Direkt zum Hauptbereich

Kalt erwischt.

Samstag, 6. März. Waldstadion. Es ist kurz vor Ende der ersten Halbzeit, als meine allgemeine Skepsis gegen Statistiken neue Nahrung findet. „Ballbesitz Eintracht Frankfurt: 54%“ ist auf dem Video-Würfel zu lesen. Und: „Flanken Eintracht Frankfurt: 5. Flanken Schalke 04: 1.“ Das sind wahrhaft erstaunliche Erkenntnisse beim Stande von 0:2 und bei zwei Toren, die aus Flanken per Kopf erzielt worden sind. Oder zählen Flanken nach Standards grundsätzlich nicht als Flanken? Das sind so Fragen.

Wir haben das Spiel gesehen - vielleicht ist unsere Halbzeitanalyse deshalb deutlich näher dran an dem Geschehen auf dem Platz? Wir gewinnen kaum einen Zweikampf, stehen zu tief, Halil dribbelt brotlos, mal links, mal rechts, aber selten in der Mitte. Angriffsbemühungen über rechts bleiben heute fast ausnahmslos hängen. Meier müht sich, aber glücklos. Die Innenverteidigung wankt. Franz fehlt. Benny ist ein Stück entfernt von seiner Leistung gegen Dortmund und Freiburg. Teber mit einzelnen gute Szenen, aber auch mit dummen Fehlern. Schalke ist aggressiver. Körperlich präsenter. Präzise. Konsequent. Lakonisch. Mannschaftlich geschlossen. Klassenunterschied? Na, soweit würde ich dann doch nicht gehen, aber...


Vor Wiederanpfiff witsche ich noch einmal kurz nach draußen. Dort schwirrt vor allem ein Name durch die Gegend: Podolski. Der hat nämlich das Tor gegen die Bayern gemacht. Und wer es am Videowürfel im Stadion noch nicht mitbekommen hat, der bekommt es spätestens jetzt gesimst, telefoniert es in die Welt oder staunt am Hot Dog-Stand. Der Podolski. Gegen die Bayern. Die Schlange vor der Damen-Toilette ist heute nicht rotundschwarz, sondern blauundweiß. Bei mir entsteht der Eindruck, dass die weiblichen Schalker Fans alle blond sind und leise „Schalke, meine Liebe“ vor sich hin singen. „Image. Mirage.“ Nennt man das wohl in der Literaturwissenschaft, wenn sich Bilder von Wirklichkeit mit Wirklichkeit vermischen und dann auf einmal real sind.

Nach der Pause kommt Caio. Es kommt Ümit. Und dann, kurz vor Schluss, kommt auch noch Martin (welcome back!). Und auch der Anschlusstreffer von Meier kommt, sogar ziemlich schnell nach Wiederanpfiff. Eine Zeitlang sieht es tatsächlich so aus als könnte die Eintracht doch noch geben dem Spiel eine Wende. „Eintracht. Eintracht.“ Schallt es von der West. „Eintracht. Eintracht.“ Schreie ich und ein in Ehren ergrauter Eintrachtler neben mir, der das ganze Spiel über – warm verpackt in eine Decke – leise kommentierend verbracht hat, schreit mit. Das freut mich. Wir lächeln uns an. Na ja.

Schlusspfiff. Der Moment, in dem der Schalker Jubel alle Dämme bricht und zur Jubelorgie ausartet, ist uns definitiv zu viel an diesem Tag. Wir raffen eilig unsere Mützen und Jacken zusammen und verziehen uns ein, zwei Blocks weiter nach links. Dort verharren wir, stehen stumm. Gibt ja auch nicht viel zu schwätzen. Wir sehen, wie das Stadion sich allmählich leert und wie Asamoah vor dem blauen Gästeblock hüpft und den Gute-Laune-Bär gibt. In der West-Kurve werden die letzten Banner eingerollt. „Adler-Ente“ steht auf einem, aber da muss ich mich wohl verlesen haben. In der Ost-Kurve hat Asamoah inzwischen den Zaun erklommen und dirigiert die Humba. Melancholie senkt sich über das weite Rund.

