Soll ich oder soll ich nicht? Bin sicher, dass nicht nur ich mir diese Frage gestellt habe. Selbst am Donnerstagnachmittag war ich mir noch nicht ganz sicher, ob ich mir den Aleschia-Abend im Eintracht-Museum tatsächlich antun sollte. Entschloss mich, meine Entscheidung davon abhängig zu machen, ob Nicole, mit der ich mich schon eine ganze Weile vergeblich versuche zu treffen, kommen würde. Nachmittags die Mail: Bei mir alles klar. Ich bin da. Damit waren die Würfel gefallen – ich bin auch da. Und so fuhr ich los.
Der kleinere Vorraum im Museum war gut gefüllt, überwiegend nicht mehr ganz junge Gäste. Hallo hier, hallo da. Endlich die längst überfällige Aufstiegsumarmung mit Nicole. Und dann geht es auch schon los. Matthias Thoma begrüßt die Gäste. Ein bisschen Vorgeplänkel.Trauma hier, Trauma dort. Alfons Berg und der Spatz von Konz. All die Versatzstücke, die sich inzwischen fast schon verselbstständigt und sich abgelöst haben von diesem schrecklichen Tag und bei denen wir – wie bei so vielem – aufpassen müssen, dass sie nicht Teil einer gut geölten und gepflegten Eintracht-Erinnerungsmaschinerie werden.
Zum Auftakt des Abends flimmern Bilder des Spiels über die Leinwand. Alles zieht sich in mir zusammen. Beve, der die Veranstaltung lebendig und kenntnisreich moderiert, trifft - einmal mehr - den richtigen Ton, berichtet von seiner Vorbereitung auf den Abend, davon wie er im Hof saß, Flieger über ihn hinwegdonnerten, wie er in Unterlagen blätterte und auf einmal merkte, dass ihm - jetzt und hier und zwanzig Jahre später - Tränen die Wangen herunterliefen. Tränen um einen verlorenen Traum.
Einmarsch der Gäste: Manfred Binz. Ralf Weber. Dietmar Roth. Lothar Sippel, der - Zufälle gibt’s – vor ein paar Tagen an einem Promi-Fußballspiel mitgemacht hat, das von Alfons Berg gepfiffen wurde. Ralf Falkenmayer. Bei uns, bei der Eintracht und auch bei diesen Vieren ist es nach Rostock irgendwie weitergegangen. Natürlich, es geht immer weiter, und trotzdem hängt über uns, über der Eintracht, über ihnen immer so ein Wölkchen in dem steht: Was hätte alles sein können…. Was wäre gewesen, wenn… Matze Thoma teilt mit, dass der ebenfalls angekündigte Dragoslav Stepanovic aufgrund einer Erkrankung seiner Mutter an diesem Abend nicht anwesend sein kann. Und so traurig der Anlass für Stepis Fehlen ist – so richtig vermisst wurde er an diesem Abend nicht. Wer weiß, ob der redselige Stepi den ein oder anderen weniger gesprächigen Gast am Ende vielleicht übertönt hätte. Manche Geschichte wäre vielleicht nicht erzählt worden. Wer weiß.
Die Vor-Rostock-Saison. Das unfassliche 0:6 im Heimspiel gegen den HSV, das damals letzte Spiel unter Jörg Berger.„Wie war das für die Mannschaft, damals als dann Stepi kam?“ Fragt Beve. Stille. Der sehr eloquente Dietmar Roth findet als erster die Worte: „Er hat zumindest für gute Stimmung gesorgt.“ „Greif“ hieß es dann auf dem Trainingsplatz und spätestens nach einer Woche hatten alle den Ruf – und vor allem das, was damit gemeint war - verinnerlicht: Angreifen den Gegenspieler. Schon schwieriger war es bei der Vorbereitung auf Spiele. Manch einer, der am Abend vor dem Spiel noch für die erste 11 vorgesehen war, fand sich am Spieltag dann doch auf der Bank wieder, weil der Trainer nachts eine Eingebung gehabt hatte. (Erinnere mich noch gut an einen der Stepi-Standard-Sätze: „Muss ich werfe…“) Nicht nur Stepi, auch die Spielersitzung warf vor einer Begegnung manche Frage auf – z.B. warnt Stepi vor dem Spiel gegen Werder: "Der Rehhagel, der is e Trainer müd." Stunden später, auf der Heimfahrt im Bus, fiel dann bei den Spielern der Groschen: Rehhagel war nicht etwa schläfrig - müd war nichts weniger als die serbohessische Adaption des englischen „Myth“ : Rehhagel, ein Trainermythos. Auf der Rückbank des Spielerbusses lachten sie sich scheckig.
Alles, alles ist wieder da – und zwar so sehr da, als sei es nicht zwanzig Jahre her, sondern gerade erst ein paar Tage. Kein Stück nostalgisch oder gar verklärend. Wieso auch? Es war so wie es war. Wunderbar und fürchterlich. Banal und großartig. Peinlich und schrecklich. Anrührend. Unfreiwillig komisch. Schräg. Und alles steht mit einem Mal so unverfälscht und unvermittelt wieder vor mir, dass es mich fast umhaut. Es ist nicht dieser eine Tag, in den alles mündete, es sind die Jahre davor und danach, vom Pokalsieg in Berlin bis zum ersten Abstieg 1996, die wie eine Welle über mich schwappen. Die Erinnerung an eine Zeit, in der mir die Eintracht so nah war wie nie – und zeitgleich, fast greifbar die Erkenntnis, dass das vor allem auch deshalb so war, weil sie mir fern genug war, um nur manches zu wissen und das weitaus meiste nur zu ahnen. Es ist ein Gefühl wie die Liebe zum Meer: Auch wenn man lange nicht mehr da war, trägt man sie in sich, ganz fest, unverrückbar – und an dem Tag, an dem man dann wieder an einem Strand steht und ins Weite blickt, ist es wie ankommen, wie zu Hause sein in der Unendlichkeit. Schon immer da und immer weiter. Die Sonne scheint, der Wind weht, es stürmt. Man fügt sich hinein. Genau so, genau so fühlt sich das an, so war es, so ist es, so soll es sein, die Welt, das Meer. So war sie, so ist sie die Eintracht.
