Seit gut einer Woche läuft jetzt die
Fußballeuropameisterschaft und obwohl ich mit der deutschen
Fußballnationalmannschaft nicht so furchtbar viel am Hut habe, bin ich mit
Interesse und – fast schon überraschend viel – Spaß dabei, und lasse mich
einfach durch diese mit Fußball gesprenkelten Tage treiben. Die Tage verlaufen
wellenförmig. Arbeit, Alltag, Freizeit – alles gruppiert sich irgendwie um die
Ereignisse in Polen und der Ukraine. Egal, wo man sich befindet, der Fußball
läuft sozusagen immer mit, tupft die Tage. Länder. Menschen. Geschichten, Namen
– Stars, alte, neue, fast schon vergessene, wieder aufgetauchte. Und sie alle
bilden eine bunte Kette mit dem, was sonst so geschieht, mit Bildern, großen
und keinen Erlebnissen, dem Gang der Dinge.
Abgabetermine. Telefonate. Geburtstage. Die immer neuen Wellen der EU-Krise. Besuche
im Krankenhaus (nichts Schlimmes!).Erdbeermarmelade. Gespräche über Johann Gottlieb Fichte, über Nancy Mitford ,
Grillwürste und die Welt, um die es nicht zum besten bestellt ist. Rosen, unglaublich viele, ausdauernd blühende, duftende Rosen. Straßen und weite Felder. Offene
Fenster. Regen. Wolken, die ziehen. Drei Adlerbabys und ein totes Kaninchen. Mails. Eine Postkarte von den Bermudas. Matthias Lehmann, der die Eintracht leiderschon wieder verlässt. Martin Lanig, der zur Eintracht kommt, vor allem weil er groß ist. Ein Tischtennismatch. Erinnerungen an die EM vor vier Jahren und drei abgedrehte glückliche Tage
zwischen Mozart, Dylan, Griechen und Schweden (vielen, sehr vielen Schweden) in
Salzburg. Von links nach rechts und von rechts nach links mal mit, mal ohne Maus durchs Bild laufende
Katzels. Triefend nasse Bäume. Pokalauslosungstermin. Die Musik von Element of Crime und Johnny Cash. Das – leider nur
hinter Oli Kahn – glitzernde Meer hinter Usedom. Fabregas. Torres. Ashley Cole. Buffon. Steven
Gerrard. Good old Fanis. Gorden Schildenfeld. (Unser. Gordon. „Ein Kracher.“ Huch.) Der schöne Milan Baros. Tatsächlich. Schevschenko. Ibrahimovic. Ronaldo.
Wayne Rooney, die Perle des englischen Proletariats. Und natürlich auch die
Trainer: Mensch, ja klar, der Trapp trainiert die Iren. Morten Olsen bei den Dänen. Roy Hodgson. Oleg
Blochin. Tatsächlich.
Schuhu, schuhu |
Zwar habe ich erst zwei oder drei Spiele ganz richtig - also von Anfang bis Ende - gesehen, aber trotzdem alle Spiele irgendwie – hier mal ein paar Minuten durch
eine geöffnete Tür, eine Halbzeit aus
dem Augenwinkel auf die Leinwand im Zelt auf einem Weinfest, auf einem zur Leinwand umfunktionierten Bettlaken
bei einem Adlergrillfest, stehend vor einem Schaufenster, nebenbei,
zwischendurch, die ersten zwanzig Minuten, die Endphase.
Und das, was ich von den Spielen nicht gesehen habe, habe ich in der Regel zumindest gehört, meist ebenfalls irgendwo vom Rande. Deswegen ist diese EM
für mich im Moment nicht nur eine Bilder-, sondern – in guter Ror Wolfscher
Tradition - auch eine Hörcollage. Das hängt damit zusammen, dass ich mich
derzeit im Sommersitzstreik befinde und – wenn ich nicht unterwegs bin – meine
Abende draußen verbringe, und zwar unabhängig davon, wie das Wetter ist. Es ist
Sommer, basta. Irgendwann um acht oder halb neun (früher klappt es
arbeitsbedingt leider nicht) beziehe ich Stellung auf dem Bänkchen hinter dem
Haus, wo ich – wenn es hart auf hart kommt – auch Schutz vor Nässe von oben
finde. Ich habe etwas zu trinken bei mir
– manchmal Tee, manchmal Äppler, häufiger ein Bier oder ein Glas Rotwein. Normalerweise
zwitschert in der Abenddämmerung ein Amselmännchen von der höchsten Tanne
herab, an drei Tagen hatten zwei Baby-Eulen, die sich in unseren Garten verirrt
haben, das Kommando übernommen und fiepten und krächzten in den höchsten Tönen nach
ihrer Mama. Die Türen zu Wohnzimmer und
Küche stehen weit auf, drinnen läuft – gedämpft - der Fernseher – und so bin
ich immer sprungbereit, wenn sich das Geschehen zuspitzt und
habe also die bisherigen Höhepunkte dieser WM selbstverständlich live
miterlebt: Das Spiel der Spanier gegen
die Italiener. Den Sieg der Dänen gegen die Holländer. "Unser" Spiel gegen Dänemark, bei dem es die Fernsehgeräusche nicht gebraucht hätte, weil es aus allen umliegenden Fenstern und Gärten stöhnte, schrie und jubelte. Die Wahnsinns zweite
Halbzeit zwischen Schweden und England,
die jeden Systemtheoretiker zum Erstummen gebracht hat. Einfach nur Fußball. Was für ein
Schlagabtausch. Was für ein schräges, großartiges Tor. Und - natürlich! - die mit wehenden Fahnen gegen Spanien untergehenden, singenden
Iren. Die singenden Iren:
Die Gruppenphase der EM ist vorbei. Die unglücklichen Ukrainer, die leider etwas lethargischen Polen, die mir in persönlicher Adlerverbundenheit besonders nahe stehen, sind leider bereits draußen. Statt Koko koko Euro Spoko wieder Chopin im Lazienki-Park in Warschau und der weite Sommerhimmel über den Seen Masurens. Ab jetzt ist alles
möglich, natürlich wird überall getippt (gibt es überhaupt jemanden der nicht in einer oder mehreren Tippgruppen aktiv ist?)
