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CL-Achtelfinale gegen den SSC Neapel: Rück- und Ausblicke

Lange nichts mehr hier geschrieben, längst ist das neue Jahr nicht mehr neu. Es ist viel passiert, im Großen wie im Kleinen. Und 2023 kann zwar nicht mehr mit einer Pandemie, aber weiterhin mit einem Krieg und außerdem bereits mit einer unvorstellbar grausamen Katastrophe mit zehntausenden Toten aufwarten. Und trotzdem, trotzdem: Die Welt, der Ball, wir alle rollen, drehen, arbeiten, twittern, wuseln weiter, von hier nach da, manchmal auch alles gleichzeitig. Wie auch sonst...

Auf dem Weg von und zu Heimspielen der Eintracht verbringe ich viel Zeit in S-Bahnen. Eine nicht enden wollende Baustelle an immer unterschiedlichen Stellen irgendwo auf der Strecke zwischen Mainz und Frankfurt. Statt gut einer halben Stunde dauert die Fahrt eineinhalb, auch mal zwei oder - Rekord - dreieinhalb Stunden. Hin- und zurück. Also: Jeweils. Stehen. Warten. Umgeroutet werden. Und irgendwann inmitten dieser Zeitschleife findet ein Fußballspiel statt, das - so war es bisher in diesem Jahr - jedes Mal gewonnen wurde, was mögliche Aggressionen oder melancholische Zustände bei der An- und Abreise deutlich minderte. Und es gibt immer viel zu hören und zu sehen in Zügen, die mit an- und abreisenden Eintrachtlern vollgestopft sind. Zum Beispiel  ein Trupp "Althauer", der sich die Zeit damit verkürzt, sich lautstark gegenseitig Schwänke aus vielen Jahren unterwegs mit der Eintracht  zu erzählen. Deshalb weiß ich zum Beispiel jetzt, dass die Jungs "damals, 2002, in Mallorca" viel Spaß daran hatten, aus den Zimmern ihrer Hotelzimmer Tische und Stühle auf unten postierte Polizisten zu werfen. Und auch über die Fastnacht habe ich interessante Erkenntnisse gewonnen. Die wird  nämlich auch in Frankfurt gern und ausgiebig gefeiert, "wenn da bloß net die Meenzer wären mit ihrem Scheiß Narhalla-Marsch, die uns die ganz Fastnacht kaputt mache." Bumbaaf.

Die letzte halbe Stunde des Spiels gegen Hertha bringen wir damit zu, das neue "Lied zum Spieler" zu entschlüsseln. Kolo, kolo, Kolo - Kolo Kolo Kolo - Muani. So viel ist klar - logisch! -, aber der Rhythmus ist irgendwie ... unrhythmisch. Spätestens auf dem Weg durch den Wald sind alle Probleme beseitigt. Der ganze Wald singt.

Zum wiederholten Mal lasse ich alle Zweifel mit Blick auf die neue Eintracht hinter mir.  -Will ich das? Ist das überhaupt die Eintracht, die ich will? Zu viel das alles. Muani, Kamada sind doch ohnehin bald wieder weg. Nächsten Sommer jubeln wir wieder anderen Spielern zu. - Und trotzdem: Es ist einfach nur schön, dieser aktuellen Mannschaft beim Fußball spielen zuzusehen. Ich lasse mich ins Spiel fallen und freu mich einfach.

Kann Muaniiiii (ohne ü, kurzes a, langes i erklärt mir meine liebe perfekt französisch sprechende Adler-Freundin Nicole) überhaupt nicht-nicht treffen? "Wenn er den Ball bekommt, bin ich sicher - er macht ihn", erkläre ich einer Gruppe von Fußballfreunden (keine Eintrachtler!). "Er ist einfach nicht vom Ball zu trennen - und führt den Ball so eng. Und dann der Abschluss." Ich ertappe mich, dass ich überlege, welcher Titel mir in diesem Jahr der liebste wäre. Die Wahl zwischen CL-Sieger und Meistertitel ist eindeutig: Meister! Wenn es aber "nur" ein weiterer Pokalsieg in Berlin wird? Ach, das wär schon auch schön. Und der Pokalkracher gegen Darmstadt ebenso wie die Viertelfinalauslosung gegen Union - warum, warum nur kein Dreier gegen Schalke - Berlin nährt die Hoffnung auf einen Ausflug  in die Landeshauptstadt Anfang Juni.

