Brasilien – Niederlande
Statt vor dem Fernseher sitze ich um vier Uhr immer noch vor dem PC und am Telefon. Die Hitze brütet. Ich auch. Im Zimmer nebenan haben wir einen Fernseher laufen. „1 : 0 Brasilien“, verkündet mein Mit-Adler nach einer Viertelstunde. „Die sind klar überlegen.“ Ok – dann läuft’s also wohl wirklich auf ein Endspiel Brasilien-Argentinien raus. Denkste. „Jetzt 1:1!“ ruft es über den Flur. „2 zu eins Holland“, kreischt es während eines Telefonats im Hintergrund aus dem Bürogewölbe eines Kunden. „Brasilien trägt Trauer,“ verkündet der TV-Reporter. Die Kamera schwenkt auf zwei brasilianisch verkleidete Fans, die den Kopf hängen lassen. Sie entdecken, dass die Kamera auf sie gerichtet ist und jubeln und winken ins Bild.
Ghana – Urugay
Was von diesem Spiel im Gedächtnis bleiben wird, sind Gesichter und Szenen, die in schneller Folge ablaufen. Das Gesicht von Asamoah Gyan, dem 1000%sicheren Elfmeterschützen, vor dem Elfmeter. Von Angst, wirklich: von Angst, gezeichnet, fast als ob ihm die Haare im Nacken zu Berge stehen. Die weit aufgerissenen Augen eines Ghanaers im Publikum. Sein Gesicht ist vollständig in den Nationalfarben bemalt, nur unten sieht ein grauer, gestutzter Bart heraus. Der vom Platz gestellte Suarez, der gerade dabei ist das Stadion zu verlassen, die Hände vom Gesicht reißt, jubelt, zusammensackt. Der Kreis, den die Ghanaer vor der Verlängerung, noch in den Katakomben bilden. Wer ist das, den sie da in die Mitte nehmen? Gyan? Dann ist es wieder Gyan, der – merkwürdig gefasst, fast abwesend – als erster im Elfmeterschießen für Ghana antritt. Trifft. Sein befreites Lachen. Arbeu, der zum entscheidenden Elfer für Uruguay antritt, fast lässig, so als ginge ihn das gar nichts an. Der Lupfer. Sein unter dem Trikot zum Vorschein kommendes Patchwork-Trikot. Und wieder Asamoah Gyan, der sich krümmt, das Trikot übers Gesicht zieht, sich im Shirt verbeißt, den tröstenden Händen ausweicht, trotzdem umfangen wird, den Kopf schüttelt, um sich schlägt.
Wahnsinn. Fußball, richtiger Fußball. Und vielleicht sogar noch mehr. Armer Gyan.
Argentinien – Deutschland
Morgens beim Kaffee erzählt mir mein Mit-Adler folgende Geschichte, die sich vor einigen Wochen in dem kleinen Laden hier in unserem Ort abgespielt hat:
Eine sehr alte Dame berichtet von der verheerenden Unordnung, die in der Wohnung eines Verwandten herrscht. Er hebt alles auf, wirft nichts weg. „Des is e rischdische Wessi.“ Wessi? „Sie meine Messi...“ korrigiert die Ladenbesitzerin.
Apropos: Ob Messi heute gegen Deutschland endlich sein erstes Tor macht? Um kurz vor drei schleppen wir uns durch die Gluthitze zu unserem Auto. Die Mainzer Innenstadt ist bereits fast entvölkert. Wer jetzt noch unterwegs ist, ist unterwegs zum Spiel: Ein junger Mann mit Deutschlandhelm und wehender Fahne radelt vorbei. Ein junges Pärchen – beide mit Deutschland-Armbinde, wohl auf dem Weg zum Public-Viewing am Rheinstrand. Eine alte Dame mit Deutschland-Kapp und Fähnchen, das sie an ihrem Rucksack befestigt hat. Ein muskulöser Typ mit nacktem Oberkörper, kurzer Hose und riesiger Piratenfahne. Piraten? Na gut.
Das 1:0 nach drei Minuten. Zu früh. Denke ich. Das werden die Argentinier noch drehen. Es klingelt an der Tür – wer ist DAS denn? Die Nachbarin, der ein Huhn abhanden gekommen ist, das sich in unserem Garten verirrt hat. Den Rest der ersten Halbzeit verbringen wir damit, das gackernde Viech (nein, es ist nicht schwarzrotgold, sondern einfach braun) in die Enge zu treiben.
