Sollen wir oder sollen wir nicht? Das war die Frage, die sich
am Freitagabend vor der geplanten Fahrt nach Luxemburg gestellt hat. Wollten
wir es wirklich wagen? Sengende Hitze, glühende Straßen, dürstende, trockene
Kehlen, bleierne Schwüle, unendliche Qualen würden uns erwarten. Und doch: Nichts
konnte uns abhalten, beim ersten europäischen Auftritt der Eintracht in dieser
Saison live dabei zu sein. Auf nach Differdingen.
In leichtester Bekleidung, versehen mit einer Wegzehrung und wohl aus gestattet mit kühlen Getränken starten wir um kurz nach Zehn am vereinbarten Treffpunkt,
dem McDo-Parkplatz in Mainz-Hechtsheim. Den direkten Weg nehmen, kann jeder. Wir wollten es der Hitze
mal so richtig zeigen und fahren eine kleine Kurve über Frankreich. Immer
wieder merkwürdig wie französisch es in Frankreich ist und dass sofort hinter
der Grenze alles anders ist. Die Straßenschilder: französisch. Die Kühe heißen
vache, in den Orten hängen Schilder auf denen Brasserie und Charcuterie steht, auf der Wiese rechts wird gerade ein Zelt aufgebaut und eine fête de
ville vorbereitet, überhaupt ist in den malerischen Dörfchen durch die
wir fahren alles mächtig olala. Vorbei, vorbei an plätschernden
Flüsschen und grünen Wiesen, auf denen schwarzundweiße Kühe grasen, schließlich biegen wir au feu à gauche ab und haben am frühen Mittag das erste Ziel
unserer Träume erreicht: Einen riesigen, unbebaumt in der Sonne glühenden
Parkplatz im Einkaufsgebiet. Carrefour. Wir parken unser Auto dicht neben dem
einzigen kahlen Bäumchen weit und breit. Nicole und Zoë sind in freudiger
Erwartung des mit allerlei Köstlichkeiten zu befüllenden Einkaufswagens. Trotz größter
Anstrengung gelingt es uns dann leider doch nicht, den Hyper-Marché komplett leerzukaufen, unser kleines Auto hat jedoch schwer unter der Last von
großen Mengen Liptons Ice Tea, Senf, Trinkjoghurt, Kaffee, Essig und sonst noch
allerlei zu tragen.
Auch für uns bleibt noch ein wenig Platz im Wagen. Die Sonne kommt immer von vorn, der Schweiß auf der Stirn perlt, aber wir sind unverdrossen munter und vergüngt und nehmen die letzte Etappe in Angriff. 30 Kilometer nordwestlich - dort liegt Differdingen, dort schwebt heute der Adler. Nach dem französischen Idyll wirkt Luxemburg ein wenig flach und unwirtlich, dort eine dampfende Fabrik, hier ein graues scheinbar stillgelegtes Fabrikgebäude in der Landschaft und dort noch eins. In Diferdingen selbst sieht es - zumindest in den Randgebieten - so ähnlich aus wie In Mannheim-Käfertal oder wie in den Vororten Liverpools. Wir fahren durch still da liegende Straßen mit schmalen bunten Reihenhäusern, die - leicht versetzt - eng an eng aneinanderkleben. Die Ähnlichkeit mit Mannheim und Liverpool ist kein Zufall: Differdingen ist eine Arbeiterstadt, die von der Stahlindustrie geprägt ist. Ein "Differdinger" (so ist es in wikipedia zu lesen) ist in der Bauwirtschaft ein Synonym für eine bestimmte Art von Stahlträgern. Rund um den Ort herum gibt es große Eiesenerzvorkkommen - der Stahlbau ist bis heute wichtigster Erwerbszweig der Stadt, auch wenn hier - wie andernorts in Europa - die Stahlkrisen ihre Spuren hinterlassen hat.
Die Gegend rund um das Stadion
herum ist getuppft mit Eintrachtlern – so viele hatten wir nicht erwartet. Vor dem Eingang eine lange Schlange – ach so,
das ist gar nicht das Stadion, sondern das örtliche Schwimmbad. „Complet“ steht
auf dem Schild, das am Zaun hängt, und die draußen Schwitzenden müssen also
darauf warten, dass drinnen einer freiwillig den Platz am kühlen Nass hergibt.
Auch wir haben unsere Badesachen dabei – hätte ja sein können, dass sich
irgendwo die Gelegenheit für eine kurze Abkühlung bietet. Hier jedenfalls
nicht, aber immerhin ergattern wir einen schattigen - kostenlosen! - Parkplatz im Parkhaus neben
dem Stadion.
