Der Sommer und die Fußballweltmeisterschaft gehen weiter
ihren Gang, beides bisher mit mehr Höhen als Tiefen. Und auch wenn man – wie ich – nur
einen Teil der Spiele live sehen kann oder will und sich auf Zusammenfassungen
beschränkt, stochert man so ganz allmählich mit seinen Spieltipps nicht mehr
vollkommen ins Leere, sondern hat zumindest eine begründete Ahnung, wohin der
Hase bzw. der Ball laufen wird. Bei Kolumbien „singt
James und nimmt dann auf der Bank Platz“ – dann ist es ja kein Wunder, dass
Kolumbien gegen Japan verliert - und die haben ja auch Hasebe. Lewandowski hat beim Spiel gegen den Senegal
satte 14 Ballkontakte und verabschiedet sich mit den Polen vielleicht bereits in der Vorrunde aus dem Turnier. „Es gibt keine
Kleinen mehr im Fußball,“ das wissen wir schon länger. Berti Vogts hat das
seinerzeit gesagt und ich dachte, er hätte über die Körperlänge von Fußballern
und über sich selbst gesprochen.
Größte Überraschung bisher: Die Kroaten und die Argentinier,
jeder auf seine Weise. Die Spanier nicht
ganz so souverän wie erwartet. Die Belgier stark, die Franzosen kann ich nach wie vor nicht richtig einschätzen. Überall präsent: Die Eintracht. "Ante Rebic von Pokalsieger Eintracht Frankfurt." "Der Frankfurter Pokalsieger Luca Jovic." "Carlos Salcedo, der mit der Frankfurter Eintracht den DFB-Pokal geholt hat." Wir! Und im
Eintracht-Netzwerk vergrößert sich täglich die Gruppe, die einfach nur noch die Siege mit Eintracht-Beteiligung abhakt. Wehe, wehe den Mannschaften, die auf Teams mit Eintrachtlern treffen: Zieht euch warm an.
Bilderschnipsel: Die Brasilianer, die – inklusive Trainer gerne - oder zumindest leicht - fallen. Das
versteinerte Gesicht von Messi nach der Niederlage gegen die Kroaten. Der weinende Neymar nach dem
mühseligen Sieg gegen Costa Rica. Oder war es umgekehrt? Auch meine Suche nach
dem "tattoofreien Spieler of the day" geht weiter und ich werde bei den Schweizern fündig:
Shaqiri feiert sein Last-Minute Siegtor gegen Serbien mit nacktem Oberkörper. Bela Rethy: „Dafür wird er gelb bekommen.“ Also für den nackten
Oberkörper, nicht für die fehlenden Tattos.
Einer grinst immer: Ronaldo. Und er hat auch Grund dazu. Am
schönsten ist trotzdem zweifelsohne der Isländer Gislason und mich würde echt
interessieren, ob er im Zweitligaalltag bei Sandhausen ähnlich bejubelt
wird. Trotz Huh und Unentschieden gegen
Messi und Co wird es für die Isländer nach der Niederlage gegen Nigeria aber wohl doch leider
nix mit dem Achtelfinale. Den besten Namen hat Harry Kane – mal ehrlich: der
Bub konnte doch nur Fußballer oder Wetterwarnexperte werden.
Wie immer ist die WM auch dieses Jahr wieder ein Begriffs-
und Formulierungs-Eldorado. Das Bespielen des Gegners gehört natürlich zum
Standard. Manch einer kann innerhalb von Minuten von einer tiefen Sechs zu
einem hochstehenden Zehner mutieren. Der Stoß- und Wandstürmer feiern ein überraschendes Comeback und ich denke darüber nach, meine Fußball-ABC-Klassiker - hier und hier - auf neuesten Stand zu bringen. Auch der mir bis dato unbekannte Chip-Ball
hat Hochkonjunktur spätestens seit der argentinische Torwart einen Abschlag
direkt auf den Fuß von Bruda gechipt hat. Und der macht den Ball rein.
Neben der WM drängen auch die Eintracht-Geräusche und
Vorboten der kommenden Saison sich immer lautstärker in den Blickpunkt. Die Dauerkarte für die
neue Saison liegt im Briefkasten. Felix Wiedwald kommt als Ersatztorwart zur
Eintracht zurück – das hat fast schon was vom Großkotz der Bayern. Fredi Bobic
wird vom 11 Freunde-Magazin zum Manager des Jahres gekürt. Das wird schon seine
Gründe haben und dazu sage ich jetzt nichts. Aymen Barkok wechselt zu Fortuna
Düsseldorf und fast schon ein wenig mütterlich denke ich, dass er es bei
Friedhelm sicher gut haben wird. Mit viel Aplomb wird das Eintracht-Trikot für
die neue Saison präsentiert. Was für ein Theater. Mir treibt das Video der
Veranstaltung Schweiß auf die Stirn und einen Schauder über den Rücken.
Erinnere mich daran, wie ich vor fünf Jahren – wirklich erst fünf Jahre? Ja! –
die Möglichkeit hatte bei einer Trikot-Präsentation dabei zu sein.
Flashback 2013: Der
Fiat Flagstore an der Hanauer Landstraße war der offizielle Rahmen der
Veranstaltung, cool, dezent und stylisch. Ein lieber Adler-Freund, der als
Motorsport-Journalist (von wegen Sponsor Alfa Romeo) beruflich vor Ort war, hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte
mitzukommen. Es gab Fingerfood, Heribert Bruchhagen war dabei, natürlich auch
Peter Fischer, Bernd Hölzenbein und der – inzwischen traurigerweise verstorbene
– Gert Trinklein, alle eher dezent im Hintergrund. Als Trikotmodell fungierte
damals der sichtlich verlegene Sebi Jung, flankiert von zwei Kids. Es war
aufregend und witzig dabei zu sein, kam mir aber damals alles schon ein
bisschen too much vor. Heute mutet es an wie Nachrichten aus einer anderen
Welt.
