Der Weltgeist hat zugeschlagen. Wo? Gestern Abend, in der
Jahrhunderthalle in Höchst, wo wir ein mitreißendes, schwebend schönes Konzert
von Element of Crime gesehen haben.
Um Acht soll es losgehen und da wir (überflüssig zu
erwähnen) spät dran sind, reicht die Zeit gerade noch, um in der Halle ein verhältnismäßig kleines Paar Frankfurter
Würstchen für verhältnismäßig viel Geld zu verzehren. Mit dem Gong schwappen
wir in die Halle. Vor drei Jahren haben wir Element of Crime schon einmal in
kleinem, fast intimen Rahmen in Mainz im KUZ gesehen, das hier heute ist eine
ganze Nummer größer. Die weitgehend bestuhlte Jahrhunderthalle ist ausverkauft.
Vor der Bühne ein schmaler Streifen Stehplätze, dicht gedrängt. Dort stehen
auch wir. Sven Regener selbst sagt die Vorgruppe an. Apples in Space, zwei
junge Musiker aus Berlin und Norwegen, sie am Keyboard, er mit Gitarre, die
sich stimmlich wunderschön ergänzen. Ein bisschen folky und knapp neben dem
Trend klingen sie und sind mit ihren englischsprachigen Texten von Blättern, die fallen, fast ein bisschen rührend. Sven Regener hat ihre erste CD produziert, spielt bei einem Stück auf der CD auch Trompete. „Wir sind Apples in Space.“ Freundlicher Applaus und dann
kommt Element of Crime.
Mitten vor der Bühne hat sich ein baumlanger Herr
aufgepflanzt und falls wir nichts sehen, können wir uns das Geschehen auf der
Bühne ja auf dem hocherhobenen Screen seines Tablets ansehen, mit dem er unaufhörlich filmt. Da
wird Sven Regener sich sicher freuen.
Eine hinreißende Mischung aus Melancholie und
Unerschütterlichkeit, aus Witz und Nonchalance, aus Traurigkeit und
Unerschrockenheit, die Element of Crime mit ihrer Musik und Sven Regener nicht
nur in seinen Liedtexten, sondern auch in seiner Bühnenpräsenz und seinen Zwischenmoderationen ausstrahlt. Er traut sich, sentimental zu sein, kitschig,
albern. Ein Realitätsschnipsel, ein Gedanke wird zum Aufhänger für eine Kette
aus Assoziationen, die immer neue Spiralen und Kreise zieht. Nie mehr so rein, nie mehr so weiß wie weißes
Papier. Immer da, wo du bist, bin ich nie. Und alles, was lustig ist, ist immer
auch ein bisschen traurig und umgekehrt und manchmal weiß man nicht, wo das
eine anfängt und das andere aufhört. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen
oder auch nicht. Und falls nicht, dann erst recht. Am Ende denk ich immer nur
an dich. Hauptsache Liebe, Hauptsache
du. Und vielleicht ist ja wirklich alles Delmenhorst. Zumindest in
der Straßenbahn des Todes.
Das Lied „Ich hab dich immer nur geliebt“ hat die Band – so
erzählt Regener – vor über 15 Jahren für ein Theaterstück geschrieben, die Abschiedsinszenierung von Leander Haußmann in Bochum. Die Band hat das Stück
live bisher nie gespielt. Denn: „Theaterstück – Kontext – wichtig.“ Aber da es
sich bei dem Theaterstück um Peter Pan handelte und Sven Regener die Handlung als „irgendwie überschaubar“ beschreibt (Peter Pan kämpft für die Unschuld
und die Liebe und besiegt am Ende seinen Intimfeind den bösen Kaptiän Hook),
spielen sie es auf dieser Tour also zum
ersten Mal auch live. Auch ohne Peter
Pan ein wunderschönes, verzweifeltes Lied und ein spannender Gedanke, dass das Gute nur
deshalb gut sein kann, weil ein anderer sich die Mühe macht, den allseits
präsenten Bösewicht zu geben. Was wäre Peter Pan ohne Kapitän Hook? Ein Tierfilmkucker und Schnittchenschmierer,
ein Bodenturner, ein Sitzendpinkler
Lieblingsfarben und Tiere.
Unter diesem Label läuft die Tour und so heißt die neue CD, die auch das
Kernstück der Setlist bildet. Sven Regeners Lieblingsfarbe ist grün. Oder rot.
Aber blau ist auch ganz schön, obwohl der Kater zu faul ist, um im Hof die
Ratten zu jagen. Mitreißend. Träumerisch. Ein strömender Wirbel aus Rhythmen und Gitarren. Und wenn die Trompete so
weh und sehnsüchtig strahlt, ist es als ob man abhebt. Kaffee und Karin kommt
als überdrehter Polka, eingerahmt von einem fast schon waschechten
Hilbilly-Rock. („Tja, wir können auch
anders.“) Es ist wie anhalten und sich
treiben lassen, wie die Flüsse und das Meer, von denen in Sven Regeners Texten so oft die Rede ist. So
oft, dass er – so sagt er auf der Bühne
- die nächsten 15 Jahre brauchen wird,
um darüber nachzudenken, warum. Nur die
Goldfische bleiben auf dem Bildschirm und das Handy klingelt, während jedes
Sandkorn am Strand wie ein Blick von dir ist.
