Während die „fliegenden Systeme“ der Bundeswehr sich derzeit
offensichtlich in einem desolaten Zustand befinden, war am frühen Abend des
Sonntags beim Spiel der Eintracht in Hamburg ein über die Maßen sehenswertes Phänomen
zu besichtigen, das mit Fug und Recht den Namen „fliegendes System“ für sich in
Anspruch nehmen kann, gegebenenfalls auch – in Anlehnung an zur Auslieferung von Paketen eingesetzten Drohnen – als „Ballcopter“
bezeichnet werden könnte.
90. Minute. Wie aus dem Nichts und ohne erkennbare
Vorwarnung tritt zum Freistoss Lucas Piazon an, dessen Einwechslung soeben noch für Unmut
unter einem Großteil der Anhänger der Frankfurter Eintracht gesorgt hat. („Was
will der Schaaf dann jetzt ausgerechnet mit dem?“) 35 Meter vor dem Tor wird der Ball zum
Freistoß zurecht gelegt. Ohne großes
Tamtam tritt der designierte Schütze an. Ein kurzer, taxierender Blick in Richtung Tor.
Drei, nein vier Schritte Anlauf. Er
trifft den Ball mit dem Innenrist, wobei - kaum merklich - und erst in der 137. Wiederholung sichtbar - der Ball für einen winzigen Moment an seinem Fuß verharrt, vielleicht sogar klebt, quasi entlang des Fußes in die Luft verabschiedet wird, bevor er dann seine Flugkurve nimmt. Der Ball steigt an, elegant und zielstrebig,
fliegt in hohem und doch sanftem Bogen über die links vom Schützen aufgestellte Mauer hinweg,
schneidet – wie von Zauberhand gelenkt - eine imaginäre Parabel die zwischen
Freistoßpunkt und Tor gespannt scheint, nimmt seinen Weg in Richtung Tor, mit
viel Effet, fest und gleichzeitig fast schwebend, er scheint zu hoch angesetzt,
aber dann, kurz vor dem Eintreffen, senkt er sich in mathematischer Präzision
nach unten, fällt, ohne jedoch an vorwärts gerichteter Dynamik zu verlieren,
und landet – als ob genau dieser und nur
dieser Ort für ihn gemacht sei - präzise
im rechten oberen Winkel des Tores.
Ein Klatschen im Netz. Der Ball – als ob er selbst erstaunt sei – springt
spielerisch, fast ein wenig verschämt wieder aus dem Gehäuse heraus, in das er
soeben eingeschlagen ist..
Die Reaktionen sind überall gleich - im Tor des HSV, ebenso
wie im Stadion vor Ort, in den Sky-Kneipen des Landes und in den heimischen
Wohnzimmern: Bewegungslosigkeit und Stille. Offene Münder. Erst nach dieser endlos währenden Zehntelsekunde setzen merkwürdig schräge, verwirrende
Verhaltensweisen ein (= Ausstoßen von spitzen Schreien, Hüpfen um eventuell
vorhandene Tische, Werfen von Schals, Bierbechern und anderer greifbarer
Gegenstände, sinnfreies Schlagen auf die Schulter anwesender Mit-Adler,
Stammeln sinnfreier Wortfetzen, hysterisches Lachen).
Da das Auftauchen des fliegenden Systems über die Maßen
überraschend war, bleibt abzuwarten, ob daraus eine Serienproduktion entstehen
kann. Wie aus bestens informierten Kreisen direkt nach dem Spiel verlautete,
soll besagter Schütze im Training ähnliche Bälle reihenweise und mit großer
Verlässlichkeit im Tor versenken, was einigermaßen erstaunlich anmutet, da
selbiger Schütze bereits fünf Spiele in der Anfangsformation der Frankfurter Eintracht bestritten hat,
ohne jemals auch nur im entferntesten als Freistoßschütze in Erscheinung
getreten zu sein.
Recherchen haben ergeben, dass im Vorfeld der Ausführung
diverse kurze Gespräche stattgefunden haben, die den Schützen in seinem Tun
bestärkten und möglicherweise entscheidenden Einfluss auf die Folgewirkungen
hatten. „Schieß du!“ soll gesagt worden sein. Möglicherweise auch auf spanisch: „Vamos!“ Dazu auch mit fast beschwörender Dringlichkeit: „Du kannst das!“
(spanisch: „Puedes!“)
Exzellent beobachtet und ausgeführt, Kerstin. Einige ausgewiesene Kenner der Materie äußern sich dahingehend, dass der Ball Innenrist u n d Vollspann geschossen war, das geht genau mit Deiner schönen Abfolge konform: Innenrist -> verharrt -> klebt -> entlang des Fußes verabschiedet (!). Drüben führt der Würzburger Adler noch ergänzend aus, der Lucas habe den Ball mit versteiftem Schuss-Bein (!) getroffen und gleichzeitg mit dem anderen Bein einen kleinen Hupfer (!) getätigt. Man braucht viele (!), um dem Phänomen etwas näher zu kommen.
AntwortenLöschenNoch eine kleine Anmerkung zur flügellahmen Luftwaffe. Die Lufthansapiloten streiken doch gerade. Da könnte man doch statt dessen ... eben: die Jungs wären überglücklich in etwas zu sitzen, was tatsächlich f l i e g t .
Guuds Nächtle - ak aka Matthias
Versteiftes Schuss-Bein. Gleichzeitig Innenrist und Vollspann. Hüpfer. Ja - es braucht viele um das Phänomen zu erkunden. Gut wäre z.B. auch ein weiterer und noch ein weiterer und noch ein weiterer erwandelter Freistoß in ähnlicher Form, um komparatistisch tätig werden und weitere Details entdecken zu können. Gute Idee? Ok. Dann kann Lucas das morgen ja gleich machen.
AntwortenLöschenGibt es bei der Bundeswehr so etwas wie ein innerbetriebliches Vorschlagwesen? Dann sollte dein Vorschlag unbedingt eingereicht werden.
Sonnige Grüße in den wilden Süden, K.
Komparatistisch völlig klar: für eine ausreichende empirische Grundlage brauchen wir eine Serie von den Dingern. Und noch was: so ein maroder Eurofighter kostet so um eine Million Hunnis und fliegt - meistens - nicht, während ein Ball von Rent-a-Lucas fliegt und fliegt und fliegt und dann halt auch noch genau dahin, wohin er soll; ohne aufzutanken und das Ganze im Vergleich für beinah umme. Bedarf es noch weiterer Ausführungen bezüglich der Superiorität von Kunst?
AntwortenLöschenGenau so ist es, das Gute, Wahre, Schöne. Im Besonderen und im Allgemeinen.
LöschenTolles Tor, schöne Würdigung!
AntwortenLöschenDass Piazon gefährliche Freistöße schießen kann, war mir nicht gänzlich unbekannt. Dieser Treffer kam aber natürlich auch für mich überraschend. Danach habe ich allerdings nicht wie Heribert Bruchhagen an die Dinger von Bernd Nickel, sondern an die von Caio gedacht. Und jetzt bin ich gespannt, ob Piazon wie Caio lediglich ein Spieler für die „gewissen Momente“ ist oder mehr zu leisten vermag.
Das ist wirklich zu hoffen, dass Piazon das Caio-Schicksal erspart bleibt und er als Ein-Freistoß-Fliege in die Annalen eingeht.... Nein, wird er nicht. Ich bin mir sicher. Der Freistoß war jedenfalls.... noch ein biiiiisschen schöner als der von Caio.
Löschen