"Der Toppmöller, der hat dem Manni seine Serie kaputt gemacht", sage ich zur ganz hinten neben mir stehenden Nicole und als hätte Manni Binz vorne gehört, was ich gesagt habe, bricht die Geschichte regelrecht aus ihm heraus. Das war dann schon nach Rostock. Saison 93/94. 246 Spiele ununterbrochen, in Folge hatte Manni Binz bis dahin für die Eintracht gemacht. Manni, der Musterprofi, und dann, als bei der Eintracht alles drunter und drüber ging (vor meinem inneren Auge sehe ich Uli Stein am Riederwald eine Außentreppe hinaufsteigen und zum Rapport antreten), von Klaus Toppmöller willkürlich, jawohl, willkürlich (das sind meine Worte, nicht die von Manni) auf die Tribüne verbannt, Serie kaputt und irgendwie ist dabei – zu allem, was ohnehin schon zerdeppert worden war – noch mehr kaputt gegangen als „nur“ eine Serie . Ein Stück Unschuld. Naivität. Gerechtigkeit. Bin heute noch empört, wenn ich daran denke. Und ich glaube zu spüren: Manni Binz, der (Zitat Beve) „heute in Offenbach sein Geld verdienen muss“, ist es auch.
Links außen sitzt Ralf Weber, der immer noch und immer wieder, wenn er auf die Szene nach dem Spiel angesprochen wird, kurz vor einem Wutausbruch zu stehen scheint. All die Elfer, die in dieser Saison nicht gegeben worden sind. (Beve stellt klar: Die Legende, dass die Eintracht in dieser Saison gar keinen Elfer bekommen hat, stimmt nicht - zwei waren es am Ende dann doch - dieser eine in Rostock war jedenfalls nicht dabei). Und es war ein Elfer. Glasklar. Der Fahrer, der damals den Mannschaftsbus gefahren hat, gehört heute Abend ebenfalls zu den Museumsgästen und erzählt wie das war, als er nach dem Spiel schon ahnte, dass da noch was kommen kann und wie er sich mit seinem ganzen Körper an Ralf Weber klammerte und verhinderte, dass der nicht nur eine Kamera, sondern vielleicht sogar seine ganze weiter fußballerische Karriere in Schutt und Asche tritt. Das Bild des tobenden Webi, der dann irgendwann in sich zusammensackt– auch diese Bilder haben wir vorhin auf dem Bildschirm gesehen. Der auf dem Boden kauernde, verzweifelte, vor Zorn weinende Ralf Weber – Bild gewordener Ausdruck einer kollektiven Gefühlslage. So, genau so wie Ralf Weber, so haben wir, so habe ich mich damals gefühlt: Wütend. Außer mir. Zornig auf alles und jedes. Auf Alfons Berg? Ach, vielmehr noch auf die Mannschaft, die mich, die uns allein gelassen hat. Sie haben uns die Meisterschaft nicht nur nicht geschenkt – sie haben sie uns aus der Hand gerissen. Niedergeschmettert, leer, fassungslos, grenzenlos enttäuscht. Das konnte, das kann nicht wahr sein. Doch.
Ganz rechts außen sitzt Ralf Falkenmayer. Falke. Mein All-Time-Lieblingseintrachtler, Fußballer durch und durch, Techniker, Kämpfer, Läufer („Mir hat das Laufen nie was ausgemacht – schon in der Jugend hab ich zweimal hintereinander – erst A- und dann B-Jugend – gespielt.“) – und trotzdem immer irgendwie im Schatten der „Großen“ in der Mannschaft. Zurückhaltend, freundlich, einfach, ehrlich. Wie aus dem Nest gefallen – so wirkt er irgendwie auch heute noch. Was für ein Glück als er damals, 1989, aus Leverkusen zur Eintracht zurückkam. Wir waren uns damals sicher – eigentlich hatte er nie dorthin gewollt. Bilder des Abends vermengen sich mit Bildern von damals. Waldstadion. F-Block. Freundschaftsspiel in Guntersblum. Falke trinkt Colabier und sitzt auf einem Holzbänkchen. Die Sonne scheint.
Beve betont die fußballerischen Qualitäten von Falke. Manni Binz nimmt den Faden auf, verstärkt, verdeutlicht wie wichtig Ralf Falkenmayer für diese Mannschaft war – auf dem Platz, aber auch außerhalb. Er hat nie viel gesprochen und nie viel von sich hergemacht, der Falke, aber er war immer da – auf den konnte man sich verlassen, auf dem Platz sowieso und auch sonst. Die "Rebellen" um Uli Stein, die Gerster-Boys – in dieser Mannschaft war einiges los. Und zu welcher der beiden Gruppen - which side are you on? - gehörte damals Falke? Er denkt einen Moment nach. „Ich hätt wahrscheinlich öfter mal den Mund aufmachen sollen“, sagt er. Und: „Ich war bei keiner Gruppe. Ich wollt eigentlich immer nur Fußball spielen.“ Ach, Falke. Ach.
