Direkt zum Hauptbereich

EM- und Sommerschnipsel (6): Der Ehren-Hinti



Bevor es morgen ins Finale geht, heute noch ein EM-freier Sommerschnipsel, es ist sozusagen eine neue Form des Sommerschnipsels, der  Hinti-Retro-Schnipsel.

Es war eine lange, anstrengende Woche, ein windverwehter glücklicher Freitagnachmittag und es ist Abend, eigentlich schon Nacht, und wir sitzen mit einem Glas Wein draußen und schauen in den Himmel. Ich zappe noch einmal durch mein Handy (ich weiß, nachts sollte auch mal Ruhe damit sein, aber okeh...) und da entdecke ich etwas, das mich  erst zum Grinsen und dann zum Lachen bringt. Ein Instagram Post von Martin Hinteregger, in dem er uns erzählt, dass er am Sonntag zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt ernannt wird. Die Einladung, die er zur Bebilderung postet, verspricht einen großen Tag. Platzkonzert mit Trachtenkapelle, Begrüßung durch den Bürgermeister, Bieranstich (mit Martin himself), Autogrammstunde, Dämmerschoppen und schließlich Warm-up für das nachfolgende EM-Finale (wobei ich vermute, dass der Dämmerschoppen und das Warm-up fließend ineinander übergehen).

Es klingt wie aus der Zeit gefallen und mich überschwappt eine Flut von Erinnerungen, eine ganze Welt, die da in einem Plakat zusammenkommt.

Heute morgen spreche ich kurz mit einem Adlerfreund darüber, der im Erzgebirge als Sohn einer Hoteliersfamilie groß geworden ist.

Sommersamstag. Aus dem nahegelegenen Tschechien rollt eine Busladung böhmischer Musikanten in seinen kleinen Heimatort. . Dort, auf der grünen Wiese, veranstaltet das Familienhotel Platzkonzerte mit Bierausschank  für Hotelgäste und Dorfbewohner. Große Bierkrüge auf den Holztischen und neben den Stühlen der Musiker. Thüringer Bratwurst. Die Stimmung, die von Stunde zu Stunde immer höhere Wogen sschlägt. Und immer noch und noch eine Rosamunde, bevor die Busladung schwankender Musiker weit nach Mitternacht wieder zurück nach Tschechien verfrachtet wird. Bis zum nächsten Samstag.

Und ich? Ich erinnere mich an frohe, nicht immer heitere Sommertage im Odenwald, wo ich als kleines Mädchen zusammen mit meinem Opa meine Sommerferien verbrachte. Meistens im Heimatort meiner Oma, wo wir bei weitläufig Verwandten, Großbauern, wohnten, denen mein Opa (wenn er nicht irgendwo auf mir unbekannten Pfaden unterwegs war) bei der Apfelernte half, während ich durch die Gegend stromerte und immer hoffte, eine stille Leseecke zu finden. Die Tage waren sonnig und dufteten nach Heu, Pfirsichen und Äpfeln, die Abende brachten mir viele Herausforderungen, die Nächte waren schwierig. Das Wohnhaus war groß und karg möbliert, der Bauer wortkarg und abends saß ich (das Stadtkind)  auf einer harten Holzbank inmitten der großen Familie an einem blankgescheuerten großen Esstisch und versuchte, die warme Kuhmilch zusammen mit dem Leberwurstbrot (args) hinunterzubekommen. Wenn ich nachts mal raus musste, musste ich quer über den Hof zur Außentoilette. Im Dunkeln. Und unten an der Treppe wartete der große Hofhund, der nachts von der Leine gelassen wurde. Meistens traute ich mich nicht.

Friedlicher waren die Tage am Heimatort meines Opas, bei meiner Tante Dina, die einen kleinen Dorfladen betrieb und auch sonst sehr umtriebig war. Mein Onkel Erwin war Hobby-Trompeter und mit seiner Kombo vielgefragt in den Festzelten der Umgebung. Manchmal durfte ich dabei sein und manchmal wurde ich auf die Bretter einer Dorfbühne gehoben, um dort mit hochrotem Kopf ein Lied zu schmettern. Adelheid, Adelheid...

Und noch eine Erinnerung. Zelturlaub in Italien. Mein damaliger Freund und ich lernen ein Geschwisterpaar aus der Nähe von Nürnberg kennen, die wir ein paar Wochen später besuchen. Dorf. Sehr kleines Dorf. Und auch hier ein Fest, mit Bieranstich, und Blaskapelle. Zunächst alle in Tracht, aber das dauerte nicht lange...

Noch ein paar Jahre später. Irland. Achill Island. Mein Mit-Adler und ich sind auf unserer Tramp-Tour am Ende der Welt gelandet. Beim Aufwachen schauen wir direkt aufs Meer und dort steht, bis zu den Knöcheln im Wasser, eine Kuh. Im örtlichen Pub ist abends ein Alleinunterhalter zu Gast und der ganze Ort ist da. Alles singt und hüpft herum. I do my own washing and my own cooking. Ein nicht mehr ganz nüchterner junger Mann steht schwankend vor mir und stürzt zu Boden, bevor er mich zum Tanzen auffordern kann. Sehr spät nachts laufen wir am Meer entlang zu unserem B & B.

