Berlin oder nicht Berlin? Diese Frage habe ich für mich in
diesem Jahr noch nicht endgültig entschieden. Sicher war ich mir aber, dass ich auf jeden Fall mein Finalticket abholen werde – und es (im Falle des
Falles) einem meiner lieben Berlin-begierigen Adlerfreunde weitergeben werde.
Schon am Sonntagmorgen haben Nicole und Dagmar, die im
Waldstadion ganz in meiner Nähe sitzen, ihre Karten abgeholt und vom Massenandrang berichtet. Dreieinhalb
Stunden Wartezeit,. „Bestimmt ist es morgen nicht mehr so schlimm…“ Na, mal sehen was uns heute erwartet.
Brückentag. Bei irischem Wetter mit Sonne, Regen und Wind
machen wir uns aus dem rheinhessischen Hinterland gegen 10 Uhr ganz entspannt mit
Van Morrison und „Irish Heartbeat“ auf den Weg Richtung Frankfurt. Noch schnell
eine Tasse Kaffee und ein belegtes Brötchen beim Imbiss um die Ecke und dann
nehmen wir Fahrt auf. Es ist Ausflugswetter. Frische, klare Luft. Dicke weiße Wolken ballen sich am
blauen Himmel, der Wind wirbelt die Blüten durch die Luft. Der Parkplatz
Gleisdreieck ist gut gefüllt, oops, das verheißt nichts wirklich Gutes für die
Wartezeiten. In der Unterführung kommen uns vereinzelte Menschen mit
glücklichen Gesichtern entgegen, Eintracht-Fahnen wehen im Wind und jetzt haben
wir freie Sicht auf die Kassenhäuschen. Die Schlangen an den verschiedenen
Blockeingängen sind lang, aber nicht so, dass man direkt in Depression
verfallen müsste. Unsere Schlange ist – hurra – die kürzeste, hoffnungsfroh
reihen wir uns ein.
Schnell wird klar, dass „kurz“ in diesem Fall äußerst
relativ ist. Wir stehen und es tut sich erstmal nichts bzw. nicht viel („Ich kenne
anstehen eigentlich so, dass es immer ein bisschen weiter voran geht.“ Muhaha).
Aber zum Glück sind wir ja in bester Eintracht-Gesellschaft. Alle, alle sind da, und schnell grooven wir uns
aufeinander ein. Hinter uns ein etwas
älterer Herr in - ähem - unserem Alter, der gerade ein geschäftliches Telefonat mit einer Kollegin führt und nebenbei
berichtet, dass er derzeit in der Berlin-Schlange am Waldstadion steht. „Neben
mir wartet ein junger Mann“, berichtet er, „der würde dir gefallen.“ Der so angepriesene junge
Mann merkt auf, grinst. Die Neugier der
Telefonpartnerin am anderen Ende der Leitung ist offensichtlich geweckt. „Wie alt er ist?“
Fragender Blick zur Seite. „33.“ „Lieblingsspieler?“ „Grabowski“, schlägt mein Mit-Adler vor.
Grinsen. Schulterzucken. „Lieblingsspieler hab ich mir abgewöhnt. Erst hatte ich ein Jones-Trikot. Weg war er.
Dann Ochs. Auch weg. Jetzt hab ich ein Trikot mit meinem eigenen Namen – da
kann nix schiefgehen.“ Recht hat er.
Nächste Frage vom anderen Ende der Leitung. „Auto?“ „Ford Fiesta.“ „Sie sagt: Das geht grad noch,“ vermeldet der
Vermittler-Adler und wieder in den Hörer: „Also Tschüss dann - ich schick dir
gleich mal ein Foto.“
Marc (so heißt der
junge Mann) scheint tatsächlich nicht
abgeneigt die neue Bekanntschaft zu machen, nach dem Blick auf das Handyfoto („sie“ sieht sehr nett aus) schon
zwei mal nicht. Und der freundliche Vermittler-Adler findet immer neue Worte, um
das Loblied auf die schöne Unbekannte zu
singen - eine ganz tolle Mitarbeiterin, klug, humorvoll, Ex 05er, aber schon
seit mehreren Jahren Eintrachtlerin. Echt. Da kann man seine Handynummer schon mal
weitergeben. („Parship ist nix dagegen.“) Und wir spinnen uns aus, wie die
Geschichte wohl weitergeht. „Nächstes Jahr fahrt ihr zusammen zum Finale nach
Berlin.“ „Das Stadionmagazin berichtet.“ "Pokalfinale verloren - große Liebe gefunden." (Marc: "Damit könnte ich mich sogar anfreunden.") "Es begann in der Ticketschlange..." „Und in drei Jahren falle ich im Mittelkreis des Waldstadions auf die Knie und
mache ihr einen Heiratsantrag“, schlägt Marc vor. (Der Vermittler-Adler tippt in sein Handy: „Er
plant schon den Antrag.“) Zusatzvorschlag aus der Schlange: „Und sie
antwortet mit einem Doppelhalter, auf dem „Ja“ steht.“ „Alles natürlich live
auf dem Videowürfel“, ergänze ich.
