Direkt zum Hauptbereich

So kann' s gehen

Die letzten Minuten des Spiels der Eintracht gegen Hannover habe ich gestern Abend in der Hocke kauernd,  hinter dem Rücken meines Vordermannes verbracht.  Bitte, bitte, lass es gut gehen. Wir hätten zu diesem Zeitpunkt klar führen können, wenn nicht sogar müssen, und doch hätte es jetzt, in den letzten Minuten, auch noch schief gehen können. Drei Minuten Nachspielzeit, unfasslich wie lange die sein können. Pfeif ab, Pfeif ab. Und dann stehen wir alle, das ganze Stadion, und es ist aus aus aus. Wir haben es geschafft, die drei Punkte sind auf unserem Konto. 1:0. Das knappst von knappem. Aber egal, geschafft. Zentnerlasten, die durchs Stadion rollen. Marco Russ holt seine kleine Tochter aus dem Block und trägt sie in die Kurve. Lukas Hradecky gibt sein Trikot ab, Constant Djakpa steht mit hocherhobenen Armen und strahlt über alle vier Backen und die Kurve stimmt den Eintracht Frankfurt-Walzer an. Nein, wir sind nicht verrückt oder gerade Deutscher Meister geworden, aber ein Hauch von Finnegan's Wake lag in der Luft. Der alte Holzmichel lebt noch. Jetzt können wir anfangen mit dem Anfangen.

Klar, gestern ging es hauptsächlich darum, die drei Punkte irgendwie da zu behalten. Aber es sind nicht nur die Punkte, sondern vor allem die Art, wie wir sie geholt haben, die mir Mut für die kommenden Wochen machen.

Kampf, Leidenschaft? Ja, aber was ich gesehen habe, waren eben nicht nur Leidenschaft und unbedingter Wille, sondern vor allem eine Idee davon,  wie dieser Kampf erfolgreich geführt werden kann. Wie haben wir uns in den vergangenen Wochen über die vielen, viel zu einfachen Fehler und die fehlende Schnelligkeit in unserem Spiel  und Spielaufbau geärgert. Fehler machen wir leider immer noch viel zu häufig und aus im Schnitt eher langsamen Spielern kann man über Nacht keine Dynamiker machen, aber: Da ist jetzt ein systematischer Ansatz erkennbar, wie wir mit den Gegebenheiten umgehen und die damit verknüpften Nachteile verringern können. Für mich sah das so aus, als hätten die Kovacs den Spielern ein Repertoire an Regeln an die Hand gegeben, das ihnen dabei hilft, die offensichtlichsten Fehler zu vermeiden und Spielsituationen zu bewältigen. (Noch) kein System oder Konzept – aber: Probleme erkannt und erste konkrete Gegenmaßnahmen eingeleitet.

Beispiele:
Aus der Not eine Tugend machen: Statt in Bedrängnis im Mittelfeld zu versuchen, den Ball unter Kontrolle zu bringen und dabei einen Ballverlust zu riskieren, gehen wir jetzt direkt in die Zweikämpfe und nutzen jede Gelegenheit, Bälle hoch nach vorn zu chippen – nicht dreschen, chippen, heißt:  den Ball konstruktiv aus einer potenziell gefährlichen Situation zu bekommen und gleichzeitig das Spiel in Richtung gegnerisches Tor zu verlagern und Räume zu öffnen.  Die vielen hohen Bälle sehen mitunter etwas kurios aus und sind (siehe zweite Halbzeit) kein Allheilmittel, aber sie sind eine konkrete Abhilfemaßnahme für ein wochenlang offensichtliches Problem. Gestern im Spiel haben sich daraus immer wieder gefährliche Angriffssituationen für uns ergeben. Der Weg zum Tor wird durch diese unkonventionelle Variante des Umschaltspiels kürzer und es gelingt uns, so eine Art Druck aufzubauen - wichtiger: den Druck auch aufrecht zu erhalten. Gegner wird in der Vorwärtsbewegung überrascht. Wir haben Raum für Konter.

Raumaufteilung: Wir – bzw. unsere horizontalten Achsen -  stehen kompakter gestaffelt und gleichzeitig breiter.  Dadurch nutzen wir das Spielfeld besser, dadurch verschieben wir besser, dadurch sind alle Mannschaftsteile aktiver in Defensivaufgaben eingebunden. Und:  Dadurch wird unser Offensivspiel zumindest ansatzweise variabler – von wegen „Außen“.

