Ich muss nicht in die Champions League, echt nicht, aber es war eine wirklich beglückende Vorstellung, und den Platz, den wir fast schon sicher hatten, ohne Not in den Wind schießen - das geht gar nicht. "Da Leverkusen und Dortmund ihrer schwankenden Linie treu bleiben, wird der Eintracht wohl nichts anderes übrig bleiben als einen Champions League Platz zu holen" - das hatte ich mir vor einigen Wochen notiert, und spätestens nach dem Sieg in Dortmund waren wir dann ja auch durch. Eigentlich.
Ok, abgehakt. Zum Glück wissen wir ja zumindest, an wem es nicht lag - an Adi "ich reflektiere mich selbst" Hütter und Fredi "dazu bin ich viel zu abgeklärt" Bobic. Ehrlich gesagt, bin ich inzwischen fast ein bisschen dankbar, dass wir es nicht in die CL geschafft haben und der Eintracht Champions League-Platz nicht eine weitere Medaille ist, die sich Fredi Bobic an sein Revers heften kann. "Wer hat's gemacht? Ich hab's gemacht." Musterbeispiel für Fredi Bobics Managementqualitäten - das hat die Eintracht nicht verdient. Abgehakt. (Ich fürchte, wir werden in den kommenden Monaten ohnehin noch genug davon hören und die ein oder andere Altlast angeschwemmt bekommen. "Denk an mich", würde mein Opa sagen. Und vielleicht sind die unguten Nachrichten aus dem Nachwuchsleistungszentrum der Eintracht schon der Anfang.)
Und damit war es das dann auch. Deckel drauf, wenn schon nicht auf die Champions League, dann doch auf die Saison und auf die Ära Bobic. Tschüss, Herr Bobic. Tschüss, Herr Hütter. Und: Hurra, Platz 5. "Jubeln Sie doch mal!" Gerne:
Ansonsten: Wie geht es euch? Mal so, mal so, nehme ich an. Die lange Zeit, in der wir jetzt schon fürchten, fluchen, uns wundern, diskutieren, argwöhnen, hoffen, mutlos oder zuversichtlich sind, fängt an, am Lebensnerv zu zehren, oder? Der Sommer wird gut, oder vielleicht doch nicht. Sicher ist: Das Virus bleibt. Der Rest? Wir werden sehen. War es zunächst eine noch irgendwie überschaubare Phase überwiegt jetzt das Gefühl von kostbarer Lebenszeit, die da verrinnt. Und mittendrin die Bundesliga und die Eintracht. Wie ein monolithischer Block, der sich unbeirrt durch Zeit und Raum schiebt. Was immer sonst passiert, die Fußballwelt rollt weiter und produziert Bilder, Träume und Aufregungen. Ist das nun gut oder schlecht? Man weiß es nicht.
Manchmal fühle ich mich wie die Troglodyten im Höhlengleichnis von Platon - ich sehe nur die Schatten, die sich am oberen Ende der Höhle bewegen. Was wird sein, wenn wir irgend wann wieder einen freien Blick auf die Welt haben. Ist sie überhaupt noch da? Und wenn ja wie? Hybrid? Remote? Virtuell? Oder in echt? Wer hat wo welche Schäfchen ins Trockene gebracht? Werden wir wieder ins Theater oder in Ausstellungen gehen, wieder in der Sonne vor Cafés, mit einem kalten Bier in einer Kneipe sitzen? Welche Läden, welche Theater, welche Künstler, welche Restaurants wird es noch geben? Vieles von dem, was wir kannten wird nicht mehr da oder anders sein. Vielleicht sogar die Bundesliga. Immerhin: Die Super League wird es nicht geben. Stattdessen findet das Oktoberfest vielleicht in Saudi-Arabien statt. Da freut sich der Scheich.
Meine Corona-Begriffssammlung ist inzwischen auf stolze 157 Begriffe angewachsen - von A wie Aersol und Aerosolforscher über I wie Infektionsgemeinschaft oder Impfverweigerer zu S wie situationsbedingter R-Wert bis zu W wie Warteliste für kritische Infrastrukturbereiche. Mal sehen, ob ich daraus einen Rap, ein Bild oder ein "Kleines Pandemie-Wörterbuch" bastele.
