Wenn ich an Vietnam denke, fällt mir – wie vermutlich jedem – zuerst der Vietnamkrieg ein, die schrecklichen Kriegsbilder, die „Revolution“ von 1968, Urkeim aller späteren Politisierung. Und wie so oft mischen sich die Bilder der fürchterlichen Ereignisse auch mit allerlei Lächerlichem und Kuriosem. An der Mainzer Uni erzählte man sich noch Ende der 1980er/Anfang der 90er Jahre wie das damals war, in den 1970ern, als die Revolution endlich auch in Mainz angekommen war. Ein kleiner Trupp von Studenten „stürmte“ , so hieß es, das Rathaus und hisste eine rote Fahne. Im Sitzungssaal angekommen, hatte der Führer der revolutionären Front nichts eiligeres zu tun, als direkt von dort aus in Ha Noi anzurufen und Meldung zu erstatten: „Das Mainzer Rathaus ist besetzt.“
Der Stoff für die roten Fahnen, die zum Zweck der Revolution geschwenkt wurden, wurde übrigens damals - wie auch noch viele Jahre später - gekauft bei „Jacques Herrmann“ – einem alteingesessenen Mainzer Geschäft für Fassenachtsbedarf. „Jacques Herrmann – größtes Spezialgeschäft von Deutschland“ stand auf den Papiertüten, in die die Kostbarkeiten, die man dort erwerben konnte, verpackt wurden. Allein das war den Einkauf Wert, zumal ein Besuch bei Jacques Herrmann auch sonst so etwas war wie Eintauchen in die Welt von Mary Poppins: Ältere, grauhaarige Damen in Kittelschürzen standen hinter einem hölzernen Tresen, vor einer rückwärtigen Wand, die von oben bis unten aus Schubladen und gestapelten Kisten bestand, die die wunderlichsten Inhalte enthielten: Schnauzbärte, Haarteile, Pappnasen, Medaillen, Hütchen, Glitzerringe, Ohrringe, Taft, Klatschen, Tröten in allen Farben und Größen, Tüll und Taft, Täschchen, Mini-Fähnchen aller Nationen, Pokale, Glitzersteine – alles fein aufgereiht , einsortiert oder gestapelt in Laden und Kistchen. Wenn man in Mainz irgendetwas Abwegiges – sagen wir: einen viereckigen, karierten Luftballon - kaufen wollte - und nirgends etwas Passendes fand, gab es bis vor zwei Jahren nur einen Rat: „Versuche ses beim Jacques Herrmann.“ Und meistens hatte man dort tatsächlich Glück.
Aber ich schweife ab: Seit dem zurückliegenden Wochenende hat Vietnam nämlich für mich eine neue Facette. Das verdanke ich der Reise der Eintracht in dieses Land und der wunderbaren Berichterstattung darüber im Hessischen Rundfunk. Am Samstag saß ich – der Gewohnheit gehorchend und noch nicht auf Sommerpause eingestellt – nachmittags vor dem Radio, biss ab und zu in ein belegtes Brötchen, blätterte in der Zeitung und hörte mit halbem Ohr auf die Berichterstattung in HR 1. DFB-Pokalfinale, Frauen, Männer – who cares? – und dann – hoppla – es geht um die Eintracht: Dieter Sdun, ein Journalist, der die Reise der Mannschaft nach Vietnam begleitet hatte, war Studiogast und berichtete jetzt – noch vollkommen erfüllt von dem Erlebten – über die Reise. Da ich am Samstag das HR Heimspiel verpasste, konnte ich mir die bewegten Bilder seiner Erzählung erst heute anschauen. Und da waren sie, die Mopeds und Motorräder, die auf den übervollen Straßen Ha Nois scheinbar kreuz und quer durcheinander fahren. Bepackt mit Kind und Kegel, Kisten und Taschen. Traumwandlerisch sicher. Mittendrin ein Motorradfahrer mit einem Riesenstapel Kartons, obenauf ein Käfig, seitlich baumeln Brote und Pfannen. Ebenfalls mittendrin: die Eintracht-Spieler, die staunend durch die Straßen Ha Nois tappern. Stefano Cincotta, der Souvenirs kauft. Live-Bilder des vietnamesischen Fernsehens aus dem Stadion. Trainer Skibble bzw. (O-Ton Sprecher): "Skibbe, wie er richtig heißt." Der Trupp mitgereister Eintrachtler, von denen einer bekundet: Das heute, das sei einer der schönsten Tage seines Lebens gewesen. Ein absolut irres Gefühl – neuntausend Kilometer gereist und dann, im Stadion von Ha-Noi tatsächlich – tatsächlich – die Spieler der Eintracht auf den Platz kommen zu sehen.
