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Satz mit x oder: Eintracht, ich liebe dich!


Dumm gelaufen. Das da gestern Abend war schon ziemlich, ziemlich anders als erwartet. Und wenn ich in der Halbzeit noch in einer Art Schockstarre im Stadion saß, in der zweiten Hälfte erste Spuren von Galgenhumor hochkamen, war ich auf der Heimfahrt nach dem Spiel hauptsächlich vollgesaugt von den vielen Eindrücken und heute morgen (im Schwimmbad) habe ich gemerkt: Ich bin durch damit. Das war schon richtig so, oder sagen wir: Das war so richtig eintrachtig und deshalb irgendwie dann doch auch wieder gut. Echt jetzt. Aber der Reihe nach.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat es kräftig geregnet und am Spieltag wabbert die Luft vor Feuchtigkeit. Ab und zu noch ein Regenguss, nachmittags dann wieder erste, blasse Sonnenstrahlen. Gegen sechs mache mich auf zum P+R und zur S-Bahn. Es ist ungewöhnlich voll am Hinterland-Bahnsteig.  Alle in weiß, fast alle im Europapokalsiegershirt. Ich ganz retro: Ein lieber Freund und Ex-Eintrachtler (so was gibt's) hat mir vor ein paar Tagen ein original weißes United Colours of Bembeltown-Shirt  übereignet, das bei ihm seit Jahrenh ungenutzt im Schrank lag. Here we go. Unter den Adlern mit obligatorischem Vorglüh-Bier (eins in der Hand, ein oder zwei in der Hinter- oder/und Seitentasche der ohnehin niedrighängenden Cargohosen) entdecke ich einen Eintrachler mit einer Mini-Dose Jack Daniels. Echt. Ab und zu nimmt er einen kräftigen Schluck. Auf jeder Station steigt ein weiterer Eintracht-Pulk zu. Es wird immer weißer, es wird eng, die Stimmung ist laut und fröhlich. Ein englisch sprechendes Pärchen sitzt mit großen Augen mittendrin. Er: "I guess they are going to a match." Indeed.

Am Stadioneingang ist alles noch ganz entspannt. Mein Herz hüpft beim Anblick des Stadions, aber auch, weil ich befürchte, dass es Probleme beim Einlass geben wird. Fehlbuchung bei der Überweisung meiner Dauerkarte, viele Telefonate mit dem Eintracht-Service, keine eindeutige Aussage. Aber hurra - alles funktioniert, und ich bin drin. Danke, liebe Eintracht.

Ein merkwürdiger Anblick am äußeren Rand des Stadionrundes, auf das ich beim Anmarsch von unten schaue. Eine Kette vieler, vieler  orangefarbener Ordner, die mit dem Rücken zu mir stehen. Stutz. Ach soooo, dort werden die neuen Spieltagsbändchen für alle Nordwestkurvler verteilt. Ich denke: sinnvoll, aber irgendwie halt auch ein zusätzlicher Kontroll- und Orga-Überbau im Stadion. Die Bändchen sehen übrigens cool aus, sind spezifiziert pro Spieltag - potenzielle Sammlerstücke.

Großes Hallo im Block. "Du hier? Trotz Bayern!"  Jaaaa,  ich breche mit Gewohnheiten, aber als Europapokalsieger hat man halt seine Verpflichtungen. Hoho. Meine Sitznachbarn sind noch im Urlaub und schicken Grüße per whats app. Aber sonst alle, alle wieder da, auch diejenigen, die eine lange Corona-Pause hinter sich haben. Alle freudig gestimmt und erwartungsfroh.

Mir war gar nicht bewusst, dass es beim ersten Bundesliga-Spieltag so was wie eine offizielle PreGame-Show gibt. Aha. Fanvertreter aller Bundesligavereine kommen in langer Reihe auf den Platz, laufen zum Mittelkreis zum Schulterschluss. Gellende Pfiffe. Warum? Fußball-Mafia DFB. Scheiß Dosen. Scheiß Pillen. Scheiß Bauern. (Gibt es irgendjemand der diese saublöden Namensverballhornungen witzig findet?). Mich stört eher, dass ich unter den Fandelegation tatsächlich nur zwei (oder waren es drei) Frauen entdecke. Und - von wegen Diversity und so - so weit ich sehe auch rundum nur - weitgehend junge  - weiße Männer. Kann gut sein, das entspricht dem repräsentativen Durchschnitt. Trotzdem schade. Auch eine Regenbogenfahne hätte dem Aufmarsch ganz gut getan. Nun denn.

