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Desperately seeking football oder: Sau Mist das.

Die Stunden, der Abend nach einer Niederlage sind nicht schön. Nein, wirklich nicht. Richtig schlimm ist aber der Morgen danach. Abends - da geht man durch ein Wechselbad der Gefühle. Ist fassungslos. Enttäuscht. Niedergeschmettert. Zornig. Hadert. Diskutiert. Analysiert. Motzt. Trinkt zwei, drei Biere oder Ebbler. Entwickelt Galgenhumor. Hahaha. Wird irgendwann stumpf und müde. Schläft. Morgens, beim Aufwachen, gibt es kein Entrinnen mehr, nur noch die Gewissheit: Verloren.

Freitag, 17. September 2010. Flashback ins Waldstadion. Ein kühler, windstiller Spätsommerabend. Hat das Spiel schon angefangen? Doch, doch. Die ersten zehn Minuten sind bereits vorüber, aber wir sind uns noch nicht sicher, ob wir das, was wir da sehen, glauben wollen. Während vor dem eigenen Strafraum Dreiecke gebildet werden und gepasst wird, steht der Rest der Mannschaft in der gegnerischen Hälfte und schaut interessiert zu. Na ja, mach mal Halblang. Sind erst zehn Minuten. Die kommen schon noch ins Rollen.

Als zur Halbzeit gepfiffen wird, bleibt uns nichts anderes übrig, als den Tatsachen ins Auge zu schauen: Das ist nichts, gar nichts. Die Innenverteidigung eine Katastrophe. Russ merkwürdig hüftsteif (hat er zugenommen?), Maik Franz, der mit dem immer gleichen Trick versucht, seine mangelnde Schnelligkeit auszugleichen. Vergeblich. Immer wieder mit einfachen Spielzügen auseinandergenommen - steiler Pass aus der Abwehrbewegung, ablegen auf Cissé – Drehung, weg ist er - , läuft durch, bekommt den Ball zurück, zieht selbst ab oder legt den Ball einem Kollegen in den Lauf. Ganz einfach. Sebi Jung auf rechts von der Rolle. Altintop auf der 6 (huch!) vollkommen wirkungslos, Meier im Slowmotion-Modus, Schwegler konfus, Köhler – ja was? – lustlos? Gekas – ok, der bewegt sich, versucht eine Anspielstation zu sein. Und Ochs. Der ist auf rechts – wie immer – eifrig bemüht, versucht Tempo zu machen. Das war’s aber auch schon.

Klein, klein. Kein Pass in die Spitze, kaum Angriffsversuche, schon gar nicht über die Außen. Keine Idee, kein Impuls, kein Gar-Nichts. Rückpässe. Dreiecke. Ballverluste. Kein Druck nach vorne. Im 1:1 immer einen Schritt langsamer. Hatten wir überhaupt eine Torchance? Doch stimmt. Da war der Schuß von Ochs. Da war der Tzavellas-Freistoß und der Gekas-Kopfall. Da war...weißnichtmehr... Aber das, was die Freiburger machen, sieht deutlich kompakter und deutlich gefährlicher aus. Systematisches Verschieben. Räume eng machen. Aufrücken. Vor dem Tor blitzschnell und beweglich. Danke Oka, dass du uns bisher im Spiel gehalten hast. Was zur Hölle ist das? Was ist los mit dieser Mannschaft?

Wir entschließen uns, kämpferisch in die zweite Halbzeit zu gehen. Ok. Schlechten Tag erwischt. Die werden jetzt anders aus der Kabine kommen. Wechsel sind angesagt. Meier (so leid es mir tut) und Köhler müssen raus – Caio, Ümit – vielleicht ja auch Sonny Kittel oder Marcos Alvarez rein. Einfach mal was probieren. Hey Eintracht Frankfurt. Aufwachen!

Die Eintracht kommt unverändert aus der Kabine, in jeder Hinsicht. Und das heißt: Wir passen weiter. Irgendwann wird sich schon ein Freiburger erbarmen und dazwischen spitzeln. Es ist, als ob wir uns selbst einschläfern. Jeder individuellen Fähigkeit, jeder individuellen Initiative beraubt. Ins Koma systematisiert. Lost in system. Desperatly seeking football.

Die 336 Fans im Gästeblock sind inzwischen lauter als das gesamte restliche Stadion. Die freuen sich über das Unentschieden. Wir nicht. In der 60. Minute wechselt Michael Skibbe – Caio kommt für Meier. Er wird geben dem Spiel eine Wende. Bitte. Eintracht. Eintracht. Der Bub ist kaum zehn Sekunden im Spiel als der heute links neben mir sitzende Herr (mit Riesen B-Cap auf dem Kopf) mir erklärt, dass „der“ sowieso net in die Mannschaft gehört. Sehnse. Der geht net mit zurück. Sehnse. Des is dem sei Problem. Sehnse. Sehnse. Sehnse. Caio pflückt kurz vor der Außenlinie einen hohen Ball schön nach unten, blitzschneller Antritt, scharfe Flanke nach innen. Baumann ist da. Der Herr hält kurz inne. Aber beim nächsten Ballverlust von Schwegler ist er gleich wieder obenauf. Sehnse. De Caio. Schon widder.

