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Eintracht gegen Wolfsburg: Fast wie früher


Gestern im Stadion war es auf einmal wieder da: Dieses fast vergessene Gefühl aus der Vor-DFB-Pokalsieger- Vor-Corona-und-Vor-Europacusieger-Zeit. Du stehst an einem grauen Tag im Stadion. Es regnet, das Stadion ist nicht gefüllt. Ein Irgendwie-Spiel gegen einen Gegner aus dem Fußball-Niemandsland, der selbst ziemlich unter Druck steht. Das Spiel plätschert. Es ist über weite Strecken Ballgeschiebe. Und am Ende verliert die Eintracht mit 0:1. 

Unterschied zu "früher": Wir wissen nicht, wie wir uns dabei fühlen sollen. Hey - so viele überwältigende Erfolge in den vergangenen Jahren, Europacupsieger, wir!, und da sollen wir  uns jetzt wegen eines 0:1 am sechsten Bundesligaspieltag, wegen eines 0:3 am ersten Champions League-Spieltag verrückt machen oder die Mannschaft in Bausch und Bogen nieder machen? Wir spenden Trost. Am Mittwoch mit minutenlangen Gesängen, Schals nach oben singen wir als Höhepunkt für die Mannschaft das Europalied. Gestern mit freundlichem Applaus und einem kräftigen "Auswärtssieg, Auswärtssieg." 

Aber: Meinen wir es wirklich so?  Wirklich nachdrücklich, mit voller Energie und Überzeugung?  Gefühlsmä0ig bewegen wir uns im Moment - so mein Eindruck -  in einem wattigen Niemandsland. Sind wir jetzt einer der "Großen"? Welches Ziel streben wir in dieser Saison an? Gruppenphase in der CL überstehen? Yeah...? Uns in der Bundesliga vorne etablieren? Yeah...? Berlin, Berlin? Mmh. Nicht selten habe ich in den vergangenen Wochen gehört: "Einfach mal wieder eine normale Saison, das wär schön." Und ich glaube, im Stadion eine gewisse Gefühlsleere  oder sagen wir: Müdigkeit zu spüren. Zu viel erlebt, zu viel gefreut, so viel Energie aufgewendet, so viel gefühlt, zu groß die Erfolge, um dem aktuellen Geschehen genügend innere Anspannung entgegen zu bringen? Ich weiß es nicht, und rette mich bei meinen Erklärungsversuchen in die aristotelische Poetik. Peripetie nennt man in der griechischen Tragödie den Moment, in dem das Schicksal kurz vor oder just am Höhepunkt des Glücks sich unverschuldet - schicksalhaft - ins Gegenteil verkehrt. Mehr als vollendetes Glück gibt es nicht. Alles, was folgt, ist weniger, muss sozusagen büßen für das vorher Erreichte. Mmh...

Die DK-Plätze waren gestern deutlich gelichtet. Ok, Wolfsburg ist kein besonders attraktiver Gegner, in den letzten Wochen waren wir praktisch im Drei-Tage-Rhythmus im Stadion, es ist noch Urlaubszeit - da können schon mal ein paar Plätze mehr leer bleiben. Mmh.

Kurz zum Spiel: Wolfsburg hat gegen uns gestern genau in der Art gewonnen, in der Nico Kovac vor ein paar Jahren uns vier Spieltage vor Saisonschluss übernommen und auf einen Relegationsplatz geführt hat. Mit akribisch geplanter taktischer Disziplin, mit der er die Grundlage legt, um dann - Spiel für Spiel - auch wieder mehr spielerische Akzente zu setzen. "Arbeiten", nennt Nico Kovac das, auch in der anschließenden Pressekonferenz, und so sah es auch aus. Zwei eng gestaffelte Fünfer-Abwehrreihen, die in der ersten Halbzeit nichts, aber auch nichts zum Spiel beigetragen haben, und gegen die wir merkwürdig lahm und uninspiriert wirkten und mit irgendwie gebremstem Schaum versuchten durchzukommen. Behäbiges, mitunter fast langsames, halbherziges Ballgeschiebe. Im Halbzeitgespräch war uns klar: Wenn wir es nicht irgendwie schaffen, früh nach der Pause ein Tor zu machen, dann verlieren wir das Ding, vermutlich mit 0:1. Irgendein Fehler passiert, irgendein Ding rutscht denen dann rein. Und so kam es. Hatte sich zu Beginn des Spiels, die Sonne am Himmel nochmal so richtig ins Zeug gelegt, wurden die dichten Wolken in der zweiten Hälfte immer dichter. Einzelne Blitze, fernes Donnergrollen. Tor für Wolfsburg. Halbgares Anrennen der Mannschaft. Letzte Anfeuerungsmobilisierungen aus der Kurve. Aus.

In den vergangenen Jahren kein Nach-dem-Spiel-Gebabbel ohne Pläne für die nächste Auswärtsfahrt, die nächste Europatour. "Fahrt ihr auch nach Marseille?" "Hab gestern schon Lissabon gebucht." "Tottenham - das wird groß." All das hab ich gestern kein einziges Mal gehört. Auch von "Eintracht Frankfurt international" wurde nicht gesungen. Wir sind bemüht, den Alltag anzunehmen. Gut. Möglicherweise geht das auf Kosten der allumfassenden Championsleague-Euphorie. Ich glaube, wenn wir (schreckliche Vorstellung!) den Europacup nicht gewonnen, sondern auf Bundesligawegen einen Champions League-Platz erreicht hätten, wäre die - so said - "Königsklasse" uns leichter gefallen. Es wäre uns wichtiger gewesen. (Obwohl von wegen Königsklasse: Wer gestern Wolfsburg und vier Tage vorher Sporting gesehen hat - das war schon ein Riesenunterschied. Beide mit defensiver, kontrollierter Spielanlage - aber was bei den Wolfsburgern dann nicht nur Arbeit war, sondern auch so aussah, war bei Lissabon getragen von fußballerischer Raffinesse, Spielfreude und Ballbeherrschung jedes Einzelnen).

Ehrlich gesagt, merke ich in diesen Tagen mit leichtem Erschrecken, dass es mir leichter fällt, mit Niederlagen umzugehen als mit großen Siegen.  Es war für mich nicht schlimm gestern - es hat sich vertraut angefühlt. Ich war ein bisschen ratlos, enttäuscht, aber alles in allem: Ok damit. Als ich im Regen zur S-Bahn gestapft bin, war da fast so etwas wie ein melancholisches Glücksgefühl, das sich sogar vom nachfolgenden S-Bahn-Chaos nicht ganz unterkriegen ließ. 

Sagt das etwas aus über mich? Über die Eintracht? Wir sind Eintracht Frankfurt, vielleicht können und wollen wir gar nicht einfach immer nur gewinnen. Das ist (noch) nicht unser Ding - immer noch und noch und noch mehr. Jetzt machen wir einen kleinen - vielleicht ja nur sehr vorübergehenden - Schwenk ins Mittelmaß und dann greifen wir wieder an. Meine Oma hätte gesagt: Wer weiß, für was es gut is. Und mein Kampfgeist steigt. Mal sehen, ob das bei der Mannschaft auch funktioniert.  Denn auch das ist Eintracht Frankfurt: Immer für eine Überraschung gut. Ich bin gespannt auf uns und das, was vor uns liegt!



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