Klare Aufgabenverteilung: Jeder Spieler scheint jetzt wieder eine Ahnung davon zu haben, welche Aufgabe er hat. Russ spielt z.B. in der Innenverteidigung so etwas wie eine „hängende 6“ (falls es die noch nicht gibt, habe ich sie soeben erfunden). Seine Hauptaufgabe ist die eines klassischen Innenverteidigers, wenn sich Lücken ergeben, stößt er nach vorne – und zwar durch die Mitte, während sich – im Idealfall – hinter ihm der Riegel schließt.

Unsere Laufwege sind einfacher und transparenter.  Vorne in der Mitte gab es gestern  z. B. nicht immer, aber relativ häufig eine Anspielstation. Und das bedeutete fürs Angriffsspiel: So viele lange Pässe in die Spitze habe ich lange nicht mehr gesehen (auch, wenn es häufig beim Versuch und der Ball hängen blieb – aber immerhin: es wurden Lücken erlaufen, in die gepasst werden konnte).

„Übber die Auße…“ das war einer der fußballerischen Leitsätze meines Opas, die, als ich ein kleines Mädchen war, meine fußballerische Sozialisation begleitet haben.  Dass solche Grundweisheiten auch in Zeiten des Systemfußballs noch ihre Richtigkeit haben, haben zuletzt am Mittwoch die Bayern gegen Juve gezeigt. Und auch bei uns war gestern ansatzweise wieder so etwas wie ein Flügelspiel erkennbar –ganz einfach, ohne großes Chi-Chi, aber vorhanden. Es gab sogar einige ganz ordentliche, direkt kombinierte Ballstafetten – über links und über rechts. Und: Es gab – o Wunder - Flankenläufe bis zur Grundlinie. Statt aus dem Halbfeld in den Rücken der eigenen Spieler, kamen wieder viel mehr Flanken von der Grundlinie in den Torraum.

Änis Ben-Hatira hat gestern einen Eindruck davon vermittelt, wie es ungefähr aussehen kann, wenn bei uns die linke Seite so besetzt ist, wie sie besetzt sein sollte. Er ist schnell, leichtfüßig, kann mit dem Ball umgehen, hat Zug nach vorn. Und er bringt  zudem ein weiteres Element mit, das in unserer Mannschaft bisher gefehlt hat: Er ist lebhaft und extrovertiert, hat eine nach außen gewandte – und wichtig – kommunikative Körpersprache – hat den Kopf oben, sucht den Kontakt mit seinen Mitspielern (und dem Stadion), gestikuliert, zeigt auf, will den Ball, klatscht aufmunternd. Ein Hauch von – tschuldigung –  deutlich schmächtigerem Jermaine Jones. „Wäre es nicht ein Treppenwitz, wenn ein Spieler, der zufällig in der Winterpause bei uns gestrandet ist und mit der Eintracht vermutlich ziemlich wenig am Hut hat, uns am Ende da unten rausschießt?“ habe ich meinen Mit-Adler vor dem Spiel gefragt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt, ist seit gestern deutlich gestiegen. Voraussetzung: Ban-Hatira lernt, nicht nur die schwierigen Tore, sondern vor allem auch die einfachen zu machen.

Wenn wir über die linke Seite reden, dürfen wir Constant Djakpa nicht vergessen, der – wie ich finde – gestern einer der besten war. Und auch, wenn er deutlich schlechter gespielt hätte, sine Lebendigkeit, seine auch unter Druck vorhandene, erkennbare Spielfreude sind Faktoren, die uns im Moment einfach gut tun.

Warum Hustzi, Stendera, Chandler, Seferovic?
Huszti hat m.E. gestern gezeigt, warum Armin Veh und jetzt auch Nico Kovac immer an ihm festgehalten haben: Er ist einer der wenigen, der auch unter Druck den Ball unter Kontrolle bekommen und weiterverarbeiten kann.  Im K-System ist er so etwas Ähnliches wie ein Ausputzer im Mittelfeld, stopft Lücken, beruhigt das Spiel. 

