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Finale revisited

Noch 24 Stunden bis zum Anpfiff in Berlin. Haben wir je an dieser Saison gezweifelt? Uns im Stadion  die Haare gerauft? Gegrübelt wie das so weiter gehen kann und wird nächste Saison? Makkulatur. Schnee von gestern. Seit gut einer Woche häufen sich die guten Nachrichten zunächst im Tages- und jetzt fast schon im Stundentakt.  Gutes Timing. Überall und von überall her bricht allumfassende Harmonie und mehr Qualität über uns herein.

Noch vor Himmelfahrt und rechtzeitig zum Kirchentag erscheinen Jesus und Gott gleichzeitig auf dem Platz. Vorstand und Ultras sind sich euphoriestrstegiemäßig einig. Der heiß begehrte französische Nachwuchsspieler Sébastien Haller kommt für (eben noch gar nicht vorhandene) Millionen zur Eintracht, Stürmertalent Luka Jovic von Benfica Lissabon mehr oder weniger für Umme. Nico Kovac bleibt selbstverständlich ein Adler. Die Börse gibt Millionen für einen Platz auf unserem Ärmel - (falls es ein Adler war, den Guillermo  Varela sich auf seinen Arm hat stechen lassen, würde er nach seiner Suspendierung vielleicht umgekehrt gerne ein paar Euro geben, wenn er ihn wieder los wäre.) Aber damit nicht genug: Auch André Hahn hat Lust auf die Eintracht, während Sebastian Rode sowieso von je her am liebsten für uns gespielt hat  und wenn sich meine Sinne im Pokalfieber nicht bereits verwirrt haben, habe ich gestern gelesen, dass die Chancen gut stehen, dass wir in der nächsten Saison um den Titel mitspielen. Stündlich erwarte ich die Nachricht, dass wir ab Sommer leihweise Lionel Messi verpflichten. Für einen Abbel und ein Ei, mehr noch: Er ist bereit, selbst etwas draufzulegen,  wenn er im Gegenzug für eine Saison im Waldstadion auflaufen darf. Solche Fans. Die Tollsten. Geilsten. Unfasslich Unglaublichsten. Da kann man das verstehen.

20.000? 30.000? 57.543? Und noch mehr Adler haben sich bereits auf den Weg nach Berlin gemacht, sind schon da oder stehen in den Startlöchern. 25.000 sind bein Public Viewing im Waldstadion dabei. Eine rotundschwarzundweiße Welle rollt, fliegt, radelt in die Hauptstadt. Auch wir starten morgen früh um 6, die Vorratskiste ist gepackt, Schal, Shirt und Ticket liegen bereit und ich erinnere mich an den Tag, an dem ich zum bisher letzten Mal im Olympiastadion war - fast auf den Tag genau vor (du liebes bisschen) 29 Jahren, am 28. Mai 1988, beim letzten Pokalsieg der Eintracht.

Flashback
Zusammen mit meinem Mit-Adler machte ich mich mit einem etwas klapprigen Auto auf in Richtung Berlin.  Der Weg führte damals noch durch die DDR - die Straßen, die durch die karge Landschaft führten, sind in meiner Erinnerung eine Kette himmelblauer Trabis.  In einer Autobahnraststätte aßen wir Hühnerfrikasee mit Kartoffeln ( etwas anderes gab es nicht, aber es war köstlich) , regten uns auf über die Besser-Wessis, die damals noch nicht so hießen, aber schon welche waren und sich über die "Primitivität" mokierten,  und wir kauften uns ein Neues Deutschland. In Berlin übernachteten wir bei meiner leicht durchgeknallten Freundin Uli auf dem Fußboden und lernten ihren Kater Nebukadnezar kennen, der am liebsten grüne Oliven aß.

Auch mein Vater, von dem ich meine Liebe zur Eintracht geerbt und mit dem zusammen ich auch mein erstes Spiel im Waldstadion erlebt habe, war an diesem Wochenende in Berlin. Das war erstaunlich, denn er ist in seinem Leben sehr selten "weit weg" gewesen. Die Umstände waren nicht so und er hätte von sich sicher nie behauptet,  dass er der beste Fan der Welt war, sondern einfach nur aus tiefstem Herzen Eintrachtler. Nach Berlin war er zusammen mit seinem besten Freund und dessen Sohn, ebenfalls im Auto, angereist. Sie übernachteten in einer kleinen Pension. Im Olympiastadion saß mein Vater neben einem älteren Herrn - der Herr mit Bochum-Schal, mein Vater mit Eintracht-Kapp. Nach Abpfiff  - so erzählte mein Vater mir später - stand der Bochumer auf, schüttelte ihm die Hand und gratulierte ihm zum Sieg.