Fußball 2000. Auf dem Platz konnten sie an guten Tagen spielen wie von einem anderen Stern. 11 Freunde mussten und wollten sie wohl trotzdem nicht sein. Der Andi und der Uli zum Beispiel - die mochten sich nicht, überhaupt nicht. Andi war für Uli so was wie ein rotes Tuch, aber der Uli konnte den Andi anmachen, so viel er wollte – der Andi hat nie zurück gestritten. „Und das hat den Uli dann erst so richtig wütend gemacht“, erzählt Ralf Weber. Überhaupt der Andi: "Eine Geschichte fast wie die von Lothar Matthäus", resümiert Beve. Ob Möller überhaupt eine einzige Stimme bei der Wahl der 11 Eintracht-Säulen bekommen wird? Frage ich mich und für einen Moment steigt er noch einmal in mir hoch, der Schmerz, den ich um Andi Möller gelitten habe. Heute erschrecke ich mich, wenn ich ihn sehe, aber lange, lange wollte ich nichts auf ihn kommen lassen. Mann, Mann – wie viel Geduld und Liebe und Leidensfähigkeit. Verschenkt. Habe immer verdrängt, dass er zwar ein richtig guter Fußballspieler, aber eben nicht das liebe goldische frankfurter Bubsche, sondern ein Gerster-Bubi und – nach Rostock – sogar nur noch (tschuldigung) eine - so said ,-) - „Turiner Drecksau“ war. Noch heute habe ich in einer Handtasche (ich benutze höchst selten Handtaschen und bin ein treuer Mensch) ein Duplo-Bildchen von Andy Möller, das mir ein Arbeitskollege Anfang der 90er geschenkt hat. Ich erinnere mich sogar noch an die Situation: „Da haste dei Andische…“ Ja, da hatte und habe ich’s. Für das Spiel gegen Rostock war eine Siegprämie ausgelobt worden - die für Andi Möller war fünf Mal so hoch wie die der anderen Spieler, erfahre ich am Donnerstagabend. Ob ihm das etwas ausgemacht hat, fragt Beve bei Manni Binz nach. Nein, hat es nicht. „Der Andi hat ja auch sonst fünf Mal so viel verdient.“ Alle lachen.
Der Uli war da ein ganz anderes Kaliber. (Mini-Erinnerungsflash an einen kuriosen Sommernachmittag bei einer Reisebüroeröffnung in Niederrad, zu der mich ein Kollege mitgenommen hatte, der immer vorgab jeden und alle „bei der Eintracht“ persönlich zu kennen. Stepi stand hinter dem Grill und rauchte eine Zigarre und ein sichtlich gelangweilter Uli Stein verteilte die Tombolagewinne). Jedenfalls: 20 Wodka-Lemon konnte der trinken, wenn die Jungs mal abends zusammen auf der Piste waren, und das Schlimmste dabei: Er stand auch dann immer noch aufrecht wie ein Baum. An solchen Abenden war er mit allen gut Freund, Super-Fußballer, alle. Am nächsten Tag im Training war das dann wieder vergessen, und wer Uli krumm kam, konnte sich einiges anhören, deutlicher: Der wurde zusammengeschissen.. Z.B. konnte Uli Stein, ehrgeizig wie er war, es auf den Tod nicht ausstehen ein Tor zu fangen – nicht mal im Training. Was da während des Spiels alles von hinten kam... „Heute mit den tausend Richtmikros überall rund um den Platz – der Uli wär verloren“, sagt Dietmar Roth.
Ralf Falkenmayer hat noch einen Termin und muss ein bisschen früher gehen. Die ca. 100 Museumsgäste stehen auf, klatschen. Falke, Falke rufe ich. Direkt an uns vorbei geht er zum Ausgang, wird noch von einigen Fans aufgehalten, signiert Bücher und Autogrammkarten. Soll ich… Oder bin ich aus dem Alter nicht eigentlich raus? Mir doch egal. Ich drängele mich durch. „Falke, würdest du bitte…“ Das Aufheben, das jetzt hier um ihn gemacht wird, ist ihm ein bisschen unangenehm, das ist deutlich zu merken. Aber er macht und tut, unterschreibt, hört einem Herrn, der dreimal so groß und kräftig ist wie er, aufmerksam zu. Und so setzt er auch jetzt seinen Namen direkt neben meinen Falke-Pin, der seit Jahr und Tag meine Umhängetasche ziert – er lächelt ein bisschen, als er den Button sieht. Von wegen: Huch, das bin ja tatsächlich ich. Sage ihm, wie froh ich bin, dass ich ihn heute Abend hier im Museum persönlich kennen lernen durfte. Vielleicht ja doch auch noch ein Foto…? Mir ist das ein bisschen peinlich, man ist ja kein Teenie mehr, aber – hey – egal, Herz über Hürde. Nicole schnappt sich die Kamera. Und so sind wir jetzt also gemeinsam auf ein Bild gebannt, Falke und ich, stehen da, lächeln beide ein wenig verlegen in die Kamera - und es ist noch sehr die Frage, wer von uns beiden unsicherer ist. Als ich zu meinem Platz zurückgehe, merke ich, dass mir die Knie ein wenig wackeln. Kerstin, du Kindskopp. Mein Herz klopft wild. Menschenskinders. Falke.
