Ich mag und schätze Hermann Hesse. Er zählt zwar nicht zu meinen Lieblingsschriftstellern, aber ich komme immer wieder sehr gerne auf ihn zurück. Mag weniger seine fernöstlich-esoterischen Texte, mehr die Erzählungen, die bedrückenden Kindheitsgeschichten, das Ringen um Liebe und Freiheit, die Naturemphase, das Karge und das Unmäßige, seine bunt-heiteren Aquarelle - irgendwie den ganzen Mann, der es nicht leicht mit sich hatte, im Exil in Montagnola zwar zur Ruhe gekommen ist, aber immer weiter gesucht hat. Schon oft sind wir auf dem Weg ins Schwäbische an der Ausfahrt Calw - dem Geburtsort Hesses - vorbeigekommen und nie abgebogen. Heute tun wir es. Mal sehen, was es im Hesse-Museum zu entdecken gibt.
Durch rauhe Landschaft fahren wir auf verschlungenen Wegen ins Innere des Landes, der Himmel ist grau, dichte Wälder an den Hängen. Schön. Gewaltig. Und doch ist es ein bisschen, als ob die Landschaft sich zuzieht. Statt Nebel sieht mein Mit-Adler den pietistischen Geist zwischen den Hängen wabbern.
"Els da nauf..." erklärt uns in Calw eine Bäckerei-Verkäuferin, dort oben am Rande des Marktplatzes liegt das Hesse-Museum. Direkt daneben das Café Montagnola, das ausschließlich Bio im Angebot hat. Hier sitzen Mütter bei einem Kaffee, während ihre Kinder in Malbücher kritzeln oder mit Holzautos über den Boden rutschen. Ich trinke einen Pfefferminztee, mein Mit-Adler erfreut sich an einer Bio-Cola, die nach Hustensaft riecht, aber besser schmeckt. Das Hesse-Museum ist in einem altehrwürdigen Gebäude untergebracht, hohe Fenster, schwere dunkelbraune Türen. Wir sind im Moment die einzigen Besucher. "Da hen sie Glück", sagt die reizende ältere Dame, die im kärglichen Museumsshop hinter der Kasse sitzt. "Des kommt in Wella." Und wir stellen uns die Menschenmassen vor, die sich sonst hier drängeln. Sie gibt uns noch einige Erklärungen mit auf den Weg - im ersten Stock ist eine Sonderausstellung, im zweiten die Dauerausstellung zu Hesse (chronologisch, links herum) und wenn wir wollen, können wir uns einen Film anschauen. Wir steigen die breiten, dunklen Stufen nach oben. Vorbei an der Glastür zur verlassen daliegenden Sonderausstellung und hinauf zum chronologischen Hesse. Auch dort begrüßt uns Leere und hinter dem Schreibtisch am Eingang eine reizende ältere Dame, mit der wir ein kurzes Schwätzchen halten. Ja, links herum. Und, ja, wir melden uns, wenn wir den Film anschauen wollen. ....
Gleich neben dem Eingang befindet sich links der Filmsaal. Vier leere Stuhlreihen, davor ein - erkennbar erst kürzlich angeschaffter - Flachbildschirm. Wir starten links herum und begegnen der ersten Ansammlung von Glaskästen. An der Wand eine Büchercollage mit Hesse-Ausgaben aus aller Welt - El lobo estepario - Narkissos ja Kultasuu - raconté - El Ultimo verano de Klingsor - The journey to the east (Hesses Werke sind in so viele Sprachen übersetzt wie bei kaum einem zweiten Schriftsteller). Wir sinnieren, ob es möglicherweise empfehlenswert wäre, das eine oder andere vergilbte Insel-Bändchen in Reihe 3 durch ein neueres Exemplar zu ersetzen. Besser nicht, es ist jetzt ja selbst schon historisch.
"Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen." So lautet ein bekanntes Hesse-Zitate. Hier im Hesse-Museum sehen wir, dass alles mögliche möglich ist. Und so starten wir - zunächst noch wohlgemut - unseren Gang durch die Ausstellung, der uns vorbei an unzähligen Glaskästen führen und uns mit einem - auf Erklärtafeln irgendwie chronologisch verorteten - Querschnitt durch "Leben und Werk" versorgen wird. Jede Menge Handschriften Hesses, garniert mit einigen Utensilien aus seinem Leben. Briefe an die Eltern aus dem Stift in Maulbronn. Hesses Zeugnis mit einem Ungenügend in Geographie. Hesses Schreibmaschine. Seit wann gibt es dieses Museum? Hat irgendjemand in all diesen Jahren einmal die Glaskästen geöffnet, einen Bleistift verrückt oder gar - Revolution - ein Blatt umgewendet? Dort liegt Hesses Brille mit den kleinen runden Gläsern, samt Etui. Ich höre in mich hinein, ob irgendetwas in mir klingt oder mich berührt. Nein. Nichts. Leider. An den Wänden vergrößerte Fotografien, die man aus Hesse-Bildbänden kennt. Der kleine Hermann mit seiner Mama. Hermann beim Rotwein. Hermann mit seinem Sohn Heiner auf dem Schoß. Briefe an Thomas Mann, von Nobelpreisträger zu Nobelpreisträger.
Der dunkelbraune Boden knarzt bei jedem Schritt. Riecht es nicht auch nach Bohnerwachs? Vor den Fenstern weiße Jalousien, die wohl die sicher in den Glaskästen verwahrten Originalhandschriften schützen sollen, aber auch den Blick nach außen verwehren. Eine Ausnahme: Neben einem Bild einer Häuserreihe des historischen Marktplatzes mit Hinweispfeil lenkt ein weiterer Pfeil den Blick auf das unverhüllte Fenster rechts davon: Beim Blick ins Freie sehen wir den gleichen Ausschnitt wie auf dem Bild. Aha. Das da hinten ist das Haus, in dem Hesse mit seiner Familie gelebt hat und in dem sich heute ein Bekleidungsgeschäft befindet.
Dort in der Ecke steht ein einfacher Stuhl auf einem Podest. Er stammt aus Hesses Haus in Montagnola und wir verweilen ergriffen, während der Boden knarzt. Der Raum, der sich mit dem ersten Weltkrieg beschäftigt, zeigt an der Wand eine Art Collage, die von einem aufgeweckten Fünftklässler stammen könnte. Vergrößerte Fotos und dahinter eine - vergrößerte - Illustration eines Soldaten mit Pickelhaube. Wir freuen uns, als wir einige wenige, kleine Original-Aquarelle von Hesse finden, der Garten, die Aussicht in Montagnola. Dann ein weiteres Inselbändchen als Reminiszenz an seine Liebe zum Garten, einige Aquarell-Reproduktionen als Drucke hinter Glas (vielleicht aus einem Kalender entnommen?) und allmählich fragen wir uns, ob das Hesse-Museum eine Tarnung und eigentlich dazu gedacht ist, dem Hermann nochmal so richtig eins mitzugeben. So viele Themen und Zusammenhänge, die einem zu Hermann Hesse einfach mal so aus dem Stegreif einfallen: der radikale Individualist. Der Welterneuerer. Eine ganze Generation von Schriftstellern und Malern, die im ersten Weltkrieg ein Signal für die Zukunft entdecken will. Hesse der konservative Rebell, der ausschert. Pazifist. Indienreisender. Kriegsgegner. Tätiger Anti-Faschist. Anlaufstelle für Exil-Kollegen. Gärtner. Maler. Gedichte. Poetische Texte. Wanderungen. Landschaften. Askese. Leidenschaft. Hesse, der Star einer ganzen Generation, unfreiwillige Kultfigur der Hippie-Generation. Born to be wild. Künstlerfreundschaften. Hesses unfassliche Breitenwirkung in den USA. Vielleicht sogar Udo Lindenberg und der Panik-Preis, der - wie ich anderswo gelesen habe - alle drei Jahre hier in - wie heißt der Ort noch gleich? - Calw vergeben wird. Was auch immer. Jedenfalls: Nichts davon oder bestenfalls angetippt (es sei denn, wir haben es in einem der Glaskästen übersehen). Kaum denkbar, dass ein Besucher, der zufällig hier vorbei kommt und Hesse nur dem Namen nach kennt, auch nur in irgendeiner Form für Hesse interessiert, gar zum Lesen eines Romans animiert würde. Vor meinen Augen sehe ich ganze Schulklassen, die gickelnd und/oder gelangweilt über die knarzenden Dielen vorbei an den Glaskästen wandern. Ha, da hat sich doch einer tatsächlich auf den Original-Montagnola-Stuhl gesetzt.