Die kleine Delle im Spiel gegen Köln nimmt uns zwar wohl aus dem - zuvor immerhin träumbaren Meisterrennen - ist aber trotzdem schnell überwunden. Ein überlegenes, aber ziemlich fades (Eintracht-Neusprech: "erwachsenes") 2:0 gegen Werder, ein erneuter Treffer von Muani, ein Mario Götze mit immer wieder genialen Momenten rücken die Eintracht-Welt wieder gerade. Luft rausnehmen, Kräfte schonen - perfekte Vorbereitung auf das Champions League-Achtelfinale gegen Neapel.

Heute also. Champions League. Liverpool gegen Real und wir, die Frankfurter Eintracht, gegen den SSC Neapel. Wow. Neapel hat  am Wochenende, wohl ähnlich locker wie die Eintracht gegen Werder, gegen Sassuelo ebenfalls mit 2:0 gewonnen hat, auswärts,. Die Mannschaft spielt auch sonst in der Serie A eine überragende Saison und liegt im Moment mit sage und schreibe 15 (fünfzehn!) Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze. Einer der herausragenden Spieler ist (wie ich nachgelesen habe) Kvitchi Kvaratskhelia, ein junger Georgier, der in der Serie A  fast exakt so viele Tore und Scorerpunkte wie Kolo Muani erzielt hat und auch in der Champions League bereits drei Treffer und zwei Vorlagen verbuchen kann. Er kann links und rechts  aber auch als hängende Spitze spielen. Obacht!

Ansonsten: Hochrisikospiel. Ausverkauft, logisch. Es wird, wie in den letzten Tagen ausführlich kommuniziert, heute keine Choreo geben. Ja, schade, auch wegen der Begleitumstände, trotzdem kann ich irgendwie gut damit leben - laut, wild, spannend und euphorisch wird es sowieso.  Choreo ist fun, Choreo ist irgendwie "festlich", irgendwie auch cool, aber trotzdem für mich - Und auch, wenn ich die Meinung vermutlich exklusiv habe - kein must have. Und vielleicht, vielleicht ist Fußball ohne Choreo ja sogar noch ein bisschen mehr Fußball..

Werden wir es packen? Ohne Heimsieg würde das Erreichen des Viertelfinales zweifelsfrei  extrem schwierig. Mein Glaube an die Leistungsfähigkeit und den Willen unserer Jungs, an die Vorbereitung unseres Trainerteams, ist fast unbegrenzt, und wir haben in den letzten Jahren, Monaten, Wochen erlebt, dass bei uns alles möglich ist, wenn alles passt. Trotzdem (Zitat Opa, früher vor nahezu jedem Spiel der Eintracht): "Wird schwer. Die annern wolle aach gewinne."

Wenn alle Stricke reißen, werde ich mich an einen Mit-Eintrachtler aus der vollgestopften S-Bahn von oben  erinnern, der folgenden legendärischen Satz sprach: "...ehrlich gesagt...mit das Beste an der Champions League ist doch, dass wir in der Bundesliga jetzt wieder öfter Samstags spielen." Vielleicht hat er recht?

Ach nö...Sieg und sonst gar nix!

