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Der Tag, an dem der Seppl leuchtete

(Diese Schnipsel habe ich am Tag nach dem Sieg gegen Benfica notiert und wollte einen Text daraus verfassen. Daraus wurde nix, deswegen poste ich den Text leider erst heute und außerdem unbearbeitet -   neun Tage später vor dem Spiel gegen Hertha. Vielleicht ist er ja auch verspätet und in dieser Form lesenswert)

Bin sehr früh am Stadion. Erst nach und nach tröpfeln aus allen Richtungen die Eintrachtler aus dem Wald.  Bratwurst bei Black and White. Spieltagsgebabbel mit Nicole. Sind wir zuversichtlich? Wir sind.

Mich zieht es ins Stadion. Drehe eine Stadionrunde und atme Europa. Beve und Pia starten gerade die Waldtribüne. Mit Bus oder Bahn nach Chelsea, das ist hier die Frage.  Die Sonne fällt schräg aufs Stadiondach,  die Eintracht Fahnen wehen leicht im Wind.

Hinter mir am Getränkestand reden zwei Eintrachtler auf einen  Trupp Portugiesen ein. Sie versuchen, sie zu Apfelwein statt Bier zu überreden, aber die Portugiesen leisten Widerstand. "No. No. Nein. Nunca."

Die minutiöse Anweisung für die Choreo auf einem Poster an einem Schaukasten.  Immer wieder kleine Gruppen, die stehen bleiben und den Text aufmerksam studieren.  Fähnchen als Plakat hochhalten. Halten. Wartet auf das Zeichen. Bloß nicht zu früh die Fahne schwenken, sonst zerstört ihr alles. Besonders hilfreich der Hinweis auf den Adler: " Die Seite mit dem Adler nach vorn halten." Ach, echt? Eine Frau neben mir winkt ab: "Is ja wie in Korea." So kann man das auch sehen.

Bin nicht ganz fit. Mit Hals- und Ohrenschmerzen habe ich die letzten beiden Tage im Büro mit Mütze und Eintrachtschal verbracht. Die erste Halbzeit fühle ich mich wie in einem Kokon. Halte den Adler nach oben, wedele zum richtigen Zeitpunkt mit dem Fähnchen,  singe, springe auf, sitze, hibbele. Toooooor.  Abseits. Jeder hats gesehen, nur der Schiri nicht. Auch egal. 1:0. Nur noch eins.

Die Portugiesen sind zu passiv. Wissen Sie denn nicht, dass das gegen uns nicht reichen wird? Jeder unserer Spieler ist jedem Portugiesen körperlich überlegen, inklusive Mijat Gacinovic. Sobald die Portugiesen am Ball sind setzt ein Pfeifkonzert ein. Muss das sein? Durchgängig? Nein,  muss es nicht!  Eintracht. Eintracht.

Zweite Halbzeit. Der Moment, in dem Ante Rebic das Spiel an sich reißt. Der Moment, in dem klar ist: das zweite Tor wird fallen.  Noch präsenter. Noch aggressiver. Immer den Gegner direkt anrennen. Nie locker lassen. Noch mehr Wucht. Der Eindruck, dass Ante immer größer, die portugiesischen Gegenspieler immer dünner + kleiner werden. Bilde mir ein, von weitem zu erkennen, wie die Gegenspieler zurückzucken und fast automatisch freiwillig einen Schritt zurückweichen, wenn Ante auf sie zusürmt. Was für eine Wucht, was für ein Wille.

Toooooor.  Kreisch. Der Seppl. Zieht ab. Kein Halten mehr. Zu früh? Wird das reichen? Toooooor. Toooooor. Toooooooor.

