Direkt zum Hauptbereich

Abschiedsspiel für Alex Meier oder Eine Eintracht Zeitreise


Spät, aber doch. Abschiedsspiel für Alex Meier, das eigentlich eher Danke-Schön-Spiel heißen müsste, denn zum Glück bleibt Alex der Eintracht ja erhalten. Zum Glück, denn wenn wir Pech gehabt hätten und Alex nicht so ein duldsamer und friedlicher Zeitgenosse wäre, wenn er nicht die Kraft gehabt hätte, manches runter zu schlucken, dann hätte alles auch ganz anders kommen können. Hätte, hätte. Alex Meier ist bei uns geblieben und wurde zum Fußballgott. Und heute ist sein Abschiedsspiel.  

Früh morgens wache ich auf von einem ungewohnten Geräusch. Ich springe auf, ziehe den Rolladen nach oben und tatsächlich: Es regnet. Wirklich und wahrhaftig. Zufrieden kuschele ich mich bei weitgeöffnetem Fenster nochmal ins Bett, die Katze in meiner Armbeuge gähnt.

Ganz so entspannt geht der Tag nicht weiter und so komme ich nachmittags erst um kurz nach vier Uhr zu Hause los. Da ich, je nachdem wie ich mit Bus, Auto, Bahn durchkomme, gut eineinhalb Stunden ins Stadion brauche, wird es jetzt vielleicht sogar eng bis zur für 18 Uhr angekündigten Mannschaftsvorstellung. 

Entspannte Stimmung an der S-Bahn. Auf dem Bahnsteig tummeln sich Gruppen von Eintrachtlern, fast wie an einem Spieltag. Wir quetschen uns ins Abteil. Mittendrin ein älteres Ehepaar, das gerade festgestellt hat, dass der Zug heute nicht am Hauptbahnhof hält und sie sich von Hanau aus nach Marburg durchschlagen müssen. "Vielleicht geht ich lieber mit euch ins Stadion," grübelt der Mann, "Da war ich schon 30 Jahre nicht mehr." Wäre vielleicht kein schlechter Anlass.

Kurz nach halb sechs laufe ich ein, rund ums Stadion trubelt es schon, Verkaufsstände, Sweets, Zelte, Hüpfburgen. Schlangen vor dem Eintracht-Shop. Meier-Shirts in allen Varianten,  Beve und Pia unterhalten sich auf der Waldtribüne gerade mit Maik Franz. Auffallend viele Kinder und Familien sind unterwegs, viele in Meier-Trikots. Meier-Schals werden geschwenkt.  Mir hängt der Magen in den Kniekehlen und ich versorge mich schnell mit einem (teuren, aber leckeren) Hamburger und einem (teuren) Wasser, bevor es mich ins Stadion zieht. Entspannte, familiäre Atmosphäre, Kinder rennen kreuz und quer. Fast wie bei einem Freundschaftsspiel auf den Dörfern, aber größer, viel größer, natürlich.

Im Stadion ein großes Hallo hier, hallo da. Die Sitzplätze sind heute anders verteilt, überall winken bekannte Gesichter von irgendwo aus dem Block. Ach, da ist ja auch... und da hinten...Huhu. Kleine Enttäuschung als ich begreife, dass mit "Mannschaftsvorstellung" nicht die Alex-Meier-Teams, sondern der aktuelle Kader unserer Eintracht gemeint ist. Stimmt, das ist ja nicht nur Abschiedsspielabend, sondern auch Saisoneröffnung. Na gut. Das Mitrufverhalten ist, sagen wir mal, spärlich. Wer ist jetzt nochmal gleich Jerome? Und Faride?  Wir werden sie kennenlernen und uns an sie gewöhnen. Tosender Applaus für Kevin Trapp, der, wenn er denn auch tatsächlich weiterhin bleibt, zur nächsten Legende werden kann. Im Moment jedenfalls ist er unumschränkter Eintracht-König. 

