(Nachtrag)
Es ist der Freitag nach Ostern. Wie in jedem Jahr kommt der Frühling erst zart und allmählich und ist dann einfach da. Bricht aus. Ist nicht mehr zu halten. Und wie in jedem Jahr ist es immer wieder gleich überraschend und überwältigend. Es zwitschert. Es blüht. Die Sonne. Der Himmel. So viele unterschiedliche Grüntöne. Unwirklich. Mein Schreibtisch ist voll. Eigentlich sollte ich, müsste dies und außerdem jenes. Trotzdem: Am frühen Nachmittag halte ich es nicht mehr in meinem Büro aus. Mein Mit-Adler und ich machen uns auf den Weg in Richtung rheinhessisches Hinterland.
Es ist der Freitag nach Ostern. Wie in jedem Jahr kommt der Frühling erst zart und allmählich und ist dann einfach da. Bricht aus. Ist nicht mehr zu halten. Und wie in jedem Jahr ist es immer wieder gleich überraschend und überwältigend. Es zwitschert. Es blüht. Die Sonne. Der Himmel. So viele unterschiedliche Grüntöne. Unwirklich. Mein Schreibtisch ist voll. Eigentlich sollte ich, müsste dies und außerdem jenes. Trotzdem: Am frühen Nachmittag halte ich es nicht mehr in meinem Büro aus. Mein Mit-Adler und ich machen uns auf den Weg in Richtung rheinhessisches Hinterland.
Die Welt ist weit und offen, wir fahren
vorbei an noch kahlen Bäumen, Forsythien blühen, erstes Grün auf den Äckern.
Weiter immer weiter, durch kleine butzelige Ortschaften. Dort sitzt ein Mann mit Hut auf einem
Bänkchen vorm Haus, eine Frau mit Kittelschürze kehrt die Gass, ein verwaister
Lieferwagen mit offener Heckklappe versperrt die Durchfahrt. Nach einer
Schleife landen wir in Gau-Odernheim,
einem unserer Nachbarorte. Hier soll in
diesen Tagen eine einzigartige Wildtulpenblüte zu bestaunen sein. Wir halten in
einem Seitengässchen und schlendern entlang der Hauptstraße des ziemlich
geschäftigen kleinen Ortes. Von
Wildtulpen oder Hinweisen auf solche ist vorerst nichts zu entdecken. Aber anders
als in vielen anderen rheinhessischen Dörfern, die infrastrukturell immer
weiter abgekoppelt werden, gibt es hier alles: Bäcker, Metzger, Döner und die Gaststätte Zum Adler hat sogar einen Biergarten mit Pizza zum
Draußensitzen. Ein alter Herr sitzt mit
Kissen unter den Armen am Fenster und beobachtet den Straßenverkehr. Schilder weisen uns den Weg in Richtung Äcker,
Weinberge und Wildtulpenblüte.
Die Schule, ein paar Schrebergärten, hohe Bäume, in denen
Raben krächzen, die Selz. Dahinter flaches, leicht hügeliges Land, der Himmel von einem fast zärtlichen Blau. Am Horizont an den
Hängen der Weinberge sind zwei Reiter unterwegs. Vor einer etwas heruntergekommenen,
behelfsmäßigen Schrebergartenhütte, hat es sich ein älterer Mann mit B-Cap in der Sonne gemütlich gemacht, er raucht.
Gibt es hier eigentlich keine Frauen? „Die sind wahrscheinlich am schaffe…“ so
wird es wohl sein. Ab und zu überholt uns ein Traktor und hinterlässt eine Dieselwolke.
Es riecht nach Kindheit und Ferien im Odenwald. Die Wildtulpen, so erklärt uns
eine Spazierfamilie, sind noch nicht so weit. Macht nichts, uns gefällt es hier
auch ohne.
