Vorgestern Abend, nach dem Spiel der Eintracht bei St. Pauli. Irgendwann vor Mitternacht. Wieder eine Chance sinnlos vertan. Wieder gehofft und enttäuscht worden. Wieder kein Zeichen, kein Fingerzeig. Letztes Spiel vor der Winterpause. Einmal noch, einmal noch. Nichts. Noch einmal Bilder des Spiels. Immer und immer wieder dieses dämliche zweite Tor. Der hilflose Djakpa. Die einigermaßen frei im Raum umherirrenden Schildenfeld und Anderson. Interviews. Mit verschränkten Armen und gesenkten Häuptern sitzen Heribert Bruchhagen und Armin Veh neben Axel Kruse und Helmut Schulte. Heribert Bruchhagen betont ruhig. Armin Veh gefährlich heiter. Pirmin Schwegler nachdenklich. Sebi Jung gefrustet. Alex Meier bedröppelt. Ich? Unsere Spieler sind brav und können nicht aus ihrer Haut. Ich? Schon. Sogar fahren. Bin Wütend. Traurig. Enttäuscht. Habe einen Kloß im Hals. Ein banges Gefühl ums Herz. Wird das, kann das gut gehen?
Heute lese ich, dass der Wunsch des Trainers nun doch Gehör finden und es in der Winterpause wohl doch weitere Neueinkäufe geben wird. Die Schwächephase der letzten Wochen ist allen in die Glieder gefahren – das setzt nicht nur Adrenalin, sondern offensichtlich auch Geld frei. „Andere Teams sind als Mannschaft gefestigter, die wollen als Einheit ihr Ziel erreichen. St. Pauli hat mehr dagegengehalten.“ Sagt unser Kapitän Pirmin Schwegler. Wenn DAS der Knackpunkt ist, wird er sich wohl kaum dadurch ändern lassen, indem man noch zwei, drei Spieler dazu kauft.
Flashback
Die Freundin meiner frühen Kindheit hieß Susi. Susi wohnte in der Nachbarschaft, war ein bisschen mollig und ein halbes Jahr älter als ich. Ich war lebhafter und (doch, wirklich ,-) klüger als Susi, aber ich war auch ein wenig schüchtern. Also gab Susi den Ton an, immer vorneweg und ich hinterher – sie mit einem Roller mit Gummireifen und komfortablem Trittbrett und Bremse und ich mit einem kleinen, klappernden Holzroller hinterher (war trotzdem fast genauso schnell ,-).
Susi und ich liebten uns sehr. Bis die Schule uns trennte und in unterschiedliche Richtungen führte, verbrachten wir fast jeden Tag miteinander. Wir spielten die ganze Welt. Alles ein einziges großes "als ob" - und doch immer ganz ernsthaft, ganz wichtig, ganz hingegeben an den Moment. Ein paar wenige Requisiten – und schon waren wir weit weg. Im Winter verkleideten wir uns auf dem Speicher im Haus meiner Oma und waren in Russland. Oder wir spielten unten, in meinem Zimmer, dann war Susi Krankenschwester, wobei es ihr nicht ums Doktorspielen ging, sondern darum, dass sie, ausstaffiert mit ihrem Ärztekoffer, in dem von mir betriebenen Restaurant einkehrte und dort – „Ich tu jetzt so als ob ich Hunger hätte…“ - von meiner Oma zubereitete und von mir servierte Leberwurstbrote mit Tomate - ganz in echt und nicht als ob - verzehrte. Oder wir waren Schlagersänger. Oder Sportreporter. Echter als echt.
