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„Alles Quatsch!“

Normalerweise kann ich es nach Eintracht-Niederlagen vor dem Fernseher nicht ertragen, nach dem Spiel auch nur noch eine Silbe zu hören oder die Wiederholung von Spielszenen zu sehen. Wenn es so dick kommt, wie gestern, kann ich das häufig leider nicht verhindern. Ich falle dann nämlich in eine Art Schockstarre, sitze einfach da, stiere vor mich hin und kann mich also nicht wehren. So geht es mir in ganz schlimmen Momenten auch im Stadion. Während die meisten fluchtartig das Stadion verlassen, sitze oder stehe ich und lasse das Unglück über mich hinwegschwappen. So z.B. im April 1996, im Heimspiel gegen Rostock, als unser erster Abstieg fünf oder sechs Spieltage vor Saisonschluss  fast schon besiegelt war. So vor fünf Jahren, beim Desaster-Abstieg bei der Heimniederlage gegen Köln, als das ganze Stadion qualmte und es einen Moment so aussah als ginge die Welt gleich unter. Alles im Ausmaß und in der Tragweite nicht zu vergleichen mit dem Spiel gestern.

Dieses Jahr werden wir nicht absteigen. Nein, sicher nicht. Trotzdem tut mir alles weh. Mir ist schlecht. Mein Herz wackelt. Und so sitze ich also da. Bewegungslos. Nach dieser katastrophalen, armseligen ersten Halbzeit und nach dieser widerstandslosen Blitz-Demontage in der zweiten Hälfte. Auseinandergebrochen, wieder einmal, einfach so.  4:1, wir haben gerade 4:1 in Köln verloren. Ach nein, sorry: 4:2. Elfer. Eben ist Alex Meier, der in der Großaufnahme merkwürdig grau im Gesicht aussah, mit versteinertem Gesicht und zusammengekniffenen Lippen zurück zum Anstoßpunkt gelaufen. Eben hat er sich das Trikot über den Mund gezogen, um ein paar, wohl nicht sehr öffentlichkeitstaugliche Worte mit Matthias Lehmann zu wechseln. Der Kölner Jubel brandet durchs Stadion. Jetzt kommt ein sichtlich um Sachlichkeit und Contenance bemühter Stefan Aigner zum Sky-Interview. Die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben. In seinen Gesichtsmuskeln arbeitet es.  Er spricht ruhig. Wir hätten das 2:1 machen müssen. Wir dürfen uns nicht so auskontern lassen. Europa ist so kein Thema. Ob er sich diesen Einbruch erklären kann? „Jetzt nach dem Spiel bin ich schon erstmal ein bisschen ratlos.

Jetzt der Schnitt zum Interview mit Thomas Schaaf. „Das ist alles Quatsch,“ sagt er. „Wir sind nicht ratlos.“  Und das ist der Moment, in dem ich mich aus meiner Schockstarre löse und aufrecht in meinem Sessel sitze. Eben war ich niedergeschmettert, enttäuscht. Jetzt bin ich wütend. Und: Ich bin empört.  Kein Funken an Emotion, keine Hinwendung zum Spieler, keine Wut oder Enttäuschung, keine vermittelnden Worte, keinerlei auch nur leise loyale Regung, zu dem, was Aigner gerade gesagt hat.  Kein „Da muss ich mich auch selbst in die Pflicht nehmen“ oder was der möglichen Floskeln mehr wären. Keine Selbstkritik. Kein Verständnis.  Und plötzlich ertappe ich mich dabei, dass ich vielleicht auch keine Lust mehr habe, diesen Trainer zu verstehen.

„Alles Quatsch. Wir sind nicht ratlos.“ Gut, dass wir das jetzt wissen.

Kommentare

  1. Hallo,
    so erstaunlich ich es immer finde, wie treffende Worte Du findest, umso elender ist mir, weil Du auch diese unsägliche Veranstaltung von gestern mir so ähnlich empfunden hast.
    Ich war in Köln und habe beim vierten Treffer der Kölner nur noch die Sitzstange vor mir angestarrt, weil ich es nicht mehr ertragen konnte. Im Halbblock daneben, nur durch eine Treppe getrennt, schalschwenkende und freudetrunkene Kölner, die ihr Glück kaum fassen konnten. Es wird lange dauern, bis ich wieder auswärts fahren will und werde.
    Und danach bitte kein Radio, kein Fernsehen und vor allem kein Internet, weil alles nur schmerzt.
    Aber Dein Blog nicht. Zu Herrn Schaaf kann ich keine Meinung finden. An der Seitenlinie scheint er mir nicht unberührt, aber Europa-Fahnen-schwenkend (nein, ich weine Veh nicht hinterher) sehe ich ihn aus vielerlei Gründen auch nicht.
    Es wird auch wieder besser, bestimmt
    Beste Grüße
    N..

