Salat, den wir jetzt haben |
Der Tag nach dem katastrophalen Auftritt der Eintracht in Tel
Aviv und auch am Abend, lässt der Schmerz noch nicht wieder nach. Im Gegenteil.
Enttäuscht war ich nach dem Spiel in Freiburg, ernüchtert nach dem Heimspiel
gegen Nürnberg, geschockt nach dem Spiel in Gladbach, wütend nach der
Heimniederlage gegen Wolfsburg. Seit gestern, seit dem Auftritt in Tel Aviv spüre
ich fast schon so etwas wie Panik. Kann das sein? Freier Fall? Sehe im Moment nur Fragen und
keine Antworten. „Mit einer solchen Leistung brauchen wir in der Bundesliga gar nicht mehr anzutreten.“ (Armin
Veh) „Wenn wir am Sonntag so spielen, fressen uns die Mainzer.“ (Axel
Hellmann) Sätze, die so fatal an all das
erinnern, was vor zwei Jahren passiert ist, dass es fast schon Beklemmung in
mir auslöst. Alles, was mich in den letzten Wochen gequält hat, schwemmt
jetzt nach oben – und doch kommt es immer anders als man es sich vorgestellt
hat.
Nein, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich das erwartet hatte.
Hatte befürchtet, dass wir uns von uns selbst entfremden. Uns funktionalisieren
lassen. Interviews. Einspieler. Fotos. Facebook. Twitter. Statements. Choreos. Tickets. Reiserouten. Weiter.
Mehr. Mehr. Immer schwerer fiel es mir, in all dem Hype und Gedöns die
Eintracht, den Spaß am Fußball, überhaupt den Fußball, den Fußball, den
Fußball, zu sehen. Die Aufregung vor
einem Spiel, das im Spiel aufgehen, eintauchen, mitleiden, diskutieren, die überraschenden
Spielwendungen, Aufholjagden, ein erkämpftes Unentschieden, euphorische Siege, die Lust am Auf und Ab, am Fußball-Alltag.
So viele Gespräche und Eintracht-Weh inmitten all des Jubels.. Kann
das gut gehen? Tragen wir uns da selbst das Wasser ab? Wie brökelig ist dieser Hype um Mannschaft und Trainer? Waren wir nicht eben
noch cool und schräg und anders? Warum haben wir es jetzt so eilig damit uns selbst abzuschaffen? Oder bin ich vielleicht einfach nur eine Spaßbremse? Solche Gedanken. Ganz subjektiv. Froh, so froh über Europa und gleichzeitig hadernd, zweifelnd. Aber
diesen Leistungseinbruch, diese reale Bedrohung, der wir jetzt in die Augen
sehen – nein, das hatte ich nicht für möglich gehalten. Wir haben genug
Substanz, dachte ich. Armin Veh ist ein erfahrener Trainer, der ist schon über
zwanzig Jahre im Geschäft. Der weiß, wie es nicht geht.
Überschwängliche Freude, großes Europaglück, witzig, schräg,
cool, stolz, staunend. Wir. Endlich wieder. So fing es an. Und dann ist es gekippt und keiner war da, der „Halt“
gerufen hätte. Alle wie bekifft von Europa. Alle nur noch wichtig, damit beschäftigt, die
nächste Europareise zu planen. Europacupteilnehmerdarsteller. Der Grat war schmal. Und irgendwann war das – so
zumindest mein Eindruck – nur noch Inszenierung, selbstreferentiell. Wir haben
uns ein paar mal zuviel selbst auf die Schulter geklopft. Wer weiß, wann es
wieder kommt. Mitnehmen, was geht.
Hauptsache geile Stimmung. Ein Hauch von (tschuldigung) Dekadenz lag in
der Luft. Der Hauptgewinn, den wir gezogen, den wir uns erspielt, erlitten,
erkämpft haben - wutsch, durch die
Finger geflutscht, fast schon
aufgebraucht. Ob das, was noch da ist, ausreicht, um ein Haus darauf zu bauen?
Bisher waren wir keine „mittelmäßige“ oder „kleine“
Mannschaft. Jetzt sind wir gerade dabei zu zeigen, dass wir vielleicht doch
eine sind, dass all die Zweifler, Neider und Pessimisten am Ende doch recht
behalten. Wir gehen den Weg aller „Kleinen“ – die es einmal im Leben schaffen,
bei den „Großen“ mitzuspielen. Europa in den Kopf gestiegen, die Kurve nicht
gekriegt, abgestürzt.
Das Manschaftsgefüge ist außer Facon geraten – und das liegt
gewiss nicht oder nur zu geringen Teilen an
dem Mehr an Belastung. Die Mannschaft wirkt nicht mehr wie eine
Mannschaft. Das Spielsystem, der Rhythmus, die Zielstrebigkeit, das Ziel (und
damit auch die Bereitschaft für ein Ziel zu kämpfen), die Lust auf schönen
Fußball, auf Siege, die realistische Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit – all das ist verloren gegangen. Von Identität und Spielkultur keine Spur. Die Mannschaft wirkt hilflos, fast
schon widerborstig. Ohne Inspiration oder Idee, von dem was sie sein soll oder
sein kann.
