Meine Familie ist eine durch und durch hessische Familie. Im Kopf, im Herzen, in der Sprache und im Fußball sowieso. Durch die Nähe der Stadt, in der ich aufgewachsen bin – in Rüsselsheim - haben wir seit je her aber auch eine Beziehung zur Nachbarstadt Mainz. Das fängt damit an, dass mein Vater, der (um keine falschenVerdächtigungen aufkommen zu lassen) Zeit seines Lebens ein Eintrachtler war, merkwürdigerweise in Mainz zur Welt gekommen ist.
Als kleines Mädchen hörte ich zu, wie mein Opa und mein Vater von früher, von Pfaff und Loy und Feigenspan erzählten und sonntags ging ich mit meinem Opa ins Stadion, zu den Oplern. Manchmal machten meine Großeltern und ich einen Ausflug nach Mainz – zum Einkaufen, ein oder zwei Mal im Jahr, aus besonderen Anlässen. Wir fuhren mit dem Zug bis zum Südbahnhof und liefen durch die Altstadt in die Innenstadt. Dort gab es den Dom und es gab Quelle und Neckermann und Hertie. Es gab so wunderbare Geschäfte wie „Jacques Herrmann - größtes Spezialgeschäft von Deutschland“ und den „Samen Kämpf“ – das hatten wir in Rüsselsheim nicht. In den Einkaufspausen saßen wir auf Bänken und aßen unsere mitgebrachten Brote, manchmal, ganz selten, gingen wir in Brauns Fischrestaurant. Zum Fisch (den ich nicht mochte) bekam ich eine Apfelsaftschorle, mein Opa und sogar meine Oma tranken ein kleines Glas Bier. Das war schön.
Später studierte ich in Mainz. Ich wohnte in Rüsselsheim. Oder in Mainz – in wechselnden Formationen und WGs. Samstags fuhr ich ins Waldstadion oder suchte mir zwischen Menschen, Krempel und Umzugskisten (irgendwie zog ständig einer aus oder ein) eine Ecke, in der ich die Radiokonferenz hören oder die Sportschau kucken konnte. In Mainz gab es die Fassnacht, die konnte man ignorieren oder – je nach Laune - mitfeiern. Und es gab keinen Fußball. Oder doch, es gab ihn, aber er spielte in der Stadt keine Rolle. Das war die Zeit, in der sich abends am Zeitungskiosk vor dem Staatstheater ein Grüppchen Rentner traf, um über die 05er zu schimpfen. Standardsatz: „Ich geh nemmer nuff.“ (Der Bruchweg liegt auf einem Hügel hinter der Stadt). Unsere Stammkneipe – oder besser: unser eigentliches Zuhause – war damals die Kinopinte, deren Inhaber zwar kein Rentner, aber erstaunlicherweise ein 05er war, ein echter 05er. Ob er es nicht mal lieber mit richtigem Fußball versuchen wollte, im Waldstadion? Er winkte ab. „Hör mer uff mit der Eintracht, das brauch ich net…“ Also tatsächlich: Ein Mainzer Fußballfan. Das fanden wir ein wenig kurios, aber es nötigte uns auch Respekt ab. Ok, der Mann hat Überzeugungen. Als seine erste Tochter zur Welt kam, meldete er sie gleich am nächsten Morgen beim Verein an.