Weiter nach Saigon bzw. Ho Chi Minh-City. Lichterketten, Leuchtreklame. Die Eintracht-Spieler beim Besuch einer Blindenschule, Patti Ochs, der einem kleinen Jungen auf den Sitz der Schulbank hilft, Oka, Halil, Sebastian Jung, die dem Fußballteam der Schule einen Satz Eintracht-Trikots überreichen (O-Ton des Sprechers: "Damit sie nicht mehr in den häßlichen Leibchen des AC Mailand spielen müssen." *g). Das Schulorchester, das – zum Teil in den gerade überreichten Eintracht-Trikots – der Mannschaft ein Ständchen bringt. Die blinden, fußballspielenden Kinder, die mit erstaunlicher Ballsicherheit trainieren, dem Geräusch des Balles, den Zurufen ihres Trainers folgen. Über allem eine graue, heiße, sichtbar über der Stadt hängende Schwüle.
Aus dem Bericht des HR-Fernsehens weiß ich jetzt auch, dass es dort, im Fernen Osten, wahr- und wahrhaftig einen „Leiter des Hessenbüros Vietnam“ gibt. Dr. Bui Cang Tho heißt der Mann. Er spricht nicht hessisch – das dann doch nicht - aber sehr passabel deutsch und findet den Eintracht-Besuch sehr gelungen: "Man hat sehr zufrieden, nicht nur die Leute, auch die Mannschaft." Und ich habe wieder einmal erfahren, dass es wirklich nichts gibt, was es nicht gibt. Denn: In Vietnam ist der Fußball-Fan ein Fußball-Fan, aber – in seiner Funktion als Bier-Trinker – gleichzeitig auch eine Ressource, ein Rohstoff-Lieferant. Da die von ihm - bekanntermaßen in nicht unerheblichem Maße - konsumierten Dosen direkt wieder weiter verwertet werden, wird das Bier im Stadion direkt beim Verkauf umgefüllt. Und zwar in Cellophantüten. Die Zufuhr zum Mund erfolgt per Strohhalm. Und wie schmeckt das? „Is okeee“ meint einer der mitgereisten Eintrachtler „Bisje warm. Abber is gut."
Gleich mal ausprobieren. Prost! (Arrrgrmpff)
Der Stoff für die roten Fahnen, die zum Zweck der Revolution geschwenkt wurden, wurde übrigens damals - wie auch noch viele Jahre später - gekauft bei „Jacques Herrmann“ – einem alteingesessenen Mainzer Geschäft für Fassenachtsbedarf. „Jacques Herrmann – größtes Spezialgeschäft von Deutschland“ stand auf den Papiertüten, in die die Kostbarkeiten, die man dort erwerben konnte, verpackt wurden. Allein das war den Einkauf Wert, zumal ein Besuch bei Jacques Herrmann auch sonst so etwas war wie Eintauchen in die Welt von Mary Poppins: Ältere, grauhaarige Damen in Kittelschürzen standen hinter einem hölzernen Tresen, vor einer rückwärtigen Wand, die von oben bis unten aus Schubladen und gestapelten Kisten bestand, die die wunderlichsten Inhalte enthielten: Schnauzbärte, Haarteile, Pappnasen, Medaillen, Hütchen, Glitzerringe, Ohrringe, Taft, Klatschen, Tröten in allen Farben und Größen, Tüll und Taft, Täschchen, Mini-Fähnchen aller Nationen, Pokale, Glitzersteine – alles fein aufgereiht , einsortiert oder gestapelt in Laden und Kistchen. Wenn man in Mainz irgendetwas Abwegiges – sagen wir: einen viereckigen, karierten Luftballon - kaufen wollte - und nirgends etwas Passendes fand, gab es bis vor zwei Jahren nur einen Rat: „Versuche ses beim Jacques Herrmann.“ Und meistens hatte man dort tatsächlich Glück.
