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Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.

Nur mal angenommen: Über viele Jahre hast du dir etwas gewünscht. Brennend gewünscht, du hast auch immer etwas bekommen. Nicht immer nur Schönes, aber langweilig war es nie. Es gab Aufregendes, Nerven zerfetzendes, Erhebendes, Großartiges, Aufwühlendes, Abgründiges. Es gab mehr oder weniger bewegtes Auf und Ab. Es gab überschwängliche Glücksmomente und stilles Leiden - aber dieses eine, ganz große Geschenk, das ist immer ausgeblieben. Manchmal hast du das Wünschen fast schon vergessen. Ganz klein, im Hinterkopf rührt es sich noch ab und zu. Du machst manchmal Witze darüber. Doch, doch. Irgendwie hoffst und glaubst du schon noch daran. Irgendwann. Aber es ist sehr weit weg. Muss man ja vielleicht gar nicht haben. Und dann, dann stehst du auf einmal da, die Tür geht auf - und da ist es. Du willst es nicht glauben. Sollte das tatsächlich...? Du gehst auf es zu, hebst es hoch, es fühlt sich echt an. Du nimmst es in die Hand. Und erst jetzt, wo du es fühlen, riechen, anfassen, wo du es sehen, tatsächlich sehen, kannst, erst jetzt merkst du wie sehr und wie lange du es vermisst hast.

Es muss gestern ungefähr in der 40. Minute gewesen sein, als ich ungefähr das und ungefähr so gefühlt habe. Fast hätte er mir die Beine weggezogen, dieser Moment der Erkenntnis: Das, was da im Moment abgeht, das ist real. Das ist wirklich. Und wenn ich dem traue, was ich da sehe, dann ist das erst der Anfang.

Zwei, drei, viele Momente des gestrigen Tages kommen mir auch heute noch so vor als seien sie in der Zeit stehen geblieben. Der kleine Paul z.B. der den Arm in die Luft reckt und – noch ein klein wenig schüchtern - die Namen bei der Mannschaftsaufstellung mit ruft. Sebi Jung, der Dzeko zum wiederholten Mal abläuft. Also: Abläuft! Patrick Ochs, der sich, direkt vor uns, mit einem Übersteiger von seinem Gegenspieler löst, flankt. Benny Köhler, der sich zerreißt, die Bälle vor der Abwehr abgrätscht, sich in jeden Ball wirft. Caio, der verträumt in den Himmel über Frankfurt blickt. Marco Russ – unermüdlich, aufopferungsvoll - , der im Strafraum knapp an einem Freistoß von Tzavellas vorbeifliegt, mit sich hadert. Grüne, rotundschwarze Beine und Arme in unserem Strafraum, der Ball, der immer wieder zurückkommt. Oka, der ein, zwei, drei Mal hintereinander herausstürzt, eine Hand, einen Fuß dazwischen bekommt, klärt. Maik Franz, der danach zurückgeeilt kommt, Oka umarmt, sich bedankt. Die ungläubigen, staunenden Gesichter um mich her. Der DK-Nachbar rechts, fassungslos, heiser. Der kräftige Herr vorne links, der sich immer und immer wieder umdreht, nach Worten ringt, als müsse er sich versichern, dass alle anderen das gleich sehen wie er. Der blasse Junge in der ersten Reihe, der schreitschreitschreit, die Faust ballt, genau in dem Moment, in dem sich unsere Blicke treffen. Wir lachen uns an. Die gelben Schuhe von Martin Fenin. Fräulein Adler, der ich in der Halbzeit kurz begegne: Staunend. Lachend. Fast wie unter Schock.  Hüpfen. Kopfschütteln. Grinsen. Blicke. Zurufe durch die Reihen. Abklatschen. Zwei schmale grüne Farbkleckse, die ich beim Aufspringen, Schreien, Singen hinter mir aus dem Augenwinkel wahrnehme. Die beiden Tore, die auf unserer Seite fielen:

25. Minute. Die Flanke segelt in den Strafraum. Dort, an der Strafraumgrenze steht Gekas. „Scheiße,“ rast es mir durch den Kopf. „Er wird nicht schießen. Das ist nicht seine Entfernung.“ Aber doch, der Hund, der macht das einfach. Der zieht tatsächlich ab, flach, ins linke untere Eck, nicht mal besonders scharf, aber unglaublich platziert. Tor. Tor. Tor. Schon wieder. Gekas. Der trifft wie er will, was er will. Es ist der Wahnsinn.

Zehn Minuten später. Das Tor von Schwegler. Gekas dieses Mal nicht als Torschütze, sondern als Balleroberer. Halblinks. Er passt den Ball zum neben ihm stehenden Ochs. Der sieht Schwegler, hoher Ball nach rechts. Ein Wolfsburger dazwischen. Der Ball landet doch bei Schwegler.  Und dann – tatsächlich wie in Zeitlupe – „Wenn er den richtig trifft, dann ist er drin.“ Hat das jemand hinter mir gesagt oder habe ich es gedacht? Jedenfalls: Schwegler setzt an, trifft den Ball voll mit dem Innenrist. Die Flugkurve. Der Ball ist in der Luft in der Luft in der Luft. Benaglio fliegt. Vergeblich. Nichts zu machen. Drin. Wow. Was für ein Tor.

Die zweite Halbzeit. Die Druckphase der Wolfsburger nach dem Anschlusstreffer. Tzavellas, der am Strafraum gegen drei oder vier Wolfsburger um den Ball kämpft. Er stochert, hakelt, hat den Ball, verliert ihn wieder, strauchelt, fällt, ist sofort wieder auf den Beinen, hakt nach, drückt, schiebt, holt sich den Ball zurück, ein Wolfsburger Bein dazwischen – war das Kjaer ? - er spitzelt Tzavellas den Ball vom Fuß, bekommt den Ball unter Kontrolle, zieht nach außen, Tzavellas strauchelnd, fast schon wieder in der Fallbewegung, setzt nach, schließt kurz vor der Außenlinie wieder zu ihm auf, grätscht in den Ball, schießt Kjaer an, der Ball springt ins Aus. Einwurf für die Eintracht. Alle stehen. Kreischen. Klatschen. Schorschi. Schorschi. Er hebt kurz die Hand. Grinst.

Nach dem Abpfiff. So ein Tag, so wunderschön wie heute. Keiner will das Stadion verlassen. Auch die Mannschaft nicht, die sich, bevor sie in die Kurve geht, lange am Mittelkreis aufhält. Umarmungen. Kurze Wortwechsel. Schulterklopfen. Männer nach getaner Arbeit. Ungläubig. Benny Köhler in Großaufnahme auf dem Videowürfel, sein Kind auf dem Arm. Der junge Mann an der Bande neben uns, der eine griechische Flagge schwenkt. „Nikolov, Nikolov“, schallt es von der West. Und: „Deutscher Meister wird nur die SGE“. Schauer über dem Rücken. Grinsen. Hihi. Wasnquatsch. Halblang. Und doch. Zum zweiten Mal an diesem Tag wackeln mir die Beine. Ich mache es wie Gekas – ich überlege nicht lange. Ich singe mit, stehe tatsächlich hier im Waldstadion und singe dieses Lied. Unfasslich. Surreal. Isschonklar. Logisch. Wir alle wissen, dass wir auch dieses Jahr nicht Meister werden, wir singen mit einem Augenzwinkern. Aber wir singen. Und es tut gut, so gut die Möglichkeit zumindest zu denken.

Am Bratwurststand. Es ist erst ein paar Tage her, da haben wir nach dem Pokalspiel gegen den HSV zusammen „Schwarz und weiß wie Schnee“ in den Nachthimmel gesungen. Heute singen alle und überall und jeder. Keiner wird es wagen, keiner wird es wagen. Und schon wieder ungeschlagen. „Euuuuuuuuuuuuuuuu....“ klingt es aus einem Kreis, den ein Adlertrupp gebildet hat. Es schwillt an „Euuuuuuuuuuuuuuuu...“ und dann Arme in den Himmel, lautes singen, hüpfen. „Eurobbabobogaaal. Eurobabogaaal.“ Heute dürfen. Heute dürfen wir alles.

Auf der Heimfahrt kurz vor Mainz passiert es dann. Links am Himmel. Einfach so. Ein Feuerwerk erleuchtet den Nachthimmel. Sternenriesel in Rot und Gold. Funken stieben. Glitzern. Rauch. Dann noch ein einzelner hochsteigender roter Stern. Zum wiederholten Mal an diesem Tag staunen wir. Nur für uns. Und für die Eintracht. „An dem Tag, an dem die Eintracht Meister wird, werde ich verrückt vor Glück,“ denke ich.

Es wäre einen Versuch wert.

Kommentare

  1. Wunderbar, Kerstin, einfach wunderbar. Nur: Wozu habe ich jetzt noch was zum Spiel schreiben sollen? Steht doch alles hier. :-) Gruß vom Kid

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  2. Wieder toll auch meine Emotionen und Befindlichkeiten auf den Punkt gebracht.

    Es gab mehrere Situationen in denen das ganze Stadion (inkl. dem gesamten Businessbereich aufstand und Ovationen erbrachte.

    Gänsehautgefühl, die vielen von Dir so schön eingefangenen Einzelszenen, ein spielgerichteter (schönes Wortspiel, gell?) Support und wenn ich nicht 2 Ohren hätte würde ich im Kreis grinsen.

    Ich schrieb es gerade beim Kid. Da ist wirklich etwas im Entstehen. Diese Mannschaft wird Spiele verlieren, Punkte liegenlassen aber sie wird nicht einbrechen. Ich glaube (nein, das ist eindeutig nicht nur ein Hoffen) wir haben eine wunderbare Saison vor uns.

    Wo die enden wird, weiß niemand, da werden Frau Fortuna, die Herren Schiedsrichter (Bibi darf ja nur am Rand), Verletzungen e.t.c. ein gewichtiges Wort mitreden aber die Grundqualität ist einfach da.

    Dank Dir für die schönen Impressionen und Erinnerungen.

    Gruß

    Uli

    P.S. Trägst Du schon die Original Matchworn Hose von Herrn Riether?

    Duckundwech ;-)

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  3. Klasse Nachbetrachtung von dem Hammerspiel-Hammerstimmung und Hammersieg,Kerstin.
    Ja,die spielerische Klasse der 90ziger Jahre-Fussball 2000 blitzt wieder auf.
    Die ersten 2.Tore fielen bei uns,eines schöner-als das andere.
    Das Gegentor,war ein Schönheitsfleck-aber ich habe mich in der 2.Halbzeit-mal auf Oka konzentriert -und ja,was unser Oldie da teilweise abgewehrt hat-ruhig und kaltschnäuzig,einfach nur phantastisch.
    Auch Jung und Franz oder Tsavellas,aber es war für mich eine geschlossene-starke-Eintrachtmannschaft,die sich auf dem Rasen präsentierte und die Stimmung im Stadion,einfach nur sensationell und nicht so statisch und mit eintönigen Wechselgesängen.
    Getrübt wurde der perfekte Tag-durch den unnötigen Tod,eines Fans und ich hoffe,dass alle Beteiligten,diesen schmerzlichen Einschnitt-irgendwann überwunden haben.
    Danke-für die Nachlese.
    Gruss
    (B).

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  4. Oh Kerstin, ich hab's gestern Abend noch gelesen, diesen schönen Eintrag. Aber immer noch muss ich bis Montag im Büro auf ruhige Minuten warten, um hier mal ein Zeichen zu hinterlassen ;-).

    Danke für deine Momentaufnahmen. Es war (schon wieder!!) ein wunderbarer Fußballtag. Zu überzeugend spielen die Jungs, als dass da ein Zweifel aufkommt, wer das Spiel gewinnt.

    Ja, es hat sich was entwickelt, man spürt es deutlich. Irgendwann ist ein Ruck durch die Mannschaft gegangen (wohl vor dem Nürnberg Spiel) und seither ist der Knoten geplatzt und sie zeigen, was sie drauf haben, wenn sie es wollen. Geschlossene Mannschaftsleistung, teilweise traumhafte Kombinationen, ein Gekas, der Tore am Fließband schießt und überhaupt, alle geben alles... Wow, sage ich nur.

    Man bekommt das Grinsen echt nicht mehr aus dem Gesicht.

    Frage mich auch gerade, was aus der Matchworn-AWAY (bitte @CE, wichtiges Detail: away!)-Hose geworden ist. Gib's zu, du hast sie ersteigert *gggg*

    Liebe Grüße
    Nicole

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  5. Wieder ein toller Bericht,du schreibst sowas von lieb,macht immer wieder Spaß.

    3 Dinger sind mir an diesem Spieltag in Erinnerung.
    1.Nach dem ich vor dem Spiel gegen den Club sowie vor dem Pokalspiel den Eintrachtbus bei seiner Ankunft fotografiert habe,war ich auch am Samstag wieder da um das zu wiederholen.
    Fazit dreimal fotografiert-dreimal gewonnen.

    2.
    Schwegler bekommt den Ball,Harry der neben mir sitzt ruft spiel zum Caio.Schwegler schießt,Toooor,2:0 für die Eintracht.
    Ich zum Harry,nur gut dass du hier nichts zusagen hast.

    3. Als Oka zweimal hinter einander geklärt hat und dann der Maik zu ihm lief und umarmte dass fand ich super,Teamgeist,einer für alle.

    Ea macht wieder Spaß.Mit dieser Einstellung,mit dieser Bereitschafz zu laufen und zu kämpfen holen wir auch was in Bremen

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  6. Und wenn der Wahnsinn irgendwo Methode hat, dann wohl bei uns. Immer noch den Kopf in den Wolken & er will garnicht mehr raus.

    Wunderbar, wunderbar, wunderbar! Danke!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

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  7. Hehe. Genau. Nur noch neun. Und muhaha: Wie gut, dass Harry nix zu sagen hat. Und die spielgerichtete Stimmung(jaaaaaaa, sehr schönes Wortspiel lieber C—E) im Stadion fühlt sich so echt und tief an wie schon seit Jahren nicht mehr. Diese neue Souveränität, dieser Spaß am Spiel, dieses vollkommen unpathetische, straighte Miteinander der Mannschaft. Man traut sich kaum zu glauben, was man sieht. Aber wenn du, lieber Happy Adler, weiterhin bei Heimspieln den Bus fotografierst – was soll da noch schiefgehen?

    Danke an Barbara für die Erinnerung an den traurigen und überflüssigen Tod eines jungen Adlers. Danke für eure bunten Kommentare und das nette Feedback!

    In den Wolken „Wow“ sagend und im Kreis grinsend: K

    PS: Selbstverständlich habe ich die Match-worn-away-Hose ersteigert. Also nicht ersteigert, mein ich natürlich. Ich hätte ja nicht nur keine, sondern buchstäblich überhaupt keine Verwendung dafür. Weil – sagt doch mal ehrlich: Wenn ich z.B. nach der Niederlage der Wolfsburger die grüne Hose von Herrn Riether geschwenkt hätte, also…mmh… schon etwas befremdlich…*g

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