"Seid ihr damals, am 15 Mai 1992, am Tag vor dem Spiel, seid ihr da mit dem Gefühl nach Rostock gefahren, dass ihr eigentlich schon Meister seid?" Hatte Beve vorhin in die Runde gefragt. Nein, nein. Natürlich nicht. Man muss erst noch gewinnen. Voll konzentriert waren sie, wussten dass es schwer wird in Rostock, schon im Hinspiel hatten sie sich zuhause schwer getan. Halt, will ich rufen, halt. Das stimmt so nicht. Mag ja sein, dass das bei euch so war – obwohl man, wenn man sich das Ergebnis ansieht, da schon seine Zweifel haben darf. Aber wir, wir Fans, wir waren - ICH war Deutscher Meister an diesem 15. Mai 1992, am Tag vor dem Spiel. Nicht aus Leichtfertigkeit oder Arroganz, sondern weil es gar nicht anders sein konnte. Sie mussten es nur noch nach Hause bringen. So viele Chancen, den Sack zuzumachen in den Spielen davor bereits vertan, dieses eine Mal würden sie es durchziehen. Diese Meisterschaft kann uns keiner mehr wegnehmen. Dachten wir. Und: Nein, wir haben uns an diesem letzten Bundesligaspieltag nicht getroffen, um uns im letzten Saisonspiel zur Meisterschaft zu zittern – wir haben uns getroffen, um die Meisterschaft zu feiern. Es kam anders. Ein Häufchen Elend, kauernd auf dem Küchenfußboden.
Nach diesem Abend im Museum habe ich – wie ich glaube - besser verstanden, warum wir damals nicht Meister geworden sind. Vielleicht sogar: Warum wir damals gar nicht Meister werden konnten. Man kann es sich irgendwie zusammenreimen. Und mein Eindruck war: Die Jungs, die da vorne gesessen haben und die diese Enttäuschung jeder auf seine Art heute noch mit sich tragen, die wissen es eigentlich auch. Jeder für sich.
Noch etwas steht mir seit Donnerstagabend noch deutlicher als vorher vor Augen: All das, was wir damals diskutiert, gefühlt, gehofft, geträumt, gelitten haben, es wäre nicht zu dem geworden, was es ist, wenn wir uns auch damals schon Wochen vorher, nachher im Netz, im Forum, in Blogs, in Facebook darüber ausgetauscht, es bebildert und vorne nach hinten gewendet hätten – ich bin mir sehr sicher: Da wäre er nicht dieser tiefe, ganz und gar persönliche Schmerz, den jeder Einzelne von uns, die wir damals schon dabei waren, mit und in sich trägt. Ein Müd.
Ralf Weber tritt noch einmal gegen die Pappkamera, die das Museumsteam neckisch für ihn bereithält. Fotos werden gemacht. Manni Binz erzählt noch kurz was er damals, an dem Abend nach dem Spiel gemacht hat: Beim Empfang im Hotel hat er, der eigentlich nie Alkohol getrunken hat, innerhalb einer halben Stunde eine halbe Flasche Wodka geleert, die nächsten Stunden im Klo verbracht und sich dort im Nebel mit wildfremden Menschen unterhalten. Das ein oder andere Mal hat er sich seit damals – „mit dem Webi zusammen" - eine Rostock DVD angesehen - Zusammenschnitte vor, während und nach dem Spiel in Frankfurt. „Das war unglaublich, wie sehr da alle mitgefiebert und an uns geglaubt haben,“ sagt er. Und: „Da denke ich oft drüber nach.“
Scherz- und Dankesworte fliegen hin und her. Vielleicht treffen wir uns ja in 30 Jahren wieder - vielleicht ja mit der kompletten Mannschaft, die zwar nicht Meister geworden ist, aber so nahe dran war an der Meisterschaft wie seit 59 keine andere. „Da lassen wir es dann richtig krachen,“ sagt Matze Thoma. „Besser nicht“, meint Dietmar Roth. Ja. Besser nicht. Vielleicht findet sich bis dahin ja doch noch ein besserer Anlass.
Aus. Aus. Ziemlich schnell nach dem Abpfiff verlasse ich das Museum.Will für mich sein. Setze mich auf das Bänkchen seitlich der Trainingsplätze, schaue in den Nachthimmel, atme Eintracht, und brause dann durch die Nacht nach Hause. Merkwürdig glücklich, irgendwie.
Der kleinere Vorraum im Museum war gut gefüllt, überwiegend nicht mehr ganz junge Gäste. Hallo hier, hallo da. Endlich die längst überfällige Aufstiegsumarmung mit Nicole. Und dann geht es auch schon los. Matthias Thoma begrüßt die Gäste. Ein bisschen Vorgeplänkel.Trauma hier, Trauma dort. Alfons Berg und der Spatz von Konz. All die Versatzstücke, die sich inzwischen fast schon verselbstständigt und sich abgelöst haben von diesem schrecklichen Tag und bei denen wir – wie bei so vielem – aufpassen müssen, dass sie nicht Teil einer gut geölten und gepflegten Eintracht-Erinnerungsmaschinerie werden.
Zum Auftakt des Abends flimmern Bilder des Spiels über die Leinwand. Alles zieht sich in mir zusammen. Beve, der die Veranstaltung lebendig und kenntnisreich moderiert, trifft - einmal mehr - den richtigen Ton, berichtet von seiner Vorbereitung auf den Abend, davon wie er im Hof saß, Flieger über ihn hinwegdonnerten, wie er in Unterlagen blätterte und auf einmal merkte, dass ihm - jetzt und hier und zwanzig Jahre später - Tränen die Wangen herunterliefen. Tränen um einen verlorenen Traum.