Kommentare

  1. Am Tag danach. Eine verdiente Niederlage nach einem irgendwie merkwürdig "uneigentlichen" Champions League-Abend. Anknüpfend an den Text oben einige Spotlights in Stichworten: Die S-Bahn war (logisch) brechend voll, fuhr gestern aber completly reibungslos und weitgehend pünktlich - 1 Uhr nachts war ich zuhause, okey dokey. Choreo war irgendwie doch - Feuerwerk in den Nachthimmel, bunter Rauch, Konfetti (obwohl Frauen - so der Bericht eines Eintrachtlers aus meinem Block - bei den Eingangskontrollen unter Jacken, Pullis und Shirts ertastet und konfisziert wurden...). Die Gesänge vor Anpfiff im Rauch übertönten die Champions League-Hymne - ich vermute, sie wurde gespielt. Der Neapel Fan Block weitgehend schweigend während des kompletten Spiels (Gab es da Gründe?) Das Publikum, auch bei uns im Block, gestern erkennbar anders gemischt als bei "normalen Spielen". Zum Spiel: Ja, wir haben ganz gut angefangen, mehr aber auch nicht. Neapel hat uns ab ca. Mitte der ersten Hälfte komplett aus dem Spiel genommen. Präzises Passspiel. Ballstafetten. Spiel in die Breite gezogen. Kein wildes Anrennen oder Schlagabtausch, einfach ihr eigenes ruhiges Spiel aufgezogen und im passenden Moment den öffnenden Pass in die Lücke/über die Außen. Und wir haben keine Lösung gefunden, um irgendwie dazwischen zu kommen. Dann die schnellen Vorstöße, individuelle Fehler. Aus die Maus. Und Neapel ist halt einfach wirklich und wahrhaftig bärenstark, selbstbewusst, cool, ballsicher, technisch-filigran, schnell... alles halt. In der zweiten Hälfte haben sie (so mein Eindruck) im Prinzip gemacht, was sie wollten - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und immer mal wieder angedeutet, was da alles noch drin ist. Nach dem Spiel habe ich in der Statistik gelesen, dass Neapel mehr als doppelt so viele Pässe gespielt hat als wir und 70% Spielanteil hat. So war*s. Und da uns gestern irgendwie auch - auf dem Platz und auf den Rängen - offensichtlich der letzte Wille zum unbedingten Erfolg gefehlt hat, den wir brauchen, um Unmögliches möglich zu machen, war es am Ende so wie es war. Die Mannschaft hat bis zum Schluss gekämpft, schon klar, aber es sprang kein Funke, weder vom Feld nach oben, noch umgekehrt. Nach dem Abpfiff: Schals nach oben und "Im Herzen von Europa". Auswärtssieg, Auswärtssieg. Leise Befürchtung, dass bei uns allen vielleicht doch die Luft für das ganz große Ding (zumindest auf internationaler Ebene...) in dieser Saison raus ist... (Ein Indiz - mehrere Stimmen von unterschiedlichen Menschen vor dem Spiel: "Mir ist eigentlich egal, wie das Spiel ausgeht. Dass wir überhaupt in der Champions League sind ist schon ein Riesenerfolg." Und ich denke, ähnliche Gedanken gehen uns allen iirgendwie zwischendurch durch den Kopf und lähmen vielleicht das letzte Quäntchen, das nötig wäre). Aber wer weiß. Ich wage keine Prognose, aber einen Sieg bzw. einen hohen Sieg in Neapel kann ich mir heute abend schlecht vorstellen. In diesem Sinne: Opa hat weiterhin recht: Es war schwer. Es bleibt schwer.

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    1. Es ist für mich wie eine verspätete Novemberdepression frei nach Guns'n Roses: langsames Herabschweben auf den Boden der Realität. Neapel hat uns deutlich! die Grenzen aufgezeigt und in der Bundesliga musst du auch immer 100% spielen, um gegen die direkte Konkurrenz zu punkten, um vielleicht sportlich über die Tabelle CL zu spielen. Napoli hat das abgerufen, was ich von denen erwartet bzw befürchtet habe, und unsere Jungs haben mal nicht überperformed. Eigentlich normal, aber in diesen entscheidenden Wochen fatal. Und das ausgerechnet die Jungs, die nächste Saison vakant werden, dazu beitragen, ist ärgerlich. Da kommt man auf dumme Vermutungen,die keinem weiterhelfen. Ein Freund meinte vor kurzem: komm,lass uns auch Auswärts ma wieda fahren, um diese Mannschaft noch mehr zu erleben denn wer weiß, was davon übrig bleibt.
      Und was die Meinung zu Choreo angeht: you're not alone!

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    2. Hallo lieber Briegel, freu mich sehr, dich hier zu lesen. Meine Gedanken kommen deinen sehr nahe. Dieser Schwebezustand, in dem man alles für möglich hält und mögliche Konsequenzen ausblendet, scheint dem Ende entgegen zu taumeln... Neapel war schon irgendwie ein Wendepunkt. Beim Spiel in Leipzig hatte ich in der BuLi zum ersten Mal seit langem das Gefühl, dass wir da nichts holen werden. Man denkt wieder mehr über Entwicklungen nach: Was wäre, wenn... - in die eine oder in die andere Richtung. Können/wollen wir dauerhaft unter Strom stehen? Sind wir jetzt "danach" überhaupt noch fähig für den Fußball-Alltag? Wir werden sehen! Wie wär's: Wir holen - zum Abgewöhnen ,) - im Juni einfach nochmal den Pokal... Und wg. Choreo: Das ist gut zu wissen!

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