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Tage wie diese


Dienstagabend, kurz vor zehn Uhr, Waldstadion. Zusammengedonnert fast ein bisschen paralysiert (Kann das sein? Wir haben tatsächlich verloren? Gegen die 05er? GEGEN DIE 05er?) stehe ich nach Abpfiff des Spiels an der Bande. Die Mannschaft dreht trotz Niederlage eine kleine Runde. Trotzig stimme ich in den Gesang ein, den die Westkurve anstimmt   – Alles, alles Frankfurter Jungs – aber als die Mainzer Mannschaft dann vorm Gästeblock Aufstellung nimmt, ein Transparent mit „Auswärtssieg“  geschwenkt  und die lustige Humba angestimmt wird, verlassen wir dann doch zügig den Ort des Geschehens. Man muss den Leidenskelch nicht unbedingt bis zur Neige leeren.

Während ich die Treppe nach oben steige, versuche ich mich zu sammeln: "Hey - kein Grund,  in Weltuntergangsstimmung zu verfallen. So viele wunderbare Spiele und Moment haben wir in dieser Saison schon erlebt",– sagt mein besseres Ich.  "Aber warum so, warum ausgerechnet heute gegen Mainz?"jammert und klagt das Weichei in mir.   "Jetzt mach mal halblang, wen kümmern die 05er, stell dich nicht so an..." wehrt sich die Vernunft. "Ich könnte kotzen. Ich will nicht gegen die verlieren. Nicht gegen die. Und jetzt fehlen auch noch Schwegler und Zambrano. Was, wenn wir jetzt einbrechen?"  Har, har - so leicht lässt sich das Weichei nicht abschütteln.

Wie fast immer nach Niederlagen fühle ich mich ein wenig mitschuldig. War ich zu sicher? Zu hochmütig? Habe keine Sekunde damit gerechnet, dass wir gegen „die“ verlieren könnten. Merke jetzt erst, wie sehr ich (wider besseres Wissen) geglaubt habe, dass gehe jetzt immer, immer so weiter.  Später, irgendwann im Laufe der Nacht werde ich mich dazu durchringen, all dem auch etwas Gutes abzugewinnen. Boden der Tatsachen.  Wir berappeln uns schon wieder. Junge Truppe, muss noch viel lernen.  In Düsseldorf können wir zeigen, dass uns so was nicht umwirft und wie lernfähig wir sind. Direkt nach dem Spiel klingt das alles noch wie blablablubb.

In unserer Halbzeitanalyse hatte ich mich noch auf Optimismus versteift.  4:2 war mein Tipp – hey, das kann immer noch funktionieren. Aber natürlich muss sogar ich  – fachkundig wie ich nun mal bin ,-) – irgendwie auch realistisch bleiben:  „Wo soll das heute herkommen?“ fragt mein DK-Nachbar und  er hat recht.  Wir finden kein Mittel gegen die aggressiv pressenden Mainzer.  Schnörkellos, konsequent, hellwach – jeder Kringel, den wir drehen, ist einer zu viel. Immer ist da ein Mainzer Bein, ein Körper, der sich dazwischen stellt. Das körperbetonte Spiel lässt uns keinen Raum.  In der Rückwärtsbewegung werden wir ein ums andere Mal mit ganz einfachen, geraden Bällen ausgeknockt. Was sonst so schnell und leichtfüßig aussieht,  wirkt hilflos, manchmal fast ein bisschen dabbisch. Die Räume sind zugestellt, die Passsicherheit fehlt. Und die körperliche Präsenz und Robustheit der Mainzer nimmt uns den Wind aus den Segeln.  Du liebes bisschen, was muss insbesondere Pirmin Schwegler an Nickligkeiten wegstecken.