Im letzten Zimmer eine große Litfasssäule, die für das Magische Kabinett - wir erinnern uns: Steppenwolf - wirbt. Zutritt nur für Verrückte. Nach diesem originellen Schlusspunkt verlassen wir die Ausstellung - nein, schade, wir haben leider keine Zeit mehr, uns den Film anzuschauen. Im "Shop" erstehe ich einige Ansichtskarten und frage nach einem Text ("Schule und Erziehung"), der oben in einem - ja, genau: - Glaskasten zu sehen war und gemäß Hinweisschild käuflich erworben werden kann. Die nette Museumsangestellte greift in ihre Schublade, holt eine Klarsichtfolie hervor, zieht ein maschinen geschriebenes Blatt hervor und händigt mir die Kopie aus. Ah, verstehe. Das ist dann wohl der inhaltlich relevante pädagogische Mehrwert für den Unterricht von Schölern höherer Lehranstalten.
Bei einem Pärle Saitenwürstchen im Café am Markt sitzen wir und kauen ein wenig sprachlos. Gleich um die Ecke (vorbei am Hesse-Platz), auf der kleinen Brücke, die über die Nagold führt, begegnen wir Hermann Hesse noch einmal. Mitten auf der Brücke steht eine lebensgroße Hesse-Bronze. Und da steht Hermann Hesse nun, auf der Brücke in Calw, mit dem Hut in dee Hand und auf ewig festgemauert in der Enge, die er sein Leben lang als Last mit sich herum trug und abschütteln wollte. Alles nur weil er mal gesagt hat, dass diese Brücke hier sein Lieblingsplatz ist, so es sich ergäbe und er noch einmal in Calw vorbeikommt. Man muss vorsichtig mit dem sein, was man sagt oder aufschreibt.
Durch rauhe Landschaft fahren wir auf verschlungenen Wegen ins Innere des Landes, der Himmel ist grau, dichte Wälder an den Hängen. Schön. Gewaltig. Und doch ist es ein bisschen, als ob die Landschaft sich zuzieht. Statt Nebel sieht mein Mit-Adler den pietistischen Geist zwischen den Hängen wabbern.
"Els da nauf..." erklärt uns in Calw eine Bäckerei-Verkäuferin, dort oben am Rande des Marktplatzes liegt das Hesse-Museum. Direkt daneben das Café Montagnola, das ausschließlich Bio im Angebot hat. Hier sitzen Mütter bei einem Kaffee, während ihre Kinder in Malbücher kritzeln oder mit Holzautos über den Boden rutschen. Ich trinke einen Pfefferminztee, mein Mit-Adler erfreut sich an einer Bio-Cola, die nach Hustensaft riecht, aber besser schmeckt. Das Hesse-Museum ist in einem altehrwürdigen Gebäude untergebracht, hohe Fenster, schwere dunkelbraune Türen. Wir sind im Moment die einzigen Besucher. "Da hen sie Glück", sagt die reizende ältere Dame, die im kärglichen Museumsshop hinter der Kasse sitzt. "Des kommt in Wella." Und wir stellen uns die Menschenmassen vor, die sich sonst hier drängeln. Sie gibt uns noch einige Erklärungen mit auf den Weg - im ersten Stock ist eine Sonderausstellung, im zweiten die Dauerausstellung zu Hesse (chronologisch, links herum) und wenn wir wollen, können wir uns einen Film anschauen. Wir steigen die breiten, dunklen Stufen nach oben. Vorbei an der Glastür zur verlassen daliegenden Sonderausstellung und hinauf zum chronologischen Hesse. Auch dort begrüßt uns Leere und hinter dem Schreibtisch am Eingang eine reizende ältere Dame, mit der wir ein kurzes Schwätzchen halten. Ja, links herum. Und, ja, wir melden uns, wenn wir den Film anschauen wollen. ....
