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Entschleunigt

In den letzten Wochen ist – sogar in Fernseh-Talkrunden - immer häufiger von „Entschleunigung“ die Rede. Ein Begriff, der an diesen lichten, leichten  Sommertagen noch verlockender klingt als ohnehin und sich sanft, ganz sanft auch auf die Stürmersuche der Eintracht und die darob geführte Diskussion auszuwirken scheint.  Ich suche keine Verstärkungen, meine erste und und zweite Reihe ist gut besetzt, qualitativ bin ich gut aufgestellt - mein Tagesablauf ist trotzdem  im Moment eher  geschäftig und vollgepackt.  Aber auch ich hole mir meine Portion Entschleunigung  -  spät abends  nach der Arbeit unterm Sternenhimmel und  am frühen Vormittag, vor der Arbeit, im Schwimmbad in unserem Nachbarort. Der Weg dorthin führt mich vorbei an Äckern und Wiesen, durch kleine Örtchen und Weinberge.  Das Gras  und die Blüten am Straßenrand stehen hoch, die Felder sind zum Teil schon abgemäht. Die Luft ist klar. Zarte Dunstschleier. Kaum ein Mensch ist auf der Straße zu sehen. Ein Jogger mit tief ins Gesicht gezogener B-Cap. Eine Frau in kurzen Hosen tritt aus einer Hofeinfahrt, an der Leine vor ihr wuselt ein kleiner schwarzweißer Hund. Ein Radfahrer in Komplettmontur tritt kräftig in die Pedale. Am Straßenrand  steht ein mobiler Bäckerwagen, um den sich eine kleine Menschentraube gebildet hat. Ein Mädchen steht etwas abseits und beißt in eine Bretzel.

Und dann bin ich auch schon da. Der Parkplatz vor dem Schwimmbad ist fast noch leer, das Kassenhäuschen liegt still und verlassen.  Vereinzelte Handtücher und Decken wie bunte Flecken auf der Liegewiese. Das Wasser in den Schwimmbecken glitzert blau und frisch und kühl und einladend. Ein einzelner Springer übt im Springerbecken Köpfer vom 3-Meter Brett. Noch kein Mensch auf der Riesenwasserrutsche, die wie ein riesiges Urzeittier in der Sonne glänzt. Unter den weißen Sonnenschirmen des Schwimbadbistros sitzen zwei Frauen in Bademänteln, leichter Geruch nach Kaffee und Chlor. Das Schwimmerbecken ist getuppft mit hellen Gesichtern.  Frauen mit hoch gereckten Köpfen und hochgesteckten Haaren. Prustende Männer. Ein Mann schnorchelt. Sein nach oben gerecktes Hinterteil steckt in einer himmelblauen Badehose. Leises Schwappen des Wassers.  Auf der linken Seite des Beckens trainiert eine Sportlerin. Schwarze Chlorbrille, schwarzer enganliegender Badeanzug. Braun gebrannt, geschmeidig, unentwegt.

Sonst geht es im Becken gemächlicher zu. Die meisten schwimmen langsam und ruhig, aber ausdauernd. Routinierte Dauerschwimmer erkennt man daran, dass sie Badelatschen und Handtücher sorgfältig am Beckenrand deponieren.  Während Männer meistens einzeln und konzentriert ihre Bahnen ziehen, sind Frauen in der Regel zu zweit, schwimmen nebeneinander und unterhalten sich. Im Vorbeischwimmen klingen die Stimmen  durch das plitsch und platsch des Wassers. So erfahre ich allerlei: Hannah macht gerade ihren Führerschein. Lukas ist  nach dem Abitur derzeit für ein halbes Jahr in Australien.  Die Tomaten wollen in diesem Jahr nicht wachsen.  Die Elsbeth macht einen besonderen guten Kartoffelsalat. Der Rewe hat im Moment Pfirsiche im Angebot.  Und der „Maggus“ hat beim Weinfest letzte Woche ganz schön einen im Tee gehabt. Macht aber nix: Der fährt dann nicht mehr heim, der schläft im Auto. Plitsch. Platsch.

Ich selbst habe es nicht so mit dem ständigen ruhigen Bahnenziehen.  Ein paar Bahnen schwimmen, ein bisschen  plantschen, eine schnelle Bahn durchschwimmen, am Beckenrand sitzen und mit den Beinen baumeln.  Die nette ältere Dame, der ich eben auf halber Strecke begegnet bin, lächelt mir zu. „Ich genieß des so.“  Ja, wunderbar, ich auch, ich auch.  Ein kleiner, rundlicher Herr mit einer rot und schwarzen Badekappe muss jetzt erst mal raus.  - „Der Kaffee drückt.“  - und zieht ein paar Minuten später schon wieder seine Bahnen. „Ei, da sinnse ja schon wieder…“ , rufe ich ihm zu. Er lacht. „Immer ruff un runner, immer ruff un runner.“

Ich sitze und liege noch ein wenig auf der Wiese. Träge und wohlig. Wach und lebendig. Die Sonne, die früh am Morgen, angenehm warm, aber noch nicht heiß ist, umfängt mich.  Wassertropfen  auf meiner Haut. Prickeln. Ich setzte mich auf, beobachte ein Mädchen, das mit seinem kleinen Bruder Tischtennis spielt, und sich lebhaft darüber freut, dass sie besser ist. Überlege, was nachher alles so ansteht,  mmh, dies und das und auch noch jenes, mache mir ein paar Notizen  Fast ist mein  Badeanzug schon wieder trocken, schnell noch einmal ins Wasser, ein, zwei schnelle Bahnen auf und ab. Leicht und fliegend. Das Becken füllt sich allmählich. Am rechten Beckenrand, vorne, dort wo eine breite Treppe ins Wasser führt, üben drei magere kleine Jungs mit bunten Chlorbrillen das Tauchen.  Juchzen und Kreischen von der Wasserrutsche. Noch einmal untertauchen, noch einmal ein paar Meter auf dem Rücken treiben und dem  Himmelbau  ins Gesicht schauen. Dann mache ich mich auf den Heimweg.