Ähnlich Marc Stendera, der – obwohl in der Tat nicht in optimaler Verfassung und trotz der bekannten Schnelligkeitsdefizite – eine wichtige Schaltstelle im Mannschaftsgefüge ist. Er ist immer anspielbar und zumindest punktuell in der Lage einen Impuls zu geben, das Spiel zu verlagern, einen Mitspieler einzusetzen – im Vergleich mit Fabiàn deutlich weniger dynamisch (Nachteil), aber klarer in seiner Spielstruktur (Vorteil). Trotzdem hätte es sicher nicht geschadet, Stendera spätestens zur Mitte der zweiten Hälfte gegen Fabiàn auszuwechseln.

Hilfe – Chandler. So war bei uns im Block die überwiegende Reaktion auf seine Aufstellung. Falsch gedacht. Chandler zählte gestern ganz klar zu den Aktivposten – auch er mit klarer Aufgabe nicht nur nach hinten, sondern auch nach vorn.  Der unfasslich einsatzfreudige, leider immer noch glücklose Stefan Aigner konnte deutlich von Chandlers Aufstellung profitieren.

Haris Seferovic hat sich in den vergangenen Monaten sehr viele Sympathien verspielt und wurde fast schon zum Abschuss freigegeben. Ich finde, es zeugt von einer unabhängigen Denkweise, dass Nico Kovac gestern sozusagen gegen den Strich an ihm festgehalten hat. Seferovic war auch gestern meilenweit von dem entfernt, was er letztes Jahr gespielt hat, aber: Er war nicht mehr nur mit sich selbst beschäftigt, sondern hat mit der Mannschaft gespielt, sich angeboten, Chancen erarbeitet und – nicht zufällig – zwei (Abseits)-Tore erzielt.  

All das macht mir Hoffnung, weil ich das Gefühl habe, dass unser neuer Trainer an den richtigen Stellen ansetzt – für mehr Lebhaftigkeit, für mehr Struktur und Linie sorgt, dabei im Moment nicht den zweiten Schritt vor dem ersten macht, sondern den Spielern etwas an die Hand gibt, an dem sie sich orientieren können und das ihnen ganz konkret auf dem Platz hilft.

Eine Szene noch, die vielleicht sinnbildlich für das Spiel gestern sein kann. Ungefähr Mitte der zweiten Halbzeit. Marc Stendera vertändelt auf der rechten Seite den Ball. Ein Hannoveraner spitzelt ihm den Ball vom Fuss, Marc  flucht, senkt den Kopf, ballt die Faust – und stoppt ab. Und dann ist es für einen Moment als ob eine kleine Wolke über seinem  Kopf erscheint, in der steht: "Heeeyy…komm, lass den Unfug…nix da…. weitermachen".  Und er setzt seinem Gegenspieler nach.

Ich weiß nicht, ob wir es am Ende tatsächlich schaffen werden, ob die Zeit noch reicht. Es wird verdammt schwer, aber jetzt haben wir wieder eine Chance. Weitermachen.


Kommentare

  1. Eine gute Analyse, auch wenn ich deinen Optimismus leider nicht ganz teilen kann, für mich sieht es zu sehr nach rosaroter Brille aus.
    Allerdings waren schon einige positive Veränderungen zu erkennen. Die Länderspielpause ermöglicht es jedenfalls unserem neuen Trainerduo die Spieler der Eintracht etwas weiter umzuschulen auf einen erfolgreicheren Kurs.

    AntwortenLöschen
  2. Rosarot - ich hoffe nicht, will mir ja keine Illusionen machen und bin weit entfernt von Optimismus. Rotundschwarz würde ich gelten lassen ,-)

    Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass alles großartig war - war es nicht. Aber ich glaube gesehen zu haben, dass an den krassesten Fehlern gearbeitet worden ist - also zumindest die richtigen Ansätze da sind - und deshalb habe ich jetzt mehr Zutrauen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, den Abstieg noch zu verhindern.

    Am Samstag im Stadion hat sich das Spiel - anders als in den letzten Wochen - "richtig" angefühlt. Im Sinne von: wir werden nicht einfach in die zweite Liga trudeln, wir werden uns zumindest wehren und haben ansatzweise die Mittel. Das ist zumindest schon mal etwas - ob es langt, werden wir sehen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Rotundschwarz-Sonnenbrille ist okay, schlecht wäre das Aufsetzen einer Gefahr-O-Sensitiv-Brille. ;-)

      Löschen
  3. Ich wünsche dir ein schönes Osterfest und uns allen ein nachträgliches Osterei in Form eines Nichtabstiegsplatzes am letzten Spieltag.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Nur Geduld. Das ist doch Pfingstsache: Spirit, der in Gestalt eines lichtumfluteten Adlers vom Himmel herab schwebt.