Der Rasen auf dem Sportplatz des ortsansässigen
Fußballverein ist satt und grün. Am linken Seitenrand sind zwei einfache
Holzkonstruktionen als Tribüne aufgestellt: Drei Treppenstufen, drei Bretter,
ca. 30 Sitzplätze. Hinter der Schule hat jetzt ein kleiner Trupp Teenies
Stellung bezogen, einige sitzen auf Bänken, andere stehen betont lässig herum,
leises Lachen, Musik. Müde
gelaufen fragen wir zwei kleine Jungs, die mit dem Ball unterm Arm grade Richtung Bolzplatz unterwegs sind, nach
einem Café. Tatsächlich, das gibt’s hier auch. Cool. In einem putzigen italienischen Eiscafé
sitzen wir direkt an der Straße, wo jetzt –
es geht in Richtung Feierabend – relativ viele Autos und Motorräder,
zwischendurch der ein oder andere Traktor vorbeibrausen. Am Haus gegenüber sind
zwei Handwerker mit einer Bohrmaschine beschäftigt. Rrrrrrrrrr. In den
Blumenkästen zum Straßenrand blühen Primeln und Hornveilchen. Ländliches Idyll.
Eine kräftige italienische Bedienung nimmt unsere Bestellung entgegen. Spaghettieis. Joghurteis. Beides mit frischem Obst. Das erste Eis des Jahres schmeckt
wunderbar säuerlich, fruchtig, cremig.
In einem weitläufigen Bogen laufen wir zurück zum Auto,
kommen an der sehr staatlichen Kirche vorbei. Auf einer Informationstafel wird
erläutert, dass es sich hier um eine Simultankirche handelt, heißt: Sie wird von Katholiken und Evangelen
gemeinsam genutzt– säuberlich getrennt, die einen im Schiff der Kirche, die
andere im Nebentrakt. Vor der Kirche übt ein junger Pfarrer gerade mit einer
kleinen Kinderschar den Einmarsch für die anstehende Kommunion. Sie gickeln und
drängeln sich nach vorn. Statt einer Kerze hat jeder eine schmale Holzleiste in
der Hand. „Immer zwei und zwei. Abwechselnd Jungs und Mädchen.“ Und: „Wackelt
net so mit den Kerzen, die brennen. Sonst verkleckert ihr euch.“
Auf dem Heimweg halten wir an einem Baumarkt, noch ein paar
Materialien für den Garten besorgen. Blumen- und Kressesamen, Abdeckfolie, Bindedraht, ein
Scharnier für den Schlauch. Wieder zuhause liegt der Garten schon fast in der
Abenddämmerung. Am Tisch hinterm Haus essen wir eine Tiefkühl-Pizza. Unsere schwarzundweiße
Katze tappert verträumt durch den Garten und bestaunt alles als sähe sie es zum
ersten Mal: Ui. Eine Blume. Ein Rascheln im Gras. Ein Fisch im Teich. Hatschi.
Ich muss, muss noch einmal
hinaus. Hole mein Rad aus der Garage und radele gemächlich durch die
Weinberge. Die Luft ist jetzt ein wenig diesig, der Horizont verschwommen, die
untergehende Sonne von Schleierwolken verdeckt, zeichnet einen milchigen,
orangeroten Streifen an den Himmel. Ich halte kurz an und - na so was - ein Schmetterling lässt sich für einen Moment auf meinem Lenker nieder. Auf
den Feldern zeigt sich erstes zartes Grün. Ein aufgescheuchter Hase hoppelt
davon.
Zuhause setzte ich mich noch ein Weilchen aufs Bänkchen hinter dem Haus.
Es ist jetzt fast schon dunkel. Auf der Tanne sitzt eine Amsel und tiriliert
ihr Lied in den Abendhimmel. Ich bin steinmüde. Meine Oma huscht durch meine
Gedanken. Wie gerne hat sie - wie ich - bis in die
Dämmerung hinein und auch bei Wind und Wetter im Garten gewuselt und geschafft.
Mein Opa mochte das nicht und knodderte
in sporadischen Abständen oben am Küchenfenster: „Kein Mensch im Garten, nur
mei Fraa.“ Ei, na und?
Ich blinzele in die letzten Sonnenstrahlen, die durch das
zart begrünte Geäst des Pflaumenbaums blitzen. Mich fröstelt es. Es war ein schöner Tag.
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