Sobald das Wetter es zuließ waren wir draußen. Im Zirkus ritten wir auf Pferden, balancierten federleicht auf dem Hochseil und schlugen dreifache Salti am Trapez. Auf einer langen beschwerlichen Reise litten wir bitteren Hunger und schliefen unter freiem Himmel. Als Cowboys trieben wir eine riesige Viehherde durch die Prärie. Und auf Rollschuhen übten wir eine Paarlaufkür, mit der wir Olympiasieger wurden – kein Wunder: Susi sprang ausschließlich doppelt und dreifach. Manchmal saßen wir einfach in einem Busch oder Baum. An Sommerabenden waren wir mit den „Großen“ auf dem „Platz‘“ inmitten unserer Siedlung und spielten Fußball, die dort aufgestellten flachen Sitzbänke fungierten als Tore. Susi und ich waren die Jüngsten und meistens nur als Torwart eingeteilt – genauer gesagt: Damit wir nicht im Weg herumstanden, wurden wir neben dem richtigen Torhüter postiert und taten so als ob. Was soll ich sagen: Wir waren gut. Kind of magic.
Flasbackende
Ich muss diese Mannschaft nicht lieben. Aber aufsteigen, verdammt noch mal aufsteigen sollen sie. Egal wie. So dachte ich vor der Saison und habe schnell gemerkt, dass das bei mir nicht hinhaut mit der positiv-kritischen Distanz. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Auf dem Weg zu diesem Ziel müssen wir es nicht nur miteinander aushalten, wir müssen zueinander finden. Irgendwie. Mit Höhen, Tiefen, Schwächen, Stärken. Wir müssen bereit sein, miteinander zu arbeiten, uns miteinander zu freuen und miteinander zu leiden. Wir müssen ganz dabei sein, nicht halb. Ich will, dass es echt ist. Und wenn es für euch da unten auf dem Platz nicht echt sein kann, dann reißt euch zusammen und tut zumindest einfach so als ob. Wer - wie Susi und ich - mit ganzem Herzen an das glaubt, was er tut, der wird merken: Alles wird echt.
Also - stellt euch vor, folgendes Szenario:
Wir sind EINE Fußballmannschaft. Und wir wollen unbedingt, unbedingt aufsteigen. Der Wind weht uns ins Gesicht. Da sind andere, die wollen das auch. Momentan sind wir in einer Schwächephase. Andere trumpfen mächtig auf. Hoho. Überall lauern Gefahren, Üüerall wird schon der Teufel an die Wand gemalt. Jetzt kommt unser großer Moment. Das ist unsere Chance. Wir werden zeigen, dass das alles nicht stimmt und dass wir dieses Mal wissen, um was es geht. Wir werden nicht jeder vor sich hinbruddeln und hinterher erklären, woran es gelegen hat. Wir werden nicht wie der kleine Hävelmann "mehr, mehr" schreien oder mit den Achseln zucken und beleidigt sein. Wir werden die Ärmel aufkrempeln. Nichts wird uns am Aufstieg hindern. Nicht einmal wir selbst.
Das wünsche ich mir vom Weihnachtsmann. Magic.
Eintracht!
Heute lese ich, dass der Wunsch des Trainers nun doch Gehör finden und es in der Winterpause wohl doch weitere Neueinkäufe geben wird. Die Schwächephase der letzten Wochen ist allen in die Glieder gefahren – das setzt nicht nur Adrenalin, sondern offensichtlich auch Geld frei. „Andere Teams sind als Mannschaft gefestigter, die wollen als Einheit ihr Ziel erreichen. St. Pauli hat mehr dagegengehalten.“ Sagt unser Kapitän Pirmin Schwegler. Wenn DAS der Knackpunkt ist, wird er sich wohl kaum dadurch ändern lassen, indem man noch zwei, drei Spieler dazu kauft.
Flashback
Die Freundin meiner frühen Kindheit hieß Susi. Susi wohnte in der Nachbarschaft, war ein bisschen mollig und ein halbes Jahr älter als ich. Ich war lebhafter und (doch, wirklich ,-) klüger als Susi, aber ich war auch ein wenig schüchtern. Also gab Susi den Ton an, immer vorneweg und ich hinterher – sie mit einem Roller mit Gummireifen und komfortablem Trittbrett und Bremse und ich mit einem kleinen, klappernden Holzroller hinterher (war trotzdem fast genauso schnell ,-).