Als nach dem Wiederanpfiff ziemlich schnell das 3:0 fällt, gehen die Ersten. Tatsächlich: Sie gehen und ich merke wie die in den vergangenen Wochen fast schon in Vergessenheit geratene Stadion-Zorneswelle über mich schwappt.  Wie konnte man nur denken, dass Harmonie, Euphorie, Loyalität zumindest so stabil ist, dass sie auch mal einen kleinen Knuff vertragen? Auch der neue (tschuldigung) Arsch vom Dienst ist ja bereits ausgekuckt. Sicher, dass was Olivier Occéan da im Moment auf dem Platz macht, ist ziemlich erschütternd („Stürmer von der traurigenGestalt“ hat Kid ihn nach dem Spiel gegen Schalke treffend beschrieben) -  noch erschütternder ist der Range an Beschimpfungen und Ekelhaftigkeiten, die er sich dafür anhören muss.  Das baut den Mann auf, da bin ich mir sicher. Meier können sie im Moment beim besten Willen nicht bashen, wie gut, dass für Pöbel-Nachschub gesorgt ist.

Der Anschlusstreffer fällt und  ein  paar wilde Minuten lang scheint es möglich  dass uns auch heute wieder ein Wunder gelingt, dass wir in einem Kraftakt auch dieses Spiel noch einmal herumreißen. Auf einmal läuft der Ball, wir können der  der körperlichen Präsenz der Mainzer  zumindest ansatzweise etwas entgegensetzen, Rudimente von Kombinationsfußball, der erkennbare Wille, das Glück zu zwingen,  hier und da fast so etwas wie Inspiration. Minutenlang gelingt es uns, Druck aufzubauen – die Mainzer fangen an, ein wenig nervös zu werden. Klar, die wissen ja auch, was wir können, zu was wir in der Lage sind. Die Flanken von Sebi Jung landen jetzt auf  dem Kopf von Alex Meier, Takashi Inui wuselt sich durch. Wenn in dieser Phase das zweite Tor fällt, dann machen wir auch noch das dritte. Ganz sicher, ganz sicher. Aber ungefähr ab der 70. Minute ist klar – das wird heute nichts mehr werden. Die 05er werden hier bei uns im Waldstadion als  Sieger vom Platz gehen.

Spät in der Nacht und zwei, drei Biere später sehe ich mir die Aufzeichnung der Sportschau an und da merke ich, wie der Depri-Flash ganz allmächlich weicht, sich via Realitätsschock in kämpferische Stimmung verwandelt: Im Bericht geht es nicht etwa um eine Spitzenmannschaft (die Eintracht), die vollkommen überraschend zu Hause unter die Räder gekommen ist, sondern ausschließlich um die Leistung der 05er. Thomas Tuchel doziert bleich und mit weit aufgerissenen Augen.

Was steht noch gleich in der SMS, die ein Mit-Adler mir direkt nach Abpfiff geschickt hat:„Scheiße, Scheiße, große Scheiße :(…“  Dem ist wenig hinzuzufügen, sehr viel differenzierter kann ich es leider auch  nicht ausdrücken.  Auf dem Rückweg zum Auto glänzt die Straße nass. Gesang ertönt aus dem dunklen, dunklen Wald hinter uns: „Schade, scheiße, wie konnte das passiern, wie kann man nur gegen so was verlieren.“

Da konnte ich dann fast schon wieder lachen.


Tote Hose

PS: Einen kleinen magischen Moment hatte der Abend dann doch noch für uns bereit.  Auf der Autobahn, halbe Strecke in Richtung Mainz, taucht plötzlich wie aus dem Nichts der Eintracht-Bus neben uns auf. Schon einmal, vor einem halben Jahr, in der Aufstiegssaison, habe ich das schon einmal  erlebt und war mir bis heute nicht sicher, ob ich damals gewacht oder geträumt habe.  Heute sitzt mein Mit-Adler neben mir – doch, doch, das ist er, der Mannschaftsbus, von der Rückseite leuchtet, blinkt und hüpft Attila im Nebel . Was um des Himmelswillen macht der Bus hier, nachts nach dem Spiel,  auf der Strecke Richtung Mainz?  Auch heute können wir das Rätsel leider nicht lüften – wir biegen an unserer Ausfahrt ab, der Bus verschwindet in der Nacht. Eins ist sicher: Wohin Attilas Weg auch führt und wo immer er auch landet: Wir folgen seiner Spur!