Vor jetzt bereits über zwölf Jahren, kurz vor Weihnachten, ist mein Vater plötzlich erkrankt und einige Wochen später, viel zu früh, gestorben. Später, beim Sichten seiner Unterlagen, fand ich seine Eintrittskarte für das Pokalfinale, schmutzig und vergilbt. Er hatte sie aufbewahrt. Jetzt tue ich das für ihn.

Flashback-Ende

Ich hoffe, dass ich am Sonntagabend, wenn ich wieder aus Berlin zurück und zuhause bin,  nicht nur eine weitere Eintrittskarte, sondern auch einem weiteren Pokalsieg in die Erinnerungskiste packen kann.

Eintracht!

Kommentare

  1. Wie sich Erinnerungen verflechten ... Und, holla: grüne Oliven? Das ist ja kazzmäßig gesehen eine beinah schon babylonische Geschmacksverirrung. Es sei denn, sie waren mit gebratenen Mäuschen gefüllt.

    Zur Eintracht, na ja: wieder nix mit einem Titel, der so unrealistisch an diesem Tag gar nicht mal gewesen wäre. Immerhin nicht so übel aus der Affaire gezogen. Einen gewissen Optimismus ziehe ich aus der Art und Weise, wie sich die Eintracht, alle Eintrachtler, in Berlin präsentiert hat. Könnte Sympathien eingebracht haben, verbessertes Standing etc.

    Wobei "Optimismus" und die Entwicklung des Profifußballs sich in etwa so zueinander zu verhalten scheinen wie Kater Nebukadnezar zu grünen Oliven (in diesem Falle ungefüllt). Oder Helene Fischer zu einer Sängerin.

    Danke jedenfalls, Kerstin, für wieder einmal höchst unterhaltsame, kreative und charmante (selbst noch im Grollen : - ) Begleitung einer Eintracht-Saison. Was aber bleibet / stiften die Blogger.


    Gruß ins rein Hessische - ak aka Matthias



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  2. Lieber Adler-Zauberer, den Dank für die kreative, unterhaltsame und charmante Begleitung durch die Saison gebe ich gerne an dich zurück. Ich freu mich sehr, dass du (und der eine oder andere ;-) hier immer noch regelmäßig vorbeischaut und oft auch kommentiert, obwohl die Einträge aus zeitlichen Gründen leider sehr unregelmäßig sind und dem allgegenwärtigen Neuigkeiten-Overkill meistens hinterherhinken. Aber darum geht's hier ja eigentlich auch gar nicht 😊 "Was aber bleibet/ stiften die Blogger." Das gefällt mir und ist vielleicht ja zumindest ein bisschen wahr. Auch deswegen hoffe ich, dass ich in den nächsten Tagen dazu komme, hier noch ein paar Berlin-Impressionen festzuhalten, dann halt als Nachklapp. Fest steht: Zumindest in meinem Blickkreis hat keiner einem Dortmunder die Hand geschüttelt und zum Sieg gratuliert ;-)

    Einträchtliche Grüße in den wilden Süden,
    K.

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  3. Wobei ein Blog ja doch zunächst eine eher flüchtige Angelegenheit ist. Wie das jetzt mit dem "Bleiben" vereinbar ... - mer waaß es net.

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  4. Du hast natürlich recht. Mir hat der Gedanke trotzdem gefallen - das (logisch) alles andere als bleibende Bloggen, das im Kontext des immer noch Schnelleren inzwischen fast schon old School ist und das Bleiben, das bestenfalls kurz versucht anzuhalten, aber ganz sicher nicht bleibt.

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  5. Auf vertrackte Weise wird es irgendwie schon auch bleiben. Howgh.

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  6. "seine Eintrittskarte für das Pokalfinale, schmutzig und vergilbt. Er hatte sie aufbewahrt. Jetzt tue ich das für ihn." Und du bewahrst noch viel mehr von ihm, liebe Kerstin.

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