Auf fast schon unheimliche Art nähert sich die WM und täglich zieht sich die WM-Schlaufe - fast schon generalstabsmäßig - ein Stück
weiter zu. Die Dosis an Vorberichten, historischen Rückblicken und Satire-Sendungen wird täglich erhöht. Auch die privaten Vorbereitungen gehen
jetz allerorts in die entscheidende Phase:
Bereits seit zwei Tagen hat der Nachbar links von uns sein Auto mit einem
Fähnchen und mit Ohrenschützern dekoriert, gestern habe ich die ersten
gehissten Fahnen im Ort entdeckt. Auf dem Parkplatz vor dem Schwimmbad nimmt die Zahl der Schland-geschmückten Fahrzeuge täglich zu und direkt bei uns am Ortseingang wehen- hinter einer
hohen Hecke, aber dennoch gut sichtbar auf hohen Masten zwei portugiesische
Flaggen im Wind. Dürfen die das?
Die deutsche Fußballnationalmannschaft hat die beschwerliche Anreise nach Santo André erfolgreich bewältigt, auch Foyer-Pinkler Kevin Großkreutz
darf in Brasilien mitspielen; Marco Reus kann leider nicht, aber Miroslav Klose – the one and only Stümer – wird es schon
richten. Die ersten Bilder von vor Ort - und einmal mehr frage ich mich, ob das
alles echt ist, was wir im Fernsehen und in Facebook zu sehen bekommen. Schon in Südafrika hatte ich das Gefühl, dass
die merkwürdig aseptischen, ach so bunten Fanszenen nicht im Stadion, sondern vorab im
Studio (vielleicht in Köln-Portz?) gedreht worden sind: Pittoresk gecastete Zehnergruppen
in paritätisch besetzten, dennoch unterschiedlichen
Zusammensetzungen, wild kostümiert,
ausgestattet mit Vuvuzuelas. Je nach Spielpaarung werden die
entsprechenden Fahnen geschwenkt. Tröööööööööööt.
In Brasilien – so mein erster Eindruck - hat das „WM-Narrativ“ jetzt endgültig zu sich selbst gefunden. „Story Telling“ ist angesagt. Während in Sao
Paulo die Straßen brennen und die Bewohner von Santo André nur noch mit Sonderausweis ihre Häuser betreten können, lässt ein ortsansässiger
Indianerstamm es sich nicht nehmen, unserer Nationalmannschaft beim Training
einen Besuch abzustatten. Die Frauen
haben Püschel auf dem Kopf und Baströckchen um die Hüften, singen und tanzen, die Männer schlagen auf Trommeln,
sind halbnackt und braun und wie im Traumschiff erkennt auch ein Blinder mit
Krückstock sofort: Aha, Einheimische. So
ist das also mit den Indianern in Brasilien. Hier ist die Welt noch in Ordnung.
Eine der Frauen weint fast vor Glück, ein Tag wie im Paradies, weil sie ein Trikot von Per
Mertesacker erhalten hat. Ich wiederhole: Ein Trikot
von Per Mertesacker. Journalisten und Fernsehteams, die nicht selbst im Camp
Bahia untergebracht sind, setzen täglich mit Fähren über den Fluß Joao über, um vom lustigen Treiben auf dem
Trainingsgelände und aus dem WG-Zimmern zu berichten. Obwohl - wie in ich der FR lese - bereits ein Vier-Fähren-Shuttleservice
eingerichtet worden ist, bilden sich am Ufer lange Staus. Am Wasserrand bilden ärmlich gekleidete, angelnde Kinder eine pittoreske Kulisse. Wie gut, dass sie es geschafft haben, die Polizei-Patrouille zu passieren und ihren Platz am Wasser einnehmen konnten. Kann das wahr sein?.
Hey, jetzt weiß ich: Das ist eine
Reality-Soap. Jogi im Taka-Tuka-Land.