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    1. Das Spiel am Sonntag hat mich wirklich geschrägt - gerade, weil ich dachte, dass das - nach Mainz - so nicht noch einmal passieren würde. Oje, wie viel schlimmer dann auch noch live vor Ort... die Sitzstange, die schalschwenkenden Kölner und das Elend auf dem Platz... volle Ladung...

      In Sachen Schaaf geht es mir ähnlich wie dir. Er war nicht meine Lieblingswahl ...lebendig, undogmatisch, locker, frei, offen, straight, unbefangen - das wären z.B. Eigenschaften, die ich mir - mal unabhängig von der fußballerischen Kompetenz - von einem Trainer wünschen würde, eine Beschreibung, die jetzt nicht gerade gut zu Thomas Schaaf passt.

      Aber ich dachte trotzdem, Schaaf könnte passen, finde ihn (fast muss ich sagen: fand ihn) aus der Distanz auf seine wortkarge Art irgendwie "knuffi". Die offensive Spielweise der Werderaner in ihren besten Zeiten fand ich damals großartig, Schaaf gilt als Nachwuchsförderer - vielleicht wäre er ja der Richtige, allem eine Richtung zu geben, etwas aufzubauen - dachte ich. Gerade nach Veh, der uns zwar Europa geschenkt, aber (aus meiner Sicht) sehenden Auges eine Baustelle hinterlassen hat - nach mir die Sintflut, Hauptsache gut aus der Sache rausgekommen...

      Inzwischen bin ich mir bei Schaaf nicht mehr sicher. Er hatte (das ist meine feste Überzeugung) hier von Anfang an keine Chance - warum, das weiß ich nicht, aber es ärgert mich, dass er immer mehr daran zu arbeiten scheint, dass sich seine Kritiker bestätigt sehen können. Ich glaube: Je mehr er sich in eine Ecke gedrängt fühlt, desto mehr verschließt er sich. Das Interview nach dem Spiel in Köln hat mich echt fast vom Stuhl gehauen.

      Ach Mensch....Ja, es wird wieder besser! Einträchlich, K. (die sich trotz des ja eher...ähem... nachdenklichen Inhalts, sehr über deinen Kommentar gefreut hat).

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  2. Dieses schockgefrorene Verharren hat Marcuse als "Angstlust" beschrieben, und ich glaube: er hat recht. Ich kenne das von fürchterlich schlechten Filmen, gruseliger Werbung - es geht nicht anders, ich MUSS das sehen, bis zum bitteren Ende. So weit, so schlecht.

    Die Mannschaft? Reescht misch uff. Der Trainer: reescht misch aach uff. Und alle, die auf Mannschaft und Trainer einprügeln: reesche misch ersd reschd uff. Ein waschechtes Dilemma, dem ich zur Zeit versuchsweise mit spanischem Rotwein entgegentrete.

    Im Ernst: irgendwas hat sich verändert, wenn ich mit Ende der Hinrunde vergleiche. Kaum zu beschreiben, was. Fühlt sich auf Distanz so an, als seinen Bindekräfte innerhalb des Teams schwächer geworden, und auch zwischen Team und Trainer.

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    1. Wir wollten eigentlich zum Spiel nach Stuttgart, haben aber keine Karten mehr bekommen. Nach dem Köln-Spiel bedaure ich das noch mehr als vorher - da die Chancen ja nicht ganz schlecht stehen, dass Stuttgart ein Mainz und Köln reloaded gibt, ist ist wohl ebenfalls ein Fall von Angstlust.

      "...als seien Bindekräfte innerhalb des Teams schwächer geworden, und auch zwischen Team und Traine" ....mmh... so fühlt es sich auch aus meiner Distanz an - und das wäre vielleicht die unguteste Erklärung, die es geben kann.

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  3. Hi Kerstin, als jemand, der dich als nimmermüde Optimistin kennengelernt hat, sind solche dunklen Gedanken schlimme Alarmzeichen. Bei mir geht es sogar in Richtung "Sch.egal!", was noch viel negativer ist. Ich habe bei sky von Jens Keller gehört,dass er im Moment bei ManU (van Gaal ) hospitiert.Von Thomas Schaaf weiß ich aus einem ausführlichen Interview mit ihm, dass er das letzte Jahr vorwiegend Energie getankt hat für etwaige bevorstehende Aufgaben. Nix Fortbildung in Sachen Defensiv -Taktik (okay, das hört sich etwas populistisch an),obwohl er ja zuletzt in Bremen in diesem Bereich Defizite aufwies. Der Mann ist so von sich überzeugt, dass er alles kennt und weiß, da ist es kein Wunder, wenn er so etwas sagt.