Zwischendurch nimmt er einen Schluck aus seiner Bierflasche und manchmal
tanzt er. Ein bisschen wie ein tapsiger Bär, der dabei mit den Armen rudert.
Was hat Element of Crime mit Rainer Werner Fassbinder zu
tun? Eigentlich nichts, aber zumindest so viel, dass die Band für ein Lied auf der neuen CD einen Faßbinder-Filmtitel geklaut hat. Liebe ist kälter als der Tod. Und es war die
Fassbinder-Darstellerin Margit Carstensen, die das Käptn Hook-Lied damals in
Bochum auf der Bühne gesungen hat. So schließt sich der Kreis und der Weltgeist
hat zu geschlagen.
Aus, es ist aus. Nein, ist es nicht. Die Halle trampelt,
johlt. Ganze vier Mal kommt die Band für eine Zugabe zurück auf die Bühne. Über
dir, über mir diesselben Sterne. Vielen Dank, vielen Dank, ihr Lieben. Und dann ist es wirklich und endgültig vorbei.
Will ich ein Tour-Shirt? Ja, ich will. Im Foyer der Jahrhunderthalle, neben der
Garderobe, bildet sich ein kleiner Pulk
von Menschen vor der Tafel mit Daten und Big Names aus der über 50 jährigen
Geschichte der Halle. Die Liste startet
mit dem Jahr 1963. Wahnsinn, wer hier schon alles gespielt hat. Kuck mal –
Frank Sinatra. Rory Gallagher. King Crimsen. Miles Davies. Frank Zappa. Jeder
sucht nach den Konzerten, bei denen er selbst dabei war. Da, da war ich, da
waren wir. Van Morrison. Patti Smith. Bob, natürlich. Im April 1972 ist zu
lesen: 25.4 – Roy Black. 26.4 – Grateful
Dead. 29.4. – The Doors. Du liebes bisje. Und wir fragen uns, was bei diesem Zusammentreffen wohl aus dem Weltgeist gesprochen hat und dabei vielleicht trotzdem überhört worden
ist.
Glücklich und erfüllt, fast ein wenig benommen von Musik und Gedanken brausen wir durch die verregnete
Nacht zurück nach Mainz, wollen die gesperrte Schiersteiner Brücke umgehen und
landen dann – keine Ahnung, warum – trotzdem genau dort, kurven kichernd durch
die Nacht und landen schließlich – logisch - doch zu Hause. Es ist jetzt schon nach
Mitternacht. Die Nacht ist mild und
zieht feine Fäden. Bei kaltem Bier sitzen wir, schwätzen und hören auf den
Wind, der braust. Wie viele Erdbeereise muss der Mensch noch essen, bevor er
endlich einmal sagt: Ich bin dafür. Nur, wenn ich lache, tut es noch weh. Und wenn es hier geht, dann komm mit mir
woanders hin, ich weiß noch einen Weg. Wir sind steinmüde und heute Nacht führt
unser Weg nur noch in eine Richtung: Ins Bett.
Und tatsächlich. Am Morgen danach wachen wir wieder
auf, zwar ziemlich übernächtigt, aber
kein Zweifel: Wir sind immer noch, immer
noch da.
*Alle kursiv gesetzten Stellen sind Zitate aus Liedtexten.
Vor der Bühne mit einem Tablet zu filmen, das ist eine Unsitte, die mich rasend macht. Geht auch mit Handy. Macht mich auch rasend. Nichts gegen ein Foto, aber die Spezialisten, die permanent mit den Geräten vor meiner Nase rumfuchteln laufen Gefahr, attackiert zu werden. Element of Crime. Immer noch klasse.
AntwortenLöschenEs ist einfach nur unverschämt und ignorant. Förschderlisch!
LöschenLange hatte ich immer wieder mit dem Gedanken gespielt, mir doch eine Karte für das Konzert in der Jahrhunderthalle zu besorgen. Nachdem wir Element of Crime vor Jahren im vergleichsweise intimen Capitol in Offenbach gesehen hatten, schien mir die Jahrhunderthalle für die Band einfach die falsche Wahl zu sein. Nun, wenn ich deinen Eintrag lese, könnte es auch sein, dass ich die falsche Wahl getroffen habe. :-)
AntwortenLöschenPS: Beve, geht mir ähnlich wie dir.
Das Konzert war einfach nur überwältigend schön und großartig. Wegen der Hallengröße hatten wir im Vorfeld ähnliche Zweifel wie du - Sven Regener hat über das Setting auch ein bisschen gestaunt - von wegen Hand über die Augen und "Huch - wo seid ihr denn?" Ich kann nicht sagen, wie sich das Ganze von einem der oberen Parkettränge angehört und angefühlt hat - in dem schmalen Stehstreifen vor der Bühne war es so wie es sein sollte.
LöschenDa du ja gerade auf "Konzerttour" bist und ich weiß, dass du Element of Crime magst, hatte ich ja fast ein bisschen damit gerechnet dich (oder auch Beve) vor Ort zu treffen. Dann halt... another timer, another place :)
Danke für den schönen Bericht. Das habe ich leider verpasst - obwohl ich EOC schon ewig bewundere. Sven Regner ist großartig.
AntwortenLöschenSchade.
Apropos 'verpasst': Das hätte ich wohl lieber mit dem heutigen Eintrachtspiel getan...
Seufz.