Erst jetzt merke ich so richtig wie elend kalt es heute ist. Der Wind schneidet ins Gesicht. Die ausgejubelten Schalker Spieler werden auf dem Weg in die Kabine von ihrem Coach abgefangen und begeben sich statt ins Warme auf direktem Weg auf die Auslaufrunde. Und auch wir berappeln uns, hilft ja nix, komm wir gehen.

Auf dem Rückweg machen wir einen kurzen Stopp am Fan-Shop. Wollen ein paar Skatkarten mitnehmen. „Skatkarten haben wir keine da – nur „Schwarzer Peter“. Ach, nö. Danke. Wer den heute gezogen hat, ist sowieso klar.


Kommentare

  1. Tja, das war nicht unser Tag und nicht unser Wochenende. Wo war Liebesspieler? Keine Ahnung. Aber in Hannover läuft er als erster ein! Auswärtssieg!

    AntwortenLöschen
  2. So isses. Und nach dem Sieg der Meenzer in Hoppenheim hab ich das Video grad nochmal in voller Lautstärke abgespielt und beim Schluss-Refrain ganz laut mitgesungen...

    AntwortenLöschen
  3. Tja, das war nichts.

    Ich werde meine Einstellung erstmal wieder ändern. Das letzte Mal, dass ich ohne große Hoffnung auswärts gefahren bin, haben wir in Berlin gewonnen. Ich fahre also diesmal nach Hannover und gehe davon aus, dass wir nichts holen. Irgendwie klappt das nicht, wenn ich an den Sieg glaube.

    Ich mag Schalke nicht. Und es war einfach ätzend :-(. Wir waren kurz davor, das noch zu drehen, es war greifbar das 2:2. Und dann war es weg... Zu kurz die Phase des Aufbäumens...

    LG Nicole

    AntwortenLöschen
  4. Ja, die Halbzeitanalyse kann ich unterschreiben: So war es. Und auch sonst stimmt es: 10 Minuten, die das Herz erwärmen, sind einfach zu wenig und das nicht, weil es so kalt ist. Herzen müssen brennen, sang Jocco Abendroth einst. So ist es.

    Danke und Gruß vom Kid

    AntwortenLöschen
  5. Wir müssen der bitteren Wahrheit ins Gesicht sehen.

    Immer wenn es schneit, verlieren wir. Das hat nix mit fehlender Klasse, Einstellung oder sonst etwas zu tun. Das ist Schicksal.

    Gruß
    Uli

    P.S. Auch wenn es immer noch saukalt ist, vermindert sich die Wahrscheinlichkeit weiteren Scheefalls mit jedem Tag.

    P.S.

    AntwortenLöschen
  6. @Nicole: Sich selbst wenig Hoffnung verordnen und hoffen, dass das Gegenteil eintritt. Die Methode kenn ich… (funktioniert bei mir leider selten, ich halte das „wenig-Hoffnung-haben“ irgendwie nicht durch…)

    @Kid: Ich hoffe, sie lassen uns nicht weiterfrieren…

    @Concordia-I: Hilfe. Das stimmt mich nicht gerade optimistisch für Samstag. War da nicht die Rede davon, dass am Wochenende erneut eine Schneefront….??? Ok – aber du sagst ja, es wird (statistisch?,-)) immer unwahrscheinlicher. Und wenn es doch schneit, bleibt uns halt nix anderes übrig - da müssen wir dem Schicksal ein Schnippchen schlagen **gg

    AntwortenLöschen
  7. Skatkarten-keine aber Schwarzer Peter,dass war doch Ironie pur.*lächelt*
    War ein stark gebrauchter Tag unserer Mannschaft und ganz ehrlich Hut ab-vor dieser Jungen Mannschaft-und dass es so deutlich wurde trotz dem fehlen zweier Leistungsträger-da muss en eschte Eintrachtler dursch-ob er will odder net.
    Hab trotz allem auf Sieg getippt für die Adler.
    Es muss ja mal klappen mit dem Punktgewinn-bei mir,wenn ich für sie tipp.
    Im Norden soll am Wochenende wieder Frau Holle unterwegs sein-macht nichts.
    Hannover kriegt den Schnee-dei Eintracht die Punkte.
    LG
    (B)