In die Enge wird Argentinien jetzt auch die deutsche Mannschaft treiben. Oder? Nix da. Fassungslos sitzen wir vor dem Fernseher. Also – ich mag sie nicht. Aber das, was die da im Moment in Südafrika anstellen – das ist grandios. Der alles überragende Thomas Müller, der als Typ Fußballer irgendwie retro wirkt - athletisch, schnell, ballsicher, ein bisschen mean. Und Schweini, tatsächlich Schweini – wie jemand, der sich endlich seiner Fähigkeiten bewusst geworden ist und sie perfekt nutzt. Lahm, der um jeden Milimeter fightet. Klose, selbstbewusst, verbissen - der optisch immer mehr einen Hauch von Fritz Walter verströmt. Irgendwie wirklich ein Team. Wahnsinn. Das hätte ich ihnen, das hätte ich dem Bundes-Jogi (der anscheinend das blaue Shirt mit V-Ausschnitt zum Gewinnershirt erklärt hat) nie im Leben zugetraut. Aus allen Ecken trötet, schreit, hupt und singt es. Kurz vor Abpfiff setzt der angekündigte Gewittersturm ein. Es braust und tobt ums Haus. Dazwischen mischen sich die Tröten der Vuvuzelas. Mmh. Jubel will sich bei mir nicht so recht einstellen, aber man kann ja seinen Fußballverstand auch nicht ausblenden. 54. 74. 90. 2010. Dann soll das wohl so sein. Und ein ganz klein wenig graut es mir vor dem, was uns da jetzt wir-sind-Deutschland-mäßig noch so bevor steht.
Wieder mein grantelnder Mit-Adler: „Und am besten im Finale dann noch gegen Holland – dann kann man es in ganz Mitteleuropa nicht mehr aushalten.“
Paraguay – Spanien
Wie heißt eigentlich die Hauptstadt von Paraguay? Richtig: Asunciòn. Und – nur mal angenommen – bei uns würde jemand einen öffentlichen Striptease für den Einzug ins Finale versprechen – wer könnte das sein? „Heidi Klum“, schlage ich vor. Aber das wäre dann vielleicht eher eine Drohung.
Und wie geht es jetzt weiter? Mein Mit-Adler sagt: Uruguay wird Weltmeister. In Vertretung der Italiener, sozusagen. Und ich? Ich sage gar nichts mehr. Ach, doch: Morgen ist Trainingsauftakt bei der Eintracht.
Statt vor dem Fernseher sitze ich um vier Uhr immer noch vor dem PC und am Telefon. Die Hitze brütet. Ich auch. Im Zimmer nebenan haben wir einen Fernseher laufen. „1 : 0 Brasilien“, verkündet mein Mit-Adler nach einer Viertelstunde. „Die sind klar überlegen.“ Ok – dann läuft’s also wohl wirklich auf ein Endspiel Brasilien-Argentinien raus. Denkste. „Jetzt 1:1!“ ruft es über den Flur. „2 zu eins Holland“, kreischt es während eines Telefonats im Hintergrund aus dem Bürogewölbe eines Kunden. „Brasilien trägt Trauer,“ verkündet der TV-Reporter. Die Kamera schwenkt auf zwei brasilianisch verkleidete Fans, die den Kopf hängen lassen. Sie entdecken, dass die Kamera auf sie gerichtet ist und jubeln und winken ins Bild.
Ghana – Urugay
Was von diesem Spiel im Gedächtnis bleiben wird, sind Gesichter und Szenen, die in schneller Folge ablaufen. Das Gesicht von Asamoah Gyan, dem 1000%sicheren Elfmeterschützen, vor dem Elfmeter. Von Angst, wirklich: von Angst, gezeichnet, fast als ob ihm die Haare im Nacken zu Berge stehen. Die weit aufgerissenen Augen eines Ghanaers im Publikum. Sein Gesicht ist vollständig in den Nationalfarben bemalt, nur unten sieht ein grauer, gestutzter Bart heraus. Der vom Platz gestellte Suarez, der gerade dabei ist das Stadion zu verlassen, die Hände vom Gesicht reißt, jubelt, zusammensackt. Der Kreis, den die Ghanaer vor der Verlängerung, noch in den Katakomben bilden. Wer ist das, den sie da in die Mitte nehmen? Gyan? Dann ist es wieder Gyan, der – merkwürdig gefasst, fast abwesend – als erster im Elfmeterschießen für Ghana antritt. Trifft. Sein befreites Lachen. Arbeu, der zum entscheidenden Elfer für Uruguay antritt, fast lässig, so als ginge ihn das gar nichts an. Der Lupfer. Sein unter dem Trikot zum Vorschein kommendes Patchwork-Trikot. Und wieder Asamoah Gyan, der sich krümmt, das Trikot übers Gesicht zieht, sich im Shirt verbeißt, den tröstenden Händen ausweicht, trotzdem umfangen wird, den Kopf schüttelt, um sich schlägt.