Aber ich schweife ab: Seit dem zurückliegenden Wochenende hat Vietnam nämlich für mich eine neue Facette. Das verdanke ich der Reise der Eintracht in dieses Land und der wunderbaren Berichterstattung darüber im Hessischen Rundfunk. Am Samstag saß ich – der Gewohnheit gehorchend und noch nicht auf Sommerpause eingestellt – nachmittags vor dem Radio, biss ab und zu in ein belegtes Brötchen, blätterte in der Zeitung und hörte mit halbem Ohr auf die Berichterstattung in HR 1. DFB-Pokalfinale, Frauen, Männer – who cares? – und dann – hoppla – es geht um die Eintracht: Dieter Sdun, ein Journalist, der die Reise der Mannschaft nach Vietnam begleitet hatte, war Studiogast und berichtete jetzt – noch vollkommen erfüllt von dem Erlebten – über die Reise. Da ich am Samstag das HR Heimspiel verpasste, konnte ich mir die bewegten Bilder seiner Erzählung erst heute anschauen. Und da waren sie, die Mopeds und Motorräder, die auf den übervollen Straßen Ha Nois scheinbar kreuz und quer durcheinander fahren. Bepackt mit Kind und Kegel, Kisten und Taschen. Traumwandlerisch sicher. Mittendrin ein Motorradfahrer mit einem Riesenstapel Kartons, obenauf ein Käfig, seitlich baumeln Brote und Pfannen. Ebenfalls mittendrin: die Eintracht-Spieler, die staunend durch die Straßen Ha Nois tappern. Stefano Cincotta, der Souvenirs kauft. Live-Bilder des vietnamesischen Fernsehens aus dem Stadion. Trainer Skibble bzw. (O-Ton Sprecher): "Skibbe, wie er richtig heißt." Der Trupp mitgereister Eintrachtler, von denen einer bekundet: Das heute, das sei einer der schönsten Tage seines Lebens gewesen. Ein absolut irres Gefühl – neuntausend Kilometer gereist und dann, im Stadion von Ha-Noi tatsächlich – tatsächlich – die Spieler der Eintracht auf den Platz kommen zu sehen.
Weiter nach Saigon bzw. Ho Chi Minh-City. Lichterketten, Leuchtreklame. Die Eintracht-Spieler beim Besuch einer Blindenschule, Patti Ochs, der einem kleinen Jungen auf den Sitz der Schulbank hilft, Oka, Halil, Sebastian Jung, die dem Fußballteam der Schule einen Satz Eintracht-Trikots überreichen (O-Ton des Sprechers: "Damit sie nicht mehr in den häßlichen Leibchen des AC Mailand spielen müssen." *g). Das Schulorchester, das – zum Teil in den gerade überreichten Eintracht-Trikots – der Mannschaft ein Ständchen bringt. Die blinden, fußballspielenden Kinder, die mit erstaunlicher Ballsicherheit trainieren, dem Geräusch des Balles, den Zurufen ihres Trainers folgen. Über allem eine graue, heiße, sichtbar über der Stadt hängende Schwüle.
Aus dem Bericht des HR-Fernsehens weiß ich jetzt auch, dass es dort, im Fernen Osten, wahr- und wahrhaftig einen „Leiter des Hessenbüros Vietnam“ gibt. Dr. Bui Cang Tho heißt der Mann. Er spricht nicht hessisch – das dann doch nicht - aber sehr passabel deutsch und findet den Eintracht-Besuch sehr gelungen: "Man hat sehr zufrieden, nicht nur die Leute, auch die Mannschaft." Und ich habe wieder einmal erfahren, dass es wirklich nichts gibt, was es nicht gibt. Denn: In Vietnam ist der Fußball-Fan ein Fußball-Fan, aber – in seiner Funktion als Bier-Trinker – gleichzeitig auch eine Ressource, ein Rohstoff-Lieferant. Da die von ihm - bekanntermaßen in nicht unerheblichem Maße - konsumierten Dosen direkt wieder weiter verwertet werden, wird das Bier im Stadion direkt beim Verkauf umgefüllt. Und zwar in Cellophantüten. Die Zufuhr zum Mund erfolgt per Strohhalm. Und wie schmeckt das? „Is okeee“ meint einer der mitgereisten Eintrachtler „Bisje warm. Abber is gut."