Unterdessen sind wir ungefähr zwei Meter in der Schlange
weitergekommen. Immerhin. „Was machen die da vorne, müssen die die Tickets noch
drucken?“ Mer waas es net, aber immerhin können wir ja sicher sein, dass keiner
leer ausgeht und am Ende jeder seine Karte bekommt. Der Wind weht die Wolken
über den Himmel und die Stimmung in der Schlange wird immer ausgelassener. Wortwechsel. Lachen. Der Abwassergeruch von der
Baustelle neben uns vermischt sich mit dem Duft von Bratwurst. Ein Kollege
weiter hinten in der Schlange berichtet, dass er gestern schon mal da war, um seine
Karte zu holen, dann aber nach einer Stunde wg. Aussichtslosigkeit kapituliert hat und heute nochmal gekommen ist. „Die Schlange ging bis zur Unterführung und die Schlange am
Bierstand war genauso lang.“ „Manche Leute hatten Klappstühle und Tablets dabei und haben sich die Zeit mit Serien kucken vertrieben."„Gute Vorbereitung ist alles.“) Wollen
wir siebter werden, wenn wir können, oder wollen wir lieber nicht können wollen? Wir sind uns nicht ganz einig. Ja schon,
aber… Und hätte Kovac nicht besser
gleich seinen Hut nehmen sollen? Einhellige Meinung: Ja. Ja. Ja.
Nur noch ein paar Meter bis zum Häuschen. „Hey Leute“, fragt
ein junger Mann ein Stück vor uns in die Runde, „kann man hier mit EC-Karte
bezahlen?“ Nein, nur bares. (Kommentar
Mit-Adler: „Direkt hinter dem
Kassenhäuschen steht Fredi Bobic und füllt das Geld in Säcke.“ Ruf von hinten: „Da drüben stehen auch schon die Lastwägen zum Abtransport"). Dem jungen Mann ist grad nicht zum Lachen. „Lauf doch schnell rüber ins Stadion – da gibt’s
einen Geldautomat.“ Zweifelnder Blick. „Klar,
wir halten dir deinen Platz frei." „Nix da, wer raus ist, muss sich wieder hinten anstellen.“ Haha. Aus
der Schlange neben uns schiebt sich ein Eintrachtler mit Rückkehrer-Shirt nach vorne. Er hat schon seine Karte, will
jetzt noch - mit Vollmacht - die Karte für einen Freund in einem anderen Block
holen. (Ordner: "Kommen sie ruhig hier herüber, wenn Sie Ihr Geschäft erledigt haben.") Nochmal ganz hinten anstellen wäre ein bisschen viel verlangt – logisch,
das verstehen wir alle.
Jetzt, gleich. Wir sind dran. Aber stopp – da kommt der
junge Mann vom Geldautomat angesprintet wedelt mit dem Bargeld für Fredi und
nimmt seinen angestammten Platz vor uns wieder ein. Just in Time hat alles wieder seine Richtigkeit.
So, jetzt sind auch wir dran. Dauerkarte vorzeigen. Pass. "Sie sind es selbst?" fragt mich die Dame im Kassenhäuschen. Ich denke kurz nach. "Ja, denke schon." Und dann bekomme ich meine Karte und wir ziehen ab. Nach eineinhalb Stunden. Mit einem Sack voller Eintracht-Feeling und mit Finalticket. Noch ein Gruß in die Runde, speziell an Marc. Ob wohl wirklich was aus der Sache wird?
Wieder zuhause dann noch ein letzter Beweis, dass wirklich alle, alle da waren. Eine Whatsapp meines Adlerfreunds Thomas: „War in der
Schlange hinter euch und hab die ganze Zeit versucht, mich bemerkbar zu machen. – schad, dass wir uns
verpasst haben.“
Ja, sehr schade. Aber wir sehen uns am Samstag im Stadion. Und vielleicht ja auch
in Berlin.
Nun, als Whatsapp- und Tinderverächter, speziell in Schlangen, von zudem n o c h vorgerückterem bzw. verrückterem Alter kann ich zu alldem schlechterdings nichts äußern. Da hilft auch alles Bargeld der Welt nix.
AntwortenLöschenDer Ticket-Dame hätte auf ihre Frage "Sie sind es selbst?" eine Rimbaud-Antwort vermutlich auch nicht weiter geholfen. Selbst eine Descartes-Antwort nicht. Umso erfreulicher, dass nun der Weg geebnet zu sein scheint zur erneuten Schilderung von Erlebnissen an fontaneschen Berliner Badeseen. Gut so!
Immerhin und glücklicherweise scheint es das Schlangen-Zeitmanagement der Blogwarterin gerade noch gestattet zu haben, just in time auf dem rotundschwarzen Besen die Hexxnreise Richtung Blogsberg zu starten. Und das auch noch in einer Vollmondnacht. Have fun there!
Ich bin gespannt, ob die Geschichte, die per whatsapp in der ticketschlange nach Berlin begann, irgendwann vielleicht tatsächlich mit gutem Ende das Licht der Eintracht Öffentlichkeit erblickt, das wär sooo witzig.
LöschenTatsächlich habe ich heute um Mitternacht (leicht bibbernd, aber ohne Besen) den Vollmond bestaunt (und - wenn schon nicht am Kassenhäuschen, dann im "moonlight" - Dylan zitiert).
Könnte ich per Besen nach Berlin und zurück und könnte auch sonst ein wenig hexen, dann wäre ich sicher dabei, so muss ich erst noch sehen, ob und wie, aber zu schreiben wird es an jedem Ort etwas geben :) (Übrigens auch über Fontane. Der hat dieses Jahr 120. Todestag)
"Sie sind es selbst?" fragt mich die Dame im Kassenhäuschen.
AntwortenLöschenDas war aber eine Vorlage für ein Dylanzitat. Das hast du verpasst.
Beim Finale selbst kommt dann wieder ein Zitat; diesmal aus "The times they are a changing"!
Stimmt, mehr Dylan geht fast gar nicht. Ein lockeres "it ain't me babe" oder "i don't know if I am really real" - das wär's gewesen. Und ich hoffe sehr, dass wir im Finale aus "The time they are a changing" zitieren können und nicht etwa aus "All along the watchtower" oder "Stuck Inside of mobile" :)
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