Das Stadion des FC Differdingen
liegt auf einem kleinen Hügel und ist von höheren Hügeln umrandet. Es ist
putzig, adrett und hat – hurra! – eine überdachte Tribüne, auf der für zwölf
Euro Eintritt bei freier Platzwahl jeder ein einigermaßen kühles Plätzchen
findet. Am Eingang nur lockere Kontrollen, keine Polizei, ein paar freundliche Ordner, alles easy. Wir sitzen direkt hinter der Eintracht-Bank, beobachten interessiert
das systematische, fast choreografierte Aufwärmen der Mannschaft – Kreise mit
Dehnübungen, lange Formationsreihen, in denen getrabt und gehüpft wird und die Beine
geschwenkt werden. Ein Hauch von Ballett. Da ist auch Bruno Hübner, die braun gebrannte Ruth Wagner reicht die Mannschaftsaufstellung
herum, die Forums-Ikone tut was wohl ihres Amtes ist: Sie twittert und wir
bemühen uns, die neuen Gesichter auf dem Platz den bekannten Namen zuzuordnen.
Da ist Flum, da Rosenthal. Joselu. Schröck kann man einfach erkennen. Ach,
Bakalorz ist auch schon dabei. Und der schmale junge Mann, der wirklich noch
sehr jung aussieht, das muss Luca Waldschmitt sein. Der Stadionsprecher
gratuliert zum Einzug in die Euroqualifikationsrunde – im Eintracht-Block wird
gejubelt, dabei gilt das Lob in diesem Fall dem FC Differdingen, der sich am
Donnerstag in der ersten Play Off Runde gegen Utrecht durchgesetzt hat, nächste
Woche gegen eine norwegische Mannschaft antreten muss und also auch weiterhin
im Topf der möglichen Eintracht-Gegner bleibt.
Wir freuen uns an dem
freundlichen Luxemburger-Dialekt – oder ist „letzebuergesch“ doch eine richtige
Sprache? Heute spielt hier jedenfalls de Eintracht Frankfurt. Weich und mit vielen „sch“ und „de“ und „ch“
schleicht sich die Sprache ins Ohr. Oben am Hügel rollt die Eisenbahn. Fanfaren
erklingen, im Eintracht-Block werden Fahnen geschwenkt, die Mannschaften
laufen, grüßen die Zuschauer, vergessen dabei auch die unbedacht und leer in
der Sonne glänzenden Sitzreihen auf der „Gegentribüne“ nicht und dann geht es
auch schon los. Wenn die Anfangsformation die ist, mit der die Eintracht auch
in Augsburg im Pokal antreten wird, dann werden wir also mit drei Neuen - Flum, Rosenthal und Joselu - auflaufen. Neben Carlito
Zambrano spielt in der Innenverteidigung zunächst Marco Russ.
Die Eintracht
zieht ein sehr gefälliges Spiel auf, der Ball läuft flach, schnell und
präzise. Schon früh sind die
Leistungsverhältnisse klar. Wir sind klar überlegen, stehen hoch, kaum dass die
Luxemburger aus ihrer eigenen Hälfte kommen. Trotzdem tauchen sie ein ums
andere Mal gefährlich vor unserem Tor auf, weil die aufgerückten Russ, Zambrano
und Oczipka sich ein oder das andere Mal dabbisch überlaufen lassen. Die beiden
6er Schwegler und Rode sind taktisch – so mein
Eindruck – etwas dichter vor der Abwehrreihe postiert als in letzten Saison. Das Abwehrgefüge
könnte dadurch an Kompaktheit gewinnen. Bei Offensivausflügen von Oczipka (häufig) und
Jung (selten) verschiebt sich die Abwehrreihe.
im offensiven Mittelfeld entsteht – wir sehen ein paar feine öffnende
Pässe – mehr Raum. Auffallend, dass die
Mannschaft, die in der ersten Halbzeit
auf dem Platz steht, auch optisch einen sehr harmonischen Eindruck macht, die
Körpergröße ist z.B. viel ausgeglichener als in den vergangenen Jahren. Sehr variabel die beiden Freiburger
Neuzugänge, denen man anmerkt, wie gut sie aufeinander eingespielt sind. Flum
sehr leichtfüßig, mit feiner Technik. Joselu (ich kann mich täuschen)
unauffällig. Alex Meier sehr athletisch, konzentriert, aktiv. Er gestikuliert,
fordert den Ball – und er ist es dann
auch, der das 1:0 aus halbrechter Position macht, direkt im Gegenzug – durch
einen der besagten Abwehr-Dabbischkeiten – dann der Ausgleich.