Zurück in die Zukunft. Seit einigen Jahren lebe ich in der Nähe von Mainz und habe also hautnah und staunend den Wandel eines putzigen, ein wenig anarchischen, vor sich hin grummelnden Ortes zur Fußballhauptstadt verfolgt. Das Zeitungskiosk vorm Staatstheater gibt es nicht mehr, da stehen auch keine Rentner, stattdessen flanieren Zahnarztgattinen und Erststemester (die affigerweise „Erstis“ genannt werden) mit rotweißen oder „vierfarbbunten“ Karnevalsschals über den Mainzer Wochenmarkt. Statt „Ich geh nemmer nuff“ heißt es jetzt: „Haben Sie schon gehört - heut spielt wieder die 05.“ In unserem Nachbarort wird bei jedem Heimspiel entlang der Hauptstraße geflaggt – selbst mir bekannte 05er finden: Das sieht aus wie bei Führers Geburtstag. Der Karneval (der in Mainz eigentlich mal Fassenacht hieß) und „die 05“ sind eine unheilvolle Union eingegangen. Es ist, als ob die Stadt sich entschieden hätte, eine Parodie ihrer selbst zu sein. Und als Eintrachtler in Mainz hat man heutzutage wenig zu lachen. Oder doch, wie man’s nimmt. Allein durch das Tragen eines Eintracht-Schals kann man Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Da werden sogar Zahnarztgattinen zu Hyänen: „Hau ab nach Hessen, du blöde Sau.“
Ich mag Mainz – und ich mag den 1. FSV Mainz 05 nicht. Einige gute Freunde von mir sind 05er. Einige sind es schon immer gewesen, andere sind im Laufe der Jahre dazu geworden. Damit muss ich leben. Aber ansonsten: Nein, ich mag sie wirklich nicht, „die 05“. Auch deshalb, weil sie mir ein Stück Mainz weggenommen hat. Und wenn noch einmal hundert mehr Eintrachtler in Foren und Threads sich gegenseitig dabei überbieten, um zu erklären wie kackedoof, knarzblöd und provinziell Mainz ist und wie unwichtig das Spiel der Eintracht an diesem Wochenende. Ich weiß: Beides stimmt nicht. Mainz ist nicht doof. Und dieses Spiel ist wichtig. Sehr wichtig. I take it personal. Sieg!
Als kleines Mädchen hörte ich zu, wie mein Opa und mein Vater von früher, von Pfaff und Loy und Feigenspan erzählten und sonntags ging ich mit meinem Opa ins Stadion, zu den Oplern. Manchmal machten meine Großeltern und ich einen Ausflug nach Mainz – zum Einkaufen, ein oder zwei Mal im Jahr, aus besonderen Anlässen. Wir fuhren mit dem Zug bis zum Südbahnhof und liefen durch die Altstadt in die Innenstadt. Dort gab es den Dom und es gab Quelle und Neckermann und Hertie. Es gab so wunderbare Geschäfte wie „Jacques Herrmann - größtes Spezialgeschäft von Deutschland“ und den „Samen Kämpf“ – das hatten wir in Rüsselsheim nicht. In den Einkaufspausen saßen wir auf Bänken und aßen unsere mitgebrachten Brote, manchmal, ganz selten, gingen wir in Brauns Fischrestaurant. Zum Fisch (den ich nicht mochte) bekam ich eine Apfelsaftschorle, mein Opa und sogar meine Oma tranken ein kleines Glas Bier. Das war schön.
Später studierte ich in Mainz. Ich wohnte in Rüsselsheim. Oder in Mainz – in wechselnden Formationen und WGs. Samstags fuhr ich ins Waldstadion oder suchte mir zwischen Menschen, Krempel und Umzugskisten (irgendwie zog ständig einer aus oder ein) eine Ecke, in der ich die Radiokonferenz hören oder die Sportschau kucken konnte. In Mainz gab es die Fassnacht, die konnte man ignorieren oder – je nach Laune - mitfeiern. Und es gab keinen Fußball. Oder doch, es gab ihn, aber er spielte in der Stadt keine Rolle. Das war die Zeit, in der sich abends am Zeitungskiosk vor dem Staatstheater ein Grüppchen Rentner traf, um über die 05er zu schimpfen. Standardsatz: „Ich geh nemmer nuff.“ (Der Bruchweg liegt auf einem Hügel hinter der Stadt). Unsere Stammkneipe – oder besser: unser eigentliches Zuhause – war damals die Kinopinte, deren Inhaber zwar kein Rentner, aber erstaunlicherweise ein 05er war, ein echter 05er. Ob er es nicht mal lieber mit richtigem Fußball versuchen wollte, im Waldstadion? Er winkte ab. „Hör mer uff mit der Eintracht, das brauch ich net…“ Also tatsächlich: Ein Mainzer Fußballfan. Das fanden wir ein wenig kurios, aber es nötigte uns auch Respekt ab. Ok, der Mann hat Überzeugungen. Als seine erste Tochter zur Welt kam, meldete er sie gleich am nächsten Morgen beim Verein an.