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    1. Das kann man, glaube ich, festhalten: TS präsentiert sich zur Zeit in seinen Statements wie auch in seinem Handeln einigermaßen unbeweglich und dickschädelig. Dabei war ich anfangs von ihm positiv überrascht, weil ich ähnliches erwartet hatte - eine Erwartung, die auf angenehme Weise enttäuscht wurde, kam er doch angenehm locker und offen rüber. Er hat sich verändert in dieser Zeit.

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    2. "Der Mann ist so von sich überzeugt, dass er alles kennt und weiß, da ist es kein Wunder, wenn er so etwas sagt."

      Das ist ein harter Satz, aber es könnte was dran sein... Wenn die Dickschädeligkeit sich in den letzten Monaten verstärkt hat (und das scheint so zu sein) ist das sicher auch dem - zumindest in der veröffentlichen Meinung - vorherrschenden negativen Bild geschuldet. Vielleicht fühlt er sich falsch beurteilt und reagiert trotzig? Wenn es so ist, scheint leider auch das Binnenklima darunter zu leiden... Und: Müsste er nicht souveräner damit umgehen können?

      @Briegel: Bin ich das wirklich - ein nimmermüder Optimist? Mmh... vielleicht eher: Immer bereit, daran zu glauben, dass das Gute ebenso möglich ist wie das Schlechte. Nach Niederschlägen berappele ich mich in der Regel mit Blick auf das nächste Spiel relativ schnell und fühle mich kämpferisch. Wie gesagt: In der Regel. Im Moment fühle ich mich eher ein bisschen wie Obelix: "Asterix - für was Kämpfen wir eigentlich?"

      Langweilig - das ist wirklich das einzige, was mir die Eintracht noch nie war. Auch jetzt nicht. Nach wie vor sehe ich (wie hier ja schon öfter geschrieben) durchaus das, was Schaaf will, ich sehe auch (ganz anders als - apage satanas - unter Skibbe) die spielerischen Fortschritte - ich sehe sie echt und wirklich. Zwar nicht immer, aber immer wieder aufblitzend. Wenn der Ball (wie in den zwanzig Minuten nach der HZ in Köln) läuft, wenn wir ins Spielen kommen - dann sieht das m.E. kombinationssicherer, kreativer und straighter aus als in der letzten Saison. Es ist, als ob die Mannschaft zwischendurch immer wieder den Faden (oder die Lust?) verliert - und das finde ich ziemlich deprimierend.

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    3. Um beim Bild zu bleiben :es hat was von Majestix, wenn er -mal wieder - von seinen Trägern vom Schild gewischt wird, am Boden liegt, und sagt :"Es gibt Tage, da fühle ich mich so unendlich müde."
      Aber dann steht er ja im nächsten doch wieder darauf. Passt doch ganz gut, das Bild.

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    4. Asterix passt (fast) immer. Und wer weiß - vielleicht denkt ja Thomas Schaaf wie der römische Bataillonschef: "Sie sind alle so dumm... und ich bin ihr Chef." ,-)))

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  4. Das Blöde ist ja, dass wir diese Saison schon wieder irgendwie und einigermaßen rumkriegen werden. Aber dann ist wieder so ein Scherbenhaufen da und wer weiß, wer dann von vorne anfängt. So kommt man nicht so recht vom Fleck. Was den spanischen Roten angeht: "I started out on burgundy but soon hit harder stuff..."

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    1. Mal sehen, was wir morgen Abend brauchen. Ich sehe, sehe... :)

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  5. Trainer dürfen nicht ratlos sein. Jedenfalls dürfen sie es nicht öffentlich zugeben. Was sie aber sein dürfen und auch sein sollten, ist empathisch.

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    1. Da hast du wohl recht. "Ich bin selbst ganz ratlos" käme sicher nicht ganz so gut, ein "Wir werden das zusammen hin bekommen" vielleicht schon. Man hat irgendwie - auch bei den Spielern - nach diesen Spielen nicht das Gefühl von einer irgendwie "produktiver Wut", so von wegen "Jetzt knien wir uns erst recht rein und zeigen, dass es anders geht", sondern eher ein Gefühl von stiller Resignation,

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