Das Feld leert sich. Alex Meier kommt auf den Platz, allein läuft er auf den Mittelkreis zu. Alles steht, alles klatscht, jubelt. Mensch, Alex. Erinnerungsflash. So viele Meier-Momente schießen durch meinen Kopf. Das erste Mal gesehen hab ich ihn in Rüsselsheim, 2004, es muss einer seiner ersten Auftritte im Adler-Trikot überhaupt gewesen sein, Testspiel gegen den TV Haßloch, den Verein, bei dem mein Vater früher Fußball gespielt hat. Das wird einer, dachte ich. Ungelogen. Dann ein oder zwei Jahre später. das Freundschaftsspiel in Wetzlar Der Spielerausgang von Autogrammjägern umlagert und Meier, der herauskommt, sich fast schon panisch umschaut, über die Bande flankt, und zum Spielerbus trabt. Nix wie weg. 2008/09: Meier, der beim Training beschimpft, ach was: mit Hasstiraden überschüttet, wird, zusammen mit Benni Köhler. Funkel Liebling. Meier, der still erträgt und weitermacht. Meier, der Torschützenkönig, Meier, der immer, immer gegen den HSV trifft. Meier, der oft die ersten und fast genauso oft die entscheidenden Siegtreffer erzielt.  50 Tore für die Eintracht. Hundert. Spieler der Stunde. Fan-Liebling. Schließlich: Meier, der von Nico Kovac auf die Bank verbannt wird, und der nach seiner Einwechslung im Pokalhalbfinale direkt einen Treffer erzielt und das Stadion zum Einsturz bringt. Über keinen anderen Spieler habe ich hier im Blog so viel (und so gern) geschrieben. (Ein paar Texte hab ich hier mal verlinkt). 

Da steht er, ganz allein im Mittelkreis, Immer noch schlaksig, immer noch mit Zopf. Er klatscht uns zu, hebt den Arm zum Gruß. Ein kleiner Schauer läuft über meinen Rücken.

Die Vorstellung der beiden Teams auf dem Videowürfel. Nur auf dem Videowürfel. Schade, schade - hier hätte ich mir einen Live-Einlauf mit Einzelvorstellung gewünscht. Jay Jay - OKOCHA. Tony - YEBOAH. Charly - KÖRBEL. Uwe - BEIN.  Erwin - SKELA. Uwe - BINDEWALD. Pirmin - SCHWEGLER (feiner Kerle). Benni - KÖHLER. Bei der Vorstellung von Friedhelm Funkel muss ich schlucken. Ach, Friedhelm. Auch so einer, der hier bei uns so viel erreicht hat und dabei so viel einstecken musste. Mit Grausen erinnere ich mich an die Pelzmantel-Frau am Rande des Trainingsgeländes, die laut keifend in Richtung Funkel spuckte, nein, rotzte. - Mir hat das damals eine Eintracht-Wunde gerissen, die auch durch die aktuellen Erfolge nicht wieder ganz verheilt.

Große Namen, viele Sympathieträger. Ein Wahnsinnsaufgebot. Einige fehlen im Kanon, klar.  Auch Ama, der in der Vorab-Liste noch mit aufgeführt war, wird am Ende einer derjenigen sein, die fehlen. 

Der Stadionsprecher verkündet euphorisch, dass das Spiel für Alex Meier erst das dritte Abschiedsspiel ist, das die Eintracht für verdiente Spieler ausrichtet. Mmh...Das liegt sicher nicht daran, dass die Eintracht nur drei außerordentliche Spieler hervorgebracht hat, und ich frage mich, was wohl (nur zum Beispiel) Bernd Hölzenbein, Uwe Bein oder Oka Nikolov denken, wenn sie diesen Satz hören. Und Schui und Zico, die ihr - wundervolles, großartiges, bewegendes! -  Abschiedsspiel damals selbst organisiert haben. Nun ja, Schnee von gestern. Heute ist Alex Meier-Tag. Ein Tag zum Jubeln, nicht zum Kritteln.

Und dann geht es los und uns erwarten 90 unterhaltsame Fußballminuten. Wie strange, wie schön, sie alle nochmal in Action zu sehen.  Zeitreisebilder. Das Relegationsspiel damals gegen den FC Saarbrücken - Tony Yeboah damals noch auf der anderen Seite. Anthony Sabini. Charly, der per Kopf und mit purem Willen gegen Hannover den entscheidenden Treffer gegen den Abstieg erzielt.  Alle, die da unten auf dem Platz stehen, habe ich noch live spielen sehen. DAS Tor von Jay Jay gegen den KSC - wir standen im F-Block und es war als ob für Sekunden die Zeit stehen bleibt, noch ein Haken, noch einer, noch einer. Und noch heute könnte ich schwören, dass es, nachdem der Ball im Tor war, im Stadion zunächst für eine Zehntelsekunde absolut still war - wir konnten es einfach nicht glauben. Zeugen Yeboahs, Zeugen Okochas.