2018: 1200 Menschen
in einem angesagten Frankfurter Club, die frenetisch Axel Hellmann zujubeln.
Wem? Ja, Axel Hellmann Superstar. Und das „just an dem Tag, an dem sich unser
Pokalsieg den ersten Monat jährt.“ Ach so. Und dann ist da auch Peter Fischer,
der den Pokal in die Menge hält und die zuvorderst Stehenden abklatscht. Jeder
will ihn kurz berühren. (Den Pokal, aber anscheinend auch Peter Fischer). Ohrenbetäubender Jubel, als Vega und Bosca
das neue Trikot präsentieren, das dann wohl auch ein Geschenk der Eintracht an
uns ist. Hurra, 89 Euro 95. „Das hol ich
mir auch in Auswärts.“ Das All in
Black-Design ist „aggressiv, aber würdevoll“.
Perfektes Labeling und Motto für die Saison schon vorgegeben. Dumm nur,
dass das fast zeitgleich präsentierte Trikot der Offenbacher Kickers dem neuen
Eintracht-Shirt verblüffend ähnelt. Aber wir haben natürlich das feinere
Stöffsche. Und unser Shirt ist um über die Hälfte teurer. Ätsch.
Bevor es abends dämmert, gehe ich gerne noch eine Runde
durch die Weinberge. Weizen und Gerste stehen bereits hoch. Beim Sturm am Donnerstag treibt der Wind den
Weizen wie Wellen über die Äcker. Darüber der blaue Himmel mit den dicken
Wolken, die schräg einfallende Abendsonne. Wie ein Gemälde von van Gogh. Richtig
gut malen müsste man können.
Ständiges Thema zum Ausklang der TV-Fußballberichterstattung
ist der Ausblick auf das Schlandspiel am Samstag, zu dem auch immer ein
obligatorischer Schweden-Witz gehört. Merke: „Die Schweden haben ihren eigenen
Humor.“ Darauf wird vielleicht noch zurückzukommen sein. Bereits am Dienstag hat Oli Kahn die Lage so
weit durchdrungen, dass er weiß, dass „Schweden nicht Brasilien ist“. Oli und Oli dürfen analysierender Weise
sitzen, während Holger Stanislawski als Chef-Analytiker am Tablet stehen darf
oder muss. Der sitzende Oli K. rollt sichtbar innerlich mit den Augen, wenn der stehende
Holger zur Intensiv-Analyse ansetzt. „Die Schweden stehen hinten im Dreieck.“
Und ich dachte immer in selbigem kann man nur springen. Katrin Müller- Hohenstein ist vor Ort in Watutinki bzw. jetzt in Sotschi für das
zwischenmenschlich-atmosphärische zuständig – stehend, wenn sie kurze Eindrücke
vermittelt, sitzend, wenn sie den Bundes-Jogi zum Interview empfängt. Wir
sehen Jogi Löw, der wenn schon keinen Charme, dann doch zumindest Gelassenheit
im Übermaß verströmt. Er joggt am Meer, blinzelt versonnen in den Sonnenaufgang
und denkt dabei, wie ich vermute, intensiv über die richtige Aufstellung nach. Manuel Neuer denkt ebenfalls nach, aber über seinen
Rücktritt nach der WM nach und Geistesgrößen wie Lothar Matthäus und Mario
Basler denken gar nicht, sondern schießen sich stattdessen auf Mezut Özil ein,
der sich – war klar – „in seinem Deutschlandtrikot sichtlich unwohl fühlt.“ Es
ist schon putzig, wie vorhandene Ressentiments nur einen Katalysator brauchen,
um sich ungehemmt zu entfalten. Oder gerade nicht putzig.
Der Tag war hektisch und arbeitsreich. Kühl ist es seit Donnerstag geworden, uns zieht es spät abends trotzdem nochmal nach draußen. Die Sterne blinken, es ist friedlich und still. Ein kaltes Bier,
die Blätter der Bäume rascheln und sogar das
Fiepen des Handys ebbt allmählich ab. Kurz nach 12 dann doch noch mal ein lautes
Piep. So spät noch eine geschäftliche Mail? Yep. Nicht nur der Fußballer, auch
der Mensch an sich arbeitet in diesen Zeiten praktisch rund um die Uhr und
irgendwo sitzt immer noch eine arme Seele am PC oder Smartphone und erledigt
schnell noch etwas, das unbedingt noch erledigt werden muss. Ein Kollege
schickt mir einen Terminvorschlag für ein Telefonat in der kommenden Woche. Unter
seiner Mail steht die Mail-Signatur seiner Agentur: „Excellence in Story
Telling“. Ich schaue in den Sternenhimmel und muss lachen. Mann mann, was e
Welt.
Wer versucht heute Abend wen am Laufen zu hindern? Wer geht hin und „hebt das Beinchen“ oder
sogar noch ein bisschen mehr? Gibt es
auch heute wieder „einsame Menschen“ auf dem Spielfeld? Springt vielleicht doch noch jemand im Dreieck? Und wer lacht am besten? Diese Frage kann ich jetzt schon beantworten: Der, der zuletzt lacht. Eintracht.
Fortsetzung folgt.
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