Zurück in die Zukunft. Seit einigen Jahren lebe ich in der Nähe von Mainz und habe also hautnah und staunend den Wandel eines putzigen, ein wenig anarchischen, vor sich hin grummelnden Ortes zur Fußballhauptstadt verfolgt. Das Zeitungskiosk vorm Staatstheater gibt es nicht mehr, da stehen auch keine Rentner, stattdessen flanieren Zahnarztgattinen und Erststemester (die affigerweise „Erstis“ genannt werden) mit rotweißen oder „vierfarbbunten“ Karnevalsschals über den Mainzer Wochenmarkt. Statt „Ich geh nemmer nuff“ heißt es jetzt: „Haben Sie schon gehört - heut spielt wieder die 05.“ In unserem Nachbarort wird bei jedem Heimspiel entlang der Hauptstraße geflaggt – selbst mir bekannte 05er finden: Das sieht aus wie bei Führers Geburtstag. Der Karneval (der in Mainz eigentlich mal Fassenacht hieß) und „die 05“ sind eine unheilvolle Union eingegangen. Es ist, als ob die Stadt sich entschieden hätte, eine Parodie ihrer selbst zu sein. Und als Eintrachtler in Mainz hat man heutzutage wenig zu lachen. Oder doch, wie man’s nimmt. Allein durch das Tragen eines Eintracht-Schals kann man Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Da werden sogar Zahnarztgattinen zu Hyänen: „Hau ab nach Hessen, du blöde Sau.“
Ich mag Mainz – und ich mag den 1. FSV Mainz 05 nicht. Einige gute Freunde von mir sind 05er. Einige sind es schon immer gewesen, andere sind im Laufe der Jahre dazu geworden. Damit muss ich leben. Aber ansonsten: Nein, ich mag sie wirklich nicht, „die 05“. Auch deshalb, weil sie mir ein Stück Mainz weggenommen hat. Und wenn noch einmal hundert mehr Eintrachtler in Foren und Threads sich gegenseitig dabei überbieten, um zu erklären wie kackedoof, knarzblöd und provinziell Mainz ist und wie unwichtig das Spiel der Eintracht an diesem Wochenende. Ich weiß: Beides stimmt nicht. Mainz ist nicht doof. Und dieses Spiel ist wichtig. Sehr wichtig. I take it personal. Sieg!
I take it personal.
AntwortenLöschenDas verstehe ich (nun noch besser)! Mal sehen, wie wichtig es der Eintracht ist.
Mir ist Mainz einfach egal. So wie Wiesbaden. :-) Ich will einfach nur gewinnen. So, wie in jedem Spiel. :-)
Gruß vom Kid
Sehr gut!
AntwortenLöschenIch bin in Hofheim aufgewachsen und wir hatten auch eine Zeitlang eine gewisse Nähe und Verbundenheit zur Stadt Mainz.
Aber nicht zur dortigen Fassnacht und erst recht nicht zu seiner fleischgewordenen Verkörperung auf dem Spielfeld (die Gutmännchen).
Und den aktuellen Trainer mag ich inzwischen noch weniger.
Und morgen wünsche ich mir daher sehnlichst einen Sieg. Auch (gerne) "schmutzig", wenn es denn sein muss.
Gruß von der Bergstrasse
Martin
Ja, liebe Kerstin, ich kann dich gut verstehen. Und ehrlich gesagt, da bin ich froh, in Frankfurt zu wohnen. Auch wenn hier irgendwo einer eingezogen ist, der einen Kickers Wimpel im Auto hat. Wir überlegen schon seit Tagen, was wir tun könnten, um ihm klar zu machen, dass das so nicht geht! Ideen werden gern angenommen.
AntwortenLöschenIch hoffe, unsere Jungs nehmen es auch personally und zeigen es den Karnevalisten morgen. sorry, dass ich mal wieder skeptisch bin irgendwie... Aber ich hoffe natürlich, wie immer, keine Frage.
Bist du denn in diesem Stadion da morgen? Ich muss diesmal mit Sky vorlieb nehmen...
Liebe Grüße
Nicole
Sehe ich genauso-Kerstin.
