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Alles eine Frage der Perspektive

Heute spielt die Eintracht in Hamburg. Ein Tag zum Abheben. Der Himmel ist blau, die Vöglein zwitschern, nach der kalten Nacht hängt ein leichter Dunst zwischen den noch kahlen Bäumen., die ersten Blumen recken ihre Knospen der Sonne entgegen. Der Frühling ist nicht erwacht, er ist ausgebrochen, platzt aus allen Nähten. Die Mainzer Innenstadt gleicht an diesem Vormittag  einem Wimmelbuch. Alles, was zwei Beine hat, hat sich eine Sonnenbrille auf die Nase gesetzt, isst heiße Fleischwurst und trinkt ein Schöppchen. Alles, was vier Beine hat, wälzt sich in der Sonne und streckt die Beine in die Luft. Die Marktstände sind abgegrast, trotzdem ist noch genug für alle da.  Ich kaufe Radieschen, Kresse, Lauch, Salat, Oliven, Schafskäse und einen Korb voller bunter Primeln und Hornveilchen. Der Mainzer Oberbürgermeister höchstpersönlich überreicht mir eine rote Rose zum Tag der Frau (was nicht ganz auszugleichen vermag, dass ich leider nicht auf der – fast zeitgleich zum Weltfrauentag publizierten – Liste der reichsten Menschen der Welt zu finden bin, obwohl dort  derzeit 171 Frauen  - die höchste Zahl ever – zu finden sind)  Dafür  ergattere ich auf den Stufen vor dem Theater – nach dem Rheinufer eines der sonnigsten und chilligsten Plätzchen  in der Mainzer Innenstadt  - noch ein freies Plätzchen. Auch nicht schlecht. 

Ein Tag zum Siegen. Alex Meier hat gestern seinen Vertrag bei der Eintracht um drei Jahre verlängt, die Eintracht hat heute ohnehin Grund zum Feiern  - 115 Jahre alt, ziehst mich in deinen Bann -  da ist ein  Sieg in Hamburg doch quasi vorprogrammiert.  Die Hamburger sind angeknockt, wichtige Leistungsträger (nein, damit meine ich nicht Raffael van der Vaart) fehlen, sie werden mit einer quasi nur halben Mannschaft auflaufen. Ok, wenn ich unseren Trainer richtig verstanden habe, hat das nichts zu bedeuten. Egal, wer oder was da auf der Hamburger Bank sitzt, es ist immer noch besser als das, was wir uns in unseren kühnsten Träumen erhoffen könnten, pah, da können wir uns nur die Finger nach schlecken  - trotzdem sollte da auch für so eine kleine Mannschaft, wie die Eintracht sie nun mal ist, etwas drin sein.

Spiele vor dem Fernseher bieten immer interessante Blickwinkel. So erläutert der Sky-Reporter, dass man letzte Woche beim Spiel gegen den VFB gesehen habe, dass die Eintracht (drei Tage nachdem sie aus dem Europacup ausgeschieden ist), jetzt endlich auch wieder die Luft hat (!), Spiele in der letzten Minuten zu drehen . Außerdem sei Armin Veh, „der alte Fuchs“, dafür bekannt, schnell mit Ein- und Auswechslungen auf das Spielgeschehen zu reagieren. Ach.

Letzte Woche haben wir in den letzten fünfzehn Minuten zwei Tore geschossen. Damit dies nicht wieder vorkommt, spielen wir dieses Mal lieber gleich ganz ohne Stürmer.  (Sky-Reporter:  „Eine interessante Variante, mit der Armin Veh heute überrascht.“). Nach allgemeiner Erwartung wird es in diesem Spiel ein Hauen und Stechen geben  (Jimmy Hartwig: „Das gibt ein böses Spiel“)  – stattdessen plänkelt es so vor sich hin. (Sky-Reporter: „Mein Eindruck von hier oben ist, dass die Mannschaft der Eintracht das neue System noch nicht verinnerlicht hat.“)  Der HSV geht zunächst im Mittelfeld intensiver in die Zweikämpfe als wir, hat nach vorne jedoch überhaupt null und gar keine Idee oder Durchschlagskraft. Es ist, als ob die Hamburger im Mittelfeld die Backen aufblasen und vor der Strafraumlinie den Ball freiwillig an uns abliefern. Ob wir wollen oder nicht: Wir kommen immer besser ins Spiel und auf dem Rasen scheint der Gedanke Oberhand zu gewinnen, dass die Chancen nicht schlecht stehen und wir eventuell ein Tor erzielen  können. Ecke Barnetta – der Adler im Tor rettet vor dem köpfenden Adler Russ. Zweite Ecke – Kopfball Meier, Schwegler, da  steht Madlung – tatsächlich: Madlung – mit einem wunderbaren Seitfallzieher – Tor, Tooor, Toooor.