Einmarsch der Gäste: Manfred Binz. Ralf Weber. Dietmar Roth. Lothar Sippel, der - Zufälle gibt’s – vor ein paar Tagen an einem Promi-Fußballspiel mitgemacht hat, das von Alfons Berg gepfiffen wurde. Ralf Falkenmayer. Bei uns, bei der Eintracht und auch bei diesen Vieren ist es nach Rostock irgendwie weitergegangen. Natürlich, es geht immer weiter, und trotzdem hängt über uns, über der Eintracht, über ihnen immer so ein Wölkchen in dem steht: Was hätte alles sein können…. Was wäre gewesen, wenn… Matze Thoma teilt mit, dass der ebenfalls angekündigte Dragoslav Stepanovic aufgrund einer Erkrankung seiner Mutter an diesem Abend nicht anwesend sein kann. Und so traurig der Anlass für Stepis Fehlen ist – so richtig vermisst wurde er an diesem Abend nicht. Wer weiß, ob der redselige Stepi den ein oder anderen weniger gesprächigen Gast am Ende vielleicht übertönt hätte. Manche Geschichte wäre vielleicht nicht erzählt worden. Wer weiß.
Die Vor-Rostock-Saison. Das unfassliche 0:6 im Heimspiel gegen den HSV, das damals letzte Spiel unter Jörg Berger.„Wie war das für die Mannschaft, damals als dann Stepi kam?“ Fragt Beve. Stille. Der sehr eloquente Dietmar Roth findet als erster die Worte: „Er hat zumindest für gute Stimmung gesorgt.“ „Greif“ hieß es dann auf dem Trainingsplatz und spätestens nach einer Woche hatten alle den Ruf – und vor allem das, was damit gemeint war - verinnerlicht: Angreifen den Gegenspieler. Schon schwieriger war es bei der Vorbereitung auf Spiele. Manch einer, der am Abend vor dem Spiel noch für die erste 11 vorgesehen war, fand sich am Spieltag dann doch auf der Bank wieder, weil der Trainer nachts eine Eingebung gehabt hatte. (Erinnere mich noch gut an einen der Stepi-Standard-Sätze: „Muss ich werfe…“) Nicht nur Stepi, auch die Spielersitzung warf vor einer Begegnung manche Frage auf – z.B. warnt Stepi vor dem Spiel gegen Werder: "Der Rehhagel, der is e Trainer müd." Stunden später, auf der Heimfahrt im Bus, fiel dann bei den Spielern der Groschen: Rehhagel war nicht etwa schläfrig - müd war nichts weniger als die serbohessische Adaption des englischen „Myth“ : Rehhagel, ein Trainermythos. Auf der Rückbank des Spielerbusses lachten sie sich scheckig.
Alles, alles ist wieder da – und zwar so sehr da, als sei es nicht zwanzig Jahre her, sondern gerade erst ein paar Tage. Kein Stück nostalgisch oder gar verklärend. Wieso auch? Es war so wie es war. Wunderbar und fürchterlich. Banal und großartig. Peinlich und schrecklich. Anrührend. Unfreiwillig komisch. Schräg. Und alles steht mit einem Mal so unverfälscht und unvermittelt wieder vor mir, dass es mich fast umhaut. Es ist nicht dieser eine Tag, in den alles mündete, es sind die Jahre davor und danach, vom Pokalsieg in Berlin bis zum ersten Abstieg 1996, die wie eine Welle über mich schwappen. Die Erinnerung an eine Zeit, in der mir die Eintracht so nah war wie nie – und zeitgleich, fast greifbar die Erkenntnis, dass das vor allem auch deshalb so war, weil sie mir fern genug war, um nur manches zu wissen und das weitaus meiste nur zu ahnen. Es ist ein Gefühl wie die Liebe zum Meer: Auch wenn man lange nicht mehr da war, trägt man sie in sich, ganz fest, unverrückbar – und an dem Tag, an dem man dann wieder an einem Strand steht und ins Weite blickt, ist es wie ankommen, wie zu Hause sein in der Unendlichkeit. Schon immer da und immer weiter. Die Sonne scheint, der Wind weht, es stürmt. Man fügt sich hinein. Genau so, genau so fühlt sich das an, so war es, so ist es, so soll es sein, die Welt, das Meer. So war sie, so ist sie die Eintracht.
"Der Toppmöller, der hat dem Manni seine Serie kaputt gemacht", sage ich zur ganz hinten neben mir stehenden Nicole und als hätte Manni Binz vorne gehört, was ich gesagt habe, bricht die Geschichte regelrecht aus ihm heraus. Das war dann schon nach Rostock. Saison 93/94. 246 Spiele ununterbrochen, in Folge hatte Manni Binz bis dahin für die Eintracht gemacht. Manni, der Musterprofi, und dann, als bei der Eintracht alles drunter und drüber ging (vor meinem inneren Auge sehe ich Uli Stein am Riederwald eine Außentreppe hinaufsteigen und zum Rapport antreten), von Klaus Toppmöller willkürlich, jawohl, willkürlich (das sind meine Worte, nicht die von Manni) auf die Tribüne verbannt, Serie kaputt und irgendwie ist dabei – zu allem, was ohnehin schon zerdeppert worden war – noch mehr kaputt gegangen als „nur“ eine Serie . Ein Stück Unschuld. Naivität. Gerechtigkeit. Bin heute noch empört, wenn ich daran denke. Und ich glaube zu spüren: Manni Binz, der (Zitat Beve) „heute in Offenbach sein Geld verdienen muss“, ist es auch.