und bei jedem haben sich spezielle Favoriten herauskristallisiert. Für meinen
Mit-Adler sind das z.B. zuallerst die Italiener – das stand für ihn, der in guter Tradition all der Gentiles, Rivas
und Riveras und auch ohne „Kantenatscho“ (Zitat Jupp Derwall) unverbrüchlich
ein Freund der italienischen Oper und des italienischen Fußballs geblieben ist
– bereits nach dem Auftaktunentschieden gegen Spanien fest. Das zweite
Unentschieden gegen Kroatien hat ihn in seiner Meinung bestätigt. Gestern –
beim Spiel gegen die Iren – kam er zum
ersten Mal ins Wanken, allerdings erst in der 85. Minute als das 2:0 fiel. „Die
Italiener im Torrausch? Da läuft etwas
falsch...“ Wir werden sehen: Hund sind
sie schon, jedenfalls. Ich tendiere – wider jede fußballerische Expertise – zu den
Engländern. Hey. Bei jedem fußbalerischen Großereignis bin ich überzeugt, dass sie sich dieses Mal zusammenreißen und um den Titel mitspielen. Dieses Mal werden sie es mit ihrem (jawohl!) "70er-Jahre-Fußball" (Zitat Mehmet Scholl) tatsächlich tun. Falls nicht doch die Italiener...mmh... Und dann sind da natürlich die
Griechen, die sich partout nicht retten lassen wollen und den fußballerischen Rettungsschirm erst mal selbst aufgespannt haben. Dazu kann man sie beglückwünschen, auch wenn uns als Nebenwirkung allabendlich Costa Cordalis in deutschen Fußballexpertentalkrunden den Griechen gibt und sein Anblick den friedlich dösenden Zuschauer aus dem Sessel hochschrecken lässt. Ein Treppenwitz wäre es schon, wenn die. Gegen uns. Also ausgerechnet. Und wenn es tatsächlich so kommt, dann möchte ich doch sehr bitten,
dass T. Gekas das entscheidende Tor erzielt. Oder – noch besser – Schorschi
Tzavellas. Selbstverständich sind natürlich auch die Spanier mit
im Titelrennen. Erstens weil sie nach wie vor den grandiosesten Fußball spielen
(wow! Iniesta!) und zweitens, weil sie sich jetzt ja auch retten müssen und dabei zu allem fähig sind.
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Typische lustige Kopfbedeckung |
Während der ersten EM-Tage hatte ich das Gefühl, als sei die Schland-Immunität, die mich (und nicht nur mich) seit Jahren befallen hat , auf dem Weg, sich in eine neutral-freundliche Anteilnahme zu verwandeln, zumal ich von meinem Randplatz zunächst den Eindruck hatte, als ob die Fußballgroßereigniseuphorie diesmal in deutlich gemäßigteren Bahnen verliefe als in den Jahren zuvor . Fast schon lakonisch kam mir das alles vor – im Sinne von: Na gut, es ist mal wieder so weit, die Menschen befestigen pflichtschuldig Deutschlandfähnchen an ihren Autos, schwarzrotgoldene Mützchen werden über die Rückspiegel gestülpt (was dem Auto eine Art „Arsch mit Ohren“-Optik verleiht), vor den Spielen hüllen sich Menschen in bunte Gewänder, hängen sich Fahnen um die Schulter oder setzen sich einen lustigen Hut auf den Kopf und versammeln sich. Seit den Spielen gegen Holland und Dänemark weiß ich: So einfach werden wir auch dieses Mal nicht davonkommen, im Gegenteil scheint die fast schon hysterische Feierstimmung neuen Höhepunkten entgegenzutrudeln. Du liebes bisschen. 28 Millionen Feierbereite vor den Bildschirmen. 150.000 auf der Fanmeile in Berlin. Überfüllte Stadien. Menschen, die sich in den Armen liegen und sich nicht halten können vor Glück. Jubelorgien. Wir alle feiern bis die Schwarte kracht. Sind glücklich. Überglücklich. Unfasslich glücklich. Unglaublich. Noch mehr. Noch überschwänglicher. Mehr. Mehr. Mehr. Vor dieser EM hatte ich gedacht, dass ich alle lustigen Kopfbedeckungen bereits kenne und es schlimmer nicht mehr kommen könne. Seit ich gestern eine junge Frau an einer Bushaltestelle gesehen hab, einfach so, aus heiterem Himmel und mit ernstem Gesicht, weiß ich: Doch. Es kann.
