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Zusammen gewinnen, zusammen verlieren.

Gerne erzählt mein Mit-Adler eine Geschichte, die schon ein paar gute Jahre her ist. Berlin. Kreuzberg. Cuvrystraße. WG-Zimmer im vierten Stock eines – sagen wir mal: sanierungsbedürftigen - Altbaus.  Ein stickiger Sommerabend.  Überall ringsherum sind die Fenster weit geöffnet. Musik-, Fernseh- und Gesprächsfetzen. Plötzlich ein lauter, martialischer Schrei: „Scheiß Programm.“ Fast zeitgleich fliegt ein Fernsehgerät am Fenster vorbei und zerschlägt mit lautem Knall im Innenhof.

An diese Geschichte musste ich gestern im Waldstadion denken. 70. Minute – gerade hat Schiedsrichter Winkmann den Elfer für Ingolstadt gepfiffen. Und da ertönt er, der Urschrei, hinter uns aus dem Block – aus vollster Seele und mit Inbrunst: „Scheiß Spiel.“

Und damit ist eigentlich schon fast alles gesagt, was es aus Eintracht-Sicht zum Spiel gegen Ingolstadt zu sagen gibt. Ja, wir wussten dass der Einbruch irgendwann kommen würde.  Was, wenn nicht in Berlin oder Hoffenheim, sondern zuhause gegen Ingolstadt oder Augsburg, hatte ich letzte Woche hier im Blog gefragt und vielleicht deshalb schon vor dem Spiel ein schlechtes Gefühl. Schon kurz nach Anpfiff ahne ich, dass ich wahrscheinlich recht behalten werde.

Schon oft ist mir aufgefallen, dass Niko Kovacs Aussagen während der Pressekonferenz sehr genaue Hinweise darauf geben, mit welcher Ausrichtung wir ins Spiel gehen werden. Wer genau hinhört, kennt den Plan (und das steht in merkwürdigem Widerspruch zum Geheimtraining, das genau solche Einblicke ja verhindern will). Bei der Ingolstadt PK hatte Kovac vom kompakt stehenden Ingolstädter Kollektiv gesprochen, bei dem man schon auch mal mit langen Bällen den Erfolg suchen muss. Und tatsächlich:  Genau das tun wir dann auch. Nur schade, dass die Ingolstädter zwar kompakt stehen, aber sich durchaus nicht vor ihrem Tor – Achtung: Wortwitz! – ver-schanzen, sondern im Gegenteil sehr straight, munter, konzentriert und wach nach vorne arbeiteten. So läuft nicht nur unsere Taktik, sondern auch unsere Spieler laufen ins Leere.  Aus „mal einem langen Ball“ werden viele, viele. Vorne versuchen Ante Rebic und Haris Seferovic irgendwie irgendwas mit dem Ball zu machen und das mit mehr oder weniger Erfolg. Auch Alex Meier bemüht sich stetig ins Spiel zu kommen, kann – wenn er sich zurückfallen lässt – den einen oder anderen Ball ganz nett verteilen. Das war’s auch schon.

Das 1:0 der Ingolstädter ist eine Frage der Zeit und so fällt es dann auch nicht später, sondern früher. Die rote Karte für Abraham? Im wütenden Schiedsrichter-Bashing um mich her, traue ich mich kaum es zu sagen: Kann man geben, muss man vielleicht sogar. Nach der Halbzeit trotz Unterzahl noch einmal leise Hoffnung. Ein provozierter Elfer, den Hasebe nicht verschießen wird. Doch, wird er,  sogar gleich zwei Mal und allmählich wird es fast egal, was noch passiert und wie wir dieses Spiel verlieren. Es vollzieht sich. Vallejo muss verletzt vom Platz. Noch ein Platzverweis, noch ein Elfmeter, dieses Mal für unseren Gegner. Der Schiedsrichter stellt den Ausgleich her, was uns -  trotz zwei, drei (Seferovic, Blum) richtig guter Chancen nicht gelingt. „Der Ball rollt nicht so, wie er rollen soll.“ „Es passiert, was passiert.“ (Niko Kovac, PK vor dem Spiel)

Da haben wir ihn also, den Einbruchs-Fall. Fest habe ich mir dafür vorgenommen, nicht enttäuscht zu sein und nicht zu hadern. Jetzt tue ich es doch. Dass da auf dem Platz ist so sehr gar nichts. Waren nicht auch schon die Spiele gegen Darmstadt, in Hannover, in Leverkusen fußballerisch ziemlich dünn? Allmählich verebbt um mich her das wüste Geschimpfe in Richtung Schiedsrichtergespann, eine Art stille Resignation macht sich breit. Längst wissen wir, dass wir heute auch ohne Schiedsrichter ohnehin nichts und in gar keinem Fall etwas gerissen hätten, längst haben die Jungs und Männer in der Reihe vor mir – wie ich -  die Kapuzen ihrer Sweatshirts und Regenjacken über den Kopf gezogen. Das scheint eine Art Schutzreflex zu sein, Kopf leicht nach vorne, Kapuze  hoch, Haltung leicht nach vorne gebeugt. Schon so oft erlebt diesen Anblick, in dieser Saison bisher noch nicht.

„Wir wussten ja, dass das kommt.“  Ja wussten wir, war oft genug angekündigt, denn: „Wir sind keine Spitzenmannschaft.“ Das haben wir in den letzten Wochen in heribertartiger Weise ja oft genug gehört und so scheint es fast folgerichtig, dass die Mannschaft sich angestrengt hat, diesen Beweis jetzt auch anzutreten. Von wegen: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.  Ich wehre mich gegen allzu viel Trübsinn, unangemessen. Trotzdem vermischen sich Eintracht-Nachrichten der vergangenen Woche in meinem Kopf zu einem unschönen Konglomerat. Keine Spitzenmannschaft.  Neuer Umbruch im Sommer. Spielerdecke zu dünn. USA-Reise zur Saisonvorbereitung. Wäre Europa da nicht nur ein Störfaktor?

Es ist ja nichts passiert.  „Bayern hat doch noch den Ausgleich gemacht.“ Fünfter. Das Spiel ist aus. Händeschütteln. Schulterklopfen. Tschüss. „Macht nichts.“  „Alles gut.“ Pfiffe? Unzufriedenheit? Nichts von alledem. Heute kein Jubel – worüber auch. Die West singt, und wir  noch verbliebenen Zuschauer verabschieden die Mannschaft freundlich. Wir klatschen auf den Rängen, die Jungs klatschen auf dem Platz.  Vor zwei Wochen haben wir nach dem Spiel euphorisch von Wien, London oder Mailand gesungen. Heute klatschen wir über das, was bis hierhin alles gut war und damit auch die leise aufkeimenden Zweifel weg. Ein Moment voller Eintracht und Gemeinsamkeit, der sich richtig gut anfühlt. Weg mit der Kapuze.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob wir das sind, was wir beharrlich von uns behaupten, oder ob wir das sein wollen, was wir sein könnten, wenn wir nur wollen wollten. Zeit mal wieder Babba „Arthur“ Hesselbach zu zitieren: „Ihren Wille könne se net wolle.“  Abwarten.

Kommentare

  1. Auch das Spiel gegen Bielefeld war wohl dazu angetan, um es mit Kapuze auf dem Kopf sich anzusehen.
    Aber die Nachspielzeit hat es emotional rausgerissen. Marco Russ!!!
    Es gibt eben doch Wichtigeres als ein Fußballspiel.

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