Die Luxemburger
Nationalmannschaft will hier erkennbar keine Klatsche kassieren und steigt
manchmal ein wenig überhart ein. Mit einem 1:1 geht es in die Pause. Die
Stimmung ist entspannt und damit es nicht gar zu idyllisch wird, werden im
Eintracht-Block rasch ein paar Rauchbomben und ein paar Bengalos gezündet.
Maaaaan. „Lasst das, ihr Deppen“ tut die andere Seite der Tribüne ihren Unmut
kund. Da haben ein paar dumme Jungs es aber mal mächtig gezeigt, was es heißt,
wenn hurra hurra die Frankfurter da sind. Der Veranstalter reagiert gelassen,
keine Lautsprecherdurchsagen, keine Warnungen, kein Polizeiaufgebot und so ist
der Spuk für dieses Mal schnell vorüber.
Auf dem Platz ist unterdessen das
2:1 gefallen – wunderbar herausgespielt von Rosenthal auf Flum, jetzt wird im
Pulk gewechselt. Schon direkt nach der Pause waren Aigner und Anderson für
Joselu und Russ ins Spiel gekommen, jetzt tauschen Flum, Jung, Rode, Rosenthal,
Oczipka ihre Plätze mit Takashi Inui, Stefano
Celozzi, Marvin Bakalorz, Srdjan „de“ Lakic und Schröck. Ein paar Minuten später darf auch Meier unter
die Dusche, für ihn kommt Luca Waldschmitt.
Aigner und Schröck fallen mir in dieser Formation besonders auf. Aigner
einsatzfreudig und gedankenschnell in vorderer Reihe, Schröck kraftvoll und sehr ehrgeizig. Inui
noch mit korperlichen Defiziten. Martin Lanig -
sehr selbstbewusst – erzielt aus der Distanz das dritte Tor. Das vierte Tor geht - nach schöner Kombination – an Lakic, der zuvor
schon zwei, drei dicke Chancen vergeben hatte. Die zweite Eintracht-Formation,
die wir heute zu sehen bekommen, wirkt ähnlich eingespielt wie die erste,
agiert – trotz nämlichem 4-4-2 mit Tendenz zum 4-2-3-1 – taktisch ein wenig anders – mehr lange Bälle,
mehr Aktionen über die Außen. Sieht so aus als seien wir auf gutem
Rotationskurs.
Pünktlich nach neunzig Minuten
und gerade noch rechtzeitig bevor die Sonne um die Tribüne herumgewandert ist,
pfeift der Schiedsrichter das Spiel ab. Die Mannschaft bedankt sich artig bei
den Fans, klatscht die an der Bande Stehenden ab, gibt Autogramme. Müde und
froh schlendern wir aus dem Stadion, lösen noch unsere restlichen Essensbons an einer der Servicestationen ein, die durchweg mit ausgesprochen freundlichen und liebenswerten Menschen besetzt sind. Das Schwimmbad nebenan hat sich inzwischen
fast geleert, aber jetzt wollen wir auch nicht mehr. Schnell noch zum
Schnäppchenpreis getankt und dann machen wir uns auf den Heimweg. Nicole kann
sich gar nicht genug darüber freuen, wie nett die Luxemburger sind und überhaupt. Ja, schön war's, richtig schön!
Unser letztes gemeinsames
Auswärtsspiel in dieser Konstellation haben wir bei Eis und Schnee und zehn
Grad Minus in Hannover hinter und gebracht – jetzt also bei vierzig Grad Hitze. Europäische Generalprobe mit Sternchen bestanden. Mal sehen, was als nächstes kommt. Was
immer es sein mag - eins ist sicher: Alle reden vom Wetter, wir nicht!
PS: DER ist uns (leider? zum Glück?) nicht begegnet:
Nachtrag:
AntwortenLöschenEine Beobachtung, die wir aus einiger Entfernung noch vor dem Stadion gemacht haben, kann ich erst jetzt einordnen. Ein Pulk Eintrachtler hatte sich am Kassenhäuschen gesammelt und stürmte plötzlich wie auf Kommando ins Stadion-Innere. Wir dachten, es handelte sich um einen Gag, konzertierte Aktion, schnell die besten schattigen Plätze ergattern oder so was. War ja dann leider doch ganz anders - um so lächerlicher und unangemessener ist die Aktion in dieser absolut friedlichen, freundlichen Atmosphäre - null Polizei, freundliche, lockere Kontrollen, nette, gastfreundliche Menschen. Um so größer das Lob an die Veranstalter, die auch nach dieser Aktion und trotzdem die Contenance bewahrten und auch die - dann ja zu erwartenden - Bengalo-Rauchschwaden über sich ergehen ließen.
Demjenigen - tschuldigung - ins Gesicht rotzen, der einem freundlich empfängt und sich dabei noch cool vorkommen - peinlich!
