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Vor dem Spiel gegen den VFB Stuttgart: Es ist, wie es ist

Der Sommer, der in diesem Jahr kein so richtiger Sommer war, hat uns in den letzten Tagen einen sanften Übergang in den Herbst beschert. Die Blätter rieseln bereits, aber die Kälte scheint noch weit weg und ich habe diese Tage - soweit arbeitsmäßig möglich - weidlich ausgenutzt. Noch und noch ein Tag mit Schwimmen im Freibad, noch eine, und dann noch eine Nacht lange draußen sitzen. Und dann wachen wir irgendwann morgens auf und es hat uns doch kalt erwischt: Herbst.

Ob, was und wie kalt es die Eintracht erwischt, bleibt abzuwarten. Die letzten Wochen mit ihrem Hin und Her und den ständig wechselnden Wasserstandsmeldungen haben für Irritationen über den einträchtlichen Rahmen hinaus gesorgt. Wer bleibt, wer geht, wer ist noch oder nicht mehr da und - fast noch spannender - warum? Für mich ein positiver Baustein im knirschenden Eintrachtgefüge ist in diesen Tagen unser (immer noch)  neuer Trainer. Ich will mich nicht darin versteigen, zu sagen, dass ich ihn mag oder er auf mich einen verlässlichen und ehrlichen Eindruck macht - Vorsicht ist die Mutter der zerbrechlichen Eintracht-Kiste - , aber mir gefällt seine unauffällige, auf seine Arbeit konzentrierte Performance - inklusive der 54 (!) Liegestütze. Seine nachdenkliche, ruhige Sprechweise. Die Art, wie er seinen Antworten in der PK nach richtigen Worten sucht, abwägt, noch einmal neu ansetzt. Der Verzicht auf Mätzchen und populistisches Anbiedern. Die seinen Spielern und seiner Profession offensichtlich sehr zugetane Denk- und Arbeitsweise. Und die nahezu sprechblasenfreien Formulierungen. Es muss uns nicht alles gefallen, aber es ist wie ist. Wir erwarten von Filip Kostic, dass er ist wie Filip Kostic. Das sind Sätze von fast philosophisch-existentialistischer Tragweite. Filip Kostic ist Filip Kostic, aber manchmal geht es dem Ich wie dem Fußball und in diesem Jahr dem Sommer: "es" (bzw. "ich") ist ein anderer (wie schon Arthur Rimbaud wusste). Was also, wenn jetzt nicht mehr der eine, sondern der andere Filip für uns auf dem Platz steht? Sagen wir mal so: Oliver Glasner vertraut seinem Spieler, und ich schließe mich ihm da jetzt einfach mal an, denn ohne Vertrauen wird es nicht gehen, und den Rest werden wir sehen. 

Apropos Vertrauen: Heute Nacht habe ich von der Eintracht geträumt. 

Ich bin im Stadion, in einem gut gefüllten Block viel weiter oben al ssonst,  aber um mich herum sind viele liebe Eintrachtler aus meinem Block, auch meine Sitznachbarn. Unser Block ist nach unten mit einer hohen Plexiglasscheibe abgetrennt,  dahinter, unter uns, ebenfalls ein Pulk von Menschen,  die aber nicht wie Fußballfans aussehen. Sie sind alle schwarz gekleidet, gestikulierten und winken in unsere Richtung. Sind das Gästefans?  Wollen sie uns provozieren? Keine Ahnung, ganz hinten, am Horizont, sehe ich einen schmalen Streifen grün, keine Spieler, nicht einmal schemenhaft, nur ein schmaler Streifen, der eine Ahnung von dem eröffnet, was da unten sein könnte. Jetzt setzt das Europalied ein und ich merke, dass ich meinen Schal vergessen habe. Mensch, so ein Mist. Kann mich nicht erinnern, dass mir das in hundert Jahren schon mal passiert ist. Was mach ich denn jetzt? Mitsingen, klar, aber ich höre nichts. Der sonst so schmetternde Gesang klingt wie ein leises Säuseln. Da taucht eine Gruppe von Männern aus dem unteren Block vor mir auf und hält mir einen großen, trichterförmigen Lautsprecher vor die Nase. "Sing!" bedeutet er mir. "Los, sing!" Ich zögere,  nehme dann  aber Position ein und singe: "Im Herzen von Europa..." meine Stimme klingt scheppernd laut und falsch. Ich wache auf. 