Wahnsinn. Fußball, richtiger Fußball. Und vielleicht sogar noch mehr. Armer Gyan.
Argentinien – Deutschland
Morgens beim Kaffee erzählt mir mein Mit-Adler folgende Geschichte, die sich vor einigen Wochen in dem kleinen Laden hier in unserem Ort abgespielt hat:
Eine sehr alte Dame berichtet von der verheerenden Unordnung, die in der Wohnung eines Verwandten herrscht. Er hebt alles auf, wirft nichts weg. „Des is e rischdische Wessi.“ Wessi? „Sie meine Messi...“ korrigiert die Ladenbesitzerin.
Apropos: Ob Messi heute gegen Deutschland endlich sein erstes Tor macht? Um kurz vor drei schleppen wir uns durch die Gluthitze zu unserem Auto. Die Mainzer Innenstadt ist bereits fast entvölkert. Wer jetzt noch unterwegs ist, ist unterwegs zum Spiel: Ein junger Mann mit Deutschlandhelm und wehender Fahne radelt vorbei. Ein junges Pärchen – beide mit Deutschland-Armbinde, wohl auf dem Weg zum Public-Viewing am Rheinstrand. Eine alte Dame mit Deutschland-Kapp und Fähnchen, das sie an ihrem Rucksack befestigt hat. Ein muskulöser Typ mit nacktem Oberkörper, kurzer Hose und riesiger Piratenfahne. Piraten? Na gut.
Das 1:0 nach drei Minuten. Zu früh. Denke ich. Das werden die Argentinier noch drehen. Es klingelt an der Tür – wer ist DAS denn? Die Nachbarin, der ein Huhn abhanden gekommen ist, das sich in unserem Garten verirrt hat. Den Rest der ersten Halbzeit verbringen wir damit, das gackernde Viech (nein, es ist nicht schwarzrotgold, sondern einfach braun) in die Enge zu treiben.
In die Enge wird Argentinien jetzt auch die deutsche Mannschaft treiben. Oder? Nix da. Fassungslos sitzen wir vor dem Fernseher. Also – ich mag sie nicht. Aber das, was die da im Moment in Südafrika anstellen – das ist grandios. Der alles überragende Thomas Müller, der als Typ Fußballer irgendwie retro wirkt - athletisch, schnell, ballsicher, ein bisschen mean. Und Schweini, tatsächlich Schweini – wie jemand, der sich endlich seiner Fähigkeiten bewusst geworden ist und sie perfekt nutzt. Lahm, der um jeden Milimeter fightet. Klose, selbstbewusst, verbissen - der optisch immer mehr einen Hauch von Fritz Walter verströmt. Irgendwie wirklich ein Team. Wahnsinn. Das hätte ich ihnen, das hätte ich dem Bundes-Jogi (der anscheinend das blaue Shirt mit V-Ausschnitt zum Gewinnershirt erklärt hat) nie im Leben zugetraut. Aus allen Ecken trötet, schreit, hupt und singt es. Kurz vor Abpfiff setzt der angekündigte Gewittersturm ein. Es braust und tobt ums Haus. Dazwischen mischen sich die Tröten der Vuvuzelas. Mmh. Jubel will sich bei mir nicht so recht einstellen, aber man kann ja seinen Fußballverstand auch nicht ausblenden. 54. 74. 90. 2010. Dann soll das wohl so sein. Und ein ganz klein wenig graut es mir vor dem, was uns da jetzt wir-sind-Deutschland-mäßig noch so bevor steht.
Wieder mein grantelnder Mit-Adler: „Und am besten im Finale dann noch gegen Holland – dann kann man es in ganz Mitteleuropa nicht mehr aushalten.“
Paraguay – Spanien
Wie heißt eigentlich die Hauptstadt von Paraguay? Richtig: Asunciòn. Und – nur mal angenommen – bei uns würde jemand einen öffentlichen Striptease für den Einzug ins Finale versprechen – wer könnte das sein? „Heidi Klum“, schlage ich vor. Aber das wäre dann vielleicht eher eine Drohung.