Tony Yeboah hat deutlich an Gewicht zugelegt, Jay Jay hängt sich rein. Beiden ist leider kein Tor vergönnt. Die Mitspieler versuchen die Bälle in den Lauf zu legen, aber Yeboah verzieht beim Torschuss ein ums andere Mal. Jay Jay beweist sein Talent als Showman, schlägt Haken, trickst und trippelt, lässt sich foulen, schindet Freistöße und tritt (nach witzigem Herumgeplänkel mit Charly Körbel - wie früher mit hängenden Stutzen) sogar zum Elfmeter an, aber Trapp (oder war es Jan Zimmermann) kann den Torwartreflex nicht verhindern und hält. Besser ergeht es Uwe Bein, der den einen oder anderen Uwe-Bein-Gedächtnispass zeigt und aus der Distanz sogar ein Tor macht. "Wer ist denn der alte Mann?" fragt mich meine Sitznachbarin. Heeeey, dein Ernst? 

Und Alex? Eine Hälfte Team Zopf, eine Hälfte Team Innenseite - und für beide trifft er je drei Mal - er schlenzt butterweich, schiebt ein, flankt,  tippt beim Laufen, wie früher, immer noch kurz mit dem Fuß nach hinten, trifft - und hält zwischendurch auf dem Platz kurz auch mal ein Schwätzchen mit einen Mitspieler. Sportliche Highlights sind aus meiner Sicht Benni Köhler und Stefan Aigner, beide topfit, agil, spielfreudig. Und auch Hinti ist dabei, auf neuer Position im Sturm und: Er trifft. Hinti. Hinti.  Martin Fenin lässt nach seinem Tor vor der Kurve die Muskeln spielen. Wir lachen, zeigen - kuck kuck - und freuen uns an dem Spiel, an dem auch die Akteure sichtlich viel Spaß haben.

Merkwürdig wenige Alex Meier-Gesänge, Europas beste Mannschaft, Eintracht Frankfurt international, und bei nachgerade jeder Torwartballberührung wird "Neuer auf die  Bank" gefordert. Witzig, klar, aber in diesem Rahmen hätten wir doch eigentlich.... Oder...?

Dann kommt die 85. Minute, und der Stadionsprecher kann offensichtlich nicht anders und kündigt an, dass jetzt große Emotionen anstehen. Maaaaan. Lasst es uns doch lieber fühlen als alles so hochzuhypen, dass für eigene Emotionen gar kein Platz mehr bleibt. Bitte! 

Die Teams stehen um den Mittelkreis, klatschen, und jetzt, jetzt geht Alex Meier auf Stadionrunde, läuft alle Blocks ab, begleitet von  Klatschen, Trampeln, Jubeln, auch alle Spieler klatschen mit. Vorbei an der West, Hand auf der Brust, jetzt, jetzt ist er vor unserem Block. Wir schreien, winken. Alex, Alex.  Schön. Traurig. Wehmütig, auch, weil noch während der Stadionrunde zu spüren ist, dass wir uns längst in einer anderen Zeit befinden, dass Alex Meier Teil einer vergangenen Epoche ist...

Und dann ist es aus, aus. Wirklich aus. Und ich vermute, dass Alex Meier bei aller Freude jetzt auch ein bisschen erleichtert ist. Noch ein Foto aller Spieler am Mittelkreis. Interviews. Armin Veh am Spielfeldrand, gewohnt modisch mit weitausgeschnittenem T-Shirt. Lukas Hradecky gibt Autogramme. Menschen reißen sich ihre Trikots und Shirts vom Leib, um darauf eine Unterschrift zu ergattern. Alex Meier wirft Meier-Shirts in die Blocks. Martin Fenins kleine Tochter sturzelt im bodenlangen Trikot mit der 17 über den Platz. Zwei andere Spielerkinder (sind es die von Stefan Aigner?) üben sich unter lautem Jubel der Kurve im Torschuss (danach nichts wie schnell wieder zurück zu Papa). Schnell noch Zeit für ein paar Hinweise. Samstag sehen wir uns gegen Leipzig, am Mittwoch dann der erste Champions League-Auftritt. Der Tross der Spieler läuft noch einmal in die Kurve. Vorbei.Vorbei.

Nach dem Spiel fühlt es sich fast an wie bei einem normalen Bundesligaspiel. Der S-Bahnhof platzt aus allen Nähten. Züge nach hier, nach da fallen aus. Baustelle. Die S9 fährt abends nur bis Raunheim und für eine Moment befürchte ich, dass ich mich mit Bus und Taxi von dort aus zu meinem Auto auf dem Park & Ride in Bischofsheim durchschlagen muss. Aber kommt Zeit, kommt Zug - und um 11 Uhr bin ich dann glücklich zu Hause Hoffentlich haben es die beiden Leutchen von heute Nachmittag inzwischen auch nach Marburg geschafft...  Auf mich warten das Bänkchen hinter dem Haus, ein Kaltes Bier, zwei maunzende Katzen und ein Mit-Adler, der meinen Erzählschwapp geduldig über sich ergehen lässt. Und wenn wir schon im Stadion DAS Meier-Lied nicht gesungen haben, dann singe ich es eben jetzt.