Alla gut – der Tag kann kommen. Mal sehen, was er bringt. Vielleicht ja sogar einen Stürmer.







Kommentare

  1. Genau das ist es momentan- Entschleunigen. Wetter gut, alles gut.
    Uffrege könne mer uns dann widder frieh genug!
    Sommergruß Schötzi

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  2. "Uffrege könne mer uns dann widder frieh genug".... und zwar ruff un runner, ruff un runner ,-))

    Sommergruß zurück :)

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  3. Ich habe mal in Gedanken mitgeplanscht, die Seele und die Füße baumeln lassen - die letzteren ins kühle Nass - und fühle mich erfrischt. Jetzt kann es weitergehen, als ruff un runner. Danke. :-)

    Gruß vom Kid

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  4. Herrlich entspanntes Stimmungsbild, Beobachtungen eines Flaneurs - ähhh einer Flaneuse natürlich. Aus meinem Entschleunigungsmodus der letzten Wochen werde ich mich jetzt allmählich wieder an Volllast ranpirschen, damit ich net gleich einen Herzkasper fange, wenn der erste Uffrescher mich uffrescht, bald, im Wald oder annerswo.

    (noch) entspannte Sommergrüße von der Sarroise

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  5. Schnelle? War einmal. Bahnen? Ebenso. Vier Badeseen erreichbar per Pedales in 15 Minuten. Der kleinste von ihnen, direkt neben der Linie der Schwäbschen Eisenbahn, umgeben von Bäumen und Schilf, ist mein Favorit. 200 x 400 m. ungefähr, blau wenn der Himmel blau, grau, wenn der Himmel grau, Wasserläufer rasen über die Oberfläche, fast transparente Jungfische unterwegs, der Zufluss am Südrand murmelt leise. Vormittags, bei schönstem Sommerwetter, unter der Woche: gute Chancen, mit mir alleine zu sein. In schlechter Gesellschaft also. Einen Wurschtwecken vom Dorfbäcker dabei, derart armiert, braucht die Badehos danach nicht eigens zu trocknen. Und, nein, die Koordinaten geb ich net.

    Und wie das Proust'sche Madeleine: die Annäherung ans Freibad vor langer Zeit, zu hören aus einiger Distanz die Juchzer, das Plantschen, zu riechen der feine Chlorgeruch in der Luft. Immer schneller die Schritte, ganz unentschleunigt, immer schneller. Alle Teilchen beschleunigt. Den ganzen Tag dort geblieben, dann zurück ins Großelternhaus und dort unendlich viele Brote mit dem grieseligen Quark vom Bauernhof nebenan, mit Himeersaft aus dem Garten, getrunken aus Pressglasgläsern, in die Himbeeren hineingestanzt.

    Was mach ich jetzt? Bilder von David Hockney, Pool, Blau in Resonanz http://www.ibiblio.org/wm/paint/auth/hockney/hockney.pool-2-figures.jpg ? Fischstäbchen unter den Achseln? Nö. Mit schwerem Mut ein Glas Muskat-Trollinger, und nicht nur eines? Schon eher. Lebbe is ... wenn Li Po, in der Sommernacht, im Boot, im Fluss treibt und wie jetzt, genau jetzt gerade den Mond sich spiegeln sieht auf der Oberfläche der Wasser, sich über den Rand beugt, die Arme weit ausgebreitet, um dessen leicht zitterndes Spiegelbild zu umarmen.

    Cheers all around. ak





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  6. Scheee,dieses Kopfkino,und so erfrischend.Gute Erinnerungen hab ich an damals,trotz regelmäßiger Wespenstiche,die es nur dort gab.Die Entschleunigung findet jetzt immer mehr bei Gassigängen statt,dank meines Hundes. Es hilft ungemein bei der mentalen Bewältigung der überwarmen Dachwohnung,aber ich will mich nicht beschweren: mir habbe lang genuch gelidde!! Das Thema Entschleunigung hat übrigens Harald Schmidt schon einmal vor längerer Zeit aufgegriffen, damals zusammen mit Michael(?)Andrag, seines Zeichens FC Kölle Fan (der arme Kerl ;) ).
    Werde mich entspannt den Aufgaben des heutigen Tages entgegenschleichen.Auf die Sommerpause,sogar beim FC Barca,äh Bayern is a Ruh' ein'kehrt.

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  7. Danke euch sehr, dass ihr kurz mit ins Wasser gesprungen und eingetaucht seid. Ob mit Hund, beim Eisbecher, mit baumelnden Füßen am Beckenrand oder flanierender Weise - dieses Wetter wird jetzt nicht erlitten, sondern erlebt. Das muss man einfach ausschwitzen ,-) So viele Erinnerungen, so viele Sommer. Dir, lieber Zauberer, vielen Dank für die Bilder, die du gemalt hast. Der leise glucksende See. Die grieseligen Quarkbrote und der Himbeersaft bei den Großeltern. Der zitternde Mond im Fluss. Gestern Nacht stand er rund und schön über dem Haus, fast hätte ich ihn hier behalten.

    Lgk

    PS: Wo ist er denn nun der Schwimmer…ähem… Stürmer? E roi middem ,-)

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