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Und dann alle so:Yeah!

Die Welt versinkt in Schnee – und wir versinken mit. Auch auf dem Weg zum Waldstadion zum Spiel der Eintracht gegen Borussia Dortmund sind allerlei Hürden zu überwinden. Beim Überqueren der Straße zum Gehweg verschwinde ich bis zum Knie im aufgeschütteten Schnee. Beim Anmarsch zum Stadion stapfe und rutsche ich durch eine noch frische, harschige Schneedecke. Zum Verzehr meiner Bratwurst erklimme ich tapfer einen Eisberg, plitsche und platsche dann durch den Schneematsch am Eingang, knirsche und knarze durch den festgetreteten Harsch im Wald, tapere und titsche auf den Treppen zum Stadion, halte mich rutschend und schlitternd auch auf dem Glibsch im Stadion-Inneren wacker auf den Beinen und – wupps – gleite ich mit einem eleganten Sidefallstep punktgenau zum Europalied in den Block. „Du sollst heute siegen.“

Der geheizte Rasen ist grün und saftig, und sieht aus als ginge ihn der Winter nichts an. Und genau das hat sich wohl auch der kleine Vogel gedacht, der uns in den ersten Minuten des Spiels beschäftigt. Gleich nach Anpfiff taucht er plötzlich auf dem Platz auf, umflattert Schiri und Spieler, wird weggescheucht und landet direkt auf der Torauslinie hinter dem Dortmunder Tor. Dort sitzt er nun, offensichtlich vom Lärm und Licht vor Schreck erstarrt. Gleich wird er weg fliegen, tut er aber nicht, und wir fangen an, uns ein wenig Sorgen um ihn zu machen. Die Dortmunder stehen weit aufgerückt, die Eintracht ist zunächst vorrangig in der eigene Hälfte beschäftigt – schlecht für uns, aber gut für den Vogel, der jetzt endlich auch von einem Security-Menschen erspäht worden ist. Sein ungeschickter Rettungsversuch geht nach hinten los – der Vogel flattert, aber leider in die verkehrte Richtung, schräg rechts vor dem Strafraum sitzt er jetzt – genau auf der Seite, auf der gerade über Sebi Jung und Patrick Ochs ein vielversprechender Angriff der Eintracht dem Dortmunder Tor (und dem kleinen Vogel) entgegen rollt. Die Dortmunder Defensive formiert sich, Hummels rammt im Rückwärtsgang seinen Fußballschuh nur Zentimeter neben dem Vogel in den Rasen, der (doch, tatsächlich) seine Schultern hochgezogen hat und sich an den Boden drückt. Patrick Ochs, der Ball nähern sich, eine Zehntelsekunde stutzt Patti, legt den Ball am Vogel vorbei, ein Dortmunder Bein ist dazwischen. Der Ball ist aus.

Abschlag Weidenfeller, der Strafraum leert sich. Der kleine Vogel hebt vorsichtig den Kopf (doch, tut er) – vielleicht ist es doch besser, wenn er sich einen etwas ruhigeren Ort sucht. Fliegen scheint nicht in Frage zu kommen - er trippelt, erst ganz langsam, dann immer zielstrebiger im Rücken von Weidenfeller in Richtung Tor. Vielleicht ist kleine Kerl doch klüger als es den Anschein hatte – das Dortmunder Tor könnte sich als relativ sicherer Ort herausstellen. Aber was, wenn wir gleich treffen? „Besser erschossen als zertrampelt“, kommentiert mein junger Mit-Adler und ich denke mir, was für eine merkwürdige Welt es doch ist, die einen Vogel vor eine solche Alternative stellt.

Wir richten unsere Aufmerksamkeit jetzt voll und ganz aufs Spiel. Aha – Schwegler steht heute weiter zurückgezogen, wechselt sich (huch) mit Clark in der Viererkette ab – mit Clark, der keine Spur von Fremdkörper und kaum eine Unsicherheit zeigt, im Gegenteil: Er harmoniert wunderbar mit dem starken Vasoski und ebenso gut mit dem überragenden Schwegler. Wenn Schwegler sich – selten – nach vorne einschaltet, sichert Clark ihn ab und umgekehrt. Die Eintracht steht kompakt – das sieht nicht aus wie Notlösung.

Die Dortmunder sind nicht ganz so stark wie erwartet, aber sehr geradlinig, schnell, kraftvoll – allen voran Nuri Sahin, der das Spiel antreibt und mit klugen Pässen lenkt. Der BVB  hat  mehr Spielanteile, mehr Ballbesitz, sie versuchen konsequent aufzurücken, das Spiel zu kontrollieren -  wir sind hellwach, halten dagegen, setzen uns in den Zweikämpfen durch, haben mehr Chancen - aber auch ein unverkennbares Loch im Mittelfeld. Clark zieht ab. Der Ball streicht knapp über die Latte. Gekas ist rechts durch, müsste schießen, will auch noch Weidenfeller umkurven, schießt dann doch. Schad, einen Tick zu spät. Weidenfeller ist dazwischen. Boaaaaah. Das war knapp. Aber auch die Dortmunder haben Chancen. Ein Schuss von Barrios rutscht Fährmann unglücklich durch die Hände, Götze (war es Götze?) muss ihn nur noch über die Linie drücken, der Ball verspringt, Pfosten, aus. Durchatmen.