Stefan Aigner, Sebi Jung, Carlos Zambrano und vielleicht
auch Bamba Anderson fallen am Sonntag aus. Auswärts in Mainz. Ein Spiel, das
für mich und andere Adler, die hier leben, eine besondere Bedeutung hat. In der
Abstiegssaison 2010/11 haben die 05er uns mit einem Fingerschnippen in den Abgrund
gestoßen, an dessen Rand wir uns bereits aufgestellt hatten. Wir haben es
geschehen lassen. Das war bitter, sehr bitter. Am Sonntag geht es nicht um
persönliche Befindlichkeiten. Es muss
egal sein, gegen wen und wo wir spielen. Wir müssen jetzt, genau jetzt zeigen,
dass Eintracht Frankfurt sich im Jahr 2013 nicht mehr so einfach widerstandslos
aus der Spur bringen lässt wie vor zwei Jahren. Wir!
Armin Veh hat nach dem Spiel in Tel Aviv einige blumige
Worte gefunden. Er fährt mit Bauchschmerzen nach Mainz. (Das wird man dort gerne hören.) Die Mannschaft habe jetzt „einen Sack zu tragen, den man nicht weglächeln kann.“ Da hat er recht. Aber warum sollte man das auch? Stattdessen kann man einen Sack bewegen. Das
funktioniert am besten, wenn man zusammen anpackt, sich reinkniet, zieht, ihn rollt, stößt, nach vorne wuchtet,
damit er ein Stück von der Stelle kommt. "Es wird sich zeigen wie wir damit zurecht kommen." Lieber wäre mir: Wir werden zeigen, dass wir damit zurecht kommen.
„Wir liegen am Boden.“ Ja. So ist das wohl. Aber – so what – wisst ihr was? Dann steht auf, wenn ihr
Adler seid. Am besten am Sonntag in Mainz.
Ja, die "eigene Identität" ist weg. Dazu im Gefolge das Selbstvertrauen und außerdem - so fürchte ich nicht erst seit Tel Aviv - auch der Mannschaftsgeist, der uns lange ausgezeichnet hat. Einer für alle, alle für einen. So könnte es - trotz allem - gehen in Mainz. Das Auftreten dort wird ein starkes, entscheidendes Signal sein. So oder so.
AntwortenLöschenLieber Gruß vom Kid
Gebe Dir bei vielem Recht, Kerstin!! Selbstinszenierung richtig, mir ist das Wort leider nicht eingefallen, spätestens nachdem ich gelesen hatte, dass wir wieder mal demnächst als Müllmänner in Orange unterwegs sein wollen.Ist nicht gegen Euch gerichtet, liebe Müllabfuhr.
AntwortenLöschenAn das letzte Spiel in Mainz erinnere ich mich sehr gut. Das war eines der erschütternsten Spiele unserer Eintracht Ever, völlig ohne Gegenwehr. Hoffte damals inständig so eine Blamage nicht wieder erleben zu müssen.Heute bin ich wieder da... Gehe nicht von einem grandiosen Sieg aus, aber wenn es nicht läuft, wehrt euch wenigstens!!!! Einen schönen Sonntag mit einem Happy End, darauf hoffe ich.
LG Schötzi
Eine mittelmäßige Mannschaft sind wir leider schon seit vielen Jahren, auch wenn ich als Anhänger dieser Mannschaft das subjektiv natürlich anders empfinde. Aber letzte Saison haben wir es geschafft, eine Zeitlang am oberen Limit zu spielen und so eine tolle Hinrunde zu schaffen. Mir war klar, dass das natürlich nicht auf Dauer funktionieren kann; aber so schnell und heftig von der Realität geschlagen zu werden tut weh.
AntwortenLöschenIch hoffe aber,dass heute die Mannschaft es schafft, den Sack umzustossen / die Kuh vom Eis zu kriegen / sich aus dem Sumpf zu ziehen / über den eigenen Schatten zu springen.
Nebenbei: ein guter Beitrag hier, der die Situation auf den Punkt bringt.
@ Kid: Alle für einen, einer für alle. Das klingt fast wie eine Botschaft aus einer anderen Welt.
AntwortenLöschen@ Schötzi: Auch für mich war das 0:3 in Mainz vor zweieinhalb Jahren eines der niederschmetterndsten Spiele, die ich von der Eintracht je gesehen habe (und das waren schon ein paar... und dann war das Mainz-Spiel auch noch nur der Auftakt für die Woche darauf gegen Köln...) Wünsche dir und uns allen, dass uns etwas auch nur annähernd Ähnliches heute erspart bleibt.
@Mark: Wir sind sicher seit längerem schon keine Spitzenmannschaft mehr, aber aus meiner Sicht waren wir nie Mittelmaß, auch dann nicht, wenn wir mittelmäßig oder darunter gespielt haben. Immer eine Mannschaft mit einem Kern, der groß ist und wieder werden wird. So irgendwie. Jetzt, wo der Kern wieder keimt, dürfen wir uns nicht selbst im Weg stehen... Kuh, Sack, Sumpf, Schatten... Irgendwie, irgendwie heute drei Punkte aus Mainz mitnehmen. Hier und jetzt. Und dann sehen wir weiter.
Danke für eure Einschätzungen. Eintracht! K..