 "Er trifft mit dem Fuß, 

er trifft mit dem Kopf,

er trifft, wenn es sein muss, auch mit dem Zopf.

Fußballgott. Fußballgott. Alex Meier, Fußballgott."

Danke, Alex! Entschuldigung für all die unschönen Dinge, die du mit der Eintracht erlebt hast und Danke für deine Contenance, deine Ruhe, deine Kraft, diese Zeiten durchzustehen, für deinen Einsatz, deine Tore und dafür,  dass du die Eintracht in deinem Herzen trägst und bei uns bleibst. Danke!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die nächste Strophe vom alten Reisbrei

Am Samstagabend höre ich im ZDF Sportstudio die Vorankündigung für das Spiel am Sonntag im Waldstadion. „Hannover kann morgen auf den zweiten Tabellenplatz vorstoßen“, verkündet Katrin Müller-Hohenstein. Tatsächlich? Was Sie nicht sagen. Und die Eintracht? Hey – hallo, das ist unser Heimspiel, und wir werden es gewinnen, weil nämlich dann wir es sein werden, die zu Hannover und zur Spitzengruppe aufschließen. Capisce? Und tatsächlich. So machen wir es. Impressionen vom Spiel: Patrick Ochs, der in der ersten halben Stunde auf der rechten Seite herum mannövert als habe er tatsächlich vor, was er vorher verkündet hatte: Sich festbeißen – und von dem in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu sehen ist. Halil Altintop, der (auch in seinem eigenen Sinn) zur Halbzeit hätte ausgewechselt werden müssen, und von seinem Trainer, der voll hinter ihm steht, eine viertel Stunde vor dem Ende zum Abschuss freigegeben und – sichtlich um Fassung bemüht – regelrecht vom Platz gepfiffen wird. (Ja, ja.

Kleines Fußball-ABC - Heute "U" wie "Unterschiedsspieler"

Unterschiedsspieler, der (pl. (selten die); fußballneudeutsch für einen Spieler, der – wie der Name schon sagt – den Unterschied machen und ein Spiel entscheiden kann. Bsp .    → Rebic, Ante (Eintracht Frankfurt) , der in der ersten Runde des DFB-Pokals 2019/20 “ den aufmüpfigen Drittligisten Waldhof Mannheim quasi alleine in die Knie zwang. “ In der Regel ist der → Unterschiedsspieler ein Offensivspieler, aber auch Defensivspieler „mit einer starken Technik und einem guten Gespür für Räume imOffensivspiel“  können Unterschiedsspieler sein  -   Bsp.   → Baumgartner, Christoph TSG Hoffenhei m) , → Kimmich, Joshua (FC Bayern München) oder  →Kostic, Filip (Eintracht Frankfurt), der für seinen Trainer →Adi Hütter derzeit „der absoluteUnterschiedsspieler“ ist. Auch Torhüter  können den Unterschied machen ( Bsp. Neuer, Manuel, FC Bayern München ), was als Beleg dafür gelten kann, dass auch Spieler, die nicht der Mannschaft von →Eintracht Frankfurt angehören, →Unterschiedsspieler sein kö

Hans-Dieter "Fips" Wacker - ein Fußballerleben

Es ist ein paar Monate her, dass ich für diesen Blog im „Kleinen Fußball-ABC“ einen eher satirisch gefärbten Beitrag zum Thema  Nachwuchstalente verfasst habe. Es war Kid Klappergass, der das Thema in einem Kommentar in ernsthaftere Bahnen führte: Es gebe nicht viele große Eintracht-Talente, denen er nachtrauere, aber eines davon sei ganz gewiss Fips Wacker. Fips Wacker? Diesen Namen hatte ich noch nie gehört und machte mich auf die Suche nach ein paar Informationen. Es war nicht viel, was ich im Netz aufstöbern konnte – aber was ich fand, machte mich neugierig. Die „Spur“ führte zum Heimatverein von Fips Wacker, der SKV Büttelborn und wie es der Zufall so will: Einige Wochen später sollte in Büttelborn ein Spiel der Alten Herren – der  Old Boys   gegen die Eintracht-Traditionsmannschaft ausgetragen werden. Wenn für Hans-Dieter Wacker alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können, hätte er in diesem Spiel vielleicht eine Halbzeit lang für die Eintracht und eine für den SKV auf de