Links außen sitzt Ralf Weber, der immer noch und immer wieder, wenn er auf die Szene nach dem Spiel angesprochen wird, kurz vor einem Wutausbruch zu stehen scheint. All die Elfer, die in dieser Saison nicht gegeben worden sind. (Beve stellt klar: Die Legende, dass die Eintracht in dieser Saison gar keinen Elfer bekommen hat, stimmt nicht - zwei waren es am Ende dann doch - dieser eine in Rostock war jedenfalls nicht dabei). Und es war ein Elfer. Glasklar. Der Fahrer, der damals den Mannschaftsbus gefahren hat, gehört heute Abend ebenfalls zu den Museumsgästen und erzählt wie das war, als er nach dem Spiel schon ahnte, dass da noch was kommen kann und wie er sich mit seinem ganzen Körper an Ralf Weber klammerte und verhinderte, dass der nicht nur eine Kamera, sondern vielleicht sogar seine ganze weiter fußballerische Karriere in Schutt und Asche tritt. Das Bild des tobenden Webi, der dann irgendwann in sich zusammensackt– auch diese Bilder haben wir vorhin auf dem Bildschirm gesehen. Der auf dem Boden kauernde, verzweifelte, vor Zorn weinende Ralf Weber – Bild gewordener Ausdruck einer kollektiven Gefühlslage. So, genau so wie Ralf Weber, so haben wir, so habe ich mich damals gefühlt: Wütend. Außer mir. Zornig auf alles und jedes. Auf Alfons Berg? Ach, vielmehr noch auf die Mannschaft, die mich, die uns allein gelassen hat. Sie haben uns die Meisterschaft nicht nur nicht geschenkt – sie haben sie uns aus der Hand gerissen. Niedergeschmettert, leer, fassungslos, grenzenlos enttäuscht. Das konnte, das kann nicht wahr sein. Doch.
Ganz rechts außen sitzt Ralf Falkenmayer. Falke. Mein All-Time-Lieblingseintrachtler, Fußballer durch und durch, Techniker, Kämpfer, Läufer („Mir hat das Laufen nie was ausgemacht – schon in der Jugend hab ich zweimal hintereinander – erst A- und dann B-Jugend – gespielt.“) – und trotzdem immer irgendwie im Schatten der „Großen“ in der Mannschaft. Zurückhaltend, freundlich, einfach, ehrlich. Wie aus dem Nest gefallen – so wirkt er irgendwie auch heute noch. Was für ein Glück als er damals, 1989, aus Leverkusen zur Eintracht zurückkam. Wir waren uns damals sicher – eigentlich hatte er nie dorthin gewollt. Bilder des Abends vermengen sich mit Bildern von damals. Waldstadion. F-Block. Freundschaftsspiel in Guntersblum. Falke trinkt Colabier und sitzt auf einem Holzbänkchen. Die Sonne scheint.
Beve betont die fußballerischen Qualitäten von Falke. Manni Binz nimmt den Faden auf, verstärkt, verdeutlicht wie wichtig Ralf Falkenmayer für diese Mannschaft war – auf dem Platz, aber auch außerhalb. Er hat nie viel gesprochen und nie viel von sich hergemacht, der Falke, aber er war immer da – auf den konnte man sich verlassen, auf dem Platz sowieso und auch sonst. Die "Rebellen" um Uli Stein, die Gerster-Boys – in dieser Mannschaft war einiges los. Und zu welcher der beiden Gruppen - which side are you on? - gehörte damals Falke? Er denkt einen Moment nach. „Ich hätt wahrscheinlich öfter mal den Mund aufmachen sollen“, sagt er. Und: „Ich war bei keiner Gruppe. Ich wollt eigentlich immer nur Fußball spielen.“ Ach, Falke. Ach.
Fußball 2000. Auf dem Platz konnten sie an guten Tagen spielen wie von einem anderen Stern. 11 Freunde mussten und wollten sie wohl trotzdem nicht sein. Der Andi und der Uli zum Beispiel - die mochten sich nicht, überhaupt nicht. Andi war für Uli so was wie ein rotes Tuch, aber der Uli konnte den Andi anmachen, so viel er wollte – der Andi hat nie zurück gestritten. „Und das hat den Uli dann erst so richtig wütend gemacht“, erzählt Ralf Weber. Überhaupt der Andi: "Eine Geschichte fast wie die von Lothar Matthäus", resümiert Beve. Ob Möller überhaupt eine einzige Stimme bei der Wahl der 11 Eintracht-Säulen bekommen wird? Frage ich mich und für einen Moment steigt er noch einmal in mir hoch, der Schmerz, den ich um Andi Möller gelitten habe. Heute erschrecke ich mich, wenn ich ihn sehe, aber lange, lange wollte ich nichts auf ihn kommen lassen. Mann, Mann – wie viel Geduld und Liebe und Leidensfähigkeit. Verschenkt. Habe immer verdrängt, dass er zwar ein richtig guter Fußballspieler, aber eben nicht das liebe goldische frankfurter Bubsche, sondern ein Gerster-Bubi und – nach Rostock – sogar nur noch (tschuldigung) eine - so said ,-) - „Turiner Drecksau“ war. Noch heute habe ich in einer Handtasche (ich benutze höchst selten Handtaschen und bin ein treuer Mensch) ein Duplo-Bildchen von Andy Möller, das mir ein Arbeitskollege Anfang der 90er geschenkt hat. Ich erinnere mich sogar noch an die Situation: „Da haste dei Andische…“ Ja, da hatte und habe ich’s. Für das Spiel gegen Rostock war eine Siegprämie ausgelobt worden - die für Andi Möller war fünf Mal so hoch wie die der anderen Spieler, erfahre ich am Donnerstagabend. Ob ihm das etwas ausgemacht hat, fragt Beve bei Manni Binz nach. Nein, hat es nicht. „Der Andi hat ja auch sonst fünf Mal so viel verdient.“ Alle lachen.