Und wie geht es jetzt weiter? Mein Mit-Adler sagt: Uruguay wird Weltmeister. In Vertretung der Italiener, sozusagen. Und ich? Ich sage gar nichts mehr. Ach, doch: Morgen ist Trainingsauftakt bei der Eintracht.
"Sie entdecken, dass die Kamera auf sie gerichtet ist und jubeln und winken ins Bild."
AntwortenLöschenUnd ich dachte, wir hätten dieses Phänomen in Deutschland exklusiv :P
Im Lahntal hat das Gewitter den TV-Empfang übrigens im wahrsten Sinne des Wortes verhagelt. Dauerte so 20 Minuten, dann ging er wieder.
An den Striptease von Zampach kommt eh keine(r) ran:)
PS: Beim "auf dem Balkon grillen und Fußball schauen" sollte man keinen HD-Kanal einschalten. Der benachbarte Biergarten wusste nämlich beim Müller-Tor schon 10 Sekunden früher Bescheid...
@shlomo
AntwortenLöschen...So ging es uns vor 4 Jahren beim ARG-Elfmeterschießen...
(Die Leut' gegenüber hatten *Schüssel-empfang* < oder 'Premiere' ? >
Egal , auf alle Fälle waren die immer TOO LATE ... :-))
Danke , Kerstin , für den Rückblick... ;-)
ps:
Ich rechne mit ner -buchstäblich- EISKALTEN Truppe aus Espana...,leider...
Außerdem: NOCH so'n Kraftakt kann ich mir net vorstellen , beim BESTEN WILLEN...
Eintracht Frankfurt kurz vor der Meisterschaft,dass wärs.:-)
AntwortenLöschenAber ich gönne es den Jungs und im Endefekt müsste es klappen-ist ein Frankfurter dabei,auch wenn er jetzt für Bremen spielt.
Am Mittwoch wird kein Huhn verfolgt,da wird Deutschland-Spanien geguckt und sollte das Huhn wieder abhauen zu Paella verarbeit,mit Hühnchengeschmack.
LG
(B).
Der Biergarten um eine Torlänge voraus :-) HD-Shlomo....ähem... Slomo, mein ich natürlich - **ggg... Aber im Ernst: Ächt? Ist das so eine deutliche Zeitverzögerung? Da kann man ja auf ganz merkwürdige Gedanken kommen...
AntwortenLöschenBei uns hat der Bildschirm zwischendurch auch gewankt ist aber nicht gewichen - insgesamt war (zumindest hier bei uns im rheinhessischen HInterland) das wildgewordene Huhn gefährlicher als das drumherumgezogene Gewitter. Und nix da, liebe Barbara, das Huhn kommt garantiert NICHT in die Paella - du erinnerst dich: Der dazugehörige Hahn heißt Franz, den wollen wir doch nicht auch noch reizen **ggg
Am Mittwoch werde ich keine Hühner jagen, nicht auf dem Balkon Fernsehen, sondern pünklich und ganz konzentriert Aufstellung im Wohnzimmer (vielleicht auch beim örtlichen Sportvereins-Public-Viewing) nehmen - ich bin nämlich auch sehr gespannt, ob die Spanier es schaffen, wenigstens EIN richtig gutes Spiel bei dieser WM abzuliefern. Und ob Trochowski/Kroos Thomas Müller ersetzen können. Und überhaupt.
PS: Thomas Zampach Fußballgott!
Ja, HD ist wirklich langsamer. Hatte ich sogar 1 oder 2 Tage davor erst bei Galileo im Abendprogramm gelernt:) Sind im Schnitt 5-10 Sekunden Verzögerung, die durchschnittlich durch die höhere Bildqualität und die damit verbundene längere Übertragungszeit auftreten.
AntwortenLöschenHD-Slomo, passt:)
Ja,HD ist wirklich etwas langsamer-beim Fussballspiel-schon störend.
AntwortenLöschenNein,dem Franz sei Mädel,bleibt heile,denn wir wollen kein-gereizten Hahn Franz-*ggg*
Die Spanier sollen ruhig so weiterspielen und ich schaue mir das Spiel auch wieder ganz gemütlich-daheim an.
LG
(B).