      Löschen
  4. Ich hätte nichts dagegen, wenn der lichtdurchflutete Adler uns die Gunst erweisen würde, sein Licht schon ein paar Wochen vor Pfingsten über dem WaldsRadio auszuschütten und die Eier möglichst bald in unserem Horst landen - die kommenden Wochen wären dann etwas nervenschonender...

    Herzliche Ostergrüße!!!

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die nächste Strophe vom alten Reisbrei

Am Samstagabend höre ich im ZDF Sportstudio die Vorankündigung für das Spiel am Sonntag im Waldstadion. „Hannover kann morgen auf den zweiten Tabellenplatz vorstoßen“, verkündet Katrin Müller-Hohenstein. Tatsächlich? Was Sie nicht sagen. Und die Eintracht? Hey – hallo, das ist unser Heimspiel, und wir werden es gewinnen, weil nämlich dann wir es sein werden, die zu Hannover und zur Spitzengruppe aufschließen. Capisce? Und tatsächlich. So machen wir es. Impressionen vom Spiel: Patrick Ochs, der in der ersten halben Stunde auf der rechten Seite herum mannövert als habe er tatsächlich vor, was er vorher verkündet hatte: Sich festbeißen – und von dem in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu sehen ist. Halil Altintop, der (auch in seinem eigenen Sinn) zur Halbzeit hätte ausgewechselt werden müssen, und von seinem Trainer, der voll hinter ihm steht, eine viertel Stunde vor dem Ende zum Abschuss freigegeben und – sichtlich um Fassung bemüht – regelrecht vom Platz gepfiffen wird. (Ja, ja.

Kleines Fußball-ABC - Heute "U" wie "Unterschiedsspieler"

Unterschiedsspieler, der (pl. (selten die); fußballneudeutsch für einen Spieler, der – wie der Name schon sagt – den Unterschied machen und ein Spiel entscheiden kann. Bsp .    → Rebic, Ante (Eintracht Frankfurt) , der in der ersten Runde des DFB-Pokals 2019/20 “ den aufmüpfigen Drittligisten Waldhof Mannheim quasi alleine in die Knie zwang. “ In der Regel ist der → Unterschiedsspieler ein Offensivspieler, aber auch Defensivspieler „mit einer starken Technik und einem guten Gespür für Räume imOffensivspiel“  können Unterschiedsspieler sein  -   Bsp.   → Baumgartner, Christoph TSG Hoffenhei m) , → Kimmich, Joshua (FC Bayern München) oder  →Kostic, Filip (Eintracht Frankfurt), der für seinen Trainer →Adi Hütter derzeit „der absoluteUnterschiedsspieler“ ist. Auch Torhüter  können den Unterschied machen ( Bsp. Neuer, Manuel, FC Bayern München ), was als Beleg dafür gelten kann, dass auch Spieler, die nicht der Mannschaft von →Eintracht Frankfurt angehören, →Unterschiedsspieler sein kö

Hans-Dieter "Fips" Wacker - ein Fußballerleben

Es ist ein paar Monate her, dass ich für diesen Blog im „Kleinen Fußball-ABC“ einen eher satirisch gefärbten Beitrag zum Thema  Nachwuchstalente verfasst habe. Es war Kid Klappergass, der das Thema in einem Kommentar in ernsthaftere Bahnen führte: Es gebe nicht viele große Eintracht-Talente, denen er nachtrauere, aber eines davon sei ganz gewiss Fips Wacker. Fips Wacker? Diesen Namen hatte ich noch nie gehört und machte mich auf die Suche nach ein paar Informationen. Es war nicht viel, was ich im Netz aufstöbern konnte – aber was ich fand, machte mich neugierig. Die „Spur“ führte zum Heimatverein von Fips Wacker, der SKV Büttelborn und wie es der Zufall so will: Einige Wochen später sollte in Büttelborn ein Spiel der Alten Herren – der  Old Boys   gegen die Eintracht-Traditionsmannschaft ausgetragen werden. Wenn für Hans-Dieter Wacker alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können, hätte er in diesem Spiel vielleicht eine Halbzeit lang für die Eintracht und eine für den SKV auf de