AntwortenLöschenI take it personal-ja ein Sieg muss heute her-egal wie.
Würde mich gerade so noch mit einem Punkt zufrieden geben-verlieren-wäre einfach nur eine Schmach-für uns Fans und wir könnten uns bis zum nächsten Spiel-gegen die Pausenclowns-den Taschentuchel und Heidel-ihr dumm Geschwätz anhören und dass mag ich nicht und ja-Mainz ist eine schöne Stadt-aber seit die in der ersten Liga spielen-drehen sie am Rad.
Danke für den Einblick-auf drei Punkte.
LG
(B).
Schönes Wochenende-hoffentlich.
...sehr einfühlsam getippt!
AntwortenLöschenDanke für die kleine Zeitreise... :-)
(Laß ES bloß net 'passieren', heute...
< U no , why... :-/ >
LG aus HB...i.
...noch 5 Stunden...
Hallo Kerstin,wieder ein toller Blog von dir.
AntwortenLöschenzu Mainz möchte ich folgendes sagen:
Ich bin vor 60 Jahren hier geboren,liebe diese Stadt und liebe auch unsere Fastnacht(selbst aktiv).Halte es mit einem Lied der Batschkapp
Meenz du bist moi Stadt die mir soviel gegeben hat,Meenz moi Meenz.
Ich bin seit 51 Jahren Eintrachtfan ( und das ist gut so).Ich mag die Fvgg Mombach03 und ich Mainz 1896,aber Mainz05 noch nie.
Hoffe dass das Spiel ( für mich kein Derby) ohne Ausschreitungen über die Bühne geht.Eine Niederlage will ich auch nicht.
Ich wünsche dir ein schönes WE.Toll das es dich gibt,Du bist eine Bereicherung für das Eintrachtforum.
Gruß und ein Helau aus Meenz
Dieter
@Kid: „So wie Wiesbaden“ – das weist dich dann aber doch aus als Kenner der Mainzer Materie ,-)
AntwortenLöschen@Martin H.: Rüsselsheim, Flörsheim, Raunheim, Hofheim – da war Mainz halt wohl wirklich in der Tat der örtlich nähere Bezugspunkt. Aber fußballerisch: Reinstes Hessen. Alles Eintrachtler. Und mit der Fassnacht konnte man es halten, wie man wollte – wir sind z.B. von Rüsselsheim aus mit dem Zug zum Zug nach Meenz gefahren,manchmal sogar im Gepäcknetz ,-) – aber seit die Fassnacht und die 05er praktisch per Postulat zusammen gehören. Schwierig. Und der Herr Tuchel: Unerträglich.
@Nicole: Mit deiner Skepsis hattest du ja leider recht. Zumindest ein bisschen. Und ein bisschen auch nicht. Zum Glück. Und wg. Kickers Wimpel im Auto: Einfach ignorieren.
@Barbara: Stimmt. Wär schon viel gedient, wenn das Dumm-Geschwätz drumrum wegfallen würde. Zumal – wie oben beschrieben – in letzter Zeit der Lustigkeitspegel sinkt, dafür der Ton ruppiger wird. Aber vielleicht ist das ja der erste Schritt in die richtige Richtung! Ich leg keinen Wert drauf, von den 05ern gemocht zu werden.
@Weserbembel: Danke schön!
@Dieter: Das freut mich ganz besonders, dass grad du als UR-Meenzer UND Eintrachtler dich hier zu Wort gemeldet hast. Was du schreibst, hat mir vor ein paar Jahren schon mal ein anderer, echter Meenzer erzählt: Von wegen „ich geh schon seit hundert Jahren zu den 05ern“. Wer sich in Meenz „schon seit hundert Jahren“ für Fußball interessiert hat, der is nach Mombach gegangen und ganz sicher nicht zu den 05ern. Mainz und Mainz 05 – das sind zwei unterschiedliche paar Schuhe. Basta. Und nächstes Jahr schaffe ich es ganz bestimmt mal wieder zum Zug und hol mir bei dir am Wagen das Gläsje Sekt ab, das ich dieses Jahr verpasst habe. Helau.
Danke euch sehr für eure Anmerkungen und für das nette Feedback!