Susi und ich liebten uns sehr. Bis die Schule uns trennte und in unterschiedliche Richtungen führte, verbrachten wir fast jeden Tag miteinander. Wir spielten die ganze Welt. Alles ein einziges großes "als ob" - und doch immer ganz ernsthaft, ganz wichtig, ganz hingegeben an den Moment. Ein paar wenige Requisiten – und schon waren wir weit weg. Im Winter verkleideten wir uns auf dem Speicher im Haus meiner Oma und waren in Russland. Oder wir spielten unten, in meinem Zimmer, dann war Susi Krankenschwester, wobei es ihr nicht ums Doktorspielen ging, sondern darum, dass sie, ausstaffiert mit ihrem Ärztekoffer, in dem von mir betriebenen Restaurant einkehrte und dort – „Ich tu jetzt so als ob ich Hunger hätte…“ - von meiner Oma zubereitete und von mir servierte Leberwurstbrote mit Tomate - ganz in echt und nicht als ob - verzehrte. Oder wir waren Schlagersänger. Oder Sportreporter. Echter als echt.
Sobald das Wetter es zuließ waren wir draußen. Im Zirkus ritten wir auf Pferden, balancierten federleicht auf dem Hochseil und schlugen dreifache Salti am Trapez. Auf einer langen beschwerlichen Reise litten wir bitteren Hunger und schliefen unter freiem Himmel. Als Cowboys trieben wir eine riesige Viehherde durch die Prärie. Und auf Rollschuhen übten wir eine Paarlaufkür, mit der wir Olympiasieger wurden – kein Wunder: Susi sprang ausschließlich doppelt und dreifach. Manchmal saßen wir einfach in einem Busch oder Baum. An Sommerabenden waren wir mit den „Großen“ auf dem „Platz‘“ inmitten unserer Siedlung und spielten Fußball, die dort aufgestellten flachen Sitzbänke fungierten als Tore. Susi und ich waren die Jüngsten und meistens nur als Torwart eingeteilt – genauer gesagt: Damit wir nicht im Weg herumstanden, wurden wir neben dem richtigen Torhüter postiert und taten so als ob. Was soll ich sagen: Wir waren gut. Kind of magic.
Flasbackende
Ich muss diese Mannschaft nicht lieben. Aber aufsteigen, verdammt noch mal aufsteigen sollen sie. Egal wie. So dachte ich vor der Saison und habe schnell gemerkt, dass das bei mir nicht hinhaut mit der positiv-kritischen Distanz. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Auf dem Weg zu diesem Ziel müssen wir es nicht nur miteinander aushalten, wir müssen zueinander finden. Irgendwie. Mit Höhen, Tiefen, Schwächen, Stärken. Wir müssen bereit sein, miteinander zu arbeiten, uns miteinander zu freuen und miteinander zu leiden. Wir müssen ganz dabei sein, nicht halb. Ich will, dass es echt ist. Und wenn es für euch da unten auf dem Platz nicht echt sein kann, dann reißt euch zusammen und tut zumindest einfach so als ob. Wer - wie Susi und ich - mit ganzem Herzen an das glaubt, was er tut, der wird merken: Alles wird echt.
Also - stellt euch vor, folgendes Szenario:
Wir sind EINE Fußballmannschaft. Und wir wollen unbedingt, unbedingt aufsteigen. Der Wind weht uns ins Gesicht. Da sind andere, die wollen das auch. Momentan sind wir in einer Schwächephase. Andere trumpfen mächtig auf. Hoho. Überall lauern Gefahren, Üüerall wird schon der Teufel an die Wand gemalt. Jetzt kommt unser großer Moment. Das ist unsere Chance. Wir werden zeigen, dass das alles nicht stimmt und dass wir dieses Mal wissen, um was es geht. Wir werden nicht jeder vor sich hinbruddeln und hinterher erklären, woran es gelegen hat. Wir werden nicht wie der kleine Hävelmann "mehr, mehr" schreien oder mit den Achseln zucken und beleidigt sein. Wir werden die Ärmel aufkrempeln. Nichts wird uns am Aufstieg hindern. Nicht einmal wir selbst.
Das wünsche ich mir vom Weihnachtsmann. Magic.
Eintracht!
Es liegt mir auf der Zunge.