Noch fünf Minuten. Kann nicht mehr sitzen, nicht mehr stehen. Rotiere auf der Treppe neben dem Block, krümme mich, sitze in der Hocke. Meine Sitznachbarin Dagmar zieht mich zurück, args, ums Haar wäre der halbnackte,  sehr sehr kräftige Eintrachtler, der da plötzlich von irgendwo auf dem Weg nach vorn zur Bande ist, über mich gestolpert. Sehr die Frage, für wen das unangenehmer gewesen wäre. Uff.  Oberkörper frei und schweißnass,  Hose sehr, also sehr, weit nach unten gerutscht. Oops.  Sein Oberkörper ist fast komplett tätowiert. Quer über dem  - umfangreichen - Bauch steht in großen Buchstaben "Eintracht".

Nur noch drei Minuten. Danny da Costa fängt den Ball in unserer eigenen Hälfte ab. Ein Gegenspieler ist bei ihm. Er dreht sich mit Ball um die eigene Achse, scheint sich in seine eigenen Beine und Arme zu wickeln und ist vorbei, ist tatsächlich vorbei, Jubel brandet auf, schon hat er seinem Gegenspieler zwei Meter ab genommen, setzt zum Sprint an, über rechts, läuft läuft, ist nicht zu halten, umkurvt einen Gegner, was macht er denn da,  zieht nach innen, ist im Strafraum,  will abziehen, ein portugiesischer Bein dazwischen. Danny stürzt.  Die Szene ist vorbei.  Wahnsinn. Wo nimmt er das her?

Abpfiff. Es ist vorbei.  Die Werbebande vor der West fliegt zur Seite. Die ersten Reihen stürmen zum Feld, stoppen am Spielfeldrand. Sehr brav! Ein Pulk wilder Jungs, ordentlich aufgereiht hinter einer Haltelinie.Nur ein paar Meter entfernt, direkt gegenüber, steht die Mannschaft. Ein Einzelner löst sich aus der Gruppe stürmt aufs Feld, Ordner mit gelben Jacken stürzen sich auf ihn. Aber halblang - Marco Russ ist da. Geht auf den Jubelnden zu. Umarmungen. Alles gut, alles froh und friedlich.


Wir sind durch. Tatsächlich durch. Halbfinale. Chelsea. Es ist der Wahnsinn.  Unbeschreiblicher Jubel. Laut. So laut.

Ich stehe, Arme in den Himmel und stoße merkwürdige Laute aus. Werde von hinten gepackt. Mein Adlerfreund Thomas nimmt mich in den Arm. Ganz fest. "Wir haben es geschafft. Wir haben es geschafft." Flüstert er in mein Ohr.

Die Mannschaft feiert mit uns vor der Kurve. Direkt vor unserem Block bezieht das RTL Kamerateam Stellung. Tochter Wontorra, Roman Weidenfeller, dazwischen Fredi Bobic. "Bobic, Bobic"-Rufe. (Nein,  ich mag ihn immer noch nicht. Trotzdem.). Ein Spieler löst sich aus dem Feierpulk und trabt heran zum Interview. Es ist Sebastian Rode, der strahlt wie die Sonne. Sein blondes Haar, die Fußballerbeine, sein Lachen. Um ihn herum ein Lichterkranz, als ob seine Freude Licht geworden ist und jetzt um ihn herum  schwebt.

Keiner geht. Auch eine halbe Stunde nach Abpfiff ist das Stadion noch fast komplett besetzt. Immer noch einmal singen,  Kopfschütteln,  umarmen, festhalten den Moment. Okeh, jetzt aber. Dagmar und Uwe sitzen dicht aneinandergelehnt und schauen aufs Spielfeld. Still. Staunend.  "Du siehst aus als könntest du es immer noch nicht glauben..."  Uwe grinst. "Doch, doch. Alles ganz normal."

Um kurz vor 12 bin ich am Auto, um zehn nach 1 zu Hause und falle meinem Mit-Adler in die Arme. Müde. Heiser.  Total überdreht. Kaltes Bier. Draußen sitzen. Erzählsprudeln. Chelsea. Halbfinale. Unglaublich. Unglaublich. Vor uns auf dem Tisch mein Choreo-Fähnchen. Adler nach vorn. Logisch.

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