Auftritt junge Sängerin. Sie stimmt die Nationalhymne an. Stimmt sie? Was immer sie singt (poor thing) - es versinkt in einem gellenden Pfeifkonzert. Helene Fischer-Gedächtnis-Pfeifen? Nationalhymne vor einem Bundesligaspiel muss nicht sein. Nationalhymne niederpfeifen aber echt auch nicht, oder? Schon ein bisschen peinlich. Und jetzt hat vermutlich auch der letzte TV-Zuschauer kapiert: Wir hier in Frankfurt sind zwar die besten Fans der Welt, aber  wir haben nicht das Zeug zu everybody's darling.

Ein großes Europapokalsieger-Banner wird vor der West entrollt. Und dann folgt der Auftaktinszenierung zweiter Teil  - das Spielfeld versinkt im Nebel. Erst schwebt eine Wolke aus dem Block, dann viele Wolken, dann alles dicht. Blickdicht. Mein Platz ist seitlich von der West, im Unterrang, ziemlich vorne, Höhe Eckfahne. Vor mir das Tor, bei dem ich vermute, das nach wie vor Kevin Trapp darin steht. Was wir sehen: Nichts. Absolut nichts. Ob, wie, wann, was Trapp sieht? Keine Ahnung. Irgendwann tauchen einige Spieler aus dem Nebel auf und bewegen sich Richtung Mittelkreis. Oops. Da ist dann wohl ein Tor gefallen. Maaaaaannn. Und dann wird die Sicht aufs Feld allmählich besser, was vielleicht ein Fehler ist. Denn es geht Schlag auf Schlag weiter.  0:2. 0:3. Heeeey.... Was passiert da. Wo sind wir? Wo trabt Kostic? Was mache Borré? Wo und was ordnet Götze? Und wo bitte, wo ist unsere Abwehr?  Hier ein bisschen Gestochere, dort ein Ball halbherzig nach vorne gekickt, bevor die rote Walze wieder nach vorn und über uns hinwegrollt. Nach dem 0:3 intoniert die West das Lied von der SGE, die wieder da ist, dicht gefolgt von "Europas beste Mannschaft". War das Ironie?   Das erste Tor der eigenen Mannschaft quasi selbst einschenken und dann zum Ausgleich eigene Mannschaft (oder sich selbst?) trotz Totalausfall bejubeln?  

In der Halbzeit müssen wir uns alle erst einmal sortieren. Schock. Who the fuck is Mané? Hat sich unser Präsident vor dem Spiel gefragt und jetzt  können wir mit einer gewissen Überzeugung hinzufügen: Who the fuck is Musiala? Da macht es fast schon nichts mehr, dass jetzt auch noch ein kleiner Pulk aus der Fankurve auf den Platz stürmt, um einen Flitzer aus den Klauen der Security zu befreien. Gerangel. Gejohle. Anpfiff zweite Halbzeit. Pyro bei uns, Pyro im Bayern Block. Polizei-Durchsagen. Und, ja, gespielt wird auch noch. Für uns (oben im Block und unten auf dem Platz) geht es jetzt einfach nur noch darum, das ganze aufrecht hinter uns zu bringen. Man muss es nehmen wie es kommt, und darin haben wir zum Glück Übung. Manuel Neuer tut uns sogar noch den Gefallen, sich mit betont lässiger Arroganz selbst zu überlisten und so verdanken wir dem wuseligen Kolo Muani den Lichtblick des Abends. Tooooooooooooooor. Und "Neuer auf die Bank." Kostic wird ausgewechselt, wir verabschieden ihn mit Standing Ovations. Noch nichts konkretes weiß man nicht, aber in diesen Minuten sind wir uns alle sicher: Das war sein letztes Heimspiel für die Eintracht.

Und dann ist es vorbei. Die West bejubelt euphorisch die Mannschaft. Ob das  - wie die Frankfurter Rundschau meint - Liebe ist oder - wie der von mir hochgeschätzte Seppel Rode sagt -  daran liegt, dass "die Fans ein gutes Gespür dafür haben, was sich auf dem Platz tut", mag dahingestellt sein.  Ich kann nach so einem Abend jedenfalls nicht feiern und jubeln, vielleicht fehlt mir da einfach das Gespür? Meine Liebe ist jedenfalls nicht nur laut, sondern manchmal ganz still und nicht selten tut sie sogar weh. Ich mache mich auf den Heimweg.

Saison abhaken? Was für ein Riesenquatsch. Wir werden uns schon berappeln und wir werden am Ende in den verschiedenen Wettbewerben schon mit dabei sein und - wer weiß  - vielleicht sogar irgendwo wieder ganz oben stehen. 

Durchs nachtschwarze und stille Hinterland fahre ich mit "Blue moon of Kentucky" nach Hause. Mal ehrlich: Den Sieg im Auftaktspiel der Bundesligasaison  innerlich fast schon in der Tasche haben und dann zu Hause 1:6 untergehen - das macht uns so schnell keiner nach!

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