AntwortenLöschenDiese Mannschaft hat diese Fans nicht verdient, denen kein Weg zu weit und kein Wetter zu schlecht für den Traum Aufstieg ist. Vielleicht kommt ja im Februar die Mannschaft für diese Fans!
Forza SGE
Der Vergleich von Veh mit dem kleinen Hävelmann hat mir ein beherztes Lachen am frühen Morgen gebracht.
AntwortenLöschenDanke auch für den schönen Flashback.
Hallo rotundschwarz,
AntwortenLöschenda hast Du mir mit Deinen Zeilen sehr aus der Seele gesprochen. War am Montagabend auch sehr enttäuscht. Richtig nachdenklich wurde ich dann am Dienstagabend, als ich in der Glotze sehen durfte, wie Düsseldorf gegen Dortmund und Fürth in Nürnberg zu Werke gingen.
Die haben nicht die besseren Fußballer – da hat er Recht, der Schwegler – aber sie funktionieren als Mannschaft. Wie übrigens auch Pauli und Paderborn.
Was da zwei oder drei neue Spieler ausrichten sollen, erschließt sich mir auch nicht.
Ich denke zurzeit häufiger an die ersten drei Abstiege. Nach Abstieg 1 und 2 startete man mit Stepanovic und Andermatt in die zweite Liga. Großspuriges Gehabe, keine Resultate. Aufgestiegen ist man dann mit Ehrmanntraut und Reimann, die mit Spielern von der Resterampe eine Mannschaft geformt haben. Nach dem dritten Abstieg hat man dann gleich den Funkel geholt und auf die Schwätzerepisode verzichtet.
Ich bin mir nicht mehr sicher, so wie ich es mal war, dass Veh an der richtigen Stelle ansetzt, lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen. Nichtsdestotrotz kann ich jetzt ein paar Eintrachtlose Wochen gebrauchen.
Eine gute Zeit wünscht
Frank
„Andere Teams sind als Mannschaft gefestigter, die wollen als Einheit ihr Ziel erreichen. St. Pauli hat mehr dagegengehalten.“
AntwortenLöschenDieser Satz stimmt einen als Eintrachtanhänger doch sehr nachdenklich!
@ Anonym: Wir werden uns zusammenraufen. Wir müssen. Eintracht!
AntwortenLöschen@ mark: Hihi. Genau in die Richtung hat er gezielt, der Hävelmann. Freu mich, dass der Flashback dir gefallen hat - "wie Susi und ich" - das ist für mich heut noch ein Synonym für Situationen, in denen Dinge zwar erkennbar "als ob", aber doch getragen von dem Wunsch sind, es gaaaaanz richtig zu machen. Irgendwas zwischen peinlich und rührend. Oops, das sollte im Eintracht-Zusammenhang wohl besser nicht vorkommen... ,-))
@Herrje Frank :-): Ja. Und: Oje... die Erinnerung an die drei Abstiege und diese mögichen Irgendwie-Parallelen, die treibt mir auch den Schweiß auf die Stirn. Gereizt hat gerade gestern die Hinrunden-Abschluss-"Ansprache" von Martin Andermatt zitiert - zunächst ohne Namensnennung. Es hätte wortwörtlich von heute sein können... Ich schätze Veh - irgendwie. Ich hatte am Anfang Zweifel - diese immerwährende Ironie, diese Distanz, dieses "Da-steh-ich-doch-drüber", die hat mich schon während seiner Zeit beim HSV genervt. Zwischendurch dachte ich: Vielleicht ist das genau der richtige Ton - wenn er im Hintergrund das richtige tut. Jetzt gehts mir wie dir - da sind sie weider, die Zweifel. Ich hab einfach Schiss, dass er nicht durchzieht, dass es ihm nicht wirklich wichtig ist, er irgendwann keinen Bock mehr hat.
@stay cold: Ja. Das stimmt.
Herzlichen Dank für eure Anmerkungen und Stimmungsbilder. Wir packen das. Wir packen das!!!
lgk
PS: Die Auswertung zum "Spieler der Stunde" folgt - entweder heute am späten Abend oder morgen Vormittag, kurz vor den Weihnachtswünschen :-)