Wow, das nenne ich Ehrgeiz... Bei diesen Temparaturen mal eben nach Luxemburg, schön.Mein Sohn war letzte Woche der Meinung, er muß zum Spiel gegen Kayserispor fahren mit seinen Kumpels und hat mich auch noch gefragt ob ich mitfahre, nee lass mal habe ich gesagt, finde es aber trotzdem super.
AntwortenLöschenWeniger super wieder diese Handvoll Trottel denen die Hitze ,auf das ohnehin schön spärliche Hirn, direkt reinknallte.Dachte das würde endlich ein Ende nehmen, doch davon sollte man sich wahrscheinlich verabschieden, ach Mann!!!
Schöne Sommerwoche, Schötzi
Hallo Kerstin,es ist immer wieder schön deine Berichte zu lesen.O man Du kannst so toll schreiben.Du bist sehr begnadet.
AntwortenLöschenUnd sehr nett ist sie auch noch.. Hach:-)
Löschen@Schötzi: Spontan mal eben nach Österreich ist aber auch nicht schlecht :) Ein Hauch von Batman: Lebe wild und gefährlich ,-)
AntwortenLöschen@Happy: Ei, sach doch net so was - aber es freut mich sehr, dass dir meine Text gefallen.
@Uli: Warum nur, warum, bin ich mir bei dir nie sicher, ob sich das wirklich um ein Kompliment handelt? *g Hach :)
Sommergrüße, K.
Ach ja die Schafe.
AntwortenLöschenUnd meine Vespa war/ist leider auch kaputt.
Eins aber stimmt in Deinem wunderschönen Bericht definitiv nicht: Es war nicht das erste internationale Spiel in dieser Saison.
Habe davor schon zwei gesehen, eins gg. Bursaspor in Schwaz und eins gg. Kayserispor in Längenfeld.
**Klugscheiss**
wib
Liebe Kerstin, danke für deinen schönen Bericht. Ich finde mich wieder und den ganzen Tag. War so ein Gefühl von Kurzurlaub (da hinten ist jetzt das Meer...), einfach alles hat gepasst für uns, nur die Abkühlung im Wasser fehlte. Beim nächsten Trip halten wir dann auch an den idyllischen Orten, nicht nur bei Carrefour ;-).
AntwortenLöschenDas Ziel war ja, dass wir herausfinden, wie unsere Mannschaft so drauf ist, wo stehen wir. Und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass uns nicht bange ist vor der Saison. Die Neuzugänge passen irgendwie. Hinten noch nicht ganz sicher (so wie letzte Saison zu Beginn), aber im Mittelfeld und nach vorn tut sich was, Spielfreude ist klar vorhanden. Es kann losgehen!
Liebe Grüße
Nicole
Die Reiseschriftstellerin, diesmal also im Großherzogtum (also nix Graf, die Singtante hat das irgendwie falsch gemacht, das sin Grand-Duc, uuuund Knicks).
AntwortenLöschenSehr gut getroffen, Deine Reiseimpressionen, ich sollte es schließlich beurteilen können, so als Anrainer, nur in Differdingen war ich tatsächlich noch nie, verdutztguck.
Wirklich sehrsehr schön, Reise- nebst Spielbericht. Deswegen hat Uli das auch ganz ernsthaft gemeint, nur nette Menschen können so schreiben. Also, nimm gefälligst das Kompliment gaaaanz souverän zur Kenntnis :-)
Die Jungs sind vorbereitet, wir sinds auch, jetzt gehts also wirklich bald wieder los.
Leicht hibbelige Grüße von der
Sarroise
Alle Wetter - schöner Bericht! :-)
AntwortenLöschenDanke für die Impressionen und Einordnungen.
Nur scheinbar gelassene Grüße vom Kid
Alle Wetter ,-) - danke für die bunten und freundlichen Kommentare. Stimmt, liebe Sarroise, du bist ja genau aus der Ecke - und mindestens so nett wie die Luxemburger sind wir natürlich sowieso :) Hihi, Nicole, Carrefour war doch auch ganz idyllisch. Und, liebe wib, du hast natürlich recht und ich will dir den europäischen Vortritt gewiss nicht streitig machen. Hoffe, dass die Vespa bis Sonntag wieder fit ist und die Schafe (menschenskinners) bald verdaut sind (also: Im übertragenen Sinn ,-)
AntwortenLöschenDas, was da in Luxemburg zu sehen war, kann einem durchaus optimistisch stimmen. Ich bin gespannt. Sehr.
Einträchtlich-sommerliche Grüße in alle Richtungen!
" Immer wieder merkwürdig wie französisch es in Frankreich ist ..."
AntwortenLöschenMade my day, Kerstin!
Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.
Olala :)
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