Donnerstagabend, kurz vor 9 Uhr. Unerbittlich leuchtet das
3:3 vom Videowürfel, erbarumungslos und endgültig. Im Block der Portugiesen werden noch ein paar Fahnen
geschwenkt, die Mannschaft des FC Porto hat den Rasen längst verlassen. Unsere Jungs
sind noch da, mit gesenkten Köpfen und hängenden Schultern Das Stadion beginnt
sich allmählich zu leeren. Die West, Teile der Gegentribüne und die zur Haupttribüne
hin verlängerte Kurve bleiben, sind noch nicht bereit, sich von Europa zu
verabschieden. Der Geist des Spiels
hängt noch in und über dem Stadion. Das aberwitzige Auf und Ab. Der
Führungstreffer. Die Hoffnung. Die Portugiesen, die wild entschlossen nach der
Pause als erstes wieder den Platz betreten. Tooooor. Das 2:0. Tatsächlich.
Zweizunull. Das fast schon sicher geglaubte Weiterkommen und doch dieses bange Gefühl. Das wird nicht reichen. Die Stärke der Portugiesen,
straight, körperbetont. Sie werden noch einmal zurückkommen. Der
Anschlusstreffer Der Ausgleich. Sie sind
zu stark, das werden wir nicht halten. Porto rollt jetzt wie ein Uhrwerk. Und dann sind doch wir es, die das Tor machen. Alex Meier Fußballgott. Ich schreie
in den Himmel. Kann es nicht fassen. Werde verrückt hier und jetzt und auf der
Stelle. Die 86. Minute. Humorlos. Trocken. 3:3. Aus. Ich lehne an der Bande, nach vorn gebeugt, leer. Da geschieht es.
Ein Moment, der für
mich mit zu den schönsten unserer Europareise zählt. Kommt es aus der Kurve und
die Stadionregie klinkt sich ein? Oder ist es umgekehrt? Im Herzen von Europa schallt durch das
Stadionrund und es ist, als ob ein Ruck durchs Stadion geht. Alle, alle die noch
da sind, richten sich auf, Schultern
durchdrücken, Brust raus. Wir singen, die Schals nach oben, den Blick auf das 3:3 am
Videowürfel. In unserer Ecke –
Gegengerade, dicht am Gästeblock – sind die Reihen schon sehr ausgedünnt. Ein
kleines Häufchen bleibt. Überlaut höre ich meine Stimme, obwohl sie dünn und wackelig klingt. Wie überschwänglich
glücklich waren wir, damals im letzten Mai, als wir Europa tatsächlich
geschafft hatten. Dafür gekämpft, dafür gelitten. Endlich. Baku. Die Auslosung zur Gruppenphase. Bunte Tupfen. Die Bilder aus Tel Aviv, die
Eintracht-Welle, die über Zypern schwappt. Die Chaos-Tour nach Bordeaux. Die jüngsten
Bilder und Geschichten aus Porto. Wie oft habe ich in den vergangenen Monaten mit
Europa gehadert, gezweifelt - und wie
viele wundervolle, unvergessliche Momente haben wir zusammen erlebt. Es ist, als ob in diesen wenigen Minuten alles
noch einmal in- und übereinander schwappt. Die Eintracht. Schon immer da.
Wie der Wind, der Regen, der Wechsel der Jahreszeiten. Festhalten diesen Moment zwischen nicht mehr
und noch nicht. Spüre wie mir ein paar
Tränen die Wangen hinunterkullern. Danke, Eintracht. Und dann ist es vorbei.
Europa ist Vergangenheit. Die Erde hat uns wieder. Es
regnet, der Wind weht, der Himmel ist rabenschwarz, der Waldweg matschig. Mit voller Wucht spüre ich
jetzt die Erkältung, die in meinen Knochen steckt und mich beinahe vom
Stadionbesuch abgehalten hätte. Mein Kopf fühlt sich an wie ein Softeis, die
Beine sind wackelig, die Nase trieft. Ich stapfe durch den stärker werdenden
Regen. Der Wald. Die Welt. Gesprächsfetzen. Hätte. Wäre. Wenn. Bin hungrig, für die Bratwurst vor dem Spiel hat
die Zeit einmal mehr nicht gelangt – was für ein Glück, im Auto liegt ein belegtes Brötchen, das mir mein Mit-Adler wohlweislich und fürsorglich mitgegeben hat. Starte das Auto. Die CD
setzt da ein, wo ich sie vorhin unterbrochen habe. Tatsächlich. It’s all over now Baby Blue, singt Bob und ich
weiß nicht, ob ich darüber lächeln oder vielleicht doch lieber heulen soll. Take what you have gathered from coincidence. Die
Straße glänzt nass. Ich fahre los.
Am Sonntag. Der VFB. Wichtig. Und wir sind zwar nicht mehr europäisch, aber immer noch im Herzen von Europa.
Meine rotundschwarz: Krank wie ich, vor Ort wie ich und am Ende läuft mein Lieblingslied - wenn auch in der "falschen" Version. ;-) Nur so einen wunderbaren Bericht mit viel Gefühl, den habe ich nicht geschrieben.
AntwortenLöschenIch wünsche dir gute Besserung und am Sonntag wissen wir, was zu tun ist: "Strike another match, go start anew." :-)
Das hast du wieder einmal sehr schön geschrieben.
AntwortenLöschenWelch Wechselbad der Gefühle gestern. Wie sehr wollten wir alle, Mannschaft, Fans, Verein, alle wollten weiterkommen. Das war so greifbar, der Wille. Und so nah war es dann auch.
Wir haben diesen Traum "endlich wieder europäisch" so sehr gelebt. Ich fand es toll, habe damit auch gar nicht mal so gehadert.
Auch heute musste ich manchmal mit den Tränen kämpfen. Wir waren doch so nah dran und hätten es so verdient.
Ich hoffe, es geht dir besser.
EINTRACHT!
LG Nicole
@Kid: Start anew - in jeder Hinsicht ein gutes Motto!
AntwortenLöschen@Nicole: Es war so nah und dann flutsch, weg. Doch, ich habe gehadert, du weißt das ja und habe mich selten so zerrissen gefühlt wie in dieser Saison. Während alle anderen nur das Positive zu sehen schienen, hatte ich immer das Gefühl, dass wir ganz dicht an einem Abgrund laufen. Damit meine ich nicht vorrangig, die Doppelbelastung und das immer weiter Hineinrutschen in den Abstiegskampf. Mir ist, als ob ich dabei zugeschaut habe, wie wir selbst dazu beitragen, das zu befördern, was uns am Schrecklichsten ist. Ich hoffe, ich irre mich. Eintracht!
Ich mag den Blues. An diesem Abend aber habe ich ihn verdammt.
AntwortenLöschenViele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.