Meier wird – einmal mehr - zum Buhmann im Eintracht-Spiel. Ich fahre meine Krallen aus. Ja, Meier ist derzeit weit von dem entfernt, was er kann, wirkt merkwürdig kraftlos, agiert unglücklich. Aber wenn ein Spieler bereits vor dem ersten Ballkontakt, was sage ich, bevor das Spiel überhaupt angepfiffen ist , gebasht wird (am Bratwurststand, ein Mann zum anderen: „Bei der EFC Weihnachtsfeier... der Meier... war ja klar...“), weigere ich mich fußballsachlich gerecht zu sein. Meier hängt sich rein, Meier arbeitet für die Mannschaft, Meier gewinnt 90% seiner Kopfballduelle. Basta.

Zwischendurch bringt sich unser Vogel wieder in Erinnerung. Er ist inzwischen auf der anderen Spielfeldseite angekommen und hat sich vor der heute besonders gräßlich flackernden Leuchtebande platziert. Ein rührend kleiner, schwarzer Punkt, der bei „Offizielle Stadionwurst“ (= schwarzer Hintergrund) verschwindet und bei „Mainova“ (= weißer Hintergrund) wieder auftaucht.

Zweite Halbzeit. Das Spiel nimmt Fahrt auf – hier stehen sich zwei Mannschaften gegenüber, die dieses Spiel gewinnen wollen. Von Kombinationsfußball und System ist bei uns jetzt nicht mehr viel zu sehen, aber – wer hätte das gedacht – wir spielen trotzdem Fußball. Ehrlichen, graden Fußball-Fußball. Zunächst sieht es so aus als hätten die Dortmunder heute nichts mehr zuzusetzen, das Spiel verflacht. Aber dann gewinnt der BVB die Hoheit über das Spiel wieder zurück, erhöht seinen Druck. Fährmann fischt einen Heber von Kagawa mit den Fingerspitzen aus dem Eck. Wär vielleicht sowieso vorbeigegangen, aber – hey, stark – gut fürs Selbstbewusstsein.

Die Eintracht wankt, aber weicht nicht. Der angeschlagene Tzavellas muss vom Platz (hoffentlich war es kein Fehler ihn spielen zu lassen), Allzweck-Benni Köhler nimmt seine Position hinten links ein und dann kommt endlich auch Martin Fenin. Motiviert bis in die Haarspitzen, athletisch, draufgängerisch, durchsetzungsfähig. "Was e Ähnlichkeit," hat die leicht verwirrte Oma einer Freundin vor Jahren einmal zu mir gesagt, als sie mich nach einer Pause von mehreren Jahren wieder gesehen hat. Und so geht es mir jetzt: Der Fenin heute erinnert mich endlich wieder an den von vor zwei Jahren. „Madddin. Maddin.“ "Eintracht. Eintracht."

Unser Spiel wird druckvoller. Blick auf den Videowürfel. Was? Nur noch 5 Minuten. Keine Sekunde glaube ich daran, dass dieses Spiel torlos ausgehen wird. Entweder die – oder wir. Hilfe. Neeeein. So war das nicht gemeint. Nicht. Die. Oder doch? Barrios frei vor Fährmann. Den muss, den wird er machen. Drüber. Der Ball ditscht an die Latte, Chance vertan. Danke lieber Fußballgott oder wer immer dafür verantwortlich ist. Ok. Ok.  Dann nehmen wir den Punkt. Is ja auch sehr schön. Oder doch nicht?

Gekas holt sich den Ball kurz hinter der Mittellinie, passt kurz auf Ochs, langer Ball auf Fenin – was macht der dann da? Wow. Lässt den Ball durch, verlängert ihn mit der Hacke... Da steht Gekas, tatsächlich, Gekas ist mitgelaufen, im Rücken von Hummels. Phantomenal. Steht da. Nimmt Maß. Trifft. Er trifft. Tor. Tor. Tor. Wir hüpfen, trampeln, schreien. Arme, Schals, Mützen fliegen. Ich mache alles gleichzeitig. Umarme einen mir unbekannten, heute links neben mir sitzenden jungen Eintrachtler, packe meinen Mit-Adler und wirbele ihn herum, schreie, schreie. Patsche den vor mit Sitzenden auf die Schulter, auf die Mützen, greife nach ausgestreckten Händen.

Und da mitten in all dem Jubel sehe ich ihn wieder: Den kleinen Vogel von vorhin. Kein Witz – tatsächlich. Da ist er: Flattert, breitet jetzt – endlich – seine Flügel aus und hebt ab. Und wenn ich es aus dem Augenwinkel richtig erkenne, hat er ein rotes Eintracht-Mützje im Schnabel.