(Zu impressionistisch? Zu gefühlsduselig? Etwas mehr Spielanalyse dann morgen bei der Auswertung des SdS. Wählt mit!)

Kommentare

  1. Nee, nix von zu dies oder zu das. Zumindest mir kommt das Stimmungsbild sehr entgegen. Ich freue mich ganz besonders über die deutliche Aufwallung von Zorn, die da irgendwo mittendrin auch zu erkennen ist. Ich fand mich ab Minute +/- 80 plötzlich völlig allein in drei oder vier Reihen meiner direkten Umgebung. Das gute daran war, dass ich das gestern besonders ordinäre Schimpfen auf das neue target nicht länger ertragen musste. Aber alles ja soooo treue Fans.

    Dein letzter Satz, ein Trost. Und gut zu wissen, dass es eine Menge Leute bei uns gibt, die den gerade so unterschreiben würden.

    Jetzt bin ich allerdings mal sehr gespannt, ob ich den Mannschaftsbus nicht auch mal neben meiner S-Bahn herfahren sehe. Mer waas es halt nie. ...
    Wie immer ein Danke für einen schönen Moment.
    Die Sarroise

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    1. So kann´s kommen, Attila im Mannschaftsbus nach einem Spiel, bei dem selbst dem Alex die Bälle versprungen sind.
      Und der Olli Occean, ich hätte ihn nicht ausgetauscht.
      So können wir ihn wahrscheinlich für alle Zeiten vergessen, und das nach einem Spiel bei der ein imho wirklich nicht der schlechteste war. Wie oft ist Bastian Oczikpla der Ball vom Fuß ins Aus oder sonst wo hin gerutscht? Wie oft hat Pirmin Schwegler aus aussichtsreicher Position lieber noch einen Kringel gedreht?
      Ganz zu Schweigen vom Schiedsrichter, der wirklich Stoff für alle Verschwörungstheorien der Welt lieferte.
      Und das dann bei einem "stilisieren" Derby...

      Ach, was hoffe ich auf Düdorf.
      Und dann brennt mir immer noch im Ohr; nach dem Tor vom Benny letztes Jahr: Warum ausgerechnet der Arsch?
      Und die Schauspielaufführug des Elfers natürlich...

      AUSWÄRTSSIEG!!!

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  2. Der Text ist übrigens von mir... :)
    wib

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  3. "Ausgerechnet der" - das hab ich auch noch im Ohr wie so manches andere auch. An den letzten Spieltagen hat sich jetzt alles auf Occéan eingeschossen - und falls - also FALLS - wir in dieser Saison tatsächlich noch mal in ein richtiges Tal kommen, dann weiß ich auch schon, wer dann außerdem mit an der Reihe ist. Der Grat der Harmonie ist schmal.

    Wg. Mannschaftsbus: Das ist jedesmal kind of magic - und trotzdem frage ich mich natürlich ernsthaft, was um des Himmels willen der Mannschaftsbus nachts nach einem Spiel auf der Autobahn Richtung Mainz/Bingen macht. Ist der Bus leer? Wohnt der Busfahrer hier in der Gegend und ist mit seinem Dienstfahrzeug auf dem Nachhauseweg? Sitzt die Mannschaft im Bus und wenn ja warum? Für sachdienliche Hinweise und Erklärungen wäre ich sehr dankbar.

    Danke euch fürs Lesen und Kommentieren! lgk

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  4. Attila? Der migriert nach Namibia. Nicht nur weil's sich (fast)reimt. Es gibt sie, diese magischen Momente, wo das, was man sieht, und das, was i s t , eins ist.

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  5. @Anonym: Du hast vollkommen recht und ich ziehe die Frage zurück. Magisch. Nicht mehr, nicht weniger und nichts anderes. I don't know if I am really real.

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