Aber immerhin mehren sich auch die Zeichen der Zuversicht: Im Briefkasten finde ich das Sommerprogramm des Rheingaumusikfestivals. Die Inzidenz sinkt, die Impfquote steigt. Aus dem fernen Peruggia wird - unbestätigt - vermeldet, dass Bob dort im Sommer ein Konzert geben wird. Kann das wahr sein, dass die Neverendig Tour nach Corona noch einmal Fahrt aufnimmt.? Der Weltgeist im Tourbus, der geimpfte Weltgeist, versteht sich.
Was wird bleiben von dieser Saison, an was denke ich? Ich denke an einen zähen Start zu Saisonbeginn, an das leere Stadion, an die kleinen Grüppchen von zugelassenen Fans im Spätsommer, das Pokalaus in Leverkusen, die Rückkehr von Luca Jovic, den - da ist es wieder - historischen Sieg in Mainz und an den Sieg gegen die Bayern, bei dem mir in der ersten Hälfte die Tränen die Wangen runtergelaufen sind, so unglaublich straight und gut haben wir da gespielt. Dann war da das 3:1 in Hoffenheim mit einem fantastisch aufspielenden Filip Kostic, der Sieg in Dortmund, mir dem wir die Champions League quasi schon sicher hatten und das aberwitzige 5:2 gegen Union Berlin. Die Fangesänge, die von außen ins Stadioninnere drängen. Enttäuschte Hoffnungen. Das lachende Gesicht von Andre Silva, der es tatsächlich geschafft hat den Ewigkeitstorrekord von Bernd Hölzenbein zu überbieten. Die Flanken von Filip Kostic. Die Ballkünste von Amin Younes, Daichi Kamada, der an einem guten Tag einem Spiel einen ganz eigenen Zauber verleiht. David Abrahahm, der nicht mehr da ist. Timmy Chandler, der seinen Vertrag bis ins Unendliche verlängert. Hinti, na klar. Evan N'dcka. Die wunderbaren Nach-dem-Spiel-Interviews von Makoto Hasebe. Seppl Rode, der zäh und schmal und kämpferisch nach dem Spiel gegen Schalke klare Worte findet. Und Ajdin Hrustic, der die ganze Saison eine Art Schattendasein führte, und mit seinem unfasslichen Sitz-Lupfer gegen Mainz die CL-Hoffnung für einen Moment noch einmal aufblitzen lässt. Ob wir heute gegen Freiburg nochmal einen Akzent setzen und gewinnen? Ich sag mal: Eher nicht... Spannender ist der Blick nach Köln und Bremen, wo zwei unserer Ex-Trainer es noch einmal zeigen wollen.
Sicher ist: Nicht nur Adi H. und Fredi B., auch einige der Spieler, die uns in den vergangenen Jahren oder in dieser Saison vorangebracht und zum Teil begeisternde Spiele gezeigt haben, werden gehen. Einige davon werden wir nur virtuell in Erinnerung behalten, weil wir sie kein einziges Mal im Stadion live gesehen haben. Bei einigen wird der Abschied schwer fallen, bei einigen schwerer wiegen als bei anderen und bei wieder anderen, werden wir es nicht einmal merken, dass sie da waren und - wusch - wieder weg sind. Macht ja nichts, denn wir haben ja in den vergangenen Jahren gelernt: Immer der, der grade den Adler auf der Brust trägt, trägt ihn auch im Herzen. So wie Adi Hütter und einst Niko Kovac.
Und auch, wenn die Zeit auf der einen Seite still zu stehen scheint, ist, wenn man zurückblickt (Mann, schon fast eineinhalb Jahre), unglaublich viel passiert in diesen Monaten. Mit uns, außerhalb von uns und mit der Eintracht. Das Signum der Zeit - es passiert viel und am Ende ist alles wie es war oder auch ganz anders. Immer noch, immer noch da. Und immer noch mitten in Europa. Das ist doch was. *
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