Die letzten drei Minuten steht, hüpft und schreit das ganze Stadion. Aus. Gewonnen. Den Tabellenführer geschlagen mit einer vermeintlichen Rumpftruppe. 26 Punkte. Großartig. Mir doch egal, das Geschwätz von Zement und Statistik und Erfahrungswerten. Siebter, wir sind siebter. Und warum sollen wir es nicht schaffen, in der Rückrunde noch einen drauf zu setzen?

Danke, Eintracht. Und jetzt aber wirklich - alle so: Yeah!


(Danke an Happy Adler Meenz, der das Video-Würfel-Foto gemacht hat!)

Kommentare

  1. Der kleine Vogel hat nur auf den richtigen Augenblick zum Abheben gewartet, wie es scheint. Danke für den schönen Erlebnisbericht mit Gruß vom Kid

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  2. Kerstin, ich habe keinen Vogel gesehen. Aber das ist eine schöne Geschichte.

    Diesmal hat Rosa auf die Thermohose verzichtet, damit sie notfalls schneller laufen kann und wir waren pünktlich zu, wie sie es nennt, dem "Herzensadler" im Stadion, stolz stand sie wieder auf ihrem Sitz, hielt den Schal hoch und sang so laut wie keiner um uns rum "Im Herzen von Europa..." Tolles Mädchen!

    So fing das gut an und ich dachte auch während des Spiels, dass es nicht sein kann, dass das torlos endet, ein Spiel gegen diesen BVB.

    Meinen Augen traute ich kaum, als Schwegler auf unserer Seite seinen Platz hinten in der IV einnahm. Ich war so was zwischen überrascht, skeptisch und zuversichtlich. Klasse hat er das gemacht.

    Clark, da fragte ich mich wirklich schnell: Warum hat er nie gespielt???? Starke Vorstellung.

    Das Tor und die absolute Freude! Jubel und abklatschen mit den üblichen Leuten. Bleib' auf dem Sitz stehen, Rosa, wir stehen alle! Wir singen, wir schreien... Und wir haben es geschafft. Erste Auswärtsniederlage für den BVB in der Hinrunde. Habe ich es nicht noch morgens gesagt? Oder in der U-Bahn neben den Dortmundern gedacht, als die von einem sicheren Sieg ausgingen?

    Warum zum Teufel habe ich aber auf ein Unentschieden getippt????

    Liebe Grüße und danke für deinen Bericht!
    Nicole

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  3. Doch, der war da der Vogel und es war alles ganz genau so wie ich es beschrieben hab. Nur das Mützje, das kam erst später ins Spiel.

    Ich danke euch fürs Lesen und Kommentieren - und dir, liebe Nicole, für das Hinzufügen deiner wunderschön geschilderten eigenen Eindrücke und Erlebnisse, die diesen Eintrag aufwerten und abrunden. Herzensadler. Wunderbar.

    lg (auch an die singende und jubelnde Rosa) k.

    PS: Ich hatte auf Sieg getippt :-)

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  4. Klasse Spielnachlese und ich war nicht im Stadion,sah aber im Fernseher zur 1.Halbzeit einen Vogel-hinterm BVB-Tor,wenn du ihn meinst.
    Klasse Spiel-unserer Mannschaft-klasse Sieg und Schwegler als vierer in der Abwehr-klasse Taktik.
    Danke dir.
    LG
    (B).

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  5. Der Vogel war ein Spatz. Den hatten wir unter dem Dach und nach dem Spiel dann die Taube in der Hand. Oder so ähnlich. ;-)

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  6. Ich hab' das Kerlchen auch gesehen. Da hat er eine rotundscharze Pudelmütze aufgehabt. Sehr schöner Saisonausklang. Auf'm Platz (was ja maßgebend ist), aber auch hier. Und nochmal vielen Dank für den Kalender. Wenn Johnny Cash singt, glaube ich irgendwie alles. C.

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  7. Hihi. Die Taube in der Hand, das gefällt mir. Und dazu der Spatz mit der rotundschwarzen (!) Pudelmütze. Jetzt hebt der Adler (anders als die Fliescher in Frankfurt) noch im Aachener Schnee ab - dann: Gleitflug, sanfte Landung, Weihnachten. Yeah :-)))

    Danke fürs Feedback und verschneite Grüße in alle Richtungen!

    PS an Celtix: Das freut mich sehr, dass du den Adventskalender "mithörst". Wollte eigentlich einen Take aus den Johnny-Cash-Christmas-Specials einstellen und bin dann vor einigen Tagen zufällig auf dieses Vid gestoßen. Is ja schon der sehr späte Johnny aus der Zeit der American Recordings. Zum Heulen schön.

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  8. Immer noch sprachlos, hauche ich ein Yeah! in den Schnee. Über allen schwebt der Geist des späten Johnny Cash & alles wird gut. Irgendwann. Gut wie dieser Bericht.

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

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