Jetzt hat es also doch nicht geklappt, den Blog auch während Corona regelmäßig zu befüllen, und der Blogfaden ist gerissen. Aber wenigstens vor Weihnachten gibt es noch einmal ein Lebenszeichen und ein paar Momentaufnahmen und Gedanken. Lesewarnung: Hier geht es nur am Rande um Fußball und um die Eintracht.
Zu einem weiteren Fixpunkt in diesem Jahr ist für mich das
Radio geworden, gerne auch als Internetradio. Das Beethoven-Jahr habe ich auf
diese Weise sehr intensiv erlebt – Kammerkonzerte, alle Symphonien, Lieder –
und ich habe viele mir bis dato unbekannte Komponisten entdeckt – Poulenc zum
Beispiel. Oder Larsson. Bei einem der in diesem Jahr raren und kostbaren
Theatermomente habe ich mich in einen englischen Komponisten verliebt, von dem
ich vorher noch nie gehört hatte – vermutlich auch deshalb, weil ich mit
moderner klassischer Musik bisher nicht so richtig viel anfangen konnte.
Richard Ayres heißt der Mann, der mit seinen so genannten „NONcerti“ Geschichten
erzählt. In The Garden No. 50 zum
Beispiel mit einem Mix aus Shakespeare, Dante und eigenen Texten und einem
furiosen musikalischen Mix, in dem sich ein Mensch immer tiefer in seinen
Garten vergräbt und dabei verschiedenen Erdbewohnern begegnet – einem Wurm,
einem Basilisken, einem toten Soldaten, Figuren aus Dantes Inferno und (sic!)
einem Wangee. Das ist witzig, zauberhaft, ironisch, klug und berührend.
Das Radio führt mich zum Fußball und zur Eintracht. Denn
im Moment ist Fußball für mich eher hören als sehen. Die Spieltagskonferenz im
Radio ist für mich, wie früher, wieder zu einer festen Größe geworden. Wenn ich
– selten genug – Spiele auch anschaue, habe ich den Eindruck, dass ich 11 bzw.
22 Männern dabei zuschaue, wie sie ihrem Job professionell und ernsthaft
nachgehen, mal mit mehr, mal mit weniger Spaß.
Der Spielaufbau, die Aktionen einzelner Spieler, scheinen mir klarer und
strukturierter als normalerweise. Das ist dann wohl der vielzitierte Matchplan,
der jetzt quasi aseptisch unter Laborbedingungen umgesetzt wird: Analysieren, neue Varianten einüben, Strategien umsetzen –
ganz ohne äußere Störfaktoren. Ähnlichkeiten mit der Virologie sind zufällig
(aber sozialwissenschaftlich vielleicht eine Überlegung wert). Es ist als sei
der Fußball von allem entkleidet, das ihn ausmacht. Er wird sachlich
abgearbeitet, ernsthaft und intensiv. Die Spieler gehen ihrem Tagwerk nach und
wir sehen ihnen dabei zu. Auch der Diskurs über Fußball hat sich, finde ich, weiter
verselbstständigt. Fast befremdet höre ich ab und zu in die Vor- und Nachberichterstattung
der Eintracht-Spiele im Podcast 2000 hinein, der - allen voran Basti Red - eine neue, fast schon artifizielle Form authentischer
Fanberichterstattung präsentiert. Da
platzen Kragen, schwellen Adern, da wird hochemotional mitgezittert und gemeckert,
da gibt es nach einem Unentschieden Wutausbrüche und aufgeregte, detaillierte Spieler- und Trainerkritik – das alles ist mir im Moment höchst fremd.
Immerhin: Es gibt ein Draußen und draußen waren wir in
diesem Jahr viel und ausgiebig. Draußen war Schwimmen, draußen war und ist
Garten Zu allen Tageszeiten, bei jedem Wetter, nachts auf dem Bänkchen hinter
dem Haus habe ich so viele Sternschnuppen gesehen wie noch nie. Draußen
war auch unterwegs sein. Und unterwegs war für uns vor allem Rheinhessen.
Kirchen, Weinberge, Ausblicke, Seen, Brücken, Denkmäler, Dörfer, Hügel, die wir
in diesem Jahr neu entdeckt haben. Wir sind keine großen Wanderer, aber ins
Blaue-Losfahrer – fahr, fahr, fahr, schauen, anhalten, loslaufen, entdecken.
Das war schön und bereichernd.
Bei uns hier auf dem Land ist es nie besonders laut, aber in
diesem Jahr ist es still, sehr still. Im Sommer war es etwas belebter, aber derzeit
fährt kaum ein Auto, kaum mal ein Mensch, der am Haus vorbeigeht, sich mit
einem anderen unterhält. Es ist so still, dass Geräusche als etwas
Ungewöhnliches auffallen. Neulich nachts bin ich gegen Morgen davon aufgewacht,
dass laute Flugzeuggeräusche zu hören waren. Nicht nur ein Flieger, viele,
hintereinander, eine halbe Stunde lang. Ich war regelrecht erschrocken. Ich
glaube, wenn alles vorbei ist, müssen wir uns erst wieder an den normalen Lebens-Lärmpegel
gewöhnen.
Ich habe eine Weile gebraucht, um innere Ruhe zu finden,
aber dann sehr viel gelesen in diesem Jahr – sehr vieles wieder, Klassiker von Goethes
Werther über Fontane zu George Elliot, den
Brontés und Thomas Harding, aber auch viel abseitiges und – ungewöhnlich für
mich – viel Gegenwartsliteratur. Sally Rooney hat mir zum Beispiel auf diese
Weise zwar kein uneingeschränktes Lesevergnügen, aber viele, wie mir scheint,
wahre Einblicke in zeitgenössische Denkwelten vermittelt. Ich habe gemalt, gezeichnet, Neues ausprobiert
und sehr viel geschrieben, zum Beispiel - traue mich kaum, es hinzuschreiben –
ein szenisches Theaterstück. Noch ruht es in meiner Schreibtischschublade bzw.
auf meinem Laptop, aber wer weiß.., mal sehen… - das
wäre dann also einer der Träume, die ich mit ins neue Jahr nehme.
Das klingt nach viel Zeit – in echt, war nicht wirklich mehr Zeit. Wir sind selbstständig, haben unsere eigenen Büros im
oberen Stockwerk unseres Hauses, und konnten also auch in
Lockdown-Zeiten ganz normal weiterarbeiten, eher mehr als weniger. Vollgepackte, wirbelige Tage mit calls, Videokonferenzen, sozialen Netzwerken. Abgabeterminen und überall verstreuten zum Glück sehr netten Kollegen. Die Zeit,
die dann blieb, war dann zwar nicht mehr als vor als Corona, aber wohl anders, konzentrierter, wohl auch intensiver gefüllt.
Ich könnte euch jetzt auch noch von meinen Nachtgedanken berichten. Von Zweifeln und von Angst, die ich nicht haben will. Von Zorn über die Schwarz-weiß-Denkerei, vom Hadern mit Informationen und Kommunikationsstrategien und von echter Wut, auf den Ausverkauf der Wissenschaft, der für mich mit der derzeitige Hochkonjunktur des Wissenschaftsbegriffs einhergeht. Von der Beklemmung, die mich manchmal im Supermarkt erfasst, wenn sich Menschen furchtsam aneinander vorbeischlängeln. Oder davon, wie schrecklich ich es finde, dass wir uns immer mehr misstrauen, einander Schuld zuweisen. Wir, die wir alles richtig machen, die anderen, die schuld sind. Aber das führt zu weit weg. Es ist ja Weihnachten. Und gleich singt Shane.
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