Aber stopp. Vielleicht ist das alles eine Sinnestäuschung.
Wer weiß, woher diese Bilder stammen und wann sie entstanden sind? Haben wir nicht gerade in den letzten
Tagen gelernt, dass man nicht jedem und allem trauen soll, was man sieht? Wie
war das noch gleich: Der lockere Bundesjogi spitzelt eben noch neckisch einem Balljungen den Ball aus
dem Arm und per Hacke wieder zurück – und jubelt nur Sekunden später über das
1:0 von Gomez gegen die Holländer. Hinterher erfahren wir, dass das alles nur eine Bildercollage war. Die ach-so-heitere kleine Szene hatte sich bereits vor dem Spiel ereignet, hat aber mitten im Spiel so gut rein gepasst. Hat die Bildregie so entschieden.Da kann der DFB, da kann das ZDF nichts machen. Da ist er (die) macht-los. Immerhin wissen wir jetzt: "Die UEFA hat eine Produktionsfirma mit der Erstellung des Weltbildes beauftragt." Und: „Auf die Gestaltung des Weltbildes haben wir keinen Einfluss.“
Ok Leute – dann ist ja alles klar und wir brauchen uns weltbildmäßig weiter keine Gedanken zu machen. Uff. Wir sind entlastet. Wird im Auftrag der UEFA produziert. Trotzdem bleibt eines bestehen und zwar hier und jetzt und unumstößlich, spätestens ab dem dritten Schland-Spiel: Für seine Kopfbedeckung ist jeder selbst verantwortlich.
Nachtrag am 21.Juni in Sachen Tipps:
Der ultimative EM-Tipp stammt im Übrigen von Wencke Myhre. Ein Adlerfreund hat ihn in einer Fernsehzeitschrift gelesen und mir darüber berichtet. Gute Chancen auf den Europameistertitel hat demnach: Norwegen. Weil: Die haben so viele gute Spieler. Darüber sollten wir alle noch einmal nachdenken.
Ok Leute – dann ist ja alles klar und wir brauchen uns weltbildmäßig weiter keine Gedanken zu machen. Uff. Wir sind entlastet. Wird im Auftrag der UEFA produziert. Trotzdem bleibt eines bestehen und zwar hier und jetzt und unumstößlich, spätestens ab dem dritten Schland-Spiel: Für seine Kopfbedeckung ist jeder selbst verantwortlich.
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O, wie bin ich schön. |
Nachtrag am 21.Juni in Sachen Tipps:
Der ultimative EM-Tipp stammt im Übrigen von Wencke Myhre. Ein Adlerfreund hat ihn in einer Fernsehzeitschrift gelesen und mir darüber berichtet. Gute Chancen auf den Europameistertitel hat demnach: Norwegen. Weil: Die haben so viele gute Spieler. Darüber sollten wir alle noch einmal nachdenken.
Steven Gerrard schreibt man hinten auch mit "r".
AntwortenLöschen@ Anonym: Uii. Mein Text scheint dich ja schwer beeindruckt zu haben. Danke für den Hinweis. Ich korrigiere das (und auch den ein oder anderen weiteren Tippfehler, den ich heut morgen übersehen habe)
AntwortenLöschenWelche Erleichterung, dass ich die bundesligafreie Zeit nicht auch noch rotundschwarzfrei überstehen muß. Danke für den schönen Text, wie so oft kommt Deine Stimmung direkt und nah „rüber“. Und danke auch dafür, dass ich doch nicht die einzige bin, die noch freundliche Gefühle Good old Fanis gegenüber hat.
AntwortenLöschenarsch mit ohren-optik - genau das habe ich auch schon gedacht. und dass wir auf die gestaltung des weltbildes keinen einfluss haben, nun gut. solange uns die hutgestaltung obliegt ist alles ... irgendwie.
AntwortenLöschen@Nicola: Und was für eine Erleichterung, dass rotundschwarz die bundesligafreie Zeit nicht Nicola-kommentarlo überstehen muss :-) Wg. Gekas: Ich weiß nicht, ob es wirklich freundliche Gefühle sind, die ich mir ihm gegenüber bewahrt habe - wie es innerhalb der Mannschaft war, weiß ich nicht, UNS hat er jedenfalls nie etwas vorgemacht: Einer, der seinen Job macht und wenn der Wind aus der anderen Richtung weht, wieder weiterzieht. Hab da vor anderthalb Jahren mal was drüber geschrieben: Klick!
AntwortenLöschen@Beve: Irgendwie. Und auf jeden Arsch mit Ohren passt sogar noch ein Hut ,-)
Danke sehr für eure Kommentare. Es grüßt: K (vom Rande des Weltbilds)