ganz ekelhaft kniff und knuffte. Das Bauernhaus war großzügig, aber karg und funktional, im Sommer angenehm kühl – aber im Zimmer bleiben und lesen – das gab es nicht. So lange es hell war, waren alle draußen, auch ich. Die Welt war blau und weit, stank nach Kuhmist, aber auch nach Heu und Gras und Sonne und sie war voller Apfelbäume.

Ob in Reichelsheim oder in Ober-Ostern: Meinen Opa bekam ich in all den, manchmal sehr langen Ferienwochen, selten zu sehen. Er, der in seinen jungen Jahren den Beinamen „der schöne Schorsch“ gehabt hatte, war immer geschäftig unterwegs. In Rüsselsheim ohne sein Fahrrad nicht zu denken, ging er hier zu Fuß - half hier, half dort, war eben noch hier und dann für die nächsten Tage verschwunden - und ich versuchte irgendwie allein zu Recht zu kommen, was mir meistens gelang, manchmal nicht.

Mein Opa war als Schreiner gefragt, aber er galt auch als begnadeter Obstpflücker. Keiner stieg so hoch wie er, keiner war so sorgfältig, auch noch den letzten Pfirsich, den letzten Apfel, die letzte Birne, die dicksten Kirschen ganz oben im Geäst zu pflücken und sorgsam in die bereitgestellten Steigen oder Körbe zu packen...

Flashbackende.

Wieder zurück in der Realität. Mir ist kalt. Aaah - da ist ja auch mein Mit-Adler, pünktlich wie immer. Mein Blick fällt noch einmal auf die vor mir liegenden kleinen, bunten Fläschchen. Pah, wenn es überhaupt so etwas geben kann, wie glückliche Äpfel - dann waren es die, die mein Opa damals gepflückt hat. Und wer einen Apfel, der zusammen mit Maracuja und Pfirsich zu Apfelwein verarbeitet  und dann auch noch süß gespritzt wird, als glücklich bezeichnet, dem sollte es eigentlich ergehen, wie dereinst Lothar Matthäus: Er soll in der Hölle (Abteilung: Hessische No-Gos!) schmoren.


Kommentare

  1. Für keinen Preis der Welt. Nicht einmal für den kleinsten Preis der Welt. Niemals.

    Danke für die Reise in den Odenwald, die Äpfel, Opa & die Tante & vor allem für die Erinnerung in Worten.

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

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  2. '' IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII - gittt !!!!!''

    (lg aus HB)

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  3. Ihr ahnt nicht, wie sehr ich mich darüber freue, dass ihr euch - trotz bewegter Eintracht-Tage - gerade für diesen Eintrag die Zeit genommen und die Reise in den Odenwald und in die Abgründe des Ebbelwois mitgemacht habt.

    Danke schön fürs Lesen und Kommentieren!

    lg in alle Richtungen

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  4. Und wieder habe ich etwas mehr über deine Familie erfahren und jedes Mal freue ich mich darüber. Dort, im Lagerräumchen des Ladens deiner Tante Dina, hätte ich als Kind wohl auch gerne gesessen und gelesen.

    Georg, der Bauer, heißt mein Bruder. Auch ein "schöner Schorsch" übrigens. :-)

    Lieber Gruß vom Kid

    PS: Ich werde nachher mal mein Duschgel fragen, ob es glücklich ist. Von wegen Apfelaroma und so. ;-)

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  5. Früher gab es im Schwäbischen den Most aus Apfel und Birnen, ein eher ruppiges Getränk, von dem man einen ganz entsetzlichen Kater bekommt. Für hessische Kenner sicherlich auch schon der Horror, aber Maracuja??? Ekelhaft (aber Bio).

    Es gibt Zeiten und Orte, da würde man gerne die Augen zumachen und noch einmal einfach dort sein: "Ten thousand Dollars at the drop of a hat/I'd give it all gladly if our lives could be like that." C.

    PS: Bleibt die Hoffnung auf eine European Summer Tour

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  6. Schöne kleine Vergangenheits-Zeitreise.
    Mein Opa hatte den Beinahmen der schöne Schorsch-*lächelt*und ich finde es schön,wie lieb du über ihn schreibst.
    Dein Opa-war der*Beste*-keiner war so gründlich und akribisch-voll bei der Sache,ob ernten oder Hilfsbereitschaft-nur schade,dass du dann so wenig von ihm hattest.
    Schönes Wochenende!
    LG
    (B).

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  7. Ich habe deinen Text schon vor Tagen gelesen, lieber Kerstin. Schöne Zeitreise. Ich habe mich dann ein bisschen in Gedanken an meinen Opa Heini verloren, das hatte aber nichts mit Äpfeln zu tun. Ganz anderer Opa irgendwie, aber auch sehr wichtig für mich und prägend.

    Darüber ist mir dann kein Kommentar eingefallen.

    Aber du hast Recht, mit glücklichen Äpfeln hat das Gesöff da nix zu tun. Sakrileg würde ich sagen.

    Liebe Grüße
    Nicole

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  8. Vollkommen versunken im Lagerräumchen hinter dem Laden sitzen, lesen, dabei in einen Apfel beißen - ganz sicher eine der "if i could only be in that room again"-Erinnerungen. Damals hab ich nicht verstanden, warum mein Opa mich im Sommer so oft allein gelassen hat. Heut denke ich: Im Odenwald konnte er wieder der sein, der er in Rüsselsheim und im Alltag nicht mehr sein konnte. Er wusste ja, dass ich gut untergebracht war, und dass ich mich manchmal gefürchtet hab.. nun ja. Und dafür war er dann ja in Rüsselsheim für mich und die Eintracht und die Opler da :-)

    Von Opa zu Opa in Gedanken verloren. Schön. Und bei aller Unterschiedlichkeit - Apfelwein mit Maracuja hätten beide mit Sicherheit nicht getrunken.

    Was das Duschgel geantwortet hat, weiß ich nicht, aber eine European Summer Tour wird es geben. Ganz bestimmt. Und einen Sieg heute nachmittag in Freiburg. Von mir aus auch gerne einen glücklichen :-)

    Ganz lieben Dank fürs Lesen und Kommentieren, sonnige Grüße in alle Richtungen!

    lgk

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  9. Ein wirklich schöner Text:) Viele Grüße, Shlomo

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