Gleich neben dem Eingang befindet sich links der Filmsaal. Vier leere Stuhlreihen, davor ein - erkennbar erst kürzlich angeschaffter - Flachbildschirm. Wir starten links herum und begegnen der ersten Ansammlung von Glaskästen. An der Wand eine Büchercollage mit Hesse-Ausgaben aus aller Welt - El lobo estepario - Narkissos ja Kultasuu - raconté - El Ultimo verano de Klingsor - The journey to the east (Hesses Werke sind in so viele Sprachen übersetzt wie bei kaum einem zweiten Schriftsteller). Wir sinnieren, ob es möglicherweise empfehlenswert wäre, das eine oder andere vergilbte Insel-Bändchen in Reihe 3 durch ein neueres Exemplar zu ersetzen. Besser nicht, es ist jetzt ja selbst schon historisch.
"Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen." So lautet ein bekanntes Hesse-Zitate. Hier im Hesse-Museum sehen wir, dass alles mögliche möglich ist. Und so starten wir - zunächst noch wohlgemut - unseren Gang durch die Ausstellung, der uns vorbei an unzähligen Glaskästen führen und uns mit einem - auf Erklärtafeln irgendwie chronologisch verorteten - Querschnitt durch "Leben und Werk" versorgen wird. Jede Menge Handschriften Hesses, garniert mit einigen Utensilien aus seinem Leben. Briefe an die Eltern aus dem Stift in Maulbronn. Hesses Zeugnis mit einem Ungenügend in Geographie. Hesses Schreibmaschine. Seit wann gibt es dieses Museum? Hat irgendjemand in all diesen Jahren einmal die Glaskästen geöffnet, einen Bleistift verrückt oder gar - Revolution - ein Blatt umgewendet? Dort liegt Hesses Brille mit den kleinen runden Gläsern, samt Etui. Ich höre in mich hinein, ob irgendetwas in mir klingt oder mich berührt. Nein. Nichts. Leider. An den Wänden vergrößerte Fotografien, die man aus Hesse-Bildbänden kennt. Der kleine Hermann mit seiner Mama. Hermann beim Rotwein. Hermann mit seinem Sohn Heiner auf dem Schoß. Briefe an Thomas Mann, von Nobelpreisträger zu Nobelpreisträger.
Der dunkelbraune Boden knarzt bei jedem Schritt. Riecht es nicht auch nach Bohnerwachs? Vor den Fenstern weiße Jalousien, die wohl die sicher in den Glaskästen verwahrten Originalhandschriften schützen sollen, aber auch den Blick nach außen verwehren. Eine Ausnahme: Neben einem Bild einer Häuserreihe des historischen Marktplatzes mit Hinweispfeil lenkt ein weiterer Pfeil den Blick auf das unverhüllte Fenster rechts davon: Beim Blick ins Freie sehen wir den gleichen Ausschnitt wie auf dem Bild. Aha. Das da hinten ist das Haus, in dem Hesse mit seiner Familie gelebt hat und in dem sich heute ein Bekleidungsgeschäft befindet.