Hach.

So oder so ähnlich wird es wohl sein, morgen in Sirnitz, im Landgasthof. Dort, wo Martin Josef Hinteregger zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wird.  Vermutlich eher Erzgebige und Odenwald als Achill Island.  "Es gibt Gänsehaut, Tränen und Bier. Und abends schauen wir Fußball."  (M.Hinteregger). Das wird bestimmt ein großer Tag für Hinti. Einen Ehrenplatz in unseren Adler Herzen hat er ja längst. Und wenn ich noch nicht gewusst hätte, warum ich ihn so mag, spätestens jetzt wüsste ich es. 

PS: Kein Wunder, dass die Eintracht ihr erstes Testspiel heute Nachmittag beim SV Wehen verloren hat. Ohne Hinti.

Kommentare

  1. ... und inzwischen gibt es natürlich auch schon Bilder von der Verleihung der Ehrenbürgerwürde. Eine ganze Menge Menschen waren da, in Sirnitz. Hinti in Tracht mit Lederhose und Hut, sichtlich gerührt, sehr echt, und mit einem emotionalen Bekenntnis zur Eintracht. "Natürlich bleibe ich in Frankfurt." Man muss ihn einfach mögen - ich freu mich drauf, ihn wieder bei uns auf dem Platz zu sehen.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die nächste Strophe vom alten Reisbrei

Am Samstagabend höre ich im ZDF Sportstudio die Vorankündigung für das Spiel am Sonntag im Waldstadion. „Hannover kann morgen auf den zweiten Tabellenplatz vorstoßen“, verkündet Katrin Müller-Hohenstein. Tatsächlich? Was Sie nicht sagen. Und die Eintracht? Hey – hallo, das ist unser Heimspiel, und wir werden es gewinnen, weil nämlich dann wir es sein werden, die zu Hannover und zur Spitzengruppe aufschließen. Capisce? Und tatsächlich. So machen wir es. Impressionen vom Spiel: Patrick Ochs, der in der ersten halben Stunde auf der rechten Seite herum mannövert als habe er tatsächlich vor, was er vorher verkündet hatte: Sich festbeißen – und von dem in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu sehen ist. Halil Altintop, der (auch in seinem eigenen Sinn) zur Halbzeit hätte ausgewechselt werden müssen, und von seinem Trainer, der voll hinter ihm steht, eine viertel Stunde vor dem Ende zum Abschuss freigegeben und – sichtlich um Fassung bemüht – regelrecht vom Platz gepfiffen wird. (Ja, ja.

Kleines Fußball-ABC - Heute "U" wie "Unterschiedsspieler"

Unterschiedsspieler, der (pl. (selten die); fußballneudeutsch für einen Spieler, der – wie der Name schon sagt – den Unterschied machen und ein Spiel entscheiden kann. Bsp .    → Rebic, Ante (Eintracht Frankfurt) , der in der ersten Runde des DFB-Pokals 2019/20 “ den aufmüpfigen Drittligisten Waldhof Mannheim quasi alleine in die Knie zwang. “ In der Regel ist der → Unterschiedsspieler ein Offensivspieler, aber auch Defensivspieler „mit einer starken Technik und einem guten Gespür für Räume imOffensivspiel“  können Unterschiedsspieler sein  -   Bsp.   → Baumgartner, Christoph TSG Hoffenhei m) , → Kimmich, Joshua (FC Bayern München) oder  →Kostic, Filip (Eintracht Frankfurt), der für seinen Trainer →Adi Hütter derzeit „der absoluteUnterschiedsspieler“ ist. Auch Torhüter  können den Unterschied machen ( Bsp. Neuer, Manuel, FC Bayern München ), was als Beleg dafür gelten kann, dass auch Spieler, die nicht der Mannschaft von →Eintracht Frankfurt angehören, →Unterschiedsspieler sein kö

Hans-Dieter "Fips" Wacker - ein Fußballerleben

Es ist ein paar Monate her, dass ich für diesen Blog im „Kleinen Fußball-ABC“ einen eher satirisch gefärbten Beitrag zum Thema  Nachwuchstalente verfasst habe. Es war Kid Klappergass, der das Thema in einem Kommentar in ernsthaftere Bahnen führte: Es gebe nicht viele große Eintracht-Talente, denen er nachtrauere, aber eines davon sei ganz gewiss Fips Wacker. Fips Wacker? Diesen Namen hatte ich noch nie gehört und machte mich auf die Suche nach ein paar Informationen. Es war nicht viel, was ich im Netz aufstöbern konnte – aber was ich fand, machte mich neugierig. Die „Spur“ führte zum Heimatverein von Fips Wacker, der SKV Büttelborn und wie es der Zufall so will: Einige Wochen später sollte in Büttelborn ein Spiel der Alten Herren – der  Old Boys   gegen die Eintracht-Traditionsmannschaft ausgetragen werden. Wenn für Hans-Dieter Wacker alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können, hätte er in diesem Spiel vielleicht eine Halbzeit lang für die Eintracht und eine für den SKV auf de