Der Uli war da ein ganz anderes Kaliber. (Mini-Erinnerungsflash an einen kuriosen Sommernachmittag bei einer Reisebüroeröffnung in Niederrad, zu der mich ein Kollege mitgenommen hatte, der immer vorgab jeden und alle „bei der Eintracht“ persönlich zu kennen. Stepi stand hinter dem Grill und rauchte eine Zigarre und ein sichtlich gelangweilter Uli Stein verteilte die Tombolagewinne). Jedenfalls: 20 Wodka-Lemon konnte der trinken, wenn die Jungs mal abends zusammen auf der Piste waren, und das Schlimmste dabei: Er stand auch dann immer noch aufrecht wie ein Baum. An solchen Abenden war er mit allen gut Freund, Super-Fußballer, alle. Am nächsten Tag im Training war das dann wieder vergessen, und wer Uli krumm kam, konnte sich einiges anhören, deutlicher: Der wurde zusammengeschissen.. Z.B. konnte Uli Stein, ehrgeizig wie er war, es auf den Tod nicht ausstehen ein Tor zu fangen – nicht mal im Training. Was da während des Spiels alles von hinten kam... „Heute mit den tausend Richtmikros überall rund um den Platz – der Uli wär verloren“, sagt Dietmar Roth.
Ralf Falkenmayer hat noch einen Termin und muss ein bisschen früher gehen. Die ca. 100 Museumsgäste stehen auf, klatschen. Falke, Falke rufe ich. Direkt an uns vorbei geht er zum Ausgang, wird noch von einigen Fans aufgehalten, signiert Bücher und Autogrammkarten. Soll ich… Oder bin ich aus dem Alter nicht eigentlich raus? Mir doch egal. Ich drängele mich durch. „Falke, würdest du bitte…“ Das Aufheben, das jetzt hier um ihn gemacht wird, ist ihm ein bisschen unangenehm, das ist deutlich zu merken. Aber er macht und tut, unterschreibt, hört einem Herrn, der dreimal so groß und kräftig ist wie er, aufmerksam zu. Und so setzt er auch jetzt seinen Namen direkt neben meinen Falke-Pin, der seit Jahr und Tag meine Umhängetasche ziert – er lächelt ein bisschen, als er den Button sieht. Von wegen: Huch, das bin ja tatsächlich ich. Sage ihm, wie froh ich bin, dass ich ihn heute Abend hier im Museum persönlich kennen lernen durfte. Vielleicht ja doch auch noch ein Foto…? Mir ist das ein bisschen peinlich, man ist ja kein Teenie mehr, aber – hey – egal, Herz über Hürde. Nicole schnappt sich die Kamera. Und so sind wir jetzt also gemeinsam auf ein Bild gebannt, Falke und ich, stehen da, lächeln beide ein wenig verlegen in die Kamera - und es ist noch sehr die Frage, wer von uns beiden unsicherer ist. Als ich zu meinem Platz zurückgehe, merke ich, dass mir die Knie ein wenig wackeln. Kerstin, du Kindskopp. Mein Herz klopft wild. Menschenskinders. Falke.
"Seid ihr damals, am 15 Mai 1992, am Tag vor dem Spiel, seid ihr da mit dem Gefühl nach Rostock gefahren, dass ihr eigentlich schon Meister seid?" Hatte Beve vorhin in die Runde gefragt. Nein, nein. Natürlich nicht. Man muss erst noch gewinnen. Voll konzentriert waren sie, wussten dass es schwer wird in Rostock, schon im Hinspiel hatten sie sich zuhause schwer getan. Halt, will ich rufen, halt. Das stimmt so nicht. Mag ja sein, dass das bei euch so war – obwohl man, wenn man sich das Ergebnis ansieht, da schon seine Zweifel haben darf. Aber wir, wir Fans, wir waren - ICH war Deutscher Meister an diesem 15. Mai 1992, am Tag vor dem Spiel. Nicht aus Leichtfertigkeit oder Arroganz, sondern weil es gar nicht anders sein konnte. Sie mussten es nur noch nach Hause bringen. So viele Chancen, den Sack zuzumachen in den Spielen davor bereits vertan, dieses eine Mal würden sie es durchziehen. Diese Meisterschaft kann uns keiner mehr wegnehmen. Dachten wir. Und: Nein, wir haben uns an diesem letzten Bundesligaspieltag nicht getroffen, um uns im letzten Saisonspiel zur Meisterschaft zu zittern – wir haben uns getroffen, um die Meisterschaft zu feiern. Es kam anders. Ein Häufchen Elend, kauernd auf dem Küchenfußboden.
Nach diesem Abend im Museum habe ich – wie ich glaube - besser verstanden, warum wir damals nicht Meister geworden sind. Vielleicht sogar: Warum wir damals gar nicht Meister werden konnten. Man kann es sich irgendwie zusammenreimen. Und mein Eindruck war: Die Jungs, die da vorne gesessen haben und die diese Enttäuschung jeder auf seine Art heute noch mit sich tragen, die wissen es eigentlich auch. Jeder für sich.
Noch etwas steht mir seit Donnerstagabend noch deutlicher als vorher vor Augen: All das, was wir damals diskutiert, gefühlt, gehofft, geträumt, gelitten haben, es wäre nicht zu dem geworden, was es ist, wenn wir uns auch damals schon Wochen vorher, nachher im Netz, im Forum, in Blogs, in Facebook darüber ausgetauscht, es bebildert und vorne nach hinten gewendet hätten – ich bin mir sehr sicher: Da wäre er nicht dieser tiefe, ganz und gar persönliche Schmerz, den jeder Einzelne von uns, die wir damals schon dabei waren, mit und in sich trägt. Ein Müd.