Dort in der Ecke steht ein einfacher Stuhl auf einem Podest. Er stammt aus Hesses Haus in Montagnola und wir verweilen ergriffen, während der Boden knarzt. Der Raum, der sich mit dem ersten Weltkrieg beschäftigt, zeigt an der Wand eine Art Collage, die von einem aufgeweckten Fünftklässler stammen könnte. Vergrößerte Fotos und dahinter eine - vergrößerte - Illustration eines Soldaten mit Pickelhaube. Wir freuen uns, als wir einige wenige, kleine Original-Aquarelle von Hesse finden, der Garten, die Aussicht in Montagnola. Dann ein weiteres Inselbändchen als Reminiszenz an seine Liebe zum Garten, einige Aquarell-Reproduktionen als Drucke hinter Glas (vielleicht aus einem Kalender entnommen?) und allmählich fragen wir uns, ob das Hesse-Museum eine Tarnung und eigentlich dazu gedacht ist, dem Hermann nochmal so richtig eins mitzugeben. So viele Themen und Zusammenhänge, die einem zu Hermann Hesse einfach mal so aus dem Stegreif einfallen: der radikale Individualist. Der Welterneuerer. Eine ganze Generation von Schriftstellern und Malern, die im ersten Weltkrieg ein Signal für die Zukunft entdecken will. Hesse der konservative Rebell, der ausschert. Pazifist. Indienreisender. Kriegsgegner. Tätiger Anti-Faschist. Anlaufstelle für Exil-Kollegen. Gärtner. Maler. Gedichte. Poetische Texte. Wanderungen. Landschaften. Askese. Leidenschaft. Hesse, der Star einer ganzen Generation, unfreiwillige Kultfigur der Hippie-Generation. Born to be wild. Künstlerfreundschaften. Hesses unfassliche Breitenwirkung in den USA. Vielleicht sogar Udo Lindenberg und der Panik-Preis, der - wie ich anderswo gelesen habe - alle drei Jahre hier in - wie heißt der Ort noch gleich? - Calw vergeben wird. Was auch immer. Jedenfalls: Nichts davon oder bestenfalls angetippt (es sei denn, wir haben es in einem der Glaskästen übersehen). Kaum denkbar, dass ein Besucher, der zufällig hier vorbei kommt und Hesse nur dem Namen nach kennt, auch nur in irgendeiner Form für Hesse interessiert, gar zum Lesen eines Romans animiert würde. Vor meinen Augen sehe ich ganze Schulklassen, die gickelnd und/oder gelangweilt über die knarzenden Dielen vorbei an den Glaskästen wandern. Ha, da hat sich doch einer tatsächlich auf den Original-Montagnola-Stuhl gesetzt.
Im letzten Zimmer eine große Litfasssäule, die für das Magische Kabinett - wir erinnern uns: Steppenwolf - wirbt. Zutritt nur für Verrückte. Nach diesem originellen Schlusspunkt verlassen wir die Ausstellung - nein, schade, wir haben leider keine Zeit mehr, uns den Film anzuschauen. Im "Shop" erstehe ich einige Ansichtskarten und frage nach einem Text ("Schule und Erziehung"), der oben in einem - ja, genau: - Glaskasten zu sehen war und gemäß Hinweisschild käuflich erworben werden kann. Die nette Museumsangestellte greift in ihre Schublade, holt eine Klarsichtfolie hervor, zieht ein maschinen geschriebenes Blatt hervor und händigt mir die Kopie aus. Ah, verstehe. Das ist dann wohl der inhaltlich relevante pädagogische Mehrwert für den Unterricht von Schölern höherer Lehranstalten.
Bei einem Pärle Saitenwürstchen im Café am Markt sitzen wir und kauen ein wenig sprachlos. Gleich um die Ecke (vorbei am Hesse-Platz), auf der kleinen Brücke, die über die Nagold führt, begegnen wir Hermann Hesse noch einmal. Mitten auf der Brücke steht eine lebensgroße Hesse-Bronze. Und da steht Hermann Hesse nun, auf der Brücke in Calw, mit dem Hut in dee Hand und auf ewig festgemauert in der Enge, die er sein Leben lang als Last mit sich herum trug und abschütteln wollte. Alles nur weil er mal gesagt hat, dass diese Brücke hier sein Lieblingsplatz ist, so es sich ergäbe und er noch einmal in Calw vorbeikommt. Man muss vorsichtig mit dem sein, was man sagt oder aufschreibt.
Hach, hier komm ich ja schonmal überhaupt nicht rum. Wunderbarer Reisebericht, Kerstin. Und ich meine, alleine schon der Name. Hesse. Spricht für sich.
AntwortenLöschenVorsicht kann nie schaden. Im Steppenwolf legt sich (gegen Ende) ein Sniper auf die Lauer und knallt im Kap. "Jagd auf Automobile" alles von der Straße, was ihm vor die Flinte kommt. Sehr politically incorrect, selbst wenn er (es) weiland nur auf Fakediesel angelegt hätte. Wer weiß, womöglich treibt der Mann auch im biederschwäbischen Calw noch immer sein Wesen.
