Direkt zum Hauptbereich

"Ich ist ein anderer." *

Von Arthur Schnitzler, dem österreichischen Dramatiker und Schriftsteller, der in 150 Jahren in Wien zur Welt kam, gibt es eine äußerst irritierende Kurzgeschichte. Sie heißt „Ich“ und erzählt von einem Mann, dem die Welt abhanden kommt. Er weiß nicht mehr, was ist und was nicht ist, und versucht sich vor dem Verlust der Dinge zu retten, sich ihrer zu versichern, indem er sie benennt. Zunächst nur die Dinge der Außenwelt und nur sporadisch: An den Baum im Park hängt er einen Zettel „Baum“, an den Busch einen Zettel „Busch“. „Bank“. „Gatter“. Dann fängt er an, auch die Gegenstände in seiner näheren Umgebung und in seiner Wohnung zu benennen und zu verzetteln – Stuhl, Tisch, Schrank, Bett -, dann die Dinge des persönlichen Gebrauchs – Schuh, Hut, Mantel -, schließlich beschriftet er auch sich selbst: „Ich“.

Heute nachmittag klingelte bei mir im Büro das Telefon. Im Display erschien eine mir unbekannte Nummer – ich nahm ab und meldete mich wie ich mich im Büro immer melde: Mit dem Namen unserer Firma und mit meinem Vor- und Nachnamen. Am anderen Ende der Leitung war eine Dame vom Burda-Verlag. Sie stellte sich kurz vor und fragte dann, ob sie – Sie nannte meinen Vor- und Nachnamen – mit mir sprechen könne. Ich zuckte kurz zusammen, zögerte einen Moment und sagte dann: „Die ist nicht da.“ Sie entschuldigte sich für die Störung und legte auf.

„It ain’t me, Babe.“ Oder: „I don’t know if I am really real.” Jedenfalls überlege ich seitdem, ob ich mir vielleicht auch einen Zettel auf den Rücken kleben sollte. Nur zur Sicherheit: „Ich.“


*Der Satz stammt von Arthur Rimbaud.


Nachtrag am 1. März:
Abb.1:  Ein Ball ist ein Ball. Ein Tor ist ein Tor. Ein Ball im Tor ist ein Tor. Huch.
Eintracht-affines Anwendungsbeispiel (inspired by Celtix)

Kommentare

  1. Oder, zumindest an manchen Tagen: "Thank God that I ain't me." Über den Schnietzlertext bin ich auch mal gestolpert. Ich hoffe nur, daß wir für unsere Spieler auf dieses runde Ding nicht noch einen Zettel: "Ball" pinnen müssen. Sehr anregender Beitrag jenseits der Eintracht und doch auch wieder nicht. Gruß, C.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Muß natürlich "Schnitzler" heißen. Ogottogott. Gruß, C.

      Löschen
  2. Auf deinem Rücken bringt dir der Zettel aber nicht viel und bei der Burda-Dame hätte ich, um einen zweiten Anruf zu verhindern, noch hinzugefügt: "Die kriegen wir auch nicht mehr rein." ;-)
    Ich finde es ja ärgerlich, wenn mich die Leute anrufen, ich mich mit Namen melde und sie mich danach fragen, ob ich da bin. Wer schon zu Beginn eines Gespräches, das immerhin er und nicht ich führen will, nicht zuhört, bekommt von mir selten eine zweite Chance.
    Deinen Text finde ich dagegen wie Celtix sehr anregend. Habe jetzt Lust auf Schnitzler.

    Gruß
    Rüdiger

    AntwortenLöschen
  3. @Celtix: Hihi. Klarer Fall von „Ich denke pausenlos an Eintracht Frankfurt.“ Der Gedanke gefällt mir. „Der Ball ist ein anderer.“ Vielleicht ja auch: „A ball is a ball is a ball.“ Werde da gleich noch eine kleine Illu ergänzen – „inspired by…“ *g

    @Rüdiger: Ich könnt mir den Zettel ja auch an die Stirn pappen? Obwohl…mmh… dann ist ja du ich…aaaaaaaaargsss… das wird mir jetzt zu schwierig.