Ralf Weber tritt noch einmal gegen die Pappkamera, die das Museumsteam neckisch für ihn bereithält. Fotos werden gemacht. Manni Binz erzählt noch kurz was er damals, an dem Abend nach dem Spiel gemacht hat: Beim Empfang im Hotel hat er, der eigentlich nie Alkohol getrunken hat, innerhalb einer halben Stunde eine halbe Flasche Wodka geleert, die nächsten Stunden im Klo verbracht und sich dort im Nebel mit wildfremden Menschen unterhalten. Das ein oder andere Mal hat er sich seit damals – „mit dem Webi zusammen" - eine Rostock DVD angesehen - Zusammenschnitte vor, während und nach dem Spiel in Frankfurt. „Das war unglaublich, wie sehr da alle mitgefiebert und an uns geglaubt haben,“ sagt er. Und: „Da denke ich oft drüber nach.“
Scherz- und Dankesworte fliegen hin und her. Vielleicht treffen wir uns ja in 30 Jahren wieder - vielleicht ja mit der kompletten Mannschaft, die zwar nicht Meister geworden ist, aber so nahe dran war an der Meisterschaft wie seit 59 keine andere. „Da lassen wir es dann richtig krachen,“ sagt Matze Thoma. „Besser nicht“, meint Dietmar Roth. Ja. Besser nicht. Vielleicht findet sich bis dahin ja doch noch ein besserer Anlass.
Aus. Aus. Ziemlich schnell nach dem Abpfiff verlasse ich das Museum.Will für mich sein. Setze mich auf das Bänkchen seitlich der Trainingsplätze, schaue in den Nachthimmel, atme Eintracht, und brause dann durch die Nacht nach Hause. Merkwürdig glücklich, irgendwie.
Love it will not betray you, dismay or enslave you,
It will set you free
Be more like the man you were made to be
Lustig, wie unsicher man plötzlich wird, nicht wahr? Ich habe es noch nicht gebloggt, mir ging es aber neulich ähnlich. Ich habe Mladen Petric meine Dauerkarte unterschreiben lassen (Allerdings nur, weil Jarolim verletzt und daher nicht beim Training war)... Und fühlte mich dabei einerseits völlig albern, andererseits etwas zittrig.
AntwortenLöschenNur aufs Foto habe ich verzichtet - ich kann auf Kommando dumm gucken, wenn jemand eine Kamera auf mich richtet ;-)
War das etwas die Nicole mit dem 'Keks'?
Liebe Grüße!
Toll, Kerstin, dein Bericht ist einfach toll. Vielen Dank für deine Eindrücke und mehr noch für die Schilderung deiner Gefühle.
AntwortenLöschenGroßartig Kerstin. Du findest wieder mal wunderbare Worte, wo man eigentlich nur schwer etwas sagen/schreiben kann.
AntwortenLöschenVielen Dank für Dein tolles Engagement, nicht nur an dem Abend und mit dem klasse Bericht davon.
LG
Frank
Diese verlorene Meisterschaft kann uns keiner mehr nehmen! Für alle Zeit! Vorwärts Eintracht!
AntwortenLöschenGruß aus Ostwestfalen.
Ich kann mich nur anschliessen an meine Vorschreiber. Du hast das wunderbar geschrieben Kerstin, einfach nur schön.
AntwortenLöschenEs war ein besonderer Abend im Museum. Und als ich die Stelle mit Falke eben las, musste ich fast ein Tränchen der Rührung verdrücken. Weil das so ein schöner Moment war, als wir das Foto gemacht haben. Pah, Teenie hin oder her, das hat gepasst!
Mir geht das Herz auf. Eintracht!
Liebe Grüße
Nicole
die kerstin und der falke. sehr schön. großartige erinnerung an einen tollen abend. vielen dank sagt
AntwortenLöschenbeve
@Pleitegeiger: Ja, das ist schon ziemlich merkwürdig alles. Sie sind einem ja "eigentlich" so vertraut - und eben halt doch nicht. Ich glaube, es hat was damit zu tun, dass man Dingen und Menschen, die einem wichtig sind, nicht zu nahe rücken will, weil man Angst hat, etwas kaputt zu machen. Und weißt du was: Das spricht für uns :-)
AntwortenLöschenNicole mit Keks???? Ich fürchte, da stehe ich im Moment auf dem Schlauch...??
@Kid: Ganz herzlichen Dank - auch für deine Hinweise wg. der Fehlerchen, die sich in den Text eingeschlichen hatten. Ich habe das jetzt - stillschweigend... - korrigert. Danke!!!
@Frank: Heeey... so viel Lob... - freut mich sehr!
@owladler: Hihi. So ist es. There's no success like failure...
@Nicole: Ich hab mich so gefreut, dass es endlich tatsächlich geklappt hat und wir uns nicht nur irgendwo im Netz, sondern leibhaftig "gefunden" haben. War schön, den Abend mit und neben dir zu erleben. Und das Herzklopf-Foto hätte es ohne dich schon mal gar nicht gegeben. Rosa + O du Pirmin, Sabine + Michael, Kerstin + Falke - jetzt bin ich mal gespannt, wer dir als nächstes vor die Linse läuft **gg
@Beve: Den Dank für den tollen Abend gebe ich sehr gerne zurück.
Einträchtliche Grüße in alle Richtungen, K.
Wenn die Saison nicht so tragisch geendet hätte (Chancen, das zu verhindern, hatte die Mannschaft genug - und das nicht nur in Rostock), wer weiß, ob es dann zu einem solchen Revival-Abend gekommen wäre. Trotz des Scheiterns denke ich immer wieder gern an damals zurück - der Fußball war einfach zu schön. Und ein bisschen Scheitern gehört doch zu jedem Mythos...
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