Wir führen und im Prinzip ist das Spiel jetzt fast schon gelaufen. Der HSV wirkt halbherzig und hilflos, wir lassen es ruhig angehen.  Nur gut, dass wir aufpassen und jetzt nicht etwa das zweite Tor machen, es könnte ja sonst sein, dass wir drei Punkte mitnehmen und uns aus dem dicksten Abstiegsstrudel befreien.  Nach der Halbzeit ziehen wir uns in unsere eigene Hälfte zurück und lassen den HSV kommen. Eigentlich hätten wir am Spielfeldrand gleichzeitig auch noch eine Nichtangriffsfahne hissen können, damit die Mannschaft die Zeichen auch wirklich richtig versteht. Aber nun gut – man muss nicht übertreiben. Der HSV nimmt unser Angebot jedenfalls an und dementsprechend etwas an Fahrt auf. Das Stadion wittert seine Chance. Ha - ha - es - vau.  72. Minute. Trapp lässt einen Schuss von Calhanoglu abprallen, Zambrano klärt ungeschickt gegen Zoua. Elfer für den HSV. Calhanoglu läuft an. Knochentrocken unter die Latte.  Na, also. Sag noch mal einer, wir wären nicht in der Lage das Unmögliche möglich zu machen.  Der HSV hat den Ausgleich erzielt.  Wir haben es geschafft und wie durch Zauberhand aus drei Punkten einen gemacht.

In der 76. Minute straft Armin Veh mich Lügen und bestätigt die Aussage des Sky-Reporters: Er reagiert auf das Spielgeschehen und wechselt. Tobias Weis kommt für Tranquillo Barnetta und jetzt weiß auch der letzte, das wir nicht die Absicht haben, ein weiteres Tor zu erzielen.  Warum auch? Wenn wir Glück haben, ist der HSV dabbisch genug, kein weiteres Tor zu machen. Tatsächlich. So kommt es dann auch - am Ende steht ein 1:1.

So endet dieser Tag, der so schön begonnen hat,  nicht ganz so schön wie er hätte enden können. Seit Montag wissen wir, dass Armin Veh findet, dass unsere Mannschaft keine Perspektive hat und dass er deswegen nicht länger unser Trainer sein will.  Das trifft sich gut. Ich will - perspektivisch -  ja auch keinen Trainer, der uns lieber die Perspektive abspricht als mit uns  zusammen eine aufzubauen. Wie auch immer:  Ich gehe fest davon aus, dass das heute einfach dumm gelaufen ist und er ganz sicher nicht alles dran setzt, um am Ende recht zu behalten.

Kommentare

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Ein Tag zum Abheben. Ja. Aber nicht ohne Herz. Das ist Trumpf, singt Stephan Remmler, und gestern hat es gefehlt. Und so geht es mir wie Remmler: "Ich bleib am Boden kleben, es hat sich ausgeschwebt mit Schweben."

    Deinen ungewohnt gallig-bissigen Eintrag finde ich übrigens ausgesprochen gut und angesichts des Spiels und der Vorgeschichte nur angemessen.

    Grüße vom Kid

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  3. Dein Eintrag passt, Kerstin.

    Und so bleiben wir am Boden kleben. Ich hoffe nur, dass es nicht in den Keller der Gefühle und der Liga geht. Aber: Herz ist Trumpf (um mal bei Trio zu bleiben).

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  4. Es fehlen mir die Worte. Danke, Kerstin, das Du sie gefunden hast.

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.

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  5. Heute also ein neuer Anlauf, um das Herz in die Hand zu nehmen und uns die ärgsten Probleme vom Hals zu schaffen. 8 Punkte nach unten, das wäre zumindest die halbe Miete. Ich fürchte mich davor, was sein wird, wenn uns das nicht gelingt.

    Danke für eure Kommentar - wollen wir hoffen, dass die Gefühlslage nach dem heutigen Spiel wieder anders aussieht, obwohl...naja....mmh... Ok, Kopf hoch, Brust raus und ab ins Stadion. Wird schon werden... K.

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