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die nächste Strophe vom alten Reisbrei

Am Samstagabend höre ich im ZDF Sportstudio die Vorankündigung für das Spiel am Sonntag im Waldstadion. „Hannover kann morgen auf den zweiten Tabellenplatz vorstoßen“, verkündet Katrin Müller-Hohenstein. Tatsächlich? Was Sie nicht sagen. Und die Eintracht? Hey – hallo, das ist unser Heimspiel, und wir werden es gewinnen, weil nämlich dann wir es sein werden, die zu Hannover und zur Spitzengruppe aufschließen. Capisce? Und tatsächlich. So machen wir es. Impressionen vom Spiel: Patrick Ochs, der in der ersten halben Stunde auf der rechten Seite herum mannövert als habe er tatsächlich vor, was er vorher verkündet hatte: Sich festbeißen – und von dem in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu sehen ist. Halil Altintop, der (auch in seinem eigenen Sinn) zur Halbzeit hätte ausgewechselt werden müssen, und von seinem Trainer, der voll hinter ihm steht, eine viertel Stunde vor dem Ende zum Abschuss freigegeben und – sichtlich um Fassung bemüht – regelrecht vom Platz gepfiffen wird. (Ja, ja.

Kleines Fußball-ABC - Heute "U" wie "Unterschiedsspieler"

Unterschiedsspieler, der (pl. (selten die); fußballneudeutsch für einen Spieler, der – wie der Name schon sagt – den Unterschied machen und ein Spiel entscheiden kann. Bsp .    → Rebic, Ante (Eintracht Frankfurt) , der in der ersten Runde des DFB-Pokals 2019/20 “ den aufmüpfigen Drittligisten Waldhof Mannheim quasi alleine in die Knie zwang. “ In der Regel ist der → Unterschiedsspieler ein Offensivspieler, aber auch Defensivspieler „mit einer starken Technik und einem guten Gespür für Räume imOffensivspiel“  können Unterschiedsspieler sein  -   Bsp.   → Baumgartner, Christoph TSG Hoffenhei m) , → Kimmich, Joshua (FC Bayern München) oder  →Kostic, Filip (Eintracht Frankfurt), der für seinen Trainer →Adi Hütter derzeit „der absoluteUnterschiedsspieler“ ist. Auch Torhüter  können den Unterschied machen ( Bsp. Neuer, Manuel, FC Bayern München ), was als Beleg dafür gelten kann, dass auch Spieler, die nicht der Mannschaft von →Eintracht Frankfurt angehören, →Unterschiedsspieler sein kö

Hans-Dieter "Fips" Wacker - ein Fußballerleben

Es ist ein paar Monate her, dass ich für diesen Blog im „Kleinen Fußball-ABC“ einen eher satirisch gefärbten Beitrag zum Thema  Nachwuchstalente verfasst habe. Es war Kid Klappergass, der das Thema in einem Kommentar in ernsthaftere Bahnen führte: Es gebe nicht viele große Eintracht-Talente, denen er nachtrauere, aber eines davon sei ganz gewiss Fips Wacker. Fips Wacker? Diesen Namen hatte ich noch nie gehört und machte mich auf die Suche nach ein paar Informationen. Es war nicht viel, was ich im Netz aufstöbern konnte – aber was ich fand, machte mich neugierig. Die „Spur“ führte zum Heimatverein von Fips Wacker, der SKV Büttelborn und wie es der Zufall so will: Einige Wochen später sollte in Büttelborn ein Spiel der Alten Herren – der  Old Boys   gegen die Eintracht-Traditionsmannschaft ausgetragen werden. Wenn für Hans-Dieter Wacker alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können, hätte er in diesem Spiel vielleicht eine Halbzeit lang für die Eintracht und eine für den SKV auf de