Das ganze ist kein realistischer Roman, sondern ein witziges, kurioses Konglomerat von Menschen und Geschichten, eine chaotische Utopie, die nichtsdestotrotz sehr viele reale, berührende Schicksale schildert und sehr viel des - damals, in den sechziger, siebziger Jahren - zeitgenössichen Englands und jede Menge Seitenhiebe auf die Sensationspresselandschaft enthält. ("ITV, das Netzwerk mehrerer Uunabhängiger kommerzieller Fernsehstationen, schickte einen Kameramann mit fünf aufgepeitschten Gruppen von Fans aus Glasgow, um zu fiilmen, wie diese auf der Hauptstraße von Newcastle- on-the-Tyne systematisch sämtliche Schaufenster einwarfen, die Ladenbesitzer zu Boden traten und wie sie dann ihrerseits von Polizisten verprügelt wurden.") Sehr schräg, sehr witzig und mit sehr viel Fußballsachverstand.
Die Sinderby Wanderers haben einen klugen Vereinsvorsitzenden, Mr. Fangfoss, der nicht nur die Geschicke des Vereins, sondern praktisch ganz Sinderby lenkt. Und da ist Dr. Kossuth, der Schuldirekter, ein Philosoph, der nach eingehender Analyse verschiedener Fußballspiele einen Plan entwickelt hat, mit dem die eigentlich komplett chancenlosen Underdogs einen großen Cup holen können. Sie stellen einen Trupp rührend verlorener, fußballerisch mehr oder weniger begabter Fußballer zusammen, die sich einen großen Traum verwirklichen wollen und bereit sind, alles in den Dienst der großen Sache zu stellen. Vier Spieler aus der Dorfmannschaft, fünf aus benachbarten Dörfern und vier einer Minenarbeiter-Mannschaft, die "für ihre rauhe Spielweise, derbe Sprache und eiserne Ausdauer bekannt waren." Und zwei, drei reaktivierte Ex-Profis, die sich nach frühen Erfolgen im Profi-Fußball aus dem Geschäft zurückgezogen haben. Alan Slingsby zum Beispiel, der als großes Talent galt, sechs Spiele für Aston Villa bestritten hat, und ausgestiegen ist, um für seine kranke Frau da zu sein. Oder Sid Swift, der ehemalige Shootingstar und Goalgetter, der über Nacht von einer Depression außer Gefecht gesetzt worden war. "Beim gewiss recht traurigen Frühstück am nächsten Morgen soll er seine verwitwete Mutter gefragt haben, ob sie wirklich glaube, dass er nur auf der Welt sei, um einen Ball durch die Gegend zu kicken, während ein verrückt gewordener Mob einen Heidenlärm veranstaltete."
Im "Swan", einem der beiden Pubs von Sinderby, wird die Truppe auf das große Ziel eingeschworen. Der Plan besteht im wesentlichen aus absoluter köperlicher Fitness und aus fünf Regeln + einer Erweiterung, die konsequent umgesetzt werden müssen. Beim Lesen habe ich mich manchmal gefragt, ob die Eintracht (möglicherweise in Kenntnis des Buches?) in der Europacup-Saison zumindest einige sehr ähnliche Regeln aufgestellt hatte? Schon der Titel des Buches könnte dazu ein erster Hinweis sein, aber die Eintracht ist natürlich nicht zu vergleichen mit einem fünftklassigen Amateurverein. Nein, beileibte nicht.
Also trotzdem - hier die Regeln, mit denen die Sinderby Wanderers es bis ins Cup-Final geschafft haben:
"Regel 1:
Man kann den Ball ohne Weiteres spielen, ohne auf seine Füße zu schauen. Frauen müssen beim Stricken auch nicht auf ihre Hände gucken.
Regel 2:
Ein herausragender Torwart ist das wertvollste Gut einer Mannschaft. Selbst einem überlegenen Gegner kann er beinahe aus eigener Kraft den Sieg vereiteln.
Regel 3:
Ein guter Torwart muss nicht unbedingt ein besonders guter Fußballspieler sein. Er braucht ähnliche Fähigkeiten wie ein guter Tischler oder Busfahrer – er muss augenblicklich Räume und ihr Fassungsvermögen einschätzen können. Außerdem muss er über außergewöhnliche Geschicklichkeit und Mut verfügen.
Regel 4:
Der einzige bedeutende Unterschied zwischen den technischen Fähigkeiten eines Amateurs und denen eines Profis ist, dass Letzterer den Ball mit dem Kopf weitaus präziser weiterleiten kann. Vorschläge zur Abhilfe: 1) Wenn möglich den Ball in Bodennähe halten , und 2) ein Gelände als Spielfeld aussuchen, das ungeeignet für hohe Bälle ist.
Regel 5:
Jeder Spieler bis auf den Mittelstürmer muss das eigene Tor verteidigen, und jeder Spieler bis auf den Torwart muss das gegnerische Tor angreifen.
Regel 6:
Der einzige Heimvorteil bei einem Spiel besteht darin, dass sich die Heimmannschaft zu Hause fühlt. Daher sollte sich die auswärtige Mannschaft vorstellen, sie sei ebenfalls zu Hause, und dafür sorgen, dass sich die Heimmannschaft weniger zu Hause fühlt."
Schön, dass Du es hier lebendig erhältst. Vermutlich, nein, mit Sicherheit das wundervollste Buch über Fussball. Erinnerungen an England und eine andere Zeit obendrein.
AntwortenLöschenAch wie schön, dass du vorbei geschaut hast. Und wg. der Sinderby Wanderers sind wir komplett einer Meinung, ein wundervolles Buch.
AntwortenLöschenMit dem Hier- Lebendig-Halten ist es so eine Sache - ich schaffe es einfach nicht regelmäßig und inzwischen schaut, so weit ich das sehen kann, nur noch ab und zu jemand vorbei und gaaanz ab und zu kommentiert mal jemand. Vielen Dank also!!! So ein Blog ist halt aus der Zeit gefallen und kann gegen Podcasts, Twitter & co nicht so richtig bestehen - alles überall schon zehn oder hundertmal gehört, geschrieben, kommentiert. Und ich "bewerbe" das Ganze ja auch nicht auf Facebook oder Insta. Trotzdem: Nischen sind ja auch ganz nett und ich mag meinen Blog auch zu sehr, um ihn aufzugeben. Auch so was wie ein Erinnerungsraum. Krame und lese hier öftermal in vergangenen Jahren und entdecke Texte von vor zehn Jahren, die ich heute noch gut finde. Und natürlich mega viele Erinnerungen.
Aus der Zeit gefallen. Ja. Aber dennoch schön. Wie so vieles. Danke für den Hinweis auf Herrn Carr.
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