Jetzt gerade liegt mein Print at home-Ticket für das Spiel gegen den VFB vor mir auf dem Tisch  (ordnungsgemäß auch hinterlegt in der MainAquila-App), aber ich muss sagen, dass der Traum mich schon ein bisschen nachdenklich gemacht hat, echt. So richtig unbefangene Vorfreude aufs Spiel und aufs "Stadionerlebnis" kann ich da irgendwie nicht herauslesen.

Und sonst?

Mit dem Herbst rückt auch die Bundestagswahl näher und jeden Tag werden die Kanzlerkandidat*innen in anderen Konstellationen, Settings und Fragerunden befragt, wie sie das Klima und mithin auch Deutschland retten. Armin Laschet gesteht zu, dass es "blöd" war, angesichts der Flutkatastrophe zu lachen. Annalena Baerbock erarbeitet sich, so heißt es,  von Sendung zu Sendung verlorengegangenes Terrain zurück und verspricht mehr Polizeipräsenz.  Und Olaf Scholz lässt sich nicht anmerken, dass er vermutlich selbst nicht versteht, warum die Wählergunst ihn immer weiter nach oben trägt. (Ich hab da meine eigene Theorie: Ich glaube, dass der Aufwind weniger Olaf Scholz, als vielmehr  den häufig belächelten Wahlplakaten der SPD zuzuschreiben ist, die im Stadtbild sehr nachhaltig auf unser Unterbewusstsein wirken. Merkwürdig retro, einfachstes Layout, einfarbig, schwarzundweiße Fotos von Köpfen, kurze Botschaften. Rotundschwarzundweiss. Kein Knallrot, nichts aggressives, ein mattes, mildes Rot.)

Schwarzrotweiß ganz vorn - zumindest fußballerisch ist das keine Frage. Vielleicht schon morgen gegen den VFB, den ich (gemeinsam mit unserem Trainer) - trotz des Ausfalls von Silas und Kalajdzic - für einen sehr, sehr schweren Gegner halte. Will sagen: Ich halte es bei weitem nicht für selbstverständlich, dass wir gegen die Stuttgarter gewinnen. Mit Pellegrino Matarazzo (what a name!) haben sie einen kreativen, ehrgeizigen Trainer, die Spielweise ist offensiv und unkonventionell. Unsere Mannschaft hat sich in den vergangenen Wochen unter nicht  ganz einfachen Umständen auf das nächste Pflichtspiel vorbereitet  - viele Spieler waren über die ganze Welt verstreut, nur eine kleine Truppe konnte zusammen trainieren, lange war nicht klar, wie der Kader am Ende aussehen würden, viele Spieler sind erst gestern oder vorgestern wieder in Frankfurt eingetrudelt, sie kennen die Neuen noch gar nicht. (Da geht es ihnen wie mir.)  Und Oliver Glasners ganzes akribisch geplantes Spielsystem lebt davon, dass alle Mannschaftsteile perfekt ineinander greifen, alles so funktioniert wie geplant.  In den PKs gibt er ja ab und zu Einblicke in seine Trainingsarbeit und dabei wird deutlich, wie viel Wert er darauf legt, die einzelnen Mannschaftsteile vor jedem Spiel sehr dezidiert und spezifisch vorzubereiten, Laufwege, Passverhalten, Spielsituationen. Videoanalysen gibt es jetzt bereits während der Trainingseinheiten. Für mich etwas befremdlich, aber wenn sowieso alles und immer dokumentiert, nach- oder vorbereitet, analysiert, gefilmt, geplant, einstudiert wird - warum nicht auch einzelne Trainingssequenzen. Vielleicht hilft das ja, damit nicht nur ich, sondern auch der oder die andere in mir immer weiß, was zu tun ist. Und das gilt  auch für Raffael Borré, der dann im Zweifelsfall das Tor und nicht den Pfosten trifft.

Also dann. Ich bin gespannt. Auf mich selbst. Auf den Herbst. Auf den Ausgang der Wahlen. Auf Kostic. Und auf das Spiel morgen gegen den VFB. Und ob esam Ende dann doch wieder anders kommt als man denkt. 

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