Ich finde: Caio macht seine Sache gar nicht so schlecht. Er wirkt nicht ganz so leblos wie der Rest der Mannschaft. Die rechte Seite ist inzwischen abgetaucht, aber dafür entdecke ich jetzt auf links zumindest noch einen aufzuckenden Lebensimpuls: Georgios Tzavellas. Ja, er hat ein schlechtes Stellungsspiel. Ja, er rückt zu weit auf. Aber dem Himmel sei Dank, dass der Junge sich offensichtlich an keine taktischen Weisungen hält. Er macht irgendwas, aber er macht. Die langen Bälle auf rechts segeln zumindest in Richtung Freiburger Strafraum. Ein Hauch von Gefahr. Fast sieht es aus, als ob wir so etwas wie Druck aufbauen können. Auch die West, auch das Stadion zuckt noch einmal. Sollte dieses Trauerspiel tatsächlich noch ein gutes Ende nehmen? Ecke. Wir stehen. Eintracht. Eintracht. Aber nein. Die Freiburger sind durch, es war eigentlich klar. Abseits? Ja, kann sein. Egal. Verdient. Vollkommen verdient ist die Freiburger Führung.

Die noch verbleibenden drei Minuten verbringen wir mit – na was wohl - Kurzpasskombinationsspiel in der eigenen Hälfte. Kommt da wirklich Chris? In der 90.? Tatsächlich. Das nenne ich zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Impuls setzen. Abpfiff. Der Caio-Basher ist bereits verschwunden, deswegen sehe ich etwas, das ich im Waldstadion lange nicht mehr gesehen habe: Zwei Sitze weiter sitzt ein pausbäckiger, schwarzer Junge. Er hat die Hände vors Gesicht geschlagen und weint. Wirklich wahr: Er weint. Hey, du! Weltgehtnichtunter. Kommen auch wieder andere Spiele.

Auf der Heimfahrt im Auto. Genug geschimpft und diskutiert, niedergeschmettert, müde. SMS eines Mit-Adlers, der heute nicht mit im Stadion sein konnte: „Sau Mist das.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.  Nur noch einmal ein Blick auf den heutigen Morgen, auf das Aufwachen und auf den Moment, an dem es kein Ausweichen mehr gibt: Verloren. Zuhause. Gegen Freiburg. Himmel auf den Kopf gefallen. So fühlte ich mich - wie sich wohl die Spieler heute morgen gefühlt haben? Wie fühlt sich Köhler? Meier? Schwegler? Altintop? Wie fühlen sich Marco Russ, Maik Franz? Ich weiß es nicht. Besser so.

Nachtrag:
Der Maler Emil Nolde wurde einmal von einem jüngeren Kollegen gebeten, ein Urteil über seine Kunstwerke abzugeben. Nolde sah sich die Bilder nachdenklich an und fragte: „Wat soll dat sein?“ Der junge Mann antwortete: „Das ist Surrealismus.“ Nolde kratzte sich am Kopf: „Mein Junge – dat is kein Surrealismus. Dat is Scheiße.“ Und ich ergänze: Das, was wir da im Moment spielen, das ist kein System. Das ist... Genau!

Kommentare

  1. Er wird geben dem Spiel eine Wende

    Hipphipphurax! :-)

    Gruß vom Kid, dem Asterix-Leser

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  2. Wunderbar geschrieben, auch wenn der Anlass nicht gerade zum Frohsinn Anlass gibt.

    Vielen Dank. Ich schaue hier in letzter Zeit immer gerne einmal hinein.

    Und was unsere Eintracht betrifft (frei nach Asterix zitiert):
    "audaces fortuna iuvat."

    Gruß von Tom

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  3. Das freut mich sehr, Tom. Und den Hipp-hipp-hurax habe ich (danke, Kid) jetzt gleich noch im Text verlinkt.

    "Ich sehe Siege, eno'm viele Siege." Doch, doch.

    Danke für euer Feedback und Grüße in alle Richtungen!

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  4. Das macht das Aufwachen bis zum nächsten Spiel ertragbar. Ein grandioser Beitrag.

    "Das, was wir da im Moment spielen, das ist kein System. Das ist..." Ganz großes Kino! Und die Wahrheit einmal mehr gelassen ausgesprochen. Danke!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

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