    Der Anruf von der Burda Dame, war in der Tat ein klarer Fall von“ in der eigenen Routine erstickt“. Ich war richtig ein bisschen perplex. Die war so mit dem Abspulen ihres Programms beschäftigt, die hat nicht mal gezuckt mit ihrer professionell-freundlichen Telefonstimme. Jedenfalls war ich sie hastunichtgesehen los. Und die Absurdität der Situation bekam irgendwie eine höhere philosophische Weihe Ich plane, die Methode auszubauen. Mal sehen, wann mir einer drauf kommt, dass ich am Ende vielleicht doch ich bin.

    AntwortenLöschen
  4. Ich habe ja selbst immer ein leichtes Problem den Namen der Leute zu verstehen, die sich am Telefon melden. Kriege ich in diesem Leben wohl kaum mehr hin.

    Melde dich doch mit: Ich bin's :)

    LG Nicole

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die nächste Strophe vom alten Reisbrei

Am Samstagabend höre ich im ZDF Sportstudio die Vorankündigung für das Spiel am Sonntag im Waldstadion. „Hannover kann morgen auf den zweiten Tabellenplatz vorstoßen“, verkündet Katrin Müller-Hohenstein. Tatsächlich? Was Sie nicht sagen. Und die Eintracht? Hey – hallo, das ist unser Heimspiel, und wir werden es gewinnen, weil nämlich dann wir es sein werden, die zu Hannover und zur Spitzengruppe aufschließen. Capisce? Und tatsächlich. So machen wir es. Impressionen vom Spiel: Patrick Ochs, der in der ersten halben Stunde auf der rechten Seite herum mannövert als habe er tatsächlich vor, was er vorher verkündet hatte: Sich festbeißen – und von dem in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu sehen ist. Halil Altintop, der (auch in seinem eigenen Sinn) zur Halbzeit hätte ausgewechselt werden müssen, und von seinem Trainer, der voll hinter ihm steht, eine viertel Stunde vor dem Ende zum Abschuss freigegeben und – sichtlich um Fassung bemüht – regelrecht vom Platz gepfiffen wird. (Ja, ja.

Kleines Fußball-ABC - Heute "U" wie "Unterschiedsspieler"

Unterschiedsspieler, der (pl. (selten die); fußballneudeutsch für einen Spieler, der – wie der Name schon sagt – den Unterschied machen und ein Spiel entscheiden kann. Bsp .    → Rebic, Ante (Eintracht Frankfurt) , der in der ersten Runde des DFB-Pokals 2019/20 “ den aufmüpfigen Drittligisten Waldhof Mannheim quasi alleine in die Knie zwang. “ In der Regel ist der → Unterschiedsspieler ein Offensivspieler, aber auch Defensivspieler „mit einer starken Technik und einem guten Gespür für Räume imOffensivspiel“  können Unterschiedsspieler sein  -   Bsp.   → Baumgartner, Christoph TSG Hoffenhei m) , → Kimmich, Joshua (FC Bayern München) oder  →Kostic, Filip (Eintracht Frankfurt), der für seinen Trainer →Adi Hütter derzeit „der absoluteUnterschiedsspieler“ ist. Auch Torhüter  können den Unterschied machen ( Bsp. Neuer, Manuel, FC Bayern München ), was als Beleg dafür gelten kann, dass auch Spieler, die nicht der Mannschaft von →Eintracht Frankfurt angehören, →Unterschiedsspieler sein kö

Hans-Dieter "Fips" Wacker - ein Fußballerleben

Es ist ein paar Monate her, dass ich für diesen Blog im „Kleinen Fußball-ABC“ einen eher satirisch gefärbten Beitrag zum Thema  Nachwuchstalente verfasst habe. Es war Kid Klappergass, der das Thema in einem Kommentar in ernsthaftere Bahnen führte: Es gebe nicht viele große Eintracht-Talente, denen er nachtrauere, aber eines davon sei ganz gewiss Fips Wacker. Fips Wacker? Diesen Namen hatte ich noch nie gehört und machte mich auf die Suche nach ein paar Informationen. Es war nicht viel, was ich im Netz aufstöbern konnte – aber was ich fand, machte mich neugierig. Die „Spur“ führte zum Heimatverein von Fips Wacker, der SKV Büttelborn und wie es der Zufall so will: Einige Wochen später sollte in Büttelborn ein Spiel der Alten Herren – der  Old Boys   gegen die Eintracht-Traditionsmannschaft ausgetragen werden. Wenn für Hans-Dieter Wacker alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können, hätte er in diesem Spiel vielleicht eine Halbzeit lang für die Eintracht und eine für den SKV auf de