Hesse gehört zu denen, die mich auf den Weg gebracht haben. Zwischendurch kam er mir für längere Zeit fast abhanden, aber jetzt ist er wieder da. Auch der Fernöstliche, er war vor allem durch Wilhelm Gundert inspiriert, einem Cousin, der in Ostasien als Missionar gestartet war und dann als Übersetzer und Kommentator des Bi-Yän-Lu, einer chinesischen Koan-Sammlung aus der Tang-Dynastie von überragender Bedeutung, große Verdienste erworben hat.
Am Ende nutzt alle Vorsicht nichts, denn das Publikum pickt sich sowieso heraus, was es will. Und manchmal wird dann aus dem Herauspicken auch ein Herausreißen ... aus dem Zusammenhang. ;-)
AntwortenLöschenUnd vielleicht ist Vorsicht beim ernsthaften Schreiben aller Art sowieso das Allerletzte, was man walten lassen sollte. Wir haben - logisch ;-) - während des Besuchs in Calw auch viel über Hesse geschwätzt und Lektüreerfahrungen ausgetauscht. Und tatsächlich scheint jeder, der liest, welche zu haben. Ob man ihn für einen großen oder nicht ganz so großen Schriftsteller hält, er berührt etwas, dass - auch wenn es, wie du schreibst - zwischendurch mal verschwindet - mit dem Urgrund allen Menschlichens zu tun hat. Hesse ringt um Sinn, Freiheit, Wahrheit, Aufrichtigkeit.
LöschenVielen Dank fürs Herauspicken - einmal mehr etwas gelernt (hihi, mehr als im Hesse-Museum ;-)
Ein schöner Bericht mit sehr gut verständlicher Irritation.
AntwortenLöschenAber wenn du mal die Atmosphäre der Stadt Calw spürst, kannst du merken, dass dort ein Hessemuseum gar nicht anders aussehen kann. Det Geist von Hesse ist dort jedenfalls nicht zu spüren, die provinzielle Enge scheint alles zu ersticken.
Mich hatte die Lektüre von Hesse in der Schule abgeschreckt und ich habe erst später seine Tiefe und Offenheit erlesen. Das Museum scheint jedenfalls genau dem pädagogischen Konzept meines Deutschlehrer zu entsprechen.
Ja, die Atmosphäre in Calw fügt sich in die Museumsatmosphäre und in das, wie Hesse seine Kindheit dort erlebt hat. Insofern hat in einem höheren Sinn alles seine Richtigkeit. Ich stelle mir vor wie Hesse selbst dieses, ihm gewidmete Museum erleben würde - vielleicht mit Beklemmung oder sogar Panik. Oder altersweise mild lächelnd. There is no way out of here - weder für den Joker, noch für den Dieb.
LöschenHesse kam, wenn ich mich nicht sehr täusche, in meiner Schulzeit nicht vor. Bei mir waren es die Inselbändchen...Unterm Rad, Schön ist die Jugend. Vor ein paar Jahren habe ich einen Sommer lang den fast kompletten Hesse gelesen, in der Regel im Garten und alles hat sich für mich mit Sonne, Luft, Wind, Himmel, Einfachheit und einem leisen Weh verwoben. Das ist mein Hesse - und da kann, glaube ich, auch er besser atmen im Museum in Calw.
Vielen Dank für deine Schule und Literatur-Anmerkung. Da fällt einem so viel dazu ein. Bei mir haben zum Glück die Deutsch-Lehrer überwogen, denen Literatur selbst wichtig war. Aber wie will man ins Freie lesen vermitteln, wo es um abfragbares Wissen und so etwas wie Interpretationsformeln geht (als Basis vielleicht sogar gehen muss?) - eine Art Gestell, das trägt und inspiriert oder das man abschütteln muss, um zum Kern vorzudringen Das ist wie beim Fußball - was es am Ende ausmacht, ist das unberechenbare - z.B. Tore in letzter Minute ;-)
Wenn ich nochmals drüber nachdenken, war der Versuch der Vermittlung von Hesse im Deutschunterricht gar nicht so schlimm, da ich Hesse trotzdem schätzen gelernt habe.
AntwortenLöschenGerade habe ich mir vorgestellt, er hätte mit uns Arno Schmidt durch genommen. Da hätte dann sicher nichts mehr gewunderkerzt und die Landschaft wäre ohne Kühe geblieben.