Auch sonst ist Brasilien wie gemacht für Geschichten: Zentrum des Geschehens ist unser WM-Camp, das
den ebenfalls 1a- folkloristischen Namen „Camp Bahia“ trägt . Um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, sind die Nationalspieler dort als WM-WGs in
kleinen zweistöckigen Wohnhäusern untergebracht. Auf dem Weg zum Titel kommt es nämlich auf jedes Detail an. Jeder Spieler hat sein eigenes Zimmer,
aber es gibt in jedem Haus nur einen gemeinsamen Kühlschrank, sogar die Einkäufe müssen die
künftigen Weltmeister – so berichtet Delegationschef Bierhoff – selbst
erledigen und ich sehe vor meinem inneren Auge ein kleines schwankendes Boot,
in dem Mezut Özil, Manuel Neuer, Mario Götze und Schweini Schweinsteiger sitzen
und sich durch das Dickicht des Regenwalds kämpfen. Während im Hintergurnd
„Schnipp-schnapp-schnappi“ läuft, umkreisen Krokodile das Boot, Papageien und
Kolibiris flattern in den Bäumen, aber dann, endlich – das rettende Ufer. Dort
wartet bereits Thomas Müller mit einer Kiste Bitburger alkoholfrei.
Fast noch spektakulärer ist die Vorgeschichte der Mission
WM-Titel. Was viele nicht wissen: Bereits im Frühjahr war eine 50-köpfige DFB-Delegation –
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle, Jugendbetreuer und
ehemalige Nationalspieler, angeführt von Franz "Kaiser" Beckenbauer - im Rahmen einer Teambuildingmaßnahme nach
Brasilien aufgebrochen, um dort persönlich die insgesamt14 Wohn- und Funktionsgebäude zu
errichten, in denen jetzt die deutsche Nationalmannschaft nebst Betreuerteams untergebracht ist. Unter Einsatz letzter Kraft-Reserven
wurden unter streng ökologischen Gesichtspunkten Wälder gerodet, Baumstämme
verschifft und einfache, aber dennoch komfortable Hütten - nach
Originalplänen Eingeborener – erbaut. Aus dem Zoo in Sao Paulo wurden sechs weiße, indische
Elefanten eingeflogen, um einen ebenen Platz zu stampfen, der jetzt als
Trainingsgelände dient. Mitten im
Naturschutzgebiet ist die deutsche Nationalmannschaft eins mit der Natur. Immer wieder kommt es zu „wunderbaren
Begegnungen“. „Wir sind wirklich in Brasilien angekommen, unterstützt von jubelnden Kindern auf der Straße“, sagt
Team-Manager Oliver Bierhoff.
Na dann: Alloa-he.
Das ist mittlerweile schon in den "Nebengeräuschen" einer Fußball-WM so übertrieben, so überzeichnet, dass ich es für eine Satire halten müsste. Müsste, wenn ich nicht wüsste, dass Brimborium und Firlefanz längst zur Tagesordnung und einem Ton gehören, der Mal ein guter, auf jeden Fall aber ein ganz anderer war.
AntwortenLöschenIch werde mir sicher Spiele der WM ansehen, aber dem ganzen Drumherum werde ich weiter ausweichen. Bei deinem Text habe ich allerdings eine Ausnahme gemacht. Ich hab's auch nicht bereut.
Liebe Grüße
Kid
Wie beim Text oben sind die Grenzen fließend. Sind die WGs echt oder eher das Teambuilding und die weißen Elefanten? Mer waas es net.
AntwortenLöschenUnd mit jedem Mal wird es mehr so als müsste das so sein, als gehört es dazu. Ob man geschockt, verwirrt,. dafür, dagegen ist, es blöd und hochgehypt oder cool findet - man ist "Fußballer" und auch wenn man nicht mittendrin ist, ist man dabei und es ist Sommer und die Welt ist weit und dann gibt es sie natürlich auch, die witzigen Erlebnisse, eigene Momente auch und mit dem Drumherum. Mmh....
Spiele kucken und trotzdem irgendwie den Überblick behalten - here we go ,-) Schon in der Vorrunde gibt es dieses Mal ja richtige Hammer-Paarungen. Spanien - Holland - baaaah....
Danke dir sehr fürs Ausnahme machen - und freu mich, wenn du auch bei dem einen oder anderen noch folgenden WM-Schnipsel mit dabei bist. :)