Gleich mal ausprobieren. Prost! (Arrrgrmpff)
Ich habe den Bericht auch gesehen und fand ihn sehr interessant. Zum Bier fällt mir ein: Das kommt mir nicht in die Tüte :-) (Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob das - ebenso wie der Hessen-Beauftragte - tatsächlich ernst gemeint war?)
AntwortenLöschenDanke für die witzige Rückblende aus aktuellem Anlass. Vielleicht kann man bei Jacques Herrmann ja auch die "Wucht in Tüten" kaufen?
Gruß, Carsten
**ggg "Bier komm mir nicht in die Tüte" - Recht hast du! Mir auch nicht mehr. Das sieht ja auch reichlich unappetitlich aus...
AntwortenLöschenEhrlich gesagt sind mir im Nachhinein auch Zweifel gekommen, ob das Tütenbier und der Hessenbeauftragte einfach als Gag eingesprenkelt waren - aber zumindest das Hessenbüro (google sei Dank) gibt es tatsächlich. Von wegen Kultur- und Wissenschaftsaustausch und Bau einer gemeinsamen Deutschen Uni in Vietnam. Und bei Licht besehen: was ist - in einem übergreifenden Sinn - schon wahr und was ist nicht wahr? "I don't know if i am really real.."
Die Wucht in Tüten war im Prinzip ALLES, was es bei J. Herrmann gab. War. Seit 2 Jahren gibt es den Laden nicht mehr. Pleite. Aber die Zeiten sind wohl auch nicht mehr nach Mary Poppins.
Danke fürs Vorbeischauen und Anhalten :-)
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenSo viel Ironie traue ich dem HR nicht zu. Die stellen höchstens sämtliche Folgen des Blauen Bock als landeskundliches Material für das Hessenbüro zur Verfügung. Und da ist es dann schnurz, wie man an ein Bier kommt.
AntwortenLöschenDieser Bericht ist doch unerwartet schön, das hätte ich dem HR gar nicht zugetraut.
AntwortenLöschenBisschen neidisch kann man sein, den Trip hätte ich mir auch gern gegönnt. Just for fun - da nimmt man auch Bier in der Tüte mit :-)
Ich weiß nicht, ob das wirklich ein Gag war. Müsste man mal jenen Axel fragen...
Auf jeden Fall war das doch ein guter Trip, unsere Eintracht (Fans und Mannschaft) haben Hessen in Vietnam gut verkauft. Das war dann der gelungene Saisonabschluss, der sonst gefehlt hätte.
Liebe Grüße
Nicole
@Celtix: Das stümmt nadierlisch - der hessische Rundfunk ist - bis auf die bekannten Cappelluti/Nachtsheim-und-Co-Enklaven - weitgehend ironiefrei. Die Vorstellung, dass man im Hessenbüro in Vietnam als kulturelle Einstimmung eine Folge vom Blauen Bock zeigen könnte, gefällt mir. Das erheitert mich ,-))
AntwortenLöschen@ Nicole: Die Vietnam-Reise wurde im Vorfeld ja fast ein bisschen lächerlich dargestellt und gemacht (aber das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass es im Moment dazu gehört, permanent zu dokumentieren wie laaaaaaangweilig die Sommerpause ist, dass alles, was jetzt gedacht und gemacht wird uns überhaupt überhaupt überhaupt nicht interessiert und wie lustig, lustig, lustig wir trotzdem sind *g) - ich fand sie auch eher kurios. Jetzt im Nachhinein geht's mir wie dir: ich finde, dass sie dem etwas schalen Ende der Saison fast so etwas wie Zauber verliehen hat.
Du wärst gerne mit gefahren? Widzisch. Als wir den HR-Bericht angekuckt haben, meinte mein Mit-Adler beim Anblick der Fan-Gruppe - jetzt müssten nur noch Nicole und Rosa um die Ecke kommen... :-)
Und wg. Bier in Tüten: Ja, das hab ich gestern abend dann auch im Auswärts-Dabei-Forum-Fred gelesen, dass es sich bei dem Tütenbier trinkenden Eintrachtler um einen offensichtlich forumsbekannten Alex handelt. Bin sehr gespannt, was da noch an Berichten (z.B